TE OGH 2020/1/21 10Ob27/19x

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Veröffentlicht am 21.01.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde L*****, vertreten durch Dr. Christian Falkner, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei Dipl.-HTL-Ing. H*****, vertreten durch Mag. Peter Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen 1.) Beseitigung und 2.) Unterlassung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 7. Jänner 2019, GZ 58 R 78/18w-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 24. Juli 2018, GZ 15 C 1160/17t-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision und der Antrag der beklagten Partei auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 83,65 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die klagende Marktgemeinde ist Eigentümerin öffentlichen Guts, auf dem sich eine Gemeindestraße samt Geh- und Radweg befindet. Die Klägerin übt die Straßenverwaltung aus. Der Beklagte ist Eigentümer der angrenzenden Liegenschaft.

Die Klägerin plante eine Neugestaltung der Gemeindestraße. Im Zuge der dafür notwendigen Bauarbeiten sandte der Beklagte am 11. 4. 2017 eine Gebrauchsanzeige gemäß § 2 Abs 6 des niederösterreichischen Gebrauchsabgabengesetzes 1973, nö LGBl 3700-0 [WV], (NÖ GebrauchsabgG) für eine Halterung gemäß § 1 Abs 3 Z 1 NÖ GebrauchsabgG und einen Antrag auf Erteilung einer Gebrauchserlaubnis zur Verlegung unterirdischer Kabelverbindungen gemäß § 2 Abs 1 NÖ GebrauchsabgG. Er zeigte den Gebrauch im Ausmaß von ca 0,01 qm öffentlichen Grundes vor seinem Wohnhaus an und führte in diesem Schreiben ua aus: „Konkret möchte ich eine Vorrichtung (hohler Zaunpfosten) als Halterung für 3 Steckdosen, 1 CEE Steckdose und 2 Schukosteckdosen im Ausmaß von 87 mm x 87 mm x 1050 mm an der Gehsteigkante des neuen Gehsteiges über einen Kabelauslass anschrauben.“

Am 18. 7. 2017 sandte die Klägerin dem Beklagten einen Verbesserungsauftrag zur Gebrauchsanzeige vom 11. 4. 2017. Sie wies in diesem Schreiben auch auf ihre Rechtsansicht hin, wonach zur Errichtung einer Stromtankstelle auf öffentlichem Grund eine Bewilligung nach § 82 StVO erforderlich sei. Überdies sei auf privatrechtlicher Ebene eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien gemäß § 18 NÖ Straßengesetz 1999, LGBl 8500-3 (NÖ StrG) über die vom Beklagten beabsichtigte, über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung der in der Verwaltung der Marktgemeinde stehenden Gemeindestraße zu schließen.

Der Beklagte entsprach dem Verbesserungsauftrag. Die klagende Marktgemeinde teilte ihm daraufhin mit Schreiben vom 14. 8. 2017 mit, dass sie seine Gebrauchsanzeige vom 11. 4. 2017 als vollständig ansehe. Eine bescheidmäßige Untersagung des vom Beklagten angezeigten Gebrauchs erfolgte nicht.

Im Zuge der Arbeiten an der Gemeindestraße verlegte der Beklagte den Plastikschlauch mit dem Kabel für die Ladevorrichtung in die zu seinem Haus führende Künette, die er in weiterer Folge selbst verfüllte. Das straßenseitige Ende des Kabels montierte der Beklagte an einem hohlen Zaunpfosten aus Metall, an dem sich auch Steckdosen befinden. Der Zaunpfosten wurde im Zug der Fertigstellung der Gemeindestraße einbetoniert.

Mit Schreiben vom 28. 9. 2017 forderte die Klägerin den Beklagten auf, den Zaunpfosten samt Steckdosen, Verkabelung und Betonfundament vom öffentlichen Gut der Marktgemeinde zu entfernen.

Weder liegt eine Bewilligung gemäß § 82 StVO vor noch wurde zwischen den Parteien eine schriftliche Vereinbarung gemäß § 18 Abs 1 NÖ StrG abgeschlossen.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Entfernung des hohlen Zaunpfostens mit darauf angebrachten Steckdosen samt Betonfundament von ihrem Grundstück, weiters die Unterlassung der Nutzung dieses Grundstücks zur Installation eines solchen Zaunpfostens oder ähnlicher Vorrichtungen. Sie stützte diese Ansprüche insbesondere auf § 523 ABGB und das Fehlen der erforderlichen Vereinbarung gemäß § 18 NÖ StrG.

Die Beklagte wandte die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Die vom Beklagten vorgesehene Einrichtung sei zulässig und diene dem Gemeingebrauch iSd § 62 StVO. Der Beklagte habe eine Gebrauchsanzeige gemäß §§ 2 Abs 6 iVm 1 Abs 3 Z 1 NÖ GebrauchsabgG eingebracht. Der Gebrauch sei von der Klägerin nicht untersagt worden. Das erteilte Gebrauchsrecht stelle zivilrechtlich eine bedingungslose Servitut für den Beklagten iSd § 523 ABGB dar. Eine darüber hinausgehende Vereinbarung gemäß § 18 NÖ StrG sei über ausdrücklichen Wunsch der Klägerin nicht abgeschlossen worden. Eine solche sei hier infolge des erteilten Gebrauchsrechts auch nicht erforderlich.

Das Erstgericht wies die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs mit Beschluss ab und gab dem Beseitigungs- und dem Unterlassungsbegehren statt. Es liege eine den Gemeingebrauch übersteigende Nutzung der Liegenschaft der Klägerin vor. Zivilrechtlich wäre ein solcher Eingriff des Beklagten in das Eigentum der Klägerin nur aufgrund einer Vereinbarung gemäß § 18 NÖ StrG zulässig, an der es hier jedoch fehle. Dass das vom Beklagten angezeigte Gebrauchsrecht verwaltungsrechtlich nicht von der Klägerin untersagt worden sei, begründe zivilrechtlich nicht die Einräumung einer Servitut gemäß § 523 ABGB.

Mit Beschluss vom 27. 11. 2018, G 267/2018-6, wies der Verfassungsgerichtshof eine Gesetzesbeschwerde des Beklagten zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 18 NÖ StrG als unzulässig zurück, weil der Antrag keine Darstellung des Sachverhalts enthalte, aus dem der Antrag hergeleitet werde.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Beklagten wegen Nichtigkeit und gab ihr im Übrigen nicht Folge. Es bejahte begründet die Zulässigkeit des Rechtswegs. Die über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung sei ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin. Eine Erlaubnis der Klägerin dazu liege nicht vor, weil eine dafür erforderliche Vereinbarung gemäß § 18 NÖ StrG zwischen den Parteien nicht getroffen worden sei. Diese sei nach der Entscheidung 1 Ob 166/12m des Obersten Gerichtshofs (und ebenso nach 2001/05/0043 des VwGH) – neben der verwaltungsbehördlichen Bewilligung (Gebrauchserlaubnis) erforderlich. Es komme nicht darauf an, ob es sich bei einer Gebrauchserlaubnis gemäß § 1 Abs 3 Z 1 NÖ GebrauchsabgG um eine Sondernutzung iSd § 1a NÖ GebrauchsabgG handle oder nicht. Eine Verfassungswidrigkeit des § 18 NÖ StrG bzw der §§ 1 und 1a NÖ GebrauchsabgG könne der Beklagte nicht darlegen. Ein Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinie 2014/94/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (RL 2014/94/EU) sei nicht einzuleiten. Der Beklagte habe vorgebracht, dass die von ihm errichtete Ladestation nur zum Beladen von in seinem Eigentum stehenden Fahrzeugen dienen solle. Art 4 der RL 2014/94/EU beziehe sich jedoch nur auf öffentlich zugängliche Ladestationen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands sowohl des Beseitigungs-, als auch des Unterlassungsbegehrens 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Entscheidung 1 Ob 166/12m auch für Sachverhalte gelte, in denen der Regelungsgegenstand der Gebrauchserlaubnis nach dem NÖ GebrauchsabgG und der Vereinbarung nach dem NÖ StrG ident seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der klagenden Marktgemeinde beantwortete Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage anstrebt.

Nach Einleitung des Revisionsverfahrens fasste der Verfassungsgerichtshof über Anzeige des Beklagten den Beschluss vom 28. 11. 2019, K I 16/2019-9, ein Verfahren zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonflikts zwischen dem Obersten Gerichtshof und dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht einzuleiten. Für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs komme es maßgeblich darauf an, ob es für die Nutzung der Straße zur Errichtung der im vorliegenden Fall strittigen Vorrichtung zusätzlich zu dem dem Beklagten erteilten Gebrauchsrecht nach dem NÖ-GebrauchsabgG (verwaltungsbehördliche Bewilligung) einer Zustimmung der Straßenverwaltung in Form einer privatrechtlichen Vereinbarung nach § 18 NÖ-StrG bedarf. Die ordentlichen Gerichte hätten nicht darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für ein Gebrauchsrecht nach dem NÖ-GebrauchsabgG vorliegen. Hingegen betreffe das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Sache nach das Vorliegen der Voraussetzungen des Gebrauchsrechts im Sinn des NÖ GebrauchsabgG.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1.1 Das Berufungsgericht ist bei seinem Bewertungsausspruch gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO an die Bewertung des Klägers nach § 56 Abs 2 JN nicht gebunden. Der Bewertungsausspruch ist grundsätzlich unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt, eine offenkundige Fehlbewertung vorgenommen oder eine Bewertung überhaupt unterlassen müssen (vgl nur 3 Ob 114/17m mzwH; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 500 ZPO Rz 3).

1.2 Das Berufungsgericht kann den Wert des Entscheidungsgegenstands nicht willkürlich festsetzen, es steht ihm aber – soweit die Bewertung nicht ohnehin zwingend vorgegeben ist – ein Ermessensspielraum offen. Bestehen wie hier keine zwingenden Bewertungsvorschriften, so hat sich die Bewertung am objektiven Wert der Streitsache zu orientieren (RS0118748 [T1]). Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht offenstehenden Ermessensspielraums vermag die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung mit dem Hinweis auf die geringen Errichtungskosten des Zaunpfostens nicht aufzuzeigen. Das Berufungsgericht hat auf die wirtschaftliche Bedeutung der Stromtankstelle für den Beklagten verwiesen, die gerade in deren vom Beklagten beabsichtigten zukünftigen Verwendung liegt.

2. Das Erstgericht bejahte die Zulässigkeit des Rechtswegs ausdrücklich. Das Rekursgericht billigte diese Ansicht. Es liegt daher eine den Obersten Gerichtshof bindende Entscheidung nach § 42 Abs 3 JN über die Zulässigkeit des Rechtswegs vor (RS0043822 [T2]; RS0035572). Auf die Ausführungen der Revision zur Frage der Rechtswegzulässigkeit ist daher nicht einzugehen.

3. Der Beklagte macht auch in der Revision zusammengefasst geltend, dass die ihm erteilte Gebrauchserlaubnis gemäß § 1 Abs 3 Z 1 NÖ GebrauchsabgG auch die Zustimmung gemäß § 18 NÖ StrG umfasse. Darin unterscheide sich die Gebrauchserlaubnis nach § 1 Abs 3 NÖ GebrauchsabgG von den in Abs 1 und 2 dieser Bestimmung geregelten Tatbeständen. Weder ein Widerruf noch eine bescheidmäßige Untersagung der dem Beklagten erteilten Gebrauchserlaubnis sei erfolgt.

Dem kommt keine Berechtigung zu:

4.1 Das NÖ GebrauchsabgG regelt die von privaten Personen zu erwirkenden Gebrauchsrechte für den Gebrauch von öffentlichem Grund in der Gemeinde über die widmungsmäßigen Zwecke dieser Fläche hinaus. § 1 Abs 2 NÖ GebrauchsabgG sieht vor, dass die in den an das Gesetz angeschlossenen Tarif genannten Arten des Gebrauchs öffentlichen Grundes in der Gemeinde über den widmungsmäßigen Zweck hinausgehen und erst nach Erteilung einer Gebrauchserlaubnis zulässig sind.

4.2 Mit der Novelle zum NÖ GebrauchsabgG nö LGBl 2015/17 wurden in § 1 Abs 3 NÖ GebrauchsabgG Arten des Gebrauchs öffentlichen Grundes normiert, die (geringfügig) über die widmungsmäßigen Zwecke hinausgehen und vor Beginn des Gebrauchs (lediglich) anzuzeigen sind. Damit verfolgte der Landesgesetzgeber das Ziel, Rechtssicherheit für die Gemeinden im Umgang mit eigenmächtigen Gebrauchshandlungen zu bieten. Für bestimmte Gebrauchsarten werde ein Anzeigeverfahren vorgesehen, für diese Gebrauchsarten sei weder eine Gebrauchserlaubnis noch eine Sondernutzungsvereinbarung (§ 1a NÖ GebrauchsabgG) erforderlich. Es sei auch keine Gebrauchsabgabe zu entrichten. Den Gemeinden werde die Möglichkeit gegeben, den Gebrauch zu untersagen und Gegenstände, mit denen ein unerlaubter Gebrauch ausgeübt werde, zu entfernen (Ltg.-527-1/A-1/36-2014, Antrag gemäß § 34 nö LGO zum späteren nö LGBl 2015/17).

4.3 Der Beklagte hat unstrittig ein Gebrauchsrecht gemäß § 1 Abs 3 Z 1 NÖ GebrauchsabgG für das Verlegen einer unterirdischen Kabelverbindung und das Anbringen einer Halterung.

5.1 Das NÖ Straßengesetz 1999 regelt gemäß seinem § 1 den Bau, die Erhaltung und die Verwaltung aller öffentlichen Straßen mit Ausnahme der Bundesstraßen (Bundesautobahnen und Bundesschnellstraßen) im Land Niederösterreich. Gehsteige sind gemäß § 4 Z 2 lit a NÖ StrG Bestandteil einer Straße. Jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung von öffentlichen Straßen ist eine Sondernutzung und bedarf gemäß § 18 Abs 1 NÖ StrG der Zustimmung der Straßenverwaltung, die in Form einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Straßenverwaltung und Sondernutzer erteilt wird. Gemeingebrauch ist gemäß § 4 Z 5 NÖ StrG die jedermann unter den gleichen Bedingungen zustehende widmungsgemäße Benützung einer Straße für Verkehrszwecke.

5.2 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Errichtung eines Zaunpfostens mit Steckdosen eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung der Gemeindestraße darstellt. Eine dafür erforderliche Vereinbarung gemäß § 18 NÖ StrG liegt zwischen der Klägerin als Straßenverwalterin und dem Beklagten unstrittig nicht vor.

6.1 Es entspricht der vom Berufungsgericht dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (2001/05/0043) und des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 166/12m), dass die eine Bewilligungspflicht nach dem NÖ GebrauchsabgG auslösende Sondernutzung des Gebrauchs öffentlichen Grundes in der Gemeinde nicht ident ist mit der Sondernutzung gemäß § 18 NÖ StrG für jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung von öffentlichen Straßen, welche der Zustimmung der Straßenverwaltung bedarf.

6.2 Der Oberste Gerichtshof begründete diese Rechtsansicht in der Entscheidung 1 Ob 166/12m auch mit dem am 1. 1. 2011 in Kraft getretenen § 1a NÖ GebrauchsabgG idF nö LGBl 3700-7. Diese Bestimmung lautete auszugsweise:

§ 1a Sondernutzung

(1) Die Gemeinden sind berechtigt, jeden über den Gemeingebrauch hinausgehenden Gebrauch von öffentlichem Gemeindegrund, ausgenommen Gebrauchsarten gemäß dem angeschlossenen Tarif, in Form einer schriftlichen Vereinbarung (Sondernutzung) zwischen Gemeinde und Sondernutzer zu gestatten. § 18 des NÖ Straßengesetzes 1999, LGBl. 8500, wird hievon nicht berührt. …“

Der Oberste Gerichtshof führte dazu aus, dass der Landesgesetzgeber des Gebrauchsabgabengesetzes ausdrücklich vorsah, dass § 18 NÖ StrG unberührt bleiben sollte. Nutzungen, die über den Gemeingebrauch hinausgehen, sollen nur zulässig sein, wenn sie besonders – auf privatrechtlicher (§ 18 NÖ StrG) und auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (Gebrauchserlaubnis nach dem NÖ GebrauchsabgG) – eingeräumt werden (RS0128536). Die Gemeinden sollten daher wie bisher berechtigt sein, für gebrauchserlaubnispflichtige Vorhaben, die auch dem NÖ Straßengesetz 1999 unterliegen, die dort vorgesehene Sondernutzungsvereinbarung abzuschließen (Ltg.-591/A-1/39-2010 vom 23. 6. 2010, S 4 zu nö LGBl 3700-7).

6.3 An dieser Rechtslage hat sich entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers durch die Novelle des NÖ GebrauchsabgG mit dem nö LGBl 2015/17 nichts geändert. Im Unterschied zur früheren Rechtslage gibt es seither in § 1 Abs 3 NÖ GebrauchsabgG zwar auch Arten des Gebrauchs von öffentlichem Grund in den Gemeinden, die über die widmungsmäßigen Zwecke hinausgehen, aber nicht bewilligungspflichtig, sondern nur anzeigepflichtig sind (§ 2 Abs 6 NÖ GebrauchsabgG). Dabei handelt es sich jedoch entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers um eine Sondernutzung iSd § 1a Abs 1 NÖ GebrauchsabgG, weil die Gebrauchsarten des § 1 Abs 3 NÖ GebrauchsabgG seit der Novelle nö LGBl 2015/17 ausdrücklich in § 1a Abs 1 Satz 1 NÖ GebrauchsabgG genannt werden. Dies hat nach der oben bereits dargestellten Absicht des Landesgesetzgebers den Hintergrund, dass es sich dabei um (geringfügige) Sondernutzungen handelt, für die kein Tarif zu entrichten ist und für die nach dem Wortlaut des § 1a Abs 1 NÖ GebrauchsabgG eine Sondervereinbarung zwar geschlossen werden kann, aber nicht muss (arg: „Die Gemeinden sind berechtigt, …, in Form einer schriftlichen Vereinbarung [Sondernutzung] zu gestatten.“).

6.4 Wesentlich ist, dass § 1a Abs 1 Satz 2 NÖ GebrauchsabgG durch die Novelle nö LGBl 2015/17 unverändert blieb. Nach wie vor ordnet der Landesgesetzgeber daher an, dass ungeachtet der verwaltungsbehördlich zu beurteilenden Gebrauchserlaubnis nach dem NÖ GebrauchsabgG eine Sondernutzung von öffentlichen Straßen im Sinn des NÖ Straßengesetzes 1999 einer Zustimmung der Straßenverwaltung durch schriftliche Vereinbarung gemäß § 18 NÖ StrG erfordert. Dass es sich dabei entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers um eine privatrechtliche Vereinbarung handelt, entspricht auch der dargestellten Rechtsprechung (vgl auch die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung des VfGH K I 16/2019-9 Rz 20). Im Hinblick auf den unveränderten klaren Wortlaut des § 1a Abs 1 Satz 2 NÖ GebrauchsabgG und die ausführlich begründete Entscheidung 1 Ob 166/12m, die ohne Kritik im Schrifttum blieb, zeigt der Revisionswerber keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf (RS0042656; RS0103384).

7. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich die RL 2014/94/EU nach ihren Art 4 Abs 1 und Art 2 Nr 7 nur auf öffentlich zugängliche Ladepunkte beziehe, tritt der Revisionswerber nicht entgegen. Seine erstmals in der Revision ausgeführten Argumente, dass die von ihm geplante Ladestelle öffentlich zugänglich sei, weil sie nach Kontaktaufnahme mit dem Beklagten von jedermann aufgrund des vorhandenen Gewerbescheins des allgemeinen Handels zu den in der Revision genannten Preisen käuflich erworben werden könnten, stellen eine unbeachtliche Neuerung dar (§ 504 Abs 2 ZPO), sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Das Berufungsgericht war entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers nicht zur „Weiterleitung“ seines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union verpflichtet (Art 267 AEUV), sodass die insofern behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt. Die Parteien können die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Union nur anregen, ihnen steht aber kein Antragsrecht zu (RS00058452 [T16, T21]). Der entsprechende Antrag des Revisionswerbers war daher zurückzuweisen.

Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E127383

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00027.19X.0121.000

Im RIS seit

19.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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