TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/5 W176 2168833-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.04.2019
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Entscheidungsdatum

05.04.2019

Norm

ABGB §174
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W176 2168833-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.07.2017, Zl. 1096812503/151876578, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die - damals minderjährige - Beschwerdeführerin brachte am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vor: Sie stamme aus Damaskus, bekenne sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung, habe zuletzt in XXXX (gemeint: XXXX ) gelebt und sei ca. einen Monat zuvor gemeinsam mit ihrem Ehemann XXXX dem Bus unter Verwendung ihres syrischen Reisepasses legal aus Syrien ausgereist. Syrien habe sie mit ihrem Ehemann wegen des Bürgerkrieges verlassen. Bei einer Rückkehr wäre ihr Leben in Gefahr. Weiters legte sie den genannten Reisepass vor.

2. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Traum vom XXXX .2017, Zl. XXXX , wurde dem Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger die gesamte Obsorge über die Beschwerdeführerin übertragen.

3. Am XXXX .2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) in Anwesenheit eines Mitarbeiters der Volkshilfe Oberösterreich als Vertreterin des Jugendwohlfahrtsträger niederschriftlich einvernommen, führte die Beschwerdeführerin - zusammengefasst - Folgendes an:

Sie sei in ihrem Elternhaus in XXXX (auch XXXX ), Provinz Damaskus-Land, aufgewachsen und habe teilweise auch bei ihren Großeltern im (nahegelegenen) Ort XXXX gelebt. Sie habe sieben Jahre die Schule besucht und dann bis zu ihrer Hochzeit (mit 13 Jahren) zu Hause gelebt. Danach habe sie mit XXXX im (ebenfalls nahegelegenen) Ort XXXX und dann wieder in XXXX gewohnt. XXXX 2015 sei ihr Mann ausgereist und sie habe bei dessen Eltern in Damaskus-Stadt gelebt. Am XXXX .2015 habe sie Syrien legal mit dem Flugzeug in den Libanon verlassen und dann weiter in die Türkei gereist. Befragt, ob sie in Syrien Probleme mit den Behörden gehabt habe, erwiderte sie, die Behörden hätten einmal bei einem Checkpoint ihren Antrag auf einen Personalausweis vernichtet und gesagt, sie würden sie mitnehmen, wenn sie nochmals durchkomme; dies sei in XXXX gewesen. Sie hätten die Frauen mitnehmen wollen, damit sich ihre Männer für den Reserve-Militärdienst melden. Auch hätten ihr unbekannte Personen gesagt, dass Frauen Schleier tragen müssten. Die Frage, ob sie politisch aktiv gewesen sei, verneinte sie. XXXX sei zum Reserve-Militärdienst einberufen worden. Als sie gemeinsam gelebt hätten, seien bewaffnete maskierte Männer gekommen, hätten das Auto ihres Mannes weggenommen und ihn für ihre Kämpfe mitnehmen wollen. Ob die Männer zur Regierung oder zur Opposition gehörten, wisse sie nicht. Die Frage, ob die Männer gedroht hätten, verneinte die Beschwerdeführerin; aber die Menschen würden bedroht und die Frauen entführt. Auf die Frage, ob sie bei der Ausreise aus Syrien Problem gehabt habe, gab sie an, dies sei nicht der Fall gewesen; es habe schon eine Kontrolle gegeben, ein paar junge Männer seien angehalten worden, aber sie habe keine Probleme gehabt. Die Frage, ob sie mit Konsequenzen rechnen müsse, weil sich XXXX dem Kriegsdienst entzogen habe, bejahte sei; man würde sie deswegen töten, und zwar alle Gruppen.

Der Vertreter des Jugendwohlfahrtsträgers brachte vor, dass die Beschwerdeführerin - obwohl minderjährig - bei ihrer Erstbefragung ohne Rechtsberater einvernommen worden sei, weshalb ihre damaligen Angaben nicht gewertet werden dürften. Auch sei ihre Aussage fast ident mit jener von XXXX .

Weiters legte die Beschwerdeführerin eine syrische Heiratsurkunde vom XXXX vor, aus der sich ergibt, dass sie an diesem Tag mit XXXX die Ehe geschlossen hat.

4. Mit Schriftsatz vom 03.07.2017 teilte der gesetzliche Vertreter der Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes mit:

Die Beschwerdeführerin und XXXX kämen aus der Gegend von Damaskus und hätten ihre Heimat aufgrund des herrschenden Krieges, der möglichen Zwangsrekrutierung von XXXX und der massiven und andauernden Menschenrechtsverletzungen verlassen. Sie seien in Syrien mehrmals bedroht und XXXX sei aufgefordert worden, an Kampfhandlungen teilzunehmen. Die Genannten hätten XXXX in Syrien offiziell geheiratet. Aus der Ehe sei mittlerweile ein gemeinsames Kind mit dem Namen XXXX entstanden; dieser sei im XXXX 2016 in Österreich geboren. Die Beschwerdeführerin und XXXX hätten Syrien XXXX 2015 verlassen, wobei dieser zu Fuß und unter Bestechung von Grenzbeamten und jene später per Flugzeug über den Libanon in die Türkei geflüchtet seien. "Der Antragsteller" (gemeint: XXXX ) habe anfangs offensichtlich zu seiner Ausreise aus Syrien falsche Angaben gemacht, weil er wegen der Bestechung von syrischen Grenzbeamten mit Konsequenzen hinsichtlich seines Asylantrags gerechnet habe.

5. Mit Bescheid vom 10.11.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

Zur Abweisung des Antrags im Asylpunkt wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei in Syrien keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt bzw. sei eine solche Verfolgung zukünftig nicht zu befürchten. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass sie knapp vor ihrer legalen Ausreise aus Syrien zwecks Ausstellung eines Reisepasses selbst Kontakt mit den syrischen Behörden aufgenommen habe, weshalb ihrem Vorbringen zu Problemen mit den Behörden kein Glaube geschenkt werden könne. Ihre Ehe sei zwar in Syrien gültig, werde in Österreich aber nicht anerkannt, da sie zum Zeitpunkt der Eheschließung erst 13 Jahre alt gewesen sei.

Zugleich erkannte die belangte Behörde XXXX gemäß § 3 AsylG 2005 sowie XXXX gemäß §§ 3, 34 AsylG 2005 den Status von Asylberechtigten zu.

6. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen Folgendes vor:

Zum einen habe die von ihr geschlossene Ehe sehr wohl auch in Österreich Gültigkeit, da fehlende Ehemündigkeit auch nach österreichischem Recht nur ein schlichtes Trauungsverbot sei; die verbotswidrig geschlossene Ehe sei weder nichtig noch aufhebbar, sondern voll gültig. Hinzu komme, dass selbst die von einem Geschäftsunfähigen eingegangene Ehe, die nach österreichischem Recht nichtig sei, von Anfang an als gültig angesehen werde, wenn der Ehegatte nach dem Wegfall der Geschäftsunfähigkeit zu erkennen gebe, dass er die Ehe fortsetzen wolle und somit auch bei der nichtigen Ehe eine Heilung möglich sei.

Zum anderen unterliege sie selbst einer Verfolgung in Syrien, da sie wie vorgebracht aufgrund der Kriegsdienstentziehung ihres Mannes getötet würde. Denn auch ihr würde eine politisch oppositionelle Meinung unterstellt. Weiters unterliege sei auch aufgrund ihrer Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Frauen einer asylrelevanten Bedrohung.

7. In der Folge legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

8. Mit Schriftsatz vom 12.06.2018 legte die Beschwerdeführerin eine - ihrem Inhalt nach ausdrücklich auf ihren Wunsch hin ausgestellte - "Psychotherapeutische Stellungnahme" von XXXX , systemische Familientherapeutin des Kinderhilfswerks Linz, vom 13.05.2018 vor. Dieser Stellungnahme zufolge befinde sich die Beschwerdeführerin aktuell bei der genannten Therapeutin in psychotherapeutischer Behandlung. Da diese sie aufgrund der regelmäßigen Sitzungen nun gut kenne, wolle sie deren freien Willen zur Integration in Österreich betonen. Die Beschwerdeführerin sei eine junge, ambitionierte, aufgeschlossene junge Frau mit einer "westlichen" Orientierung. Sie wolle ihrem Sohn eine gute Mutter sein und ihn u.a. lehren, westliche Werte zu ehren und zu respektieren. Weiters sei es wichtig zu betonen, dass in der Familie der Beschwerdeführerin keine Unterdrückung der Frau stattfinde. Die momentane Situation der Ungewissheit wirke sich kontraproduktiv auf die psychische Gesunderhaltung der Beschwerdeführerin aus und ein positiver Bescheid würde "eine enorme Verbesserung des momentanen Zustandes" mit sich bringen, ganz abzusehen davon, wie wichtig eine psychisch stabile Mutter für ihr Kind sei.

9. Am 09.01.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm, und die Beschwerdeführerin abermals zu ihren Fluchtgründen befragt und XXXX als Zeuge einvernommen wurde.

Eingangs gab die Beschwerdeführerin an, ihre ganze Familie, d.h. ihre Eltern und vier Schwestern sowie ihr Bruder, in Syrien, und zwar in XXXX , lebe. Das Gebiet, wo sie lebten, sei sicher, es sei kein Krieg dort. Die Beschwerdeführerin wisse nicht, wer das Gebiet kontrolliere. Ein Mal in der Woche oder alle zwei Wochen habe sie Kontakt mit ihrer Familie. Ihre Schwiegereltern hielten sich inzwischen in XXXX auf.

Auf nähere Befragung zu ihrem Vorbringen vor der belangten Behörde, ihr sei von den syrischen Behörden ihr Antrag auf Personalausweis abgenommen worden, gab die Beschwerdeführerin an, dieser Antrag sei ein Dokument auf einem stärkeren Papier mit Foto und Stempel und gelte bis zur Ausstellung eines Personalausweises als Ausweis. Dieser Antrag sei ihr 2015 auf dem Weg nach Damaskus abgenommen worden, wobei sie auf die Frage, ob es näher bei ihrer Gegend oder in der Nähe von Damaskus gewesen sei, erwiderte, es sei schon in Damaskus gewesen. Auf Vorhalt, sie habe vor der belangten Behörde gesagt, dass es in XXXX gewesen sei, entgegnete sie, sie kenne sich nicht so gut aus und es sei auf dem Weg zu ihren Eltern gewesen. Sie sei angehalten worden und sie hätten im Computer nachgesehen und dann gesagt, dass XXXX eine bekannte oppositionelle Familie sei. Sie hätten sie drei Stunden lang angehalten; dann sei sie weiter nach Damaskus gefahren und auf dem Weg dorthin sei ihr der Ausweis abgenommen und vernichtet worden. Zwischen den beiden Vorfällen seien ein bis zwei Tage gelegen; das erste Mal sei ihr gesagt worden, dass XXXX eine bekannte oppositionelle Familie sei, und beim zweiten Mal sei ihr der Antrag abgenommen und vernichtet worden. Auf Vorhalt, sie habe vor der belangten Behörde auf die Frage, ob sie in Syrien Probleme mit den Behörden gehabt habe, nur einen Vorfall, bei dem ihr der Antrag weggenommen worden sei, geschildert, nicht aber einen Vorfall erwähnt, bei dem ihr gesagt worden sei, dass sie einer oppositionellen Familie angehöre, gab die Beschwerdeführerin an, sie habe das nicht angeben, weil sie sehr jung gewesen sei; sie habe nicht gewusst, dass XXXX eine oppositionelle Familie sei. Vor einem Jahr seien zwei Cousins von ihr, die den gleichen Familiennamen hätten wie sie, nur aufgrund ihres Familiennamens festgenommen worden. Auf weiteren Vorhalt, sie habe vor der belangten Behörde als Grund für die Abnahme des Ausweises angegeben, sie hätten die Frauen mitnehmen wollen, damit sich ihre Männer für den Reservemilitärdienst melden, erwiderte sie, dass Personen, von denen sie und ihr Mann nicht gewusst hätten, ob sie vom Regime oder von der Opposition seien und die die Männer mitnehmen hätten wollen, damit sie kämpfen, einmal zu ihr nach Hause gekommen seien.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Beschwerdeführerin an, dass sich die Kämpfe, als sie in XXXX gelebt habe, intensiviert hätten. Der Teil des Ortes, in dem sie gewohnt hätten, sei bombardiert und ein Teil ihres Hauses zerstört worden. Leute seien zu ihnen gekommen und hätten gesagt, dass sie als Frau nicht mehr alleine und nicht vollverschleiert auf die Straße gehen könne. Die Beschwerdeführerin sei hochschwanger gewesen und ihr Mann habe gemeint, es wäre besser auszureisen, weil die Lage nicht mehr erträglich sei. Er sei dann ausgereist, nachdem er auch bedroht worden sei, dass sie die Beschwerdeführerin entführen würden. Dann habe auch sie Syrien verlassen. Zu den Umständen dieser Drohung gab die Beschwerdeführerin an, Anfang 2015 seien unbekannte Männer zu ihr nachhause gekommen, hätten einen Teil des Gartens niedergebrannt und das Auto ihres Mannes mitgenommen; dieser habe von niemandem rekrutiert werden wollen. Bei dieser Gelegenheit sei ihm gesagt worden, dass sie die Beschwerdeführerin entführen würden, wenn er nicht für sie kämpfe; sie habe das gehört. Auf Vorhalt, sie habe vor belangten Behörde verneint, dass die Männer, die ihren Mann rekrutieren hätten wollen, gedroht hätten, entgegnete die Beschwerdeführerin sie habe dort alles genauso erzählt wie in der Beschwerdeverhandlung; wahrscheinlich sei sie nicht richtig verstanden worden.

Überdies habe sie religiöse Gründe, und zwar, dass Frauen in Syrien keine Freiheit hätten. Sie würden benachteiligt, weil sie keine Arbeit finden und alleine nicht auf die Straße gehen könnten. Sie müssten auch etwas Bestimmtes anziehen und nicht das, was sie wollten. Auf die Frage, ob sie über Gegenden spreche, die unter der Kontrolle der Opposition stehen, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie meine damit ganz Syrien.

Zur Rückkehrgefährdung wies dies darauf hin, dass vor vier oder fünf Monaten ihre jüngere Schwester entführt worden sei; inzwischen sei sie wieder frei, nachdem ihr Vater Lösegeld gezahlt habe. Ihr Vater werde gesucht wegen des Reservemilitärdienstes, ebenso ihr Schwager. Beide hätten keine finanziellen Mittel und könnten nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen, falls sie zurückkehre.

Vor dem Hintergrund ihres vor der belangten Behörde erstatteten Vorbringens, man habe ihrer habhaft werden wollen, um zu erreichen, dass ihr Mann den Reservemilitärdienst antritt, befragt, wie sie sich erkläre, dass Sie trotzdem legal und problemlos aus Syrien habe ausreisen können, antwortete sie, sie habe den syrischen Reisepass und die Ausreisegenehmigung erst bekommen, nachdem ihr Schwiegervater sehr viel Geld bezahlt habe. Auf Vorhalt, sie habe vor der belangten Behörde Derartiges nicht vorgebracht, die Frage, ob Sie Probleme bei der Ausreise aus Syrien gehabt habe, verneint und es sei schwer nachvollziehbar, dass sie den Umstand, dass jemand viel Geld gezahlt habe, um ihre Ausreise zu erreichen, nicht in diesem Zusammenhang erwähnte, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie sei vor der belangten Behörde nicht (erg.: danach) gefragt worden; sie habe erzählt, dass junge Männer aussteigen mussten; sei selbst habe die Grenze ohne Probleme passiert.

Auf Befragung durch den Beschwerdevertreter gab die Beschwerdeführerin an, ihr Eltern lebten in XXXX in der Wohnung ihrer Schwester. Sie seien zehn Leute und hätten nur zwei Schlafzimmer.

Zum Vorfall, bei dem Leute zu Ihnen nachhause gekommen seien und dann das Auto mitgenommen hätten, als Zeuge einvernommen, gab XXXX im Wesentlichen Folgendes an: Er sei mit der Beschwerdeführerin gemeinsam zuhause gewesen und es sei Nacht gewesen, als vermummte Männer gekommen seien, gefragt hätten, was er mache, und gesagt hätten, dass sie sein Auto mitnehmen wollten, und dieses dann auch mit Zwang mitgenommen hätten. Dann habe er Drohungen bekommen und danach hätten sie ihm Geld wegnehmen wollen. Er habe nicht gewusst, wer die Männer waren. Damals habe es sehr viele bewaffnete Gruppierungen gegeben und das Regime sei nicht anwesend gewesen. An dem Tag, als sie das Auto mitgenommen hätten, hätten sie ihn bedroht. Sie fänden immer einen Grund, warum sie dort jemandem etwas antun wollen, zB dass der Betreffende Anhänger des Regimes sei oder einer bestimmten Gruppierung angehöre. Es habe Chaos geherrscht. Befragt, was hat man ihm angedroht, habe, erwiderte er, sie hätten ihn "mit Entführung, Töten" bedroht. Auf die weitere Frage, was die Männer konkret gesagt hätten, als sie ihm mit mit Entführung oder Töten gedroht hätten, erwiderte er, er habe ihnen gesagt, dass er ihnen das Auto nicht gebe, woraufhin sie herumgeschossen hätten. Auf Wiederholung der Frage meinte er, es habe Situationen gegeben, wo Leute, die ihr Auto nicht hergeben hätten wollen wollten, erschossen worden seien und ihnen dann das Auto weggenommen worden sei. Es gab auch Fälle gegeben, wo sie gedroht hätten, die Frau zu entführen. Sie haben auch ihm gedroht, seine Frau zu entführen.

Auch den Hinweis, seinen Aussagen sei zu entnehmen, dass die Männer der Opposition angehören, entgegnete er, dass er das nicht wisse. Auf Vorhalt, er habe zuvor gesagt, dass das Regime nicht dort gewesen sei, meinte er, es habe dort immer einen Machtwechsel gegeben; alle hätten Bärte getragen und lange Haare gehabt; die meisten seien vermummt gewesen.

Auf weitere Befragung durch den Beschwerdevertreter, ob es zutreffe, dass sie bei einem Checkpoint aufgehalten worden sei, weil sie nicht vollverschleiert gewesen sei, gab die Beschwerdeführerin an, dass dies zutreffe und zwei Mal der Fall gewesen sei; bei den Checkpoints des Regimes müsse man nicht verschleiert sein, bei den anderen Checkpoints dürfe man als Frau nicht alleine sein und müsse man vollverschleiert sein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur hier relevanten Situation in Syrien:

Aktuelle Lage:

Die syrische Regierung unter Präsident Bashar al-Assad hat mit der Unterstützung Russlands seit Jahresbeginn 2018 große Gebiete zurückerobert und kontrolliert nun etwa 60 Prozent des syrischen Staatsgebietes und zwölf von vierzehn Provinzen.

Nach der Offensive auf das Damaskus-Umland und insbesondere auf Ost-Ghouta zogen sich Ende Mai 2018 die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter Kontrolle der Regierung stehen.

Die gesamte Provinz Damaskus-Umgebung, in der ua. die Orte Keswa und Khan Alshih liegen, wird (wie schon zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung) von der syrischen Regierung kontrolliert.

Allgemeine Menschenrechtslage:

Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden.

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Gleichzeitig zeigt die Regierung außerdem wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien. Sie schikaniert und inhaftiert Mitglieder der Communist Union Party, der Communist Action Party, der Arab Social Union und islamistischer Parteien.

Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte.

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen. Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung.

Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen. Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb. Auch Rebellengruppen belagern Gebiete.

Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert.

Der IS ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, welche auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah ash-Sham [ehemals Jabhat al-Nusra] und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen.

Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt. Frauen erleben in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des IS entsprechend kleiden.

IS-Kämpfer sind für Exekutionen von gefangengenommenen Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffenden und verantwortlich. In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden.

Konsequenzen von Desertion und Wehrdienstverweigerung:

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.

Frauen:

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt.

In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab.

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen. In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzten soll. Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet.

Familienrecht, Personenstandsrecht, Ehe, Scheidung, Obsorge

Das laut syrischem Personenstandsgesetz heiratsfähige Alter ist bei Männern 18 Jahre und bei Frauen 17 Jahre. Eine Frau, die jünger als 17 Jahre ist, braucht die Zustimmung ihres gesetzlichen Vormundes. Bei einer Frau, die 17 Jahre oder älter ist, wird das Gericht den Vormund nach seiner Meinung fragen, kann die Frau jedoch auch gegen den Willen des Vormundes, aber mit Zustimmung des Gerichtes, verheiraten.

Ehen sollten in oder durch ein Gericht geschlossen werden. Ehen, die außerhalb des Gerichts geschlossen werden, können jedoch auch als gültig angesehen werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Diese Ehen werden oft als "traditionelle Ehen" oder "'urfi-Ehen" bezeichnet. 'Urfi-Ehen werden nicht immer registriert, es scheint sogar so, dass Personen 'urfi-Ehen nur dann registrieren, wenn es einen rechtlichen Grund dafür gibt, z.B. durch aus der Ehe entstandene Kinder. Andere Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder weil es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne dem Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein weiterer Grund ist, dass Männer, die in der Armee dienen, eine Genehmigung der Armee für eine Eheschließung benötigen. Ein Mann kann auch einer solchen Ehe zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben. Selbst wenn nicht alle Bedingungen erfüllt werden, tendieren Richter dazu 'urfi-Ehen zu registrieren, speziell wenn bereits Kinder in die Ehe geboren wurden. Wenn eine 'urfi-Ehe registriert ist, wird sie als rechtsgültige Ehe angesehen.

Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung und nicht das Datum der Registrierung. Da es auch möglich ist Kinder ex post facto zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe) und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut der Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht Esther van Eijk, Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das "echte Hochzeitsdatum" festlegt. Stellvertreterehen und die Registrierung einer Ehe durch einen Stellvertreter sind möglich, selbst wenn beide Ehepartner von einem Stellvertreter repräsentiert werden.

Sexuelle Gewalt und deren Folgen

Vergewaltigungen sind weit verbreitet und die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigungen gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder ein, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Es passieren auch Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten.

Frauen und Mädchen sind besonders im Kontext von Hausdurchsuchungen, an Checkpoints, in Haftanstalten, an Grenzübergängen und nach einer Entführung durch regierungstreue Einheiten von sexueller Gewalt betroffen, während Männer und Jungen vor allem während Verhören in Haftanstalten der Regierung von sexueller Gewalt betroffen sind.

Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden. Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird. Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden. Berichten von NGOs zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem starken Anstieg bei Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von Vergewaltigungen durch Regierungseinheiten und Ausbeutung durch den IS.

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten.

Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können. Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari'a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird.

Bewegungsfreiheit:

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generelle unsichere Lage im Land schränken stark die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport von lebensnotwendigen Gütern ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, welche von den Rebellen kontrolliert werden, und die Rebellen und der sogenannte Islamische Staat (IS) wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung kontrollierte Gebiete an. In Gebieten unter ihrer Kontrolle beschränken der IS und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung. Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen, oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern. Im Juni 2017 lebten in Syrien 540.000 Menschen unter Belagerung.

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten erheblich ein. Zusätzlich gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten. Frauen haben eine etwas größere Bewegungsfreiheit an Checkpoints - allerdings bei erhöhter Gefahr, Opfer von sexueller und physischer Gewalt durch die Kriegsparteien oder individuelle kriminelle Elemente zu werden. In Gebieten, welche vom IS kontrolliert werden, sind Frauen zahlreichen Beschränkungen ausgesetzt. Ihr Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und ihre Bewegungsfreiheit sind sehr stark eingeschränkt oder komplett untersagt. Der IS erlaubt Frauen nicht, ohne einen nahen männlichen Verwandten durch das von ihnen kontrollierte Gebiet zu reisen.

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schloss regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.

Aufgrund des Bürgerkrieges haben in Gebieten, welche von der Opposition kontrolliert werden, Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, aufgehört zu funktionieren. In Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen, oder sich neue Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt.

5,3 Millionen Menschen sind seit Beginn des Konfliktes aus Syrien geflohen. Seit Beginn des Jahres 2016 wurden erhöhte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit implementiert, sowohl innerhalb Syriens als auch in den Nachbarländern. Die Landgrenzen werden durch die Nachbarstaaten streng überwacht, und es gibt strikte Bedingungen für Einreisevisa, um in den Libanon oder die Türkei einreisen zu können. Grundsätzlich ist die türkische Grenze geschlossen, verletzte Flüchtlinge werden zur Behandlung jedoch in die Türkei gebracht. Im April 2017 stellte die Türkei den Bau einer Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze.

1.2. Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

1.2.1. Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige arabischer Abstammung, sunnitisch-muslimischen Glaubens, am XXXX geboren, und aus dem im Süden der Stadt Damaskus gelegenen Teil der Provinz Damaskus-Umgebung. Ihr Eltern, ihre vier Schwester sowie ihr Bruder halten sich weiterhin dort auf, und zwar im Ort XXXX . Die Beschwerdeführerin hat mit mindestens alle zwei Wochen mit ihnen Kontakt.

1.2.2. Die Beschwerdeführerin schloss XXXX im Alter von 13 Jahren mit XXXX die Ehe.

1.2.3. Die Beschwerdeführerin beantragte vor ihrer Ausreise aus Syrien einen syrischen Reisepass und es wurde ihr auch ein solcher ausgestellt und eine Ausreiseerlaubnis erteilt. Festgestellt wird, dass dafür kein Bestechungsgeld gezahlt wurde.

1.2.4. Die Beschwerdeführerin reiste XXXX 2015 problemlos unter Verwendung ihres Reisepasses auf dem Luftweg aus Syrien aus.

1.2.5. Die Beschwerdeführerin nahm nicht an Demonstrationen gegen die syrische Regierung oder anderen oppositionellen Aktivitäten teil.

1.2.6. Die Beschwerdeführerin gehört keiner als oppositionell bekannten Familie an.

1.2.7. Der Beschwerdeführerin droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien aufgrund (unterstellter) oppositioneller Gesinnung Repressalien ausgesetzt zu sein.

1.2.8. Der Beschwerdeführerin droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien aufgrund ihres Geschlechtes Verfolgungshandlungen von hier relevanter Intensität ausgesetzt zu sein.

1.2.9. Die Beschwerdeführerin wäre im Falle einer Rückkehr nach Syrien (auch sonst) nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen von hier relevanter Intensität ausgesetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Situation in Syrien stützen sich auf das aktuelle Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 25.01.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 24.08.2018) in Zusammenhang mit den angeführten UNHCR-Papier. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die der Entscheidung zu Grunde gelegten Länderberichte wurden den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht, welche die Richtigkeit der Berichte nicht in Abrede stellten.

Die Feststellung, wonach die gesamte Provinz Damaskus-Umgebung von der syrischen Regierung kontrolliert wird, ergibt sich aus der Einsichtnahme in die Syria Live Map (https://syria.liveuamap.com, Stand 05.04.2019).

2.2.1. Die unter Punkt 1.2.1 getroffenen Feststellungen basieren auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin.

2.2.2. Die unter Punkt 1.2.2. getroffenen Feststellung zur Eheschließung der Beschwerdeführerin mit XXXX stützt sich auf die vorgelegte Heiratsurkunde.

2.2.3. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführerin ein syrischer Reisepass ausgestellt sowie eine Ausreiseerlaubnis erteilt wurde und sie XXXX 2015 problemlos aus Syrien ausreisen konnte, ergibt sich aus ihrem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen in Verbindung mit dem vorgelegten Reisepass.

2.2.4. Die Feststellung, dass für die Ausstellung des Reisepasses und die Erteilung der Ausreiseerlaubnis kein Bestechungsgeld gezahlt wurde, basiert auf dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde Derartiges noch nicht vorgebracht hatte, obwohl sie gefragt worden war, ob es bei der Ausreise Probleme gegeben habe. Überdies hat ihr gesetzlicher Vertreter in dem unter Punkt I.4. dargestellten Schriftsatz zwar vorgebracht, XXXX sei unter Bestechung von Grenzbeamten aus Syrien ausgereist, nicht aber ein entsprechendes Vorbringen bezüglich den Umständen der Ausreise der Beschwerdeführerin erstattet.

2.2.5. Die unter Punkt 1.2.5. getroffene Feststellung stützt sich darauf, dass die Beschwerdeführerin weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren noch vor dem Bundesverwaltungsgericht Derartiges vorgebracht hat und auch keine sonstigen Hinweise auf derartige Aktivitäten der Beschwerdeführerin hervorgekommen sind.

2.2.6. Die unter Punkt 1.2.6. getroffene Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin keiner als oppositionell bekannten Familie angehört, basiert auf dem Umstand, dass ihr diesbezügliches, erst in der Beschwerdeverhandlung erstattetes Vorbringen unglaubwürdig ist:

Zum einen ist ihre Aussage, sie habe dies nicht schon vor der belangten Behörde angegeben, da sie nicht gewusst habe, dass ihre Familie eine oppositionelle Familie sei, nicht nachvollziehbar, da nicht angenommen werden kann, dass ihr dies nicht bereits durch die nunmehr behauptete Aussage am Checkpoint bewusst geworden ist. Zum anderen sprechen die Länderfeststellungen zur Praxis, welchen Personen von den syrischen Behörden ein Reisepass ausstellt oder aber verweigert wird, gegen die Annahme, die Herkunftsfamilie der Beschwerdeführerin sei als oppositionell bekannt.

2.2.7. Bezüglich der zu Punkt 1.2.7. getroffenen Feststellung, dass der Beschwerdeführerin nicht aufgrund (unterstellter) oppositioneller Gesinnung asylrelevante Verfolgung droht, ist zunächst auf die unter Punkt 1.2.3. bis 1.2.7 getroffenen Feststellungen zu verweisen.

Weiters kann Derartiges nicht in Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihr sei an einem Checkpoint der syrischen Regierung ihr als vorläufiger Ausweis dienender Antrag auf Ausstellung eines Personalausweises abgenommen worden: Denn zum einen ist ihr diesbezügliches Vorbringen jedenfalls hinsichtlich des Ortes, an dem dies gesehen sei (in XXXX oder aber bereits in Damaskus) widersprüchlich; zum anderen kann dies in Hinblick darauf, dass ihr von den syrischen Behörden danach ein Reisepass ausgestellt wurde - wiederum vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zur Passausstellung - nicht angenommen werden.

Gleiches gilt für das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihr drohe in Hinblick auf die den Umstand, dass sich XXXX dem Reservemilitärdienst entzogen habe, Verfolgung durch die syrischen Behörden: Zwar ist den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass auch Familien von Wehrdienstverweigerern mit Konsequenzen zu rechnen haben. Jedoch werden Familien von Wehrdienstverweigerern hauptsächlich dann unter Druck gesetzt, wenn der Wehrdienstverweigerer dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Wehrdienstverweigerer dazu zu bringen, sich zu stellen. Da sich XXXX aber in Österreich aufhält, fällt der Grund, etwa auf die Beschwerdeführerin Druck auszuüben, weg. Eine entsprechende Gefährdung der Beschwerdeführerin in Hinblick auf ihren Vater, der ihren Aussagen in der Beschwerdeverhandlung zufolge ebenfalls für die Ableistung des Reservemilitärdienstes gesucht wird, liegt schon deshalb nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vor, da sich zahlreiche andere Familienangehörige in XXXX und somit in einem Gebiet aufhalten, auf das die syrische Regierung Zugriff hat.

Sofern die Beschwerdeführerin meinte, sie wisse nicht, ob die Personen, die mit ihrer Entführung gedroht hätten, der Opposition oder der Regierung angehörten, legen einerseits die oben unter Punkt I.9. wiedergegebene Aussagen von XXXX stark nahe, dass es sich um Angehörige der islamistischen Opposition gehandelt hab. Zum anderen führte er in der in seinem eigenen Asylverfahren vor der belangten Behörde am XXXX .2017 durchgeführten Einvernahme in seinem eigenen Asylverfahren ausdrücklich an, "unbekannte bewaffnete Personen [hätten ihm sein] Auto weggenommen und [seien in sein] Haus eingebrochen und die Sachen gestohlen [und d]iese bewaffneten Gruppierungen [hätten] auch von [ihm] verlangt dass [er] für sie gegen die Regierungstruppen kämpfen soll" (vgl. Verwaltungsakt der belangten Behörde Zl. 1096812100 - 151876942).

2.2.8. Die unter Punkt 1.2.8. getroffene Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung aufgrund ihres Geschlechtes zu befürchten hätte, fußen auf folgenden Überlegungen: Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass Frauen in Syrien, wie sich auch aus den Länderfeststellungen ergibt, zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt sind und potentiell auch geschlechtsspezifischer Gewalt, ist aus den Schilderungen der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich, inwiefern aus diesen Berichten eine konkret sie betreffende Gefährdungslage abgeleitet werden soll. Die Länderfeststellungen gehen insbesondere von einer Gefährdung alleinstehender Frauen aus, jedoch ist die Beschwerdeführerin nicht als alleinstehend anzusehen, da ihre Eltern und Schwester sowie ihr Bruder weiterhin in XXXX leben und sie mit ihnen auch in Kontakt steht. Sofern die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung zunächst vorbrachte, die Lebensbedingung seien für Frauen in ganz Syrien - unabhängig davon, ob das Gebiet von der Regierung oder der (islamistischen) Opposition regiert werde, (gleich) schlecht, räumte sie am Ende der Verhandlung durch die Aussage, Frauen müssten an den Checkpoints der Regierung nicht verschleiert sein, während sie an den anderen Checkpoints nicht alleine sein dürften und vollverschleiert sein müssten, im Ergebnis ein, dass hier durchaus relevante Unterschiede bestehen. Festzuhalten ist weiters, dass sich aus der unter Punkt I.8. dargestellten "Psychotherapeutischen Stellungnahme" ergibt, dass in der Familie der Beschwerdeführerin keine Unterdrückung der Frau stattfinde.

2.2.9. Da weitere Anhaltspunkte für eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin nicht vorliegen, war festzustellen, dass die Gefahr einer solchen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 i. d.F. BGBl. I Nr. 70/2015, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf inter-nationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zu-rückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/-20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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