TE OGH 2019/9/23 9ObA99/19b

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Veröffentlicht am 23.09.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** I*****, vertreten durch Robathin & Partner Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wegen 24.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision (Revisionsinteresse: 15.300 EUR) der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juni 2019, GZ 7 Ra 45/19t-21, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Unter Entgelt wird im Arbeitsrecht jede Art von Leistung verstanden, die dem Dienstnehmer für die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft gewährt wird. Leistungen Dritter sind dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn zwischen dem Dienstgeber und dem Dienstnehmer entsprechende vertragliche Vereinbarungen getroffen wurden oder wenn sich eine Zuordnung der Leistungen aus den sonstigen Umständen ergibt; so wenn sie etwa für Tätigkeiten gewährt werden, die zu den dienstvertraglich geschuldeten zählen. Im Gegensatz dazu stehen Leistungen, die einem Dienstnehmer nur aus Gelegenheit seines Dienstverhältnisses von Dritten zufließen, die aber nicht Bestandteil des geschuldeten Entgelts sind. Diese Leistungen sind zwar als Einkommen des Dienstnehmers anzusehen, aber in die Ermittlung des arbeitsrechtlichen Entgeltanspruchs nicht einzubeziehen (9 ObA 249/94 mwN). Die Vereinbarung der Teilhabe von Arbeitnehmern, die nicht unmittelbar Trinkgelder beziehen, an den Trinkgeldern jener Arbeitnehmer, die regelmäßig Trinkgelder beziehen, wird von der Rechtsprechung als zulässig angesehen. Dies wird unter anderem damit begründet, dass ein solches System dem Ansatz des § 27 Abs 3 und 4 Glücksspielgesetz nachempfunden ist, der die Aufteilung der „Cagnotte“ auf die Gesamtheit der Arbeitnehmer eines Konzessionärs gestattet (9 ObA 37/10x).

1.2. Im zwischen den Parteien geschlossenen Dienstvertrag ist festgehalten, dass das realisierte Trinkgeld ausschließlich dem Dienstnehmer zusteht. Dessen ungeachtet ordnete die Beklagte die Anwendung eines Systems an, wonach die „Spielleiter“ – und damit auch der Kläger – einen bestimmten Betrag aus den eingenommenen Trinkgeldern dem „Spielinspektor“ abführen mussten, der dann an andere Mitarbeiter der Beklagten verteilt wurde. Soweit die Beklagte daher in ihrer außerordentlichen Revision andeutet, dass es ihren Mitarbeitern freistehe, untereinander eine Vereinbarung über die Aufteilung von Trinkgeldern zu treffen, so entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, aus dem eine derartige Vereinbarung gerade nicht abgeleitet werden kann.

2. Die Beklagte brachte in erster Instanz vor, dass das vereinnahmte Trinkgeld ausschließlich dem Spielleiter zustehe und sie in die Vereinbarung unter den Mitarbeitern über die Abfuhr von (Teilen von) Trinkgeldern nicht eingebunden sei. Die von der Revisionswerberin nunmehr ins Treffen geführten Feststellungen darüber, dass die Teilnahme am Trinkgeldsystem Voraussetzung für den Abschluss des Dienstvertrags sei, sind durch ein Vorbringen der Parteien nicht gedeckt und – weil sie sich auch nicht im Rahmen der Einwendungen der Beklagten halten – unbeachtlich (RS0037972 [T1, T9, T13]). Solche „überschießende Feststellungen“ dürfen der rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden (RS0112213 [T1, T4]). Auf diese Feststellungen kann sich die Beklagte daher nicht berufen. Eine Änderung der rechtlichen Argumentation einer Partei bzw die Geltendmachung eines neuen Gesichtspunktes bei der rechtlichen Beurteilung ist zwar auch im Rechtsmittelverfahren zulässig, setzt aber voraus, dass die hierzu erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet wurden (RS0016473 [T10, T12, T13]; RS0042011), was hier nicht der Fall ist.

3. Leistungskondiktionen setzen eine Leistung des Verkürzten an den Bereicherten voraus und stehen dem Leistenden gegen den Empfänger zu. Wer rückstellungspflichtiger Leistungsempfänger ist, hängt davon ab, auf welchen Rechtsgrund hin der rückforderungsberechtigte Leistende seine Leistung (vom Empfängerhorizont aus) erbringen wollte (RS0020192). Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung hat daher zwischen jenen Personen zu geschehen, die im Zeitpunkt der Leistung durch ein scheinbares Rechtsverhältnis verbunden waren (RS0033737 [T9]). Im Fall der Befolgung einer (wenn auch dem Dienstvertrag widersprechenden) Weisung des Dienstgebers durch den Dienstnehmer ist (jedenfalls für den Dienstgeber) offensichtlich, dass der Dienstnehmer auf diese Weisung als Rechtsgrund hin handelt. Die weisungsgemäße Abfuhr des vereinnahmten Trinkgeldanteils erfolgte daher rechtlich an die Beklagte. Wem das so zugewendete Vermögen tatsächlich zugeflossen ist oder für wen es faktisch verwendet wurde, ist dabei irrelevant (RS0033737 [T22]; vgl auch 8 ObA 13/19y [Punkt 2.3] in einem vergleichbaren Fall), sodass es auch auf den in der außerordentlichen Revision behaupteten Verfahrensmangel, der lediglich diesen Tatsachenkomplex betrifft, nicht weiter ankommt.

4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Textnummer

E126391

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00099.19B.0923.000

Im RIS seit

23.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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