TE Bvwg Beschluss 2019/11/21 W151 2207291-1

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Veröffentlicht am 21.11.2019
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Entscheidungsdatum

21.11.2019

Norm

ASVG §67 Abs10
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W151 2207291-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ über den Vorlageantrag 04.09.2019 des Beschwerdeführers XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Dr. Bernhard Birek, Rechtsanwalt, 4707 Schlüßlberg, Marktplatz 4, in Verbindung mit der Beschwerde gegen die Beschwerdevorentscheidung der Wiener Gebietskrankenkasse, vom 16.08.2018, XXXX , wegen § 67 Abs. 10 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Wiener Gebietskrankenkasse zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Beschluss des Amtsgerichtes München vom 21.11.2011 wurde das Insolvenzverfahren über die XXXX (im Folgenden: Beitragsschuldnerin) mit dem Geschäftsführer XXXX (in Folge: BF oder Beschwerdeführer) eröffnet. Die WGKK forderte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von € 5093,84 an, welche anerkannt wurden.

2. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 17.10.2017 nach Schlussverteilung aufgehoben, die WGKK erhielt eine Schlussverteilungsquote von 0,635%.

3. Mit Parteiengehör vom 04.05.2018 teilte die WGKK dem Beschwerdeführer (im Folgenden auch BF) mit, dass er als ehemaliger Geschäftsführer der Beitragskontoinhaberin für den restlichen Beitragsrückstand in Höhe von € 3.145,39 zzgl. Verzugszinsen hafte. Beigelegt war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG.

4. Mit Schreiben vom 31.05.2018 teilte der Beschwerdeführer mit, dass die Ansprüche seines Erachtens verjährt seien und ersuchte um Zustellung eines Haftungsbescheides.

5. Mit Bescheid vom 04.06.2018 verpflichtete die Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: WGKK) den Beschwerdeführer als ehemaliger Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG, die von dieser zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für die Zeiträume September 2011 bis November 2011 von € 3.153,95 zzgl. Verzugszinsen zu bezahlen. Beigelegt war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG.

Begründend führte die WGKK aus, dass die Beitragsschuldnerin die Beiträge für die genannten schulde und sämtliche Einbringungsmaßnahmen erfolglos blieben. Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen würden für zu entrichtenden Beiträge insofern haften, als diese infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden können.

Gemäß § 67 Abs. 10 und § 58 Abs. 5 ASVG hätten Vertreter juristischer Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

6. In der Beschwerde brachte der BF vor, die Beitragsschuld bereits im Jahr 2011 fällig gewesen, die Forderung sei verjährt.

7. Mit Parteiengehör vom 05.07.2018 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass es sich bei der Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG um eine Ausfallshaftung handle, die erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden könne. Das Insolvenzverfahren sei am 17.10.2017 aufgehoben worden. Es sei daher keine Verjährung eingetreten.

8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 16.08.2018 wies die belangte Behörde die Beschwerde des Beschwerdeführers ab. Begründend wurde ausgeführt, dass es sich bei der Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG um eine Ausfallshaftung handle, die erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden könne. Das Insolvenzverfahren sei am 17.10.2017 aufgehoben worden. Erst zu diesem Zeitpunkt sei die Uneinbringlichkeit festgestellt worden. Die Haftung des Beschwerdeführers sei erst mit Schreiben vom 04.05.2018 festgestellt worden. Es sei daher keine Verjährung eingetreten.

9. Mit Schreiben vom 03.09.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

10. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 10.10.2018 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Beschluss des Amtsgerichtes München vom 21.11.2011 wurde das Insolvenzverfahren über die XXXX (im Folgenden: Beitragsschuldnerin) eröffnet. Die WGKK forderte rückständige Sozialversicherungsbeiträge vom September 2011 bis November 2011 in Höhe von €5093,84 ein, welche anerkannt wurden. Der BF war zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 17.10.2017 nach Schlussverteilung aufgehoben, die WGKK erhielt eine Schlussverteilungsquote von 0,635%. Mit Parteiengehör vom 04.05.2018 teilte die WGKK dem Beschwerdeführer mit, dass er als ehemaliger Geschäftsführer der Beitragskontoinhaberin für den restlichen Beitragsrückstand in Höhe von € 3.145,39 zzgl. Verzugszinsen haftet. Beigelegt war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG. Es ist keine Verjährung der Beitragsschuld eingetreten, da die WGKK innerhalb der Verjährungsfrist Eintreibungsmaßnahmen gesetzt hat.

Die WGKK hat jedoch keine Ermittlungen durchgeführt, ob die Uneinbringlichkeit der Dienstnehmerbeiträge auf eine schuldhafte und kausale Pflichtverletzung des BF zurückzuführen ist. Damit sind wesentliche Haftungsvoraussetzungen nach § 67 Abs. 10 ASVG nicht ermittelt worden und hat die WGKK damit diese Aufgabe an das Bundesverwaltungsgericht unzulässigerweise delegiert, weswegen das Verfahren an die WGKK zurückzuverweisen ist.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zuständigkeit

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. Die vorliegende Angelegenheit ist nicht von dieser Bestimmung erfasst.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

2.2. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2.3. Prüfungsumfang und Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts:

§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: "Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen."

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1, 2 und 3 dieser Bestimmung lauten wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

2.4. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

§ 67 Abs. 10 ASVG sanktioniert die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten. Die Verletzung dieser Pflichten muss dafür kausal sein, dass Beiträge nicht entrichtet und später uneinbringlich wurden. Die Verletzung der genannten Pflichten muss schuldhaft erfolgt sein. Bei der Frage der schuldhaften Nichtentrichtung von Beiträgen kommt es auf das im Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Beiträge gesetzte Verhalten des Vertreters an. (vgl. Mosler Müller Pfeil, der SV-Komm, Manz 2014, RZ 107-115 zu § 67 Abs. 10 ASVG).

Der angefochtene Bescheid bezieht sich auf eine Beitragsnachverrechnung aus Vorschreibungen für die Zeiträume September 2011 bis November 2011.

Die vorliegende Frage der Haftung ist zeitraumbezogen nach der im Beobachtungszeitraum geltenden Rechtslage zu beurteilen.

Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Der Sorgfaltsmaßstab des § 58 Abs. 5 ASVG ist daher auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

Zufolge VwGH 98/08/0191 ist eine für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zu prüfende Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG auf die Fälle der §§ 111 und 114 Abs. 2 ASVG i.d.a.F. zu beschränken. Nur wenn Beiträge als Folge einer vom haftenden Vertreter schuldhaft begangenen Meldepflichtverletzung oder als Folge einer vom haftenden Vertreter schuldhaft unterlassenen Abfuhr einbehaltener DienstnehmerInnen-Beiträge uneinbringlich wurden, besteht für den hier zu prüfenden Beobachtungszeitraum Haftung im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG. Für diese Beiträge haftet der der Vertreter ohne Rücksicht auf eine Gläubigerbenachteiligung zur Gänze (vgl. Mosler Müller Pfeil, der SV-Komm, Manz 2014, RZ 89 zu § 67 Abs. 10 ASVG mit Verweis auf VwGH 2013/08/0006).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (im Folgenden: VwGH) ist die Haftung der in § 67 Abs. 10 ASVG genannten Personen nur dann gegeben, wenn erstens die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Gesellschaft feststeht, zweitens eine schuldhafte und rechtswidrige Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch die genannten Personen vorliegt und drittens die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge auf diese schuldhaften Pflichtverletzungen zurückzuführen ist (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

2.5. Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden:

Die Uneinbringlichkeit der Abgaben liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (Hinweis E 8.11.1978, 1199/78; Hinweis Ritz, Kommentar zur BAO/2, Tz 5f zu § 9).

Im Beschwerdefall ergibt sich aus den im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichen Beschlüssen des Amtsgerichts München, dass mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 21.11.2011 über das Vermögen der Beitragsschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und dieses mit Beschluss des Amtsgerichtes München vom 17.10.2017 mit einer für die WGKK Schlussverteilungsquote von 0,635% wieder aufgehoben wurde. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte steht damit die Uneinbringlichkeit der restlichen Abgaben fest.

2.6. Zur Höhe der rückständigen Beiträge:

Für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist auch Voraussetzung, dass diese Beiträge der Höhe nach bestimmt sind.

Die WGKK hat dem bekämpften Bescheid einen Rückstandsausweis vom 04.06.2018 zugrunde gelegt, wobei neben der Summe der Beiträge Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG (gerechnet bis 03.6.2018) auch Nebengebühren angegeben wurden. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (vgl. OGH RlS-Justiz RS0040429 mwN).

Die im Rückstandsausweis enthaltene Aufgliederung in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen ist für das gegenständliche Verfahren hinreichend. Einer weiteren Klarstellung, wie sich der Haftungsbetrag im Einzelnen zusammensetzt, bedarf es nicht (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

Die Höhe der rückständigen Beiträge steht somit fest.

2.7. Zum Verjährungseinwand:

Die Haftung des Geschäftsführers nach § 67 Abs 10 ASVG knüpft an die Uneinbringlichkeit der Beitragsschuld an. Diese stand im gegenständlichen Fall erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegen die Beitragsschuldnerin durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 17.10.2017 fest. Die Haftung des Beschwerdeführers wurde seitens der WGKK erstmals mit Schreiben vom 04.05.2018 geltend, somit innerhalb der Verjährungsfrist. Eine Verjährung ist somit nicht eingetreten.

2.8. Zur Zurückverweisung

Die Behörde gründete die Haftung des BF nach § 67 Abs. 10 ASVG auf dessen Eigenschaft als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin im beschwerdegegenständlichen Beitragszeitraum. Dass der Beschwerdeführer damals Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin war, steht unstrittig fest.

a) Zur Frage der schuldhaft unterlassenen Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge:

Für den Haftungseintritt muss auch eine für die Uneinbringlichkeit der Beiträge schuldhafte Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten vorliegen. Welche Pflichten den Geschäftsführer gegenüber dem zuständigen Krankenversicherungsträger treffen, ist in § 67 Abs. 10 ASVG nicht geregelt.

Von der Lehre und Rechtsprechung werden als schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG [i.V.m. § 58 Abs. 5 leg.cit] neben den hier nicht gegenständlichen Meldeverstößen im Sinne des § 111 leg.cit i.V.m. § 9 VStG (verst. Senat vom 12.12.2000, Zl. 98/08/0191, 0192 [Slg. Nr. 15528/A]) und die Ungleichbehandlung von Sozialversicherungsbeiträgen und das - hier gegenständliche -Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen angesehen.

Die Haftung des Vertreters gemäß § 67 Abs. 10 ASVG setzt somit voraus, dass dieser tatsächlich eine Pflichtverletzung begangen hat. Zwar wäre es Aufgabe des BF, nachzuweisen, dass ihn kein Verschulden an der ihm zur Last gelegten Pflichtverletzung trifft. Damit dieser Beweis aber überhaupt angetreten werden kann, muss aber die Behörde die dem BF zur Last gelegte Pflichtverletzung in einer Weise spezifizieren, die das Antreten eines Gegenbeweises überhaupt ermöglicht. Die Beweislastregelung, wonach es Sache des Vertreters der Beitragsschuldnerin sei, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, betrifft lediglich das Verschulden, nicht aber das Vorliegen der Pflichtverletzung selbst.

Ob eine derartige Pflichtverletzung vorliegt, hat die belangte Behörde im Sinne des § 39 Abs. 2 AVG somit von Amts wegen zu prüfen (vgl. VwGH 14.04.2010, 2010/08/0001).

Der bekämpfte Bescheid stützt sich allein auf die Eigenschaft des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin. Ein Ermittlungsverfahren mit Parteiengehör zu allfälligen Verschulden des BF ist dem Akt nicht zu entnehmen, sodass folglich der bekämpfte Bescheid dazu auch keine Feststellungen trifft. Die belangte Behörde hat somit nicht dargelegt, ob die Nichtabfuhr der einbehaltenen Dienstnehmerbeiträge dem BF schuldhaft zur Last gelegt werden kann.

Dies hat die belangte Behörde im nachfolgenden Verfahren nachzuholen und sodann dem BF im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit zu geben, Beweise zur Frage des Verschuldens der unterlassenen Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu erbringen.

b) Zur Kausalität der Pflichtverletzung:

Schließlich wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, amtswegig ein Ermittlungsverfahren zu führen, zu prüfen und dann im Bescheid dazu Feststellungen zu treffen, ob die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge auf eine - falls festgestellt - schuldhaften Pflichtverletzungen zurückzuführen ist. Dies kann etwa durch Einsicht in den Firmen-/Konkursakt geschehen, Einvernahme des BF und sonstiger Unternehmensverantwortlicher, um sich ein Bild über die Geschäftslage im verfahrensrelevanten Zeitraum zu machen, Einvernahme von sonstigen mit der Geschäftsgebarung be- und vertrauten Personen (Steuerberater, Rechtsanwalt, Mitarbeiter), Prüfung der Unterlagen des Unternehmens, allenfalls durch Bestellung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigen. Die Ergebnisse dieses Ermittlungsverfahrens sind dem BF ins Parteiengehör zu übermitteln. Danach ist ein neuer rechtskonformer und nachprüfbarer Bescheid zu erlassen.

2.8. Zulässigkeit der Zurückverweisung:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2015/04/0019 vom 24.06.2015 ausgesprochen hat, stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Das mit § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Indem die belangte Behörde den maßgebenden Sachverhalt im Hinblick auf die Voraussetzungen der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG in wesentlichen Punkten nicht ermittelt hat, hat sie im Ergebnis - auch - durch ihre Verfahrensführung und den angefochtenen Bescheid die wesentliche Ermittlungs- und Begründungstätigkeit unterlassen und damit an die Rechtsmittelinstanz delegiert (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063). Würde das Bundesverwaltungsgericht - jene Instanz, die zur eigentlichen Rechtskontrolle eingerichtet wurde - die Instanz sein, die im Verfahren erstmals eine begründete Entscheidung mit den Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes erlässt, wäre damit der Rechtsschutz der beschwerdeführenden Partei de facto eingeschränkt. Es ist in erster Linie die Aufgabe der Erstbehörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung sich sachgerecht mit dem Antrag auseinanderzusetzen, den maßgeblichen Sachverhalt vollständig festzustellen, ihre Begründung im Bescheid nachvollziehbar darzustellen und diese zentrale Aufgabe nicht an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren.

Eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht wäre im vorliegenden Fall auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen und wäre nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden.

Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das hg. Erkenntnis hält sich an die darin zitierte Judikatur des VwGH.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Pflichtverletzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W151.2207291.1.00

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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