TE OGH 2019/3/4 12Os11/19p

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Veröffentlicht am 04.03.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2019 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rögner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas M***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und Z 5, 129 Abs 1 Z 1, Z 2 und Z 3, 130 Abs 2 zweiter Fall und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 38 Hv 40/18z des Landesgerichts Krems an der Donau, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien vom 17. Oktober 2018, AZ 130 Ns 31/18w, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller und der Verteidigerin Dr. Zeh-Gindl zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien vom 17. Oktober 2018, AZ 130 Ns 31/18w, verletzt § 43 Abs 1 Z 3 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt, dass der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Wien Dr. Krenn sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Wien Mag. Edwards und Mag. Sanda von der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 8. August 2018, GZ 38 Hv 40/18z-100, nicht ausgeschlossen sind.

Text

Gründe:

Soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Bedeutung wurde Thomas M***** mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13. März 2018 (ON 72) des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und Z 5, 129 Abs 1 Z 1, Z 2 und Z 3, 130 Abs 2 zweiter Fall und 15 StGB (I./) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II./) und des Betrugs nach § 146 StGB (III./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Aus Anlass der (allein aufrechterhaltenen) Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 86) hob der zuständige 21. Senat des Oberlandesgerichts Wien, dem der Senatspräsident Dr. Krenn sowie die Richterinnen Mag. Edwards und Mag. Sanda angehörten, dieses Urteil „in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrunds des § 281 Abs 1 Z 9 lit a iVm § 489 Abs 1 StPO“ wegen des Vorliegens von Rechtsfehlern mangels Feststellungen (vgl zu diesem Begriff Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605 ff) in den Schuldsprüchen I./ und III./, demgemäß im Strafausspruch und im Ausspruch über den Privatbeteiligtenanspruch auf und verwies die Sache in diesem Umfang zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wurde der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen (AZ 21 Bs 184/18i; ON 89).

Im zweiten Rechtsgang sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts Krems an der Donau Thomas M***** mit Urteil vom 8. August 2018 (ON 100) neuerlich anklagekonform schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe. Dagegen ergriff der Genannte Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe (ON 107), die dem Oberlandesgericht Wien mit Bericht vom 8. Oktober 2018 (ON 108) vorgelegt und über die bislang noch nicht entschieden wurde.

Mit Beschluss vom 17. Oktober 2018, AZ 130 Ns 31/18w, stellte der Präsident des Oberlandesgerichts Wien fest, dass Senatspräsident Dr. Krenn sowie die Richterinnen Mag. Edwards und Mag. Sanda „im Berufungsverfahren über die vom Erstangeklagten Thomas M***** erhobene Berufung (ON 107) ausgeschlossen“ seien.

Dazu führte er aus, dass die genannten Richter das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13. März 2018 (ON 72) in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 9 lit a [der Sache nach Z 10] StPO „großteils aufgehoben“ und „dabei“ „die Tatfrage mit Hinweis auf die Strafbarkeit des angelasteten Verhaltens indizierende Verfahrensergebnisse mit voller Kognitionsbefugnis [beurteilt] und […] beweiswürdigend Stellung bezogen“ hätten. Unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach an einer kassatorischen Entscheidung in Stattgebung einer zum Nachteil des Angeklagten ergriffenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld beteiligte Richter in einem weiteren Berufungsverfahren ausgeschlossen seien (RIS-Justiz RS0130814), greife eine Beschränkung auf zum Nachteil des Angeklagten ergriffene Schuldberufungen „zu kurz“. Denn der objektive Anschein der Voreingenommenheit könne durch jede Art beweiswürdigender Stellungnahme zur Tatfrage entstehen.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Schon aufgrund ihres Ausnahmecharakters, insbesondere aber mit Blick auf das Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) und zum Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG) erfordert die Wahrnehmung von Ausschließungsgründen (§ 43 StPO) eine strikte Auslegung dieser Norm, um die – neben der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit (Art 88 Abs 2 B-VG) – wesentlichsten Säulen der richterlichen Unabhängigkeit (Art 87 Abs 1 B-VG) nicht auszuhöhlen (vgl Lässig, WK-StPO Vor §§ 43–47 Rz 3).

Bei der Beurteilung der Frage, ob Richter eines Rechtsmittelgerichts nach Urteilsaufhebung im nachfolgenden Rechtsgang im Sinn der (hier einzig in Betracht kommenden) Bestimmung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO ausgeschlossen sind, ist – einzelfallbezogen sowie unter Berücksichtigung des äußeren Anscheins – entscheidend, ob Umstände vorliegen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an deren unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung wecken könnten. Solche Umstände können sich auch aus der Vorbefasstheit von Richtern eines Rechtsmittelgerichts in der Schuldfrage ergeben (vgl zum Ganzen Lässig, WK-StPO § 43 Rz 13 ff und 31a mwN).

Gegenständlich aber hatte das Oberlandesgericht Wien im ersten Rechtsgang die Tatfrage im Rahmen der Strafberufung des Angeklagten Thomas M***** entgegen der Ausführungen im angefochtenen Beschluss weder „in voller Kognitionsbefugnis“ zu beurteilen, noch bezog es in den Entscheidungsgründen hiezu beweiswürdigend Stellung. Vielmehr ging es bei seiner Rechtskontrolle ausschließlich von den im Ersturteil getroffenen Sachverhaltsannahmen aus, ohne die Verfahrensergebnisse eigenständig zu bewerten.

Gründe, die geeignet wären, im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Wien Dr. Krenn sowie der Richterinnen Mag. Edwards und Mag. Sanda im zweiten Rechtsgang in Zweifel zu ziehen, liegen daher entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung nicht vor.

Da ein Nachteil für den Angeklagten durch diese Gesetzesverletzung mit Blick auf dessen verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf den gesetzlichen Richter nicht ausgeschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0053573 [T1]), war deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung wie aus dem Spruch ersichtlich zu verknüpfen.

Textnummer

E124328

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00011.19P.0304.000

Im RIS seit

20.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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