TE OGH 2020/1/24 36R316/19s

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.01.2020
beobachten
merken

Kopf

Das Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht hat durch seinen Richter VPräs. Mag. Peter Weiß als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Inge Strebl und den Richter Mag. Martin Weiländer in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Wien, vertreten durch Dr. Erich Trachtenberg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wider die beklagte Partei ***** Wien, vertreten durch Grgic & Partner Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, wegen zuletzt € 540,-- s.A., infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 31.10.2019, 29 C 709/19k-10, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit € 210,84 (darin € 35,14 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 2 ZPO).

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Am 29.3.2019 ereignete sich in 1100 Wien ein Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin als Lenkerin und Halterin des Klagsfahrzeugs Mercedes 200 mit dem behördlichen Kennzeichen W-***** und das bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte Fahrzeug Toyota mit dem Kennzeichen W-***** beteiligt waren.

Mit Mahnklage vom 4.6.2019 begehrte die Klägerin zunächst € 1.055,-- mit dem wesentlichen Vorbringen, das Alleinverschulden treffe den Lenker des Beklagtenfahrzeuges. Nach einer Teilzahlung von € 515,-- für Abschleppkosten, unfallkausale Spesen und Leihwagenspesen schränkte die Klägerin das Klagebegehren mit Schriftsatz vom 22.7.2019 auf € 540,-- s.A. für Einstellungskosten ein.

Die beklagte Partei bestritt und wendete dagegen ein, es sei nicht ersichtlich für welchen Zeitraum diese Einstellungskosten geltend gemacht würden und überdies seien sie als zu hoch anzusehen, wenn man bedenke, dass ein durchschnittlicher monatlicher Mietzins für einen Garagenplatz in Wien ca € 60,-- bis € 100,-- betrage. Das Klagsfahrzeug sei von der ***** GmbH abgeschleppt worden. Dabei handle es sich um eine Kfz-Werkstätte für die ersichtlich gewesen sein müsste, dass am Klagsfahrzeug ein Totalschaden eingetreten sei. Diese Reparaturwerkstätte sei jedenfalls der Klägerin zuzurechnen. Im Übrigen sei eine Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs durch die beklagte Partei keine Voraussetzung für eine Reparatur. Die Klägerin habe gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, in dem sie das Fahrzeug zu einem unangemessen hohen Preis auf dem Gelände der ***** GmbH abgestellt belassen habe, zumal sie die Möglichkeit gehabt habe, das Fahrzeug wesentlich günstiger, allenfalls sogar gratis, eventuell auf einem Schrottplatz, abzustellen.

Die Klägerin brachte dazu vor, ihr sei nicht zumutbar, abzuschätzen, ob an ihrem Fahrzeug ein Totalschaden eingetreten sei oder nicht. Es sei auch nicht zumutbar gewesen, das Fahrzeug anderswo abzustellen, weil dann zusätzlich zu Einstellungskosten auch noch Abschleppkosten hin und retour angefallen wären, nachdem das Klagsfahrzeug nicht fahrbereit gewesen sei. Das Auflaufen von derartig hohen Einstellungsgebühren sei allein auf die Untätigkeit der beklagten Partei zurückzuführen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem eingeschränkten Klagebegehren zur Gänze statt und verpflichtete die beklagte Partei zum Kostenersatz. Das Erstgericht traf dabei die auf den Seiten 2 bis 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Sachverhaltsfeststellungen, auf die zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, das Alleinverschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs und somit die Haftung der beklagten Partei sei dem Grunde nach nicht strittig. Unter Berücksichtigung der Chronologie der Abläufe sei der Klägerin der begehrte Ersatz für die Einstellungsgebühren zuzubilligen, weil sie ihr Fahrzeug, das unfallbedingt nicht mehr fahrbereit war, unmittelbar nach dem Unfall in die KFZ-Werkstätte ***** GmbH einschleppen ließ und die beklagte Partei umgehend vom Schadenfall informiert wurde. Nachdem trotz Kenntnis und trotz Urgenzen der Klägerin und des Inhabers der ***** GmbH erst ein Monat später eine Besichtigung stattfand und erst zwei Wochen später die Mitteilung eintraf, dass die Beklagte von einem Totalschaden ausgehe, sei es ausschließlich in der Sphäre der beklagten Partei gelegen, dass das Fahrzeug der Klägerin für insgesamt 45 Tage abgestellt werden musste. Es sei ihr nicht zumutbar gewesen, aus eigenem abzuschätzen, ob an ihrem Fahrzeug ein Totalschaden eingetreten sei; eine verbindliche Einschätzung durch den Inhaber der Werkstätte ***** GmbH ohne Besichtigung durch die beklagte Partei habe nicht getroffen werden können. Zwecks Feststellung der Reparaturkosten und eines allfälligen Totalschadens habe eine Besichtigung durch die beklagte Partei zu erfolgen. Die Klägerin habe ihre Schadensminderungspflicht auch nicht dadurch verletzt, indem sie es unterlassen habe, ihr Fahrzeug in einer (billigeren) Garage unterzubringen. Die Klägerin habe nämlich ebenso wie die Werkstätte ***** davon ausgehen dürfen, dass - wie allgemein üblich - eine Besichtigung des Klagsfahrzeugs zeitnah zum Unfallsdatum stattfinden werde. Es wäre geradezu absurd, von der Klägerin Maßnahmen zu verlangen, die nur dann zu einer Kostenminimierung führten, wenn man bereits im Vorhinein davon ausginge, dass die beklagte Partei sich rund einen Monat für die Besichtigung Zeit lässt. Bei zügiger Bearbeitung des Schadenfalls - so wie durch andere Versicherungsunternehmen auch - wären die Einstellungskosten in überschaubarer Höhe geblieben.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der beklagten Partei aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung wendet sich gegen die unterbliebene Kürzung der Schadenersatzansprüche infolge Verletzung der Schadensminderungspflicht. Sie ist nicht berechtigt.

In der von der Berufung zitierten Rechtssatzkette RIS-Justiz RS0027173 führt der Oberste Gerichtshof in 8 Ob 72/16w zu § 1304 ABGB aus: „Aus § 1304 ABGB ergibt sich die Verpflichtung des Geschädigten, den eingetretenen Schaden möglichst gering zu halten, wenn und soweit ihm ein entsprechendes Verhalten möglich und zumutbar ist (Schadensminderungspflicht; RIS-Justiz RS0027043). Nur eine schuldhafte Verletzung der Schadensminderungspflicht kann zur Kürzung der Ansprüche des Geschädigten führen (RIS-Justiz 0027062). Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt unter anderem dann vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie – objektiv betrachtet – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (2 Ob 249/08v mwN; RIS-Justiz RS0023573&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0023573). (…) Der Schädiger kann jedoch nicht verlangen, dass der Geschädigte zwecks Behebung des durch den Schädiger verschuldeten Schadens auf sein Risiko und auf seine Kosten ihm nicht zumutbare Schritte unternimmt (RIS-Justiz RS0027173&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0027173). Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0027787&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0027787).

Das Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB hat kein Verschulden im technischen Sinn zur Voraussetzung. Nicht einmal Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nötig, sondern nur eine für den Schadenseintritt kausale Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt unter anderem dann vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie - objektiv betrachtet - von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten. Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0027787; 1 Ob 24/02i).

Dem wiederholt zitierten Rechtssatz (RS0026970) „Ein Zuwarten mit der Reparatur bis zur Genehmigung durch den Haftpflichtversicherer ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt“ kann in dieser Kürze jedoch keine Allgemeingültigkeit für jegliche Abwicklung von Schadensfällen durch Haftpflichtversicherer zugeschrieben werden. In der letzten Entscheidung dieser Rechtssatzkette (8 Ob 97/83) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen: „Ein Reparaturauftrag muss daher, wenn sich aus der verzögerten Erteilung eines solchen Auftrags eine Vergrößerung des Schadens, z.B. durch Entstehung von Mietwagenkosten, voraussichtlich ergeben wird, so schnell wie möglich erteilt werden. Ein Zuwarten mit dem Reparaturauftrag kann - abgesehen von dem Fall einer diesbezüglichen Vereinbarung - je nach den Umständen des Einzelfalls in einem gewissen Ausmaß gerechtfertigt sein. Die bloße Verzögerung der Schadensregulierung durch den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer an sich hebt jedoch die Verpflichtung des Geschädigten zur Schadensminderung nicht auf. Grundsätzlich ist, wenn der Schaden und die Reparaturwürdigkeit des beschädigten Fahrzeugs nicht ernstlichen Zweifel gezogen werden kann, ein Zuwarten bis zur Genehmigung der Reparatur durch den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nicht gerechtfertigt. Stehen die zur Schadensbehebung erforderlichen Mittel zur Verfügung oder können diese leicht beschafft werden, ist es als Verletzung der Schadensminderungspflicht anzusehen, wenn der Geschädigte bei offenbar grundlosem Zögern des Schädigers oder dessen Versicherers sich nicht ohne Verzug selbst um die Klärung der Frage der Reparaturwürdigkeit bemüht und dann die entsprechenden Dispositionen trifft.“ In jenem Fall gab es somit keine Anhaltspunkte dafür, dass an der Reparaturwürdigkeit des beschädigten Fahrzeugs irgendwelche Zweifel bestanden hätten.

Im Sinn dieser Judikatur hat das Erstgericht den Umständen des Einzelfalls zutreffend Rechnung getragen:

Zu berücksichtigen war, dass hier - unbekämpfbar iSd § 501 Abs 1 ZPO festgestellt - die Klägerin im Zeitpunkt der Einstellung des beschädigten Fahrzeuges über keine Informationen verfügte, ob ein Totalschaden eingetreten war; auch der Inhaber der ***** GmbH konnte keine genaue Einschätzung treffen (Urteilsausfertigung Seite 3).

Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Frage, ob eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit vorliegt, nicht ex post, sondern ex ante zu beurteilen (RIS-Justiz RS0026909). Bei Heranziehung der Verkehrssitte, die vom Erstgericht - wenn auch disloziert (Urteilsausfertigung Seite 5) - unbekämpfbar festgestellt wurde, durfte im vorliegenden Fall die Klägerin damit rechnen, dass die beklagte Partei aufgrund der umgehenden Schadensmeldung das Auto zeitnah zur Verständigung besichtigt und Informationen zur voraussichtlichen Versicherungsleistung gibt, wie dies tatsächlich notorischerweise in der Haftpflichtversicherungsbranche üblich ist. Nachdem sowohl die Klägerin als auch die Kfz-Werkstätte ***** GmbH mehrmals urgiert hatten, kann ihr auch nicht vorgeworfen werden, unangemessen lang auf eine Reaktion gewartet zu haben.

Vor dem Hintergrund, dass bei Prüfung, was zwecks Schadensminderung ex ante betrachtet geboten war, auch das Interesse des Schädigers miteinzubeziehen ist, kann der Standpunkt der Berufung, die Klägerin hätte (Anm: anstatt der Einstellung des beschädigten Fahrzeugs) unmittelbar nach dem Verkehrsunfall aus eigenem eine Besichtigung beauftragen müssen, hier nicht nachvollzogen werden: Erfahrungsgemäß übersteigen die Kosten eines Sachverständigengutachtens jene im Normalfall entstehenden Einstellkosten bis zur Rückmeldung des Haftpflichtversicherers. Es lag damit offenkundig (auch) im Interesse der beklagten Partei, die Besichtigung durch deren Sachverständigen abzuwarten.

Auch das weitere Argument der Berufung, der Geschäftsführer der Kfz-Werkstätte ***** GmbH, welcher der Klägerin zuzurechnen sei, hätte sofort das Vorliegen des Totalschadens erkennen müssen, überzeugt nicht, weil offen bleibt, auf welcher Rechtsgrundlage eine derartige Zurechnung stattfinden soll.

Zusammengefasst ist der Klägerin im vorliegenden Fall keine schadenersatzmindernde Verletzung ihrer Obliegenheitspflicht vorzuwerfen.

Der Berufung musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

EWZ0000211

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00003:2020:03600R00316.19S.0124.000

Im RIS seit

03.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten