TE Lvwg Erkenntnis 2019/12/11 LVwG-750722/2/ER/AO

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.12.2019

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seine Richterin Dr. Reitter über die Beschwerde der K M, L, L, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. H V, C, L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 22. Juli 2019, GZ: IKD-437991-15-2019-/Db, betreffend die Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem Staatsbürgerschaftsgesetz und die Abweisung des Antrags auf Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft

zu Recht:

I.     Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.    Gegen diese Entscheidung ist eine Revision zulässig.

Entscheidungsgründe

I.1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: Bf) brachte am 2. April 2015 einen Antrag auf Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft ein, dem am 25. April 2017, GZ: IKD(Stb)-437991/19-2017/R, von der Oberösterreichischen Landesregierung (in der Folge: belangte Behörde) stattgegeben und der Bf die Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22. Juli 2019 wurde dieses Verfahren unter Spruchpunkt A amtswegig wiederaufgenommen und der Antrag der Bf auf Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft unter Spruchpunkt B als unbegründet abgewiesen.

Die Wiederaufnahme wurde im Wesentlichen mit dem Bekanntwerden des rechtskräftigen Urteils des Landesgerichts Linz vom 22. Mai 2019, GZ: 39 Hv 71/19k, mit dem die Bf wegen Bestechung (§ 307 Abs 1 StGB) und Urkundenunterdrückung (§ 12 2. Fall und § 229 Abs 1 StBG) verurteilt wurde, begründet. Diesem Urteil sei zu entnehmen, dass die Bf eine zertifizierte Sprachprüferin beim Österreichischen Integrationsfond für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts, nämlich eine entgegen der Prüfungsverordnung vorgenommene nachträgliche Berichtigung einer Vielzahl von falschen Testantworten, einen Vorteil in Form von Bargeld iHv 400 Euro gewährt habe. Die belangte Behörde sei an dieses Urteil gebunden und der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs 1 Z 1 AVG damit erfüllt. Der Bf sei von der belangten Behörde vor der Verfügung der Wiederaufnahme und der Erlassung der neuen Sachentscheidung zweimal die Gelegenheit gegeben worden sich zu äußern, wovon sie auch Gebrauch gemacht habe. Die Bf habe vor der belangten Behörde angegeben, dass sie bereits 2017 bei der Polizei gewesen und zur Deutschprüfung befragt worden sei. Ferner habe die Bf angegeben, wegen ihrer Prüfung seit 2017 Probleme zu haben, sie sei von der Polizei befragt worden und auch schon bei der Landesregierung gewesen. Vom Gericht habe sie bereits Gebühren vorgeschrieben bekommen.

Aufgrund dieser Verurteilung sei der Antrag abzuweisen gewesen, da die Bf nunmehr eine der Verleihung entgegenstehende Verurteilung nach § 10 Abs 1 Z 2 StbG aufweise. Ferner erfülle die Bf auch die Voraussetzung des Nachweises ausreichender Deutschkenntnisse im Sinne des § 10a Abs 1 Z 1 StbG – und damit eine weitere Voraussetzung für die Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft – nicht.

I.2. In der rechtzeitig erhobenen Beschwerde beantragte die Bf die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheids und stützte sich insbesondere darauf, dass das Strafverfahren gegen sie den aus Art 6 EMRK resultierenden Anforderungen nicht genügt habe. Der Bf, der vorgeworfen worden sei, sie sei der Sprache nicht ausreichend mächtig, hätte ein Strafverteidiger oder Rechtsanwalt beigegeben werden müssen. Durch das Fehlen eines entsprechenden Vertreters liege ein Eingriff in das Verfahrensgrundrecht nach Art 6 EMRK vor. Zudem könne aus dem Umstand, dass die Bf heute nicht mehr mächtig sei, Deutsch auf dem Niveau B1 zu sprechen, nicht geschlossen werden, sie hätte nicht zu einem früheren Zeitpunkt über diese Kenntnisse verfügt. Sie habe ihre Sprachkenntnisse verloren, was sich aus der fehlenden Integration und den damit einhergehenden mangelnden Gelegenheiten Deutsch zu sprechen, ergebe. Die Bf habe im Prüfungszeitpunkt am 7. Februar 2015 über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 verfügt, diese Kompetenz aufgrund des seltenen Gebrauchs jedoch wieder verloren.

I.3. Diese Beschwerde legte die belangte Behörde dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Schreiben vom 2. September 2019 zur Entscheidung vor. Im Vorlageschreiben wurde darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde keine Anhaltspunkte für Verstöße gegen Art 6 EMRK im gegen die Bf geführten Strafverfahren erkenne. Aufgrund der Rechtskraft des Strafurteils sei eine Bindungswirkung anzunehmen. Des Weiteren legte die belangte Behörde dar, auch die in der Beschwerde ausgeführte schlechte Integration der Bf sei im Sinne der durch § 11 StbG gebotenen Betrachtung des Gesamtverhaltens in die Beurteilung einzubeziehen und spreche gegen die Verleihung der Staatsbürgerschaft.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da diese weder beantragt wurde noch eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt. Ferner steht dem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 EMRK noch Art 47 GRC entgegen (VwGH 16.05.2007, 2006/01/0477; 25.04.2017, Ra 2017/01/0091).

I.4. Es steht folgender entscheidungsrelevanter S a c h v e r h a l t fest:

Die Bf ist bereits seit 2001 in Österreich aufhältig, mit Bescheid des Bundesasylamts vom 2. Dezember 2005 wurde der Bf in Österreich Asyl gewährt und ihre Flüchtlingseigenschaft festgestellt. Die Bf legte anlässlich der Einbringung des Antrags auf Verleihung der Staatsbürgerschaft ein Zeugnis des ÖIF (Österreichischer Integrations Fonds) über das Bestehen des „Deutsch-Tests für Österreich“ vor, aus dem hervorgeht, sie habe im Rahmen der Prüfung am 7. Februar 2015 das Gesamtergebnis B1 erreicht. Die Bf bestimmte jedoch eine namentlich genannte Prüferin unter Bezahlung von Bestechungsgeld dazu, die Testantworten des Teils „Hören/Lesen“ nachträglich zu berichtigen und dadurch eine Urkunde, nämlich den Prüfungsbogen des ÖIF, zu beschädigen, indem falsche Antworten radiert und durch das Ankreuzen der zutreffenden Antworten richtig gestellt wurden, mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass die ursprüngliche Urkunde im Rechtsverkehr, nämlich beim ÖIF anlässlich der Auswertung der Prüfungsergebnisse, zum Nachweis der keinesfalls ausreichenden Deutschkenntnisse der Bf gebraucht wird. Für die pflichtwidrige Vornahme dieses Amtsgeschäfts gewährte die Bf der Prüferin einen Vorteil, nämlich einen Geldbetrag iHv 400 Euro. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts wurde die Bf am 22. Mai 2019 vom Landesgericht Linz wegen Bestechung nach § 307 Abs 1 StGB und Urkundenunterdrückung nach § 12 2. Fall iVm § 229 Abs 1 StGB zu einer – bedingt nachgesehenen – Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Bf nahm an der diesbezüglichen Verhandlung vor dem Landesgericht Linz persönlich teil. Die – in diesem Verfahren unvertretene – Bf gab nach entsprechender Belehrung einen Rechtsmittelverzicht zu Protokoll. Die Bf legte keinen anderen Nachweis über die positive Absolvierung einer Deutsch-Prüfung des Niveaus B1 vor.

II. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

III.1. Die relevante Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl 51/1991 idF BGBl I 58/2018 lautet:

„§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1.   der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

[…]

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“

III.2. Als einschlägige Normen des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974 idF BGBl I 105/2019, wurden folgende Bestimmungen ausgemacht:

„Behandlung aller Beteiligten als Täter

§ 12. Nicht nur der unmittelbare Täter begeht die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt.

Urkundenunterdrückung

§ 229. (1) Wer eine Urkunde, über die er nicht oder nicht allein verfügen darf, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt, ist, wenn er mit dem Vorsatz handelt, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.“

 

III.3. Die maßgeblichen Normen des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG), BGBl 311/1985 idF BGBl 96/2019 lauten:

㤠10

Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1.er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.

[…]

§ 10a. (1) Voraussetzung jeglicher Verleihung der Staatsbürgerschaft ist weiters der Nachweis

1. über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, und

2. von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung und die sich daraus ableitbaren Grundprinzipien sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes.

[…]

§ 11a. […]

(7) Einem Fremden ist nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens zehn Jahren im Bundesgebiet und unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8, Abs. 2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn ihm der Status als Asylberechtigter zukommt, sofern das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf Anfrage mitteilt, dass weder ein Verfahren nach § 7 AsylG 2005 eingeleitet wurde noch die Voraussetzungen für die Einleitung eines solchen Verfahrens vorliegen.

§ 24. Die Wiederaufnahme eines Verleihungsverfahrens darf aus den im § 69 Abs. 1 Z 2 und 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, genannten Gründen nur bewilligt oder verfügt werden, wenn der Betroffene hiedurch nicht staatenlos wird.“

III.4. Aus dem Bundesgesetz zur Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft (Integrationsgesetz – IntG), BGBl I 68/2017 sind folgende Bestimmungen maßgeblich:

„Integrationsvereinbarung

§ 7. […]

(2) Die Integrationsvereinbarung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen:

[…]

2. das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung auf dem Sprachniveau B1 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und der vertieften Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung.

(3) Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres durch Verordnung festzulegen.“

IV. In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes auszuführen:

IV.1.1. Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 AVG ermöglicht die Aufrollung eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, das an einem Mangel leidet, der dazu berechtigt. Es bedarf also eines Bescheids, der durch ordentliches Rechtmittel nicht mehr angefochten werden kann (Schulev-Steindl, Verwaltungs-verfahrensrecht6 [2018] Rz 339). Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Bf am 25. April 2017 stellte einen rechtskräftigen Bescheid dar. Zuständig für die Wiederaufnahme ist gemäß § 69 Abs 4 AVG jene Behörde, die den Bescheid erlassen hat. Die belangte Behörde, als demnach zuständige Behörde, war nach § 69 Abs 3 AVG für den Fall des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrunds im Sinne des Abs 1 leg cit zum amtswegigen Vorgehen berechtigt. Da § 69 Abs 1 Z 1 AVG – und damit der von der belangten Behörde angenommene Wiederaufnahmegrund – an keine Frist gebunden ist, muss die zeitliche Abfolge nicht näher beurteilt werden. Jedoch bedarf es für die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme nach dieser Bestimmung eines Bescheids der durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist. Dass keine der beiden im Gesetzeswortlaut ausdrücklich genannten Strafbarkeiten festgestellt wurde, stellt kein Hindernis dar, da es sich um eine bloß demonstrative Nennung handelt und auch andere strafbare Handlungen zur Herbeiführung eines Bescheids einen geeigneten Wiederaufnahmegrund bilden (Hengstschläger/Leeb, AVG [2009] § 69 Rz 10). Die Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs 1 StGB, die hinsichtlich des Prüfungsbogens der Bf festgestellt wurde, hat die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Bf herbeigeführt. Die Einbindung der Bf als Bestimmungstäterin im Sinne des § 12 2. Fall StGB – und nicht als unmittelbare Täterin – ist unerheblich. Denn die Person, zu deren Gunsten sich die gerichtlich strafbare Handlung auf den Bescheid auswirkte, muss an der Tat in keiner Weise beteiligt gewesen sein bzw davon gewusst haben (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 9). Im Ergebnis lagen durch das Urteil des Strafgerichts alle Voraussetzungen für die Wiederaufnahme vor, das amtswegige Vorgehen der belangten Behörde war rechtmäßig.

IV.1.2. Durch die Wiederaufnahme des Verfahrens droht der Bf im Falle der Abweisung ihres Antrags der Verlust der Unionsbürgerschaft. Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH (C-135/08 vom 03.03.2010 und C-221/17 vom 12.3.2019) sowie jüngst VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0477 ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Jene Verfahren sind jedoch nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht mit dem ggst vergleichbar. In jenen Fällen fiel eine rechtmäßig verliehene Staatsbürgerschaft – und damit einhergehend die Unionsbürgerschaft – kraft Gesetz weg, bzw wurde in einem Einbürgerungsverfahren die Verfolgung wegen einer in keiner Weise mit der Einbürgerung zusammenhängenden Straftat verschwiegen. Im ggst Fall hat die Bf durch die Vorlage eines erschlichenen Deutschzeugnisses die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft – und damit einhergehend der Unionsbürgerschaft – herbeigeführt. Die Bf hat jene Handlungen, deretwegen sie verurteilt wurde, gerade zu dem Zweck begangen, die Verleihung der Staatsbürgerschaft herbeizuführen. Eine derart herbeigeführte Staatsbürgerschaft kann nicht dazu führen, dass ihr Wegfall durch ein wiederaufgenommenes Verfahren unverhältnismäßig ist, zumal dieser Vorsatztat jedenfalls erhebliches Gewicht zukommt, das schwerer wiegt als allfällig durch die zu Unrecht erlangte Staatsbürgerschaft begründete persönliche Bindungen oder Verwurzelungen der Bf.

Abgesehen davon tritt das Verfahren durch die ex-tunc – Wirkung der Wiederaufnahme in jene Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hat. Der Bf kam bereits vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft aufgrund ihres Status als Asylberechtigte ein Aufenthaltsrecht zu, weshalb sie auch ohne die österreichische Staatsbürgerschaft in der Lage sein würde, ihre persönlichen Bindungen und Verwurzelungen in Österreich aufrecht zu erhalten.

IV.2.1. Die in der Beschwerde geäußerten Bedenken hinsichtlich der Bindung der Behörde an das Strafurteil, die aufgrund von Verstößen gegen Art 6 EMRK nicht bestehe, sind unberechtigt. Die Anwendbarkeit des Art 6 EMRK ist zu bejahen, da es sich bei Strafverfahren um strafrechtliche Anklagen im Sinne der Konvention handelt. Aus der Anwendbarkeit resultiert der grundrechtliche Schutz des Anspruchs auf wirksame Verteidigung (Berka/Binder/Kneihs, Die Grundrechte2 [2019] 827). Die Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren aufgrund der behaupteten Notwendigkeit der Beigebung eines Verteidigers, der nicht nachgekommen worden wäre, liegt jedoch nicht vor, da es sich um keinen Fall einer notwendigen Verteidigung nach § 61 Abs 1 Strafprozessordnung 1975 (StPO) handelte. Jedoch hätte die Bf die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, dessen Kosten nicht oder nur teilweise zu tragen wären, nach § 61 Abs 2 StPO beantragen können. Abgesehen davon wären allfällige Mängel des Strafverfahrens durch die Einbringung eines Rechtsmittels geltend zu machen gewesen. Das Urteil erwuchs jedoch in Rechtskraft.

IV.2.2. Angemerkt sei, dass § 24 StbG die Unzulässigkeit der Wiederaufnahme eines Verleihungsverfahrens vorsieht, wenn die betroffene Person dadurch staatenlos werden würde. Allerdings gilt dies nur für Wiederaufnahmen nach § 69 Abs 1 Z 2 und 3 AVG. Im konkreten Fall wurde gemäß § 69 Abs 1 Z 1 AVG wiederaufgenommen, der Eintritt einer allfälligen Staatenlosigkeit war daher nicht zu prüfen.

IV.2.3. Durch die Verfügung der Wiederaufnahme wurde der Bescheid vom 25. April 2017, mit dem die belangte Behörde dem Antrag der Bf stattgab und ihr die Staatsbürgerschaft verlieh, rückwirkend aufgehoben (vgl VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0128). Dass im selben Bescheid bereits eine Sachentscheidung getroffen wird, ist zulässig bzw sogar geboten (Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 Rz 1). Die Behörde hat bei der neuerlichen Entscheidung allfällige Rechtsänderungen miteinzubeziehen, auch wenn diese für die Parteien allenfalls negativ sein mögen (Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht6 Rz 352). Maßgeblich für die Entscheidung ist daher die Sach- und Rechtslage des Zeitpunkts, in dem der Bescheid, der die Erledigung des wiederaufgenommenen Verfahrens bildet, erlassen wird. Daraus folgt wiederum, dass auch in der vorliegenden Entscheidung die aktuelle Rechtslage heranzuziehen ist. Von Bedeutung ist dies insofern als § 11a Abs 4 Z 1 StbG idF BGBl I 136/2013 die Grundlage für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Bf bildete. Durch BGBl I 56/2018 wurde leg cit allerdings aufgehoben. Die nunmehr anzuwendende Norm ist § 11a Abs 7 StbG, in den der größte Teil des Norminhalts des früheren § 11a Abs 4 Z 1 StbG übertragen wurde. Auch wenn die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Asylberechtigte nun einen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens zehn Jahren, anstatt der zuvor erforderlichen sechs Jahre, voraussetzt, blieb unverändert, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs 1 Z 2 bis 8, Abs 2 und 3 StbG erfüllt sein müssen. Darüber hinaus mussten für die Verleihung der Staatsbürgerschaft bereits vor der Novelle die allgemeinen Voraussetzungen des § 10a StbG erfüllt sein. Aufgrund der – abgesehen von der längeren Dauer des geforderten Aufenthalts – unveränderten Übernahme des Wortlauts des früheren § 11a Abs 4 Z 1 StbG in Abs 7 leg cit bestehen keine Zweifel, dass dies weiterhin erforderlich ist. In den Materialien findet sich darüber hinaus der Hinweis, dass die Einbürgerung „– wie schon bisher – die anderen allgemeinen Verleihungsvoraussetzungen“ erfordert (ErläutRV 189 BlgNR XXVI. GP 41).

IV.2.4. Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 StbG darf die Österreichische Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn die Person durch ein in- oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Die der Verurteilung zugrundliegende Tat ist daher nur insofern maßgeblich, als es sich um eine gerichtlich strafbare Vorsatztat handeln muss. Die dafür verhängte Strafe muss eine Freiheitsstrafe sein, wobei ohne Relevanz ist, sollte diese bedingt nachgesehen worden sein (VwGH 03.12.2003, 2002/01/0291; Ecker/Kvasina/Peyrl in Ecker/Kind/Kvasina/Peyrl [Hrsg], StbG 1985 – Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 [2017] Rz 160). Nur durch Tilgung stellt eine solche Verurteilung kein Verleihungshindernis mehr dar. Vor allem aber kann im Verfahren hinsichtlich der Staatsbürgerschaft das Strafverfahren nicht neuerlich aufgerollt werden, selbst die Behauptung, die Tat sei nicht begangen worden, ist daher irrelevant (VwGH 03.12.2003, 2002/01/0291).

Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl statt vieler: VwGH 17.5.2015, Ro 2014/09/0064 uHa VwGH 16.12.1999, 98/21/0160; VwGH 26.6.2014, 2012/03/0021) besteht im Falle einer verurteilenden Entscheidung durch ein Strafgericht eine Bindung der Verwaltungsbehörde und eines VwG in der Frage, dass dadurch (vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens) mit absoluter Wirkung, somit gegenüber jedermann bindend festgestellt ist, dass die schuldig gesprochene Person die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des Strafurteils rechtswidrig und schuldhaft begangen hat.

Die Bf wurde am 22. Mai 2019 vor dem Landesgericht Linz, GZ: 39 Hv 71/19 k, rechtskräftig wegen Bestechung und Bestimmung zur Urkundenunterdrückung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die Strafe wurde bedingt nachgesehen. Weder Bestechung nach § 307 Abs StGB noch Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB ist ein Fahrlässigkeitsdelikt, die Strafen sind nicht getilgt. Es liegt daher eine ungetilgte rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe aufgrund eines Vorsatzdelikts vor und damit ein Verleihungshindernis, das der Einbürgerung der Bf entgegensteht.

IV.2.5. Ferner ist Voraussetzung der Staatsbürgerschaftsverleihung, dass ein Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gem § 7 Abs 2 Z 2 IntG erbracht wird. Durch diesen Verweis ergibt sich, dass Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 als ausreichend gelten, also jenem Sprachniveau, das für die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung erforderlich ist. Der Gesetzeswortlaut des § 10a Abs 1 Z 1 StbG verlangt aber nicht bloß das Vorliegen dieser Sprachkenntnisse, sondern einen Nachweis darüber. Dafür kommen insbesondere Prüfungen bzw die Zeugnisse darüber in Betracht. Die Bf legte im ursprünglichen Verfahren das Zeugnis der Prüfung vom 7. Februar 2015 vor, aus dem hervorgeht, sie verfüge über Deutschkenntnis auf B1-Niveau. Allerdings ergab sich – wie im Strafverfahren festgestellt – die Manipulation des Prüfungsbogens durch die Prüferin, sodass dieses Zeugnis gerade nicht als Nachweis taugt. Im Laufe des Verfahrens wurde auch kein anderer Nachweis über die erforderlichen Kenntnisse beigebracht. In der Beschwerde wurde lediglich die Behauptung aufgestellt, die Bf hätte damals über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, die sich aufgrund ihrer Lebensumstände aber wieder verschlechtert hätten. Diese Aussage einschließlich der Begründung für die nachträgliche Verschlechterung der Sprachkenntnis stellt allerdings keinen „Nachweis“ im Sinne des § 10a Abs 1 Z 1 StbG dar. Die Bf erfüllt daher auch diese für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderliche Voraussetzung nicht.

V. Im Ergebnis lagen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens vor, und die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Bf kam im wiederaufgenommenen Verfahren nicht in Betracht. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

VI. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da keine Rechtsprechung zur Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Falle einer Wiederaufnahme eines Verfahrens, in dem eine gerichtlich strafbare Handlung begangen wurde, um die Verleihung einer österreichischen Staatsbürgerschaft – und damit einhergehend der Unionsbürgerschaft – herbeizuführen, und der darauffolgenden Abweisung des Antrags auf Verleihung der Staatsbürgerschaft, existiert. Darüber hinaus kommt dieser Frage eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu.

Schlagworte

Aufschiebende Wirkung; Aberkennung der Staatsbürgerschaft; Verlust der Beschäftigung; wirtschaftliche Notsituation; fehlende Konkretisierung

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2019:LVwG.750722.2.ER.AO

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten