TE OGH 2019/11/27 5Ob172/19h

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin B***** S*****, gegen sämtliche übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG ***** (Liegenschaftsadresse *****) als Antragsgegner, darunter 20. Dr. W***** E*****, vertreten durch Dr. Hubert F. Kinz, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen § 52 Abs 1 Z 9 iVm § 32 Abs 5 WEG, über den Revisionsrekurs des 20. Antragsgegners gegen den [richtig] Sachbeschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 28. Mai 2019, GZ 2 R 131/19h-13, mit dem der [richtig] Sachbeschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 14. März 2019, GZ 4 Msch 1/18k-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft.

Die Antragstellerin begehrte die Festsetzung eines abweichenden Aufteilungsschlüssels für die auf den Personenaufzug entfallenden Aufwendungen. Als Eigentümerin (nur) eines Tiefgaragenplatzes habe sie keinen Zugang zum Haus und damit keine objektive Möglichkeit der Nutzung des Personenaufzugs.

Das Erstgericht bestimmte den im Grundbuch erstgenannten Wohnungseigentümer zum Zustellempfänger iSd § 52 Abs 2 Z 4 WEG und verfügte die Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags (sowie des Bestellungsbeschlusses und die Ladung für die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung) an die Antragsgegner durch individuelle Zustellung an den Zustellempfänger und durch Hausanschlag. Die individuelle Zustellung an den Zustellempfänger unterblieb; die Postsendung wurde dem Erstgericht mit dem Vermerk „unbekannt“ rückgemittelt.

Keiner der Antragsgegner beteiligte sich am Verfahren.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt und setzte den Aufteilungsschlüssel für die Aufwendungen für den Personenaufzug neu fest. Es nahm die Antragstellerin zur Gänze aus und bestimmte, dass deren Anteil auf die übrigen Miteigentumsanteile verhältnismäßig aufzuteilen sei.

Gegen diesen Sachbeschluss des Erstgerichts richtete sich der Rekurs des 20. Antragsgegners. Das Rekursgericht gab diesem nicht Folge.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs – nachträglich (§ 63 Abs 1 AußStrG) – für zulässig, weil dem Verfahren ein wesentlicher Mangel iSd § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG anhafte. Der verfahrenseinleitende Antrag sei dem vom Erstgericht bestimmten Wohnungseigentümer nicht wirksam zugestellt worden. Es sei somit der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt und das Verfahren nichtig.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des 20. Antragsgegners mit dem Antrag, die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, den Antrag gesetzesgemäß zuzustellen, ein ordentliches Verfahren mit entsprechender Beweisaufnahme durchzuführen und in der Sache neuerlich zu entscheiden.

Die Antragstellerin beteiligte sich am Revisionsrekursverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage ist zu bejahen, wenn – wie hier – die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG wahrzunehmen ist (Schramm in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 62 Rz 39 mwN). Der Revisionsrekurs ist demzufolge auch berechtigt.

1. Nach § 15 AußStrG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Gegenstand, über den das Gericht das Verfahren von Amts wegen eingeleitet hat, den Anträgen und Vorbringen der anderen Parteien und dem Inhalt der Erhebungen Kenntnis zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen. Wird einer Partei durch unterbliebene Beiziehung oder durch einen ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung einer gesetzmäßigen Zustellung, die Möglichkeit entzogen, sich am Verfahren zu beteiligen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 15 Rz 13 mwN). Das rechtliche Gehör im Sinn dieser Bestimmung wird dabei nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wird, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RIS-Justiz RS0005915; RS0074920 [T3]; vgl auch RS0119970).

2. Für das wohnungseigentumsrechtliche Außerstreitverfahren sieht § 52 WEG ergänzend zu den allgemeinen Zustellregeln des § 24 AußStrG Sonderregelungen vor. Zustellungen an mehr als sechs Wohnungseigentümer können durch einen Hausanschlag vorgenommen werden. Der verfahrenseinleitende Antrag ist überdies einem vom Gericht zu bestimmenden Wohnungseigentümer mit Zustellnachweis zuzustellen. Die Zustellung an einen Ersatzempfänger ist zulässig (§ 52 Abs 2 Z 4 WEG).

3. Die in § 52 Abs 2 Z 4 WEG angeordnete individuelle Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags an einen vom Gericht bestimmten Wohnungseigentümer unterblieb hier. Mangels einer gesetzmäßigen Zustellung wurde damit den Antragsgegnern die Möglichkeit entzogen, sich am Verfahren zu beteiligen. Diesen Umstand qualifizieren der Rechtsmittelwerber und in seiner Zulassungsbegründung auch das Rekursgericht zu Recht als Verletzung des rechtlichen Gehörs. Nach ständiger Rechtsprechung ist das rechtliche Gehör im Verfahren außer Streitsachen auch dann gewahrt, wenn die Partei ihr Vorbringen im Rekurs darlegen konnte (RS0006048 [T4, T10]). Diese Möglichkeit stand dem 20. Antragsgegner hier zufolge des im wohnrechtlichen Außerstreitverfahrens ausnahmslos geltenden Neuerungsverbots (RS0070485) jedoch nicht offen. Das Rekursgericht hat sich mit seinen Argumenten inhaltlich auch nicht befasst.

4. Die Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs zwingt zwar nicht jedenfalls zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Gemäß § 5 Abs 1 und 3 AußStrG ist vielmehr vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückverweisung der Außerstreitsache an eine Vorinstanz zu prüfen, ob nicht eine Bestätigung selbst aufgrund der Angaben im Rechtsmittelverfahren oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist im außerstreitigen Verfahren also nur dann wahrzunehmen, wenn die Gehörverletzung Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (RS0120213 [T11, T16, T17, T20, T22]). Um diese Prüfung vornehmen zu können, muss daher von einem Rechtsmittelwerber, der die Verletzung seines rechtlichen Gehörs geltend macht, gefordert werden, dass er seine Rüge durch Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensverstoßes entsprechend konkretisiert (RS0123872; RS0120213 [T15]). Dem hat der Revisionsrekurswerber hier entsprochen, weil er entscheidungserhebliche Umstände geltend macht, die vorzubringen er aufgrund des Verfahrensverstoßes gehindert war.

5. Zusammengefasst haftet den Entscheidungen und dem Verfahren der Vorinstanzen mangels Beteiligung des 20. Antragsgegners ein schwerer Verfahrensmangel iSd § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG an, der zu dessen Nachteil ausschlägt. Dies zwingt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Außerstreitsache an das Erstgericht.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Die danach gebotenen Billigkeitserwägungen können erst in dem die Sache erledigenden Sachbeschluss angestellt werden (RS0123011 [T1]).

Textnummer

E127286

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00172.19H.1127.000

Im RIS seit

16.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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