TE OGH 2019/7/10 8Nc26/19v

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Veröffentlicht am 10.07.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj A***** K*****, geboren am ***** 2005, Mutter E***** K*****, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Übertragung der Zuständigkeit für diese Pflegschaftssache vom Bezirksgericht Wels an das Bezirksgericht Melk wird nicht genehmigt.

Text

Begründung:

Die Obsorge für die 2005 geborene A***** wurde im Dezember 2009 im Teilbereich Pflege und Erziehung dem Land Oberösterreich übertragen. Das Kind lebte seither bei Pflegeeltern in diesem Bundesland. Die übrigen Teilbereiche der Obsorge stehen der Mutter des Kindes zu.

Am 5. 3. 2019 stellte die Mutter den Antrag, ihr die Obsorge zur Gänze zu übertragen und die Verlegung des überwiegenden Aufenthalts des Kindes in ihren Haushalt in Melk zu genehmigen. Am 12. 3. 2019 nahm die zuständige Richterin des Bezirksgerichts Wels anlässlich einer gemeinsamen Vorsprache des Kindes, seiner Mutter, deren Lebensgefährten und dessen Mutter die Stellungnahmen der Genannten zum Obsorgeantrag zu Protokoll.

Am 2. 5. 2019 stellte die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als Kinder- und Jugendhilfeträger den Antrag, die Obsorge für A***** im Teilbereich Pflege und Erziehung an das Land Niederösterreich zu übertragen, weil sich sowohl das Kind als auch dessen Mutter nunmehr dauerhaft dort aufhalten würden. Die Mutter sprach sich unter Verweis auf ihren aufrechten eigenen Antrag dagegen aus.

Seit 24. 4. 2019 ist A***** an der Wohnadresse der Mutter in Melk hauptgemeldet und besucht dort die Pflichtschule.

Nach der jüngsten im Akt enthaltenen Stellungnahme der Stadt Melk als Kinder- und Jugendhilfeträger vom 17. 5. 2019 (ON 96) sollte A***** ab 20. 5. 2019 mit Zustimmung aller Beteiligten in eine Wohngemeinschaft des Vereins „Rettet das Kind“ in St. Pölten aufgenommen werden.

Mit Beschluss vom 7. 5. 2019 übertrug das Bezirksgericht Wels die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht Melk. Da sich alle Verfahrensbeteiligten im Sprengel dieses Gerichts befänden, erscheine die Übernahme der Zuständigkeit zweckmäßig.

Das Bezirksgericht Melk lehnte die Übernahme der Zuständigkeit am 14. 5. 2019 unter Hinweis auf die offenen Anträge auf Obsorgeübertragung ab. Das Bezirksgericht Wels habe bereits unmittelbare Beweise aufgenommen und sei besser zur Entscheidung geeignet. Darüber hinaus stehe offenbar bislang noch nicht fest, ob der dauernde Aufenthalt des Kindes tatsächlich im Sprengel des Bezirksgerichts Melk sein werde.

Nach Eintritt der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses legte das Bezirksgericht Wels den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordneten Gericht nach § 111 Abs 2 JN vor. In der begleitenden Stellungnahme legt die Richterin dar, sie habe noch keine unmittelbaren Beweise aufgenommen, sondern lediglich eine spontane Vorsprache der Parteien beim Amtstag protokolliert. Alle Verfahrensbeteiligten befänden sich nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts Melk.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 111 Abs 2 Satz 2 JN bedarf im Falle der Weigerung des anderen Gerichts die Übertragung zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichts.

Die Übertragung ist – derzeit – nicht berechtigt.

In der Regel entspricht es den Interessen des pflegebefohlenen Kindes, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel sein gewöhnlicher Aufenthalt und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RIS-Justiz RS0047300). Darauf, wo das Kind polizeilich gemeldet ist, kommt es dabei nicht an (RS0047300 [T6]; jüngst 6 Nc 7/19k).

Eine Zuständigkeitsübertragung an das Wohnsitzgericht setzt aber einen stabilen Aufenthalt des Pflegebefohlenen voraus. Steht dessen Lebensmittelpunkt noch nicht fest, wird die Übertragung als unzweckmäßig erachtet, etwa dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Aufenthalt des Kindes instabil und die zukünftige Lebenssituation unklar ist (6 Nc 22/15k mwN; 10 Nc 5/18v; mit Verweis auf Fucik in Fasching/Konecny3 § 111 JN Rz 7 mwN).

Nach dem jüngsten Stand der aktenkundigen Stellungnahmen befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes hier bloß vorübergehend im Sprengel des Bezirksgerichts Melk, weil es bereits im Mai 2019 in einer Wohngemeinschaft in St. Pölten aufgenommen werden sollte. Falls diese Maßnahme vollzogen wurde, reicht auch eine aufrechte polizeiliche Hauptwohnsitzmeldung an der Melker Adresse der Mutter für sich allein nicht aus, um eine örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Melk zu begründen.

Die Unklarheit bezüglich des künftigen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes lässt die Übertragung derzeit nicht zweckmäßig erscheinen.

Der Vollständigkeit wegen ist zu ergänzen, dass offene Anträge nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung sprechen (ua RS0047027 [T8]; RS0046895; RS0046929 [T3]). Es kann aber eine Sachbearbeitung durch das bisher zuständige Gericht etwa wegen besonderer Sachkenntnisse, eines stärkeren Sachbezugs oder schon durchgeführter, insbesondere unmittelbarer Beweisaufnahmen unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls vorteilhafter sein (RS0047032 [T5a]).

Hier hat das übertragende Gericht noch keine formellen Zeugen- und Parteienvernehmungen durchgeführt. Die Frage, ob die Mutter zur Übernahme der Pflege und Erziehung A*****s (wieder) geeignet ist, war im bisher geführten Verfahren noch nicht zu prüfen.

Die Fortführung des Verfahrens durch ein niederösterreichisches Gericht, in dessen Sprengel das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wäre daher ungeachtet der offenen Obsorgeanträge grundsätzlich als zweckmäßig zu beurteilen.

Textnummer

E125830

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0080NC00026.19V.0710.000

Im RIS seit

18.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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