TE OGH 2019/11/28 9Ob56/19d

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. 

Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. G***** I***** und 2. D***** I*****, beide vertreten durch Böhm Reckenzaun & Partner, Rechtsanwälte in Graz, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Parteien S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Sa***** GmbH, *****, vertreten durch Muhri & Werschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, wegen 18.075,04 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. Juni 2019, GZ 7 R 35/19x-30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 21. Jänner 2019, GZ 210 C 118/18k-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.379,02 EUR und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Parteien die mit 1.253,88 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Beklagte und die Nebenintervenientin sind Gesellschaften, die Putzereien betreiben.

Die Kläger vermieteten am 24. 6. 2014 Geschäftsräumlichkeiten in ihrem Haus A*****straße 25, ***** G*****, an die Nebenintervenientin. Das dem Vollanwendungsbereich des MRG unterliegende Mietverhältnis begann am 1. 7. 2014 und wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

Die Nebenintervenientin als Verkäuferin und die Beklagte als Käuferin unterfertigten am 29. 11. 2017 einen Kaufvertrag. In der Präambel wurde festgehalten, dass die Verkäuferin ein gewerbliches Reinigungsunternehmen mit mehreren Niederlassungen in W***** und G***** betreibt und dass in G***** unter anderem an den Adressen A*****straße 25, S*****gasse 14 und G***** Straße 39 Niederlassungen bestehen. Kaufgegenständlich waren nach der Präambel die „Betriebs- und Geschäftsausstattung, bestimmte, in diesem Vertrag genannte Vertragsverhältnisse, die den Betriebsstandorten zugeordneten Dienstnehmer, der 'Good Will' (Unternehmenswert) sowie das Recht, die Marke 'S*****' für einen bestimmten Zeitraum nach den Bedingungen des Vertrages zu verwenden“. Dabei bestand von Seiten des Geschäftsführers der Nebenintervenientin die Absicht, dass die Beklagte auch die Filiale A*****straße 25 in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten weiterbetreibt.

Im Vertrag wurde unter anderem vereinbart, dass die Beklagte (Käuferin) „ab dem 1. 10. 2017 im Kaufgegenstand auf eigene Rechnung, aber im Namen der Verkäuferin unternehmerisch tätig sein wird“ und dass die Nebenintervenientin (Verkäuferin) mit Durchführung des Closing den Kaufgegenstand an die Beklagte überträgt und diese den Kaufgegenstand übernimmt.

Obwohl bei einem Treffen am 2. 2. 2018 in W***** zwischen den Geschäftsführern der Nebenintervenientin und der Beklagten betreffend den Unternehmenskaufvertrag Divergenzen, unter anderem betreffend die Filiale A*****straße 25 und den streitgegenständlichen Mietvertrag bestanden, dies da der Geschäftsführer der Nebenintervenientin davon ausging, die gesamte Filiale A*****straße 25 an die Beklagte zu verkaufen, der Geschäftsführer der Beklagten jedoch im Zuge der Verkaufsverhandlungen entschieden hatte, das Geschäftslokal A*****straße 25 nicht übernehmen zu wollen, wurde das Closing mit 31. 1. 2018 festgesetzt und der Vertrag vollzogen. Entsprechend der Vereinbarung im Kaufvertrag übertrug die Nebenintervenientin den Kaufgegenstand an die Beklagte, die den Kaufgegenstand übernahm.

Die Beklagte führte nach Rechtswirksamkeit des Kaufvertrags (Closing) die Filiale A*****straße 25 im eigenen Namen und mit eigenen Mitarbeitern bis Ende Februar 2018 in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten weiter, um am 1. 3. 2018 mit der Filiale in das Nebenhaus A*****straße 27 zu übersiedeln, wo sie ein anderes Geschäftslokal gemietet hatte.

Eine Vereinbarung zwischen den Klägern, der Beklagten und der Nebenintervenientin betreffend das streitgegenständliche Mietverhältnis wurde nicht getroffen.

Die Kläger begehren mit ihrer Klage unter Berufung darauf, dass die Beklagte gemäß § 12a Abs 1 MRG den Mietvertrag übernommen habe, 18.075,04 EUR an aushaftendem Mietzins und Betriebskosten samt Zinsen.

Die Nebenintervenientin trat dem Standpunkt der Klägerin bei.

Die Beklagte erhob – soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz – den Einwand der fehlenden Passivlegitimation. Die Beklagte habe bis zur Rechtswirksamkeit des Unternehmenskaufvertrags lediglich ein fremdes Unternehmen geführt. Der Verkauf sei nicht zum Zwecke des Fortbetriebs der Filiale A*****straße 25 erfolgt, die Beklagte bzw deren Geschäftsführer hätten nicht beabsichtigt, den Unternehmensbetrieb im streitgegenständlichen Bestandobjekt fortzuführen. Folglich sei § 12a Abs 1 MRG nicht erfüllt und der Mietvertrag nicht auf die Beklagte übergegangen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es erachtete ausgehend von den obigen Feststellungen und dem unstrittigen Wortlaut des Vertrags die Voraussetzungen eines Mietvertragsübergangs nach § 12a MRG als erfüllt. Die Veräußerung sei in der Absicht der Fortführung durch die Beklagte erfolgt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Rechtlich führte es im Wesentlichen aus, die Beklagte habe erstmals am 2. 2. 2018 zu erkennen gegeben, den Betrieb in der A*****straße 25 unter dieser Adresse nicht fortführen zu wollen. Dies sei aber nicht relevant, weil die Willensübereinstimmung bereits mit Abschluss des Kaufvertrags erfolgt sei; das „Closing“ sei lediglich der Zeitpunkt, zu dem die tatsächliche Vertragserfüllung stattfinde. Voraussetzung für den ex-lege-Eintritt eines Unternehmenserwerbers in das Mietverhältnis des Unternehmensveräußerers sei gemäß § 12a Abs 1 MRG ein auf die endgültige Änderung der sachenrechtlichen Zuständigkeit gerichtetes obligatorisches Veräußerungsgeschäft verbunden mit der Übergabe des Unternehmens. Die Nebenintervenientin sei jedenfalls bis zum 2. 2. 2018 von der Absicht der Beklagten ausgegangen, den Betrieb unter der Adresse A*****straße 25 fortzuführen. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Kaufvertrag, vielmehr habe der redliche Erklärungsempfänger aufgrund der Formulierung des Kaufvertrags davon ausgehen können, dass die Filiale A*****straße 25 fortgeführt werde. Es sei auch ein Mindestmaß an Fortführung des Unternehmens nach Außen in Erscheinung getreten, weil die Beklagte im Februar 2018 die Filiale fortgeführt habe.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage zu, „inwieweit eine Mindestintensität bei der Unternehmensfortführung gegeben und bejahendenfalls in welcher Intensität diese gegeben sein muss“.

Die Beklagte strebt mit ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision die Abweisung der Klage an.

Die Kläger und die Nebenintervenientin beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen die Zurückweisung der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem in den Revisionsbeantwortungen genannten Grund nicht zulässig.

1. Veräußert der Hauptmieter einer Geschäftsräumlichkeit das von ihm im Mietgegenstand betriebene Unternehmen zur Fortführung in diesen Räumen, so tritt gemäß § 12a Abs 1 Satz 1 MRG der Erwerber des Unternehmens anstelle des bisherigen Hauptmieters in das Hauptmietverhältnis ein.

1.1. Von einer Unternehmensveräußerung kann nur dann die Rede sein, wenn nach wie vor Identität des Unternehmens besteht. Dies ist dann der Fall, wenn der Erwerber den Standort beibehält, den Kundenstock übernimmt und den Betrieb mit Waren (im Wesentlichen) gleicher Art fortführt (7 Ob 607/85; 1 Ob 690/88; 8 Ob 2355/96y; 7 Ob 198/17v [Pkt 2.2]; 8 Ob 153/18k [Pkt 2.] = immolex 2019/78 [Kogler] uva).

1.2. Als Unternehmen im Sinne des § 12a Abs 1 Satz 1 MRG anzusehen und damit selbstständig veräußerbar sind auch Filialen (RS0068501 [T1]; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I23 § 12a Rz 10 mwH).

1.3. Liegen die Voraussetzungen des § 12a Abs 1 MRG vor, so erfolgt die Vertragsübernahme ex lege (RS0104322; RS0096990). Voraussetzung für den ex-lege-Eintritt ist ein auf die endgültige Änderung der sachenrechtlichen Zuständigkeit der Gesamtsache Unternehmen gerichtetes obligatorisches Veräußerungsgeschäft, verbunden mit der Übergabe des Unternehmens, somit der Eintritt des Übernehmers in die Betriebsführung (7 Ob 521/89 = WoBl 1989/58 [Würth]; 1 Ob 685/90; 2 Ob 563/94; 5 Ob 2267/96k; 9 Ob 232/01k = RS0070477 [T2]; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht – MRG3 § 12a Rz 13). Zeitpunkt des Mietvertragsübergangs ist in der Regel der im Unternehmenskaufvertrag festgelegte Übergabe- bzw Stichtag (2 Ob 573/95; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I23 § 12a Rz 13 mwN). Änderungen nach der Verwirklichung der Voraussetzungen des § 12a Abs 1 MRG sind unbeachtlich (vgl 9 Ob 270/00x).

1.4. Ob die Identität des Unternehmens gewahrt bleibt, hängt letztlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO begründet, es sei denn, es läge eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts vor (9 Ob 4/05m = RS0114646 [T1]; 8 Ob 153/18k [Pkt 2.]; Auer/H. Böhm in GeKo Wohnrecht I § 12a MRG Rz 58).

2.1. Von dieser Rechtslage gingen die Vorinstanzen zutreffend aus. Zum vereinbarten Stichtag 31. 1. 2018 (Closing) bestand jedenfalls Unternehmensidentität (jeweils Reinigungsunternehmen).

2.2. Im vorliegenden Fall wurde im Unternehmenskaufvertrag vom 29. 11. 2017 nicht explizit festgehalten, welche Vertragsverhältnisse auf die Beklagte
– sei es ex contractu, sei es ex lege (§ 12a Abs 1 MRG) – übergehen. Dem Kaufvertrag war – wie vom Berufungsgericht zutreffend erkannt – nicht zu entnehmen, dass die Beklagte nicht beabsichtigen würde, auch den Betrieb an der Adresse A*****straße 25 fortzuführen. Vielmehr spricht der Vertrag in Punkt 10.1. von einer „Übertragung der Betriebsstandorte“, ohne jenen der A*****straße 25 auszunehmen. Weil die Beklagte zudem die Filiale A*****straße 25 – nach dem am 29. 11. 2017 abgeschlossenen Vertrag als „Treuhänderin“ (Vertragspunkt 10.3.1.) – bis Ende Jänner 2018 führte und sie diese Filiale sodann nach Rechtswirksamkeit des Kaufvertrags im eigenen Namen und mit eigenen Mitarbeitern im Februar 2018 in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten weiterführte, ist es jedenfalls vertretbar, wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass diese Filiale auch hinsichtlich ihres Betriebsstandorts, also den streitgegenständlichen Räumlichkeiten, auf die Beklagte durch den Kaufvertrag übergehen sollte. Es ist grundsätzlich zulässig, bei der Vertragsauslegung auch das dem Abschluss nachfolgende Verhalten der Vertragspartner bei der Beurteilung der Parteiabsicht heranzuziehen, wenn sich darin die bei Vertragsschluss bestandene Parteiabsicht manifestiert (RS0017815 [T3, T5]; RS0110838). Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RS0112106 [T6]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor.

2.3. Der Unternehmenskaufvertrag wurde durch das von den Parteien am 2. 2. 2018 einvernehmlich zeitlich mit 31. 1. 2018 festgesetzte „Closing“ in Wirksamkeit gesetzt. Dass am 2. 2. 2018 nach den Feststellungen eine Divergenz zwischen der Nebenintervenientin und der Beklagten über die Weiterführung der Filiale A*****straße in den Geschäftsräumlichkeiten der Klägerin bestand ändert nichts daran, dass – jedenfalls nach der vertretbaren Auslegung durch das Berufungsgericht – dem Kaufvertrag auch die Übernahme dieser Geschäftsräumlichkeiten durch die Beklagte zugrunde lag. Damit trat aber zu dem von den Kaufvertragsparteien einvernehmlich festgesetzten Stichtag der Mietvertragsübergang nach § 12a Abs 1 MRG ex lege ein. Dass die Beklagte danach (einen Monat später) die Filiale A*****straße in das Nebenhaus übersiedelte, kann am bereits eingetreten Mietvertragsübergang nichts mehr ändern (vgl erneut 9 Ob 270/00x). Die vom Berufungsgericht für wesentlich gehaltene Frage, inwieweit eine „Mindestintensität“ bei der Unternehmensfortführung gegeben sein müsse, stellt sich daher nicht. Wie in den Revisionsbeantwortungen zutreffend ausgeführt, hat der Unternehmensveräußerer auch keinerlei Einfluss auf die tatsächliche Dauer der Unternehmensfortführung durch den Käufer nach Veräußerung und Übergabe des Unternehmens.

Die Revision war mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Textnummer

E127134

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00056.19D.1128.000

Im RIS seit

29.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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