TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/27 W182 1266111-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.12.2018
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Entscheidungsdatum

27.12.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch

W182 1266111-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Paul Delazer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2018, Zl. 13-319938302/170790017, gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf 4 Jahre herabgesetzt wird.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. I Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste im Dezember 2004 im Alter von 13 Jahren illegal mit seiner Mutter und Schwester illegal ins Bundesgebiet ein und wurde für ihn am 13.12.2004 ein Asylantrag gestellt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.10.2015, wurde der Antrage gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl I Nr. 76/1997, abgewiesen (Spruchpunkt I.), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.), und der BF gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23.09.2011, Zl. D10 266111-0/2008/33E, wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. stattgegeben und festgestellt, dass die Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 AsylG auf Dauer unzulässig sei. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. wurden zurückgezogen.

2.1. Mit einem im Jänner 2009 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu € 2,-

verurteilt.

Mit einem im Juni 2009 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen Raufhandels gemäß § 91 Abs. 2 StGB unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je € 2,- verurteilt.

Mit einem im Jänner 2010 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 15, 127 und 129 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je € 2,- verurteilt.

Mit einem im Oktober 2010 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren zu einer bedingten Freiheitstrafe von 4 Monaten verurteilt.

Mit einem Dezember 2010 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen Körperverletzung und des unbefugten Besitzes von Waffen gemäß §§ 15 und 83 Abs. 1 StGB sowie § 50 Abs. 1 Z 1 WaffenG zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je € 2,- verurteilt.

Mit einem im Juni 2012 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Bezirksgerichtes wurde der BF wegen Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je € 4,- verurteilt.

Mit einem im März 2013 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Landesgerichtes wurde der BF wegen Körperverletzung, schwerer Körperverletzung und Verleumdung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Der BF hatte dem Urteil zufolge im März 2012 u.a. einer Person im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer zweiten Person multiple Prellungen und Abschürfungen zugefügt, sowie im August 2012 eine Person vorsätzlich am Körper verletzt und dabei dieser u.a. eine XXXX sowie eine XXXX, XXXX, ein XXXX, eine XXXX sowie eine XXXX zugefügt. Dem BF wurde u.a. Strafaufschub bis April 2014 gewährt, die Bewährungshilfe angeordnet sowie als Weisung die Fortsetzung einer Antiaggressionstherapie beim Verein "XXXX" angeordnet.

Der BF befand sich vom 09.05.2014 bis zu seiner bedingten Entlassung im Juli 2014 in Justizhaft.

Mit einem im Juli 2016 in Rechtskraft erwachsenen Urteil eines Bezirksgerichtes wurde der BF wegen des unbefugten Besitzes von Waffen und unerlaubten Umgang mit Suchtgift gemäß § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG sowie §§ 27 Abs. 1 Z 1 1., 2. und 8. Fall SMG unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.

2.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes von März 2017 wurde der BF wegen des Verbrechens der teilweise versuchten schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 4, Abs. 5 Z 2, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Mit Beschluss wurde die bedingte Entlassung zu dem Urteil vom März 2013, sowie die bedingte Strafnachsicht zu dem Urteil des Bezirksgerichtes vom Juli 2016 widerrufen, wobei angeordnet wurde, dass die Freiheitsstrafen zu vollziehen seien. Einer Berufung und Beschwerde des BF wurde mit Urteil eines Oberlandesgerichtes vom September 2017 nicht Folge gegeben. Der Verurteilung lag die zwingende Unterstellung zugrunde, dass der BF eines Abends im XXXX 2016 sich mit 2 Mittätern zu dem einzigen Zweck zusammengetan hat, unbeteiligte Personen anzupöbeln, um in weiterer Folge in verabredeter Verbindung Körperverletzungen an diesen zu begehen. So haben sie zwei andere Personen angeschrien und u.a. als "XXXX" bezeichnet, wobei sie dann auf die eine Person mit Faustschlägen losgegangen sind und einer von ihnen der anderen Person, die versucht hat die Situation zu beruhigen, durch Schläge eine XXXX zugefügt hat. Der BF hat am selben Abend unabhängig davon eine weitere Person, die sich lediglich auf seinen Zuruf hin umgedreht hat, völlig unvermittelt und ohne Grund mit der Faust ins Gesicht geschlagen, wobei der Schlag zur XXXX und XXXX geführt hat. Als mildernd wurde vom Oberlandesgericht lediglich der teilweise Versuch, als erschwerend 5 zählbare einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen von 3 Verbrechen sowie (zusätzlich zu den im Ersturteil angeführten Erschwerungsgründen) der rasche Rückfall nach der Verurteilung durch ein Bezirksgericht gewertet. Hinsichtlich des BF sei die unbedingte Freiheitsstrafe zu verhängen gewesen, zumal sein hohes Aggressionspotential dies spezialpräventiv erforderlich mache. Auch generalpräventiv seien bei derartigen aggressionsbedingten Körperverletzungen an unbeteiligten Dritten strenge Strafen zu verhängen. Vorallem aufgrund der Vorstrafen des BF sei bei ihm spezialpräventiv die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe nötig. Aus demselben Grund habe auch der Widerruf der bedingten Strafnachsicht und der bedingten Entlassung ausgesprochen werden müssen, zumal dem BF deutlich vor Augen zu führen sei, dass ein derartiges Verhalten nicht toleriert werde.

3.1. Zuvor hatte der BF am 26.09.2016 einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, bei einem Stadtmagistrat gestellt.

Am 10.11.2016 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom Stadtmagistrat um Prüfung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gemäß § 25 NAG gebeten.

Am 04.07.2017 wurde dem BF seitens des Bundesamtes Parteiengehör gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur geplanten Maßnahme der Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot samt Fragenkatalog eingeräumt.

In einer Stellungnahme durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF vom 24.07.2017 wurde dazu im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF sämtliche Straftaten als Jugendlicher bzw. als junger Erwachsener gesetzt habe, wobei diese auf ein gewisses Aggressionspotenzial zurückzuführen seien, dass der BF in frühester Kindheit erworben habe, da sein leiblicher Vater häufig betrunken gewesen sei, Drogen konsumiert habe und in diesem Zustand den BF häufig geschlagen habe. Er habe schließlich beobachten müssen, wie sein Vater seine Mutter angeschossen und auf eine seiner Freundinnen eingestochen habe. Diese frühkindlichen Erlebnisse müsse der BF teils mit fachmännischer Unterstützung be- bzw. verarbeiten. Der BF habe sich bereits mehrfach verschiedener Therapien unterzogen und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Allerdings müsse er zugestehen, weitere Unterstützung zu brauchen, insbesondere vom Verein XXXX, bei dem er Strategien erlernen könne, eine aufkeimende Aggression abzulenken. Aufgrund seines Alters könne ihm auch eine gute Prognose ausgestellt werden. Der BF sei in Österreich nämlich auch gut integriert, verfüge über den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-Plus", deren Verlängerung er vor Ablauf beantragt habe, sodass er weiterhin rechtmäßig aufhältig sei. Er habe eine Beschäftigung als Fliesenleger gefunden, wobei man mit ihm voll zufrieden sei. Er besuche Fortbildungskurse, da er nämlich neben der Arbeit die Berufsreifeprüfung ablegen wolle, obwohl er bereits eine Ausbildung zum Restaurantfachmann abgeschlossen habe. Er lebe derzeit in einer Wohngemeinschaft, durchaus ortsüblich. Er habe einen guten Kontakt mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern, die ebenfalls in XXXX leben würden, aber auch zu seinem Stiefvater, der immer wieder ein guter Ansprechpartner für ihn sei. Während seiner letzten Haft sei der BF Freigänger gewesen, sodass er seiner Arbeit nachgehen habe können, weil er offenbar als nicht gefährlich eingestuft worden sei. Er besuche derzeit wieder Therapiestunden beim bereits genannten Verein und sei sich sicher, dass er seine Aggressivität soweit in den Griff bekomme, dass es in Hinkunft zu keiner gerichtlichen Verurteilung mehr komme.

Mit einer Mitteilung eines Stadtmagistrates vom 17.10.2018 wurde der BF neuerlich darauf hingewiesen, dass das Bundesamt mit der Prüfung der Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beauftragt worden sei und eine Erlassung einer Rückkehrentscheidung eventuell mit Einreiseverbot aufgrund der wiederholten Straffälligkeiten des BF durchführbar erscheine. Der Bescheid werde auf der Grundlage des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens erlassen, wenn die Stellungnahme des BF nichts anderes erfordere. Der BF könne innerhalb von zwei Wochen zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens schriftlich oder mündlich Stellung nehmen. Das Verfahren werde ohne weitere Anhörung abgeschlossen, wenn nicht innerhalb der angeführten Frist eine Stellungnahme einlange.

In einer Stellungnahme durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF vom 29.10.2018 wurde dazu im Wesentlichen wie in der Stellungnahme vom 24.07.2017 vorgebracht. Darüber hinaus wurde angeführt, dass die letzte Verurteilung des BF vom März 2017, später bestätigt durch das Oberlandesgericht, zu einer Haftstrafe von 18 Monaten geführt habe. Weil der BF eine Arbeit habe, sei ihm die Möglichkeit der Fußfessel, statt des Aufenthaltes in der Justizanstalt erlaubt worden. Seit 9 Monaten lebe der BF also in XXXX mit seiner Fußfessel, arbeite bei einer Firma als gelernter Restaurantfachmann und werde dort wegen seiner vorbildlichen Leistungen gelobt. Der BF habe erkannt, dass er sein Leben ändern müsse und habe sich wegen seines Alkoholproblems an eine Beratungsstelle sowie wegen eines Gewaltproblems an den Verein XXXX gewandt. Seit er diese beiden Beratungen in Anspruch nehme, sei er auf einen guten und richtigen Weg. Er habe regelmäßige Termine, wobei er nicht nur beraten, sondern auch kontrolliert werde. Seit April 2018 hätten die durchgeführten Alkomat-Testungen jeweils ein Ergebnis von 0,0 Promille erbracht. Beim genannten Verein werde mit dem BF wegen seiner Gewaltbereitschaft gearbeitet, er sei bisher nicht rückfällig geworden. Tatsächlich scheine er sein Leben in den Griff bekommen zu haben. Er könne sich berechtigte Hoffnungen machen, dass seine Strafe nach zwei Drittel der Zeit bedingt nachgesehen werde, dass er also in etwa drei Monaten die Fußfessel abnehmen dürfe, weil er dann 12 Monate verbüßt habe. Wenn man nun sehe, dass der BF in etwa die zweite Hälfte seines bisherigen Lebens - sogar etwas mehr - in Österreich verbracht habe und dass nun die Maßnahmen zu greifen beginnen würden, dann ergebe die Interessenabwägung ein Übergewicht bei seinen privaten Interessen.

Dazu wurde eine Bestätigung des Vereins XXXX vom 23.10.2018 beigelegt, in der bestätigt wird, dass der BF vereinbarungsgemäß die ambulante Alkoholberatung in Anspruch nehme und alle durchgeführten Alkomat-Testungen 0,0 Promille ergeben würden. Weiters wurde eine Bestätigung eines Gastronomieunternehmens beigelegt, wonach der BF seit März 2018 im Unternehmen beschäftigt sei und man mit seiner Leistung sehr zufrieden sei. Der BF habe in diesen Gastronomieunternehmen bereits seine Lehre absolviert.

3.2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 13.11.2018 wurde gemäß § 52 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt V.). Dazu wurde u.a. festgestellt, dass der BF, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, seit Dezember 2004 in Österreich aufhältig sei, nicht verheiratet sei und keine Kinder habe. Seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder würden seit etwa fünf Jahren in XXXX leben. Der BF sei seit September 2015 in XXXXgemeldet, wo er mit zwei Mitbewohnern eine Mietwohnung angemietet habe. Der BF verfüge über einen russischen Reisepass mit Gültigkeit bis Juli 2027. Seine Muttersprache sei Russisch, er beherrsche Deutsch und Englisch auf dem seiner Schulausbildung entsprechenden Niveau. Er habe den Lehrberuf Restaurantfachmann positiv abgeschlossen. Er sei bei einem Gastronomie-Unternehmen, wo er auch schon seine Lehre absolviert habe, beschäftigt. Er sei gesund. Er halte sich derzeit rechtmäßig im Bundesgebiet auf, da ihm im Oktober 2011 erstmals der Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte-Plus erteilt worden sei und er im Juni 2016 um Verlängerung dieses Aufenthaltstitels angesucht habe. Er sei von österreichischen Gerichten neunmal rechtskräftig verurteilt worden, wobei die Verurteilungen in weiterer Folge - wie bereits unter Punkt I.2. - angeführt wurden. In der "KPA Auskunft" würden zu seiner Person 17 Eintragungen von verschiedenen Polizeidienststellen aufscheinen. Er sei seit 08.03.2018 in Haft, welche in Form des "EüH" unter Auflagen vollzogen werde. Der BF stelle aufgrund seines bisherigen Verhaltens eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Aufgrund der wiederholten Tatbegehung in strafrechtlicher Hinsicht sei der BF nicht gewillt, die österreichischen Gesetze zu akzeptieren und sich danach zu richten. Dies stehe klar im Widerspruch zum Recht der österreichischen Bevölkerung auf ein sicheres und geordnetes Leben. Der BF gefährde die Grundinteressen der Bevölkerung, daher stelle die Behörde bezugnehmend auf § 53 Abs. 3 FPG fest, dass ein Einreiseverbot in der Dauer von 10 Jahren angemessen erscheine.

Zur aktuellen Situation in der Russische Föderation bzw. in Tschetschenien/Dagestan wurden entsprechende Länderfeststellungen getroffen.

In einer Interessenabwägung wurden dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten mehr Gewicht eingeräumt als den privaten Interessen des BF. Dazu wurde u.a. ausgeführt, dass der BF 13 Jahre in der Russischen Föderation verbracht habe und dort als Kind sozialisiert worden sei, zur Schule gegangen sei und sicher noch mit einigen der Gepflogenheiten, jedenfalls aber mit der Sprache vertraut sei. Aufgrund seiner Ausbildung und seiner Sprachkenntnisse drohe dem BF in der Russischen Föderation keine existenzgefährdende Notlage und werde ihm auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen, vielmehr sei in seinem Fall davon auszugehen, dass ihm eine Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft zumutbar wäre. Es sei in seinem Fall auch nicht davon auszugehen, dass ihm bei der Rückkehr in die Russische Föderation eine asylrelevante Verfolgung drohe. Der BF habe zwar unbestritten Familienangehörige in Österreich, es liege in seinem Fall jedoch kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vor, da er seit ca. 5 Jahren nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit den Familienangehörigen lebe und kein Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen bestehen würde. Er verfüge zweifelsfrei über ein Privatleben in Österreich, aufgrund seiner massiven strafrechtlichen Verfehlungen und dargelegten negativen Zukunftsprognose wiege in einer Gesamtabwägung das öffentliche Interesse der demokratischen Gesellschaft an der Verhinderung von Straftaten sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit jedenfalls schwerer als sein Interesse am Verbleib in Österreich. Es seien weder aus den Länderfeststellungen noch sonst Hinweise für eine Gefährdung des BF im Herkunftsland im Sinne von § 50 FPG hervorgekommen. Bezüglich des Einreiseverbots wurde aufgrund der wiederholten einschlägigen Straftaten sowie der damit verbundenen erheblichen Rückfälligkeit des BF davon ausgegangen, dass er - trotz derzeitig vorgeschriebener Therapien - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Da der Verbleib des BF in Österreich eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, sei seine sofortige Ausreise erforderlich und sei daher auch die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs. 2 BFA-VG abzuerkennen gewesen.

4. Gegen den Bescheid wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Dazu wurde ausgeführt, dass der BF eine schwierige Jugend mit dem alkoholkranken und äußerst gewalttätigen Vater erlebt habe und erst der Vollzug der letzten Strafe, insbesondere in Verbindung mit den Auflagen, beim BF nun tatsächlich eine Einstellungs- und Verhaltensänderung bewirkt habe. So seien die Straftaten des BF unter starkem Alkoholeinfluss begangen worden, was ganz offenbar einem Verhaltensmuster entsprochen habe, das er von seinem Vater gelernt habe. Die vollkommene Alkoholabstinenz, die in kurzen Abständen regelmäßig überprüft werde, habe bereits bewirkt, dass der BF in der Lage sei, sein früheres Verhalten zu reflektieren, was zur Einsichtsänderung geführt habe. Zusammen mit dem VereinXXXX lerne der BF auch Verhaltensmuster ein, wie er eine Konfliktsituation ohne Aggressivität bewältigen bzw. sich rechtzeitig der Konfliktsituation entziehen könne. Die Kombination dieser beiden Therapien (Alkoholentzug und Gewaltbeherrschung) sei bis jetzt schon sehr erfolgreich. Dabei sei der BF ein sehr umgänglicher und verständnisreicher Mensch geworden, der insbesondere an seinem Arbeitsplatz besonderen Fleiß, Einsatzbereitschaft und Kollegialität zeige. Dazu wurde auf eine Bestätigung des Arbeitgebers, des genannten Vereins sowie des Vereins XXXX verwiesen. Es habe den Anschein, dass die zuletzt ausgesprochene Strafe zusammen mit den Auflagen spezialpräventive Wirkung dadurch zeige, dass der BF seine Einstellung und sein Verhalten ändern habe können. Insbesondere habe er freiwillig eine Psychotherapie begonnen, die ihm die Augen geöffnet habe. Tatsächlich habe er nun seit mehr als zwei Jahren keine Straftaten begangen, sodass es auch schon gerechtfertigt sei, von einer gewissen Festigung zu sprechen. Der Psychotherapeut spreche von einer erheblichen Veränderung der Persönlichkeit und bestätige, dass der BF die Strafsanktionen sogar als gerecht und schlussendlich sogar als hilfreich ansehen habe können. Da die Haftstrafe der Fußfesseln noch etwa ein halbes Jahr dauern werde, habe der BF also noch weiter Zeit und Gelegenheit, sein neues Verhalten weiter zu stärken und zu festigen. Solcherart stelle er freilich keine Gefahr mehr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit dar. Dass 9 strafgerichtliche Verurteilungen ein gewisses öffentliches Interesse an der Beendigung des Aufenthalts bewirken könnten, stehe außer Streit. Hierbei seien aber auch die privaten und familiären Interessen des BF zu berücksichtigen. So habe der BF einen wesentlichen Teil seines Lebens und seiner Ausbildung in Österreich zugebracht und sei auch sozial gut integriert. Er spreche akzentfreies Deutsch, habe eine Lehre abgeschlossen, könne einen Beruf ausüben und habe ein Auftreten, das ihm nicht von einem Österreicher unterscheide. Insofern sei er also gut integriert, wie es besser nicht gehe. Er sei nicht verheiratet, habe auch keine Kinder. Trotzdem habe er ein Familienleben, weil er nach wie vor eine enge Beziehung zu seiner Mutter und seinen Geschwistern pflege, auch wenn diese aufgrund der äußeren Umstände (Haft mit Fußfessel) räumlich getrennt sei. Selbstverständlich greife die Rückkehrentscheidung auch in das Familienleben ein, wenn der BF seine Mutter und eine Schwester nicht ohne weiteres besuchen könne. Auch wenn kein Abhängigkeitsverhältnis mehr zur Mutter bestehe, bleibe doch eine enge Bindung. Im gleichen Maße, wie sich das Abhängigkeitsverhältnis zur Mutter vermindert habe, haben sich aber Bindungen an andere Personen erhöht. Der BF habe einen österreichischen Freundeskreis, ein österreichisches Umfeld, österreichische Arbeitskollegen. Im Gegensatz dazu verbinde ihn mit Russland nichts mehr. Er kenne dort niemanden mehr, habe dort weder Familie noch Freunde und schon gar keinen Arbeitsplatz, sodass nicht von vorn rein angenommen werden könne, dass er sich dort im weiteren Leben zurechtfinden werde. Gravierend sei auch, dass er die begonnene Therapie abbrechen müsste, wobei keineswegs gesichert sei, dass er diese in ähnlicher Weise in Russland fortsetzen könne. Gerade die Ungewissheit, die begonnenen Therapien in der Russischen Föderation unter Umständen nicht fortsetzen zu können, lasse die Annahme des Bundesamtes, dass ihm eine Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft zumutbar und möglich wäre, höchst ungewiss erscheinen. Dem BF würden aber noch einige Monate zur Verfügung stehen, um den in der Therapie begonnenen Weg weiter zu festigen, sodass am Ende erwartbar eine gefestigte Persönlichkeit stehe, die fern von Alkohol und Aggressivität mit dem Strafgesetz nicht mehr in Konflikt kommen werde. In diesem Zusammenhang werde auf ein beiliegendes Gutachten eines Sachverständigen verwiesen, der dem BF eine gute Prognose ausstelle. Hinsichtlich des Einreiseverbotes des BF wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund der vollzogenen Strafe, aufgrund der Therapien und den dadurch bewirkten Persönlichkeitswandel vom BF keine Gefahr mehr ausgehe, sodass die Erlassung eines Einreiseverbotes nicht geboten und unzulässig sei. Dazu wurde u.a. die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Die beigelegte, vom rechtsfreundlichen Vertreter angefragte kriminologische Stellungnahme eines namentlich genannten Psychologen, Soziologen, Kriminologen, Psychotherapeuten und Juristen vom 04.12.2018 stützt sich im Wesentlichen auf einen Akt (Unterlagen bezüglich Strafakten, Fremdenpolizei) und eine persönliche Befragung des BF im Ausmaß von 5 Stunden am 29. und 30.11.2018. Darin wird im Ergebnis ausgeführt, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der BF eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, dass die bisherigen Sanktionen, Therapien, und das Gewalttraining sehr wahrscheinlich eine normkonforme Änderung der Persönlichkeit des BF bewirkt hätten, wobei die Kriminalprognose aus aktueller Sicht eher wahrscheinlich positiv zu beurteilen sei. Aus der Stellungnahme geht unter anderem hervor, dass der BF vom 13. bis zum 15. Lebensjahr in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Hinsichtlich des BF wurden Alkoholmissbrauch und - nicht weiter dargelegt - eine posttraumatische Belastungsstörung angeführt. Zum Alkoholproblem wurde ausgeführt, dass der BF laut eigenen Angaben während der Woche nie Alkohol, sondern nur beim Ausgehen konsumiert habe, wobei er unter entsprechender Menge Alkohol einen Kontrollverlust wahrgenommen habe. Andere Drogen habe er nie konsumiert. Der letzte Alkoholkonsum wäre am 31.12.2017 gewesen. Laut eigenen Angaben habe der BF sämtliche Straftaten im angetrunkenen bzw. berauschten Zustand begangen. Der BF hätte laut eigenen Angaben nie auf wehrlose Personen eingeschlagen, das hätte er nicht mit seiner Lebenseinstellung vereinbaren können, selbst wenn er noch so angetrunken gewesen sei. Ob er "präventiv" zugeschlagen habe, um selbst nicht Opfer zu werden, habe der BF bejaht, allerdings sei ihm das damals so nicht bewusst gewesen. Über seine Einstellung zu Gewalt habe er ernsthaft erst seit ca. einem Jahr nachzudenken begonnen. Gewalt sei stets fixer Bestandteil seines Lebens gewesen. Nicht nur die Gewalt, die er von seinem Vater erfahren habe, sondern auch die Alltagsgewalt in Dagestan, die er sozialisationsbedingt nicht hinterfragt habe, da diese von ihm als normal empfunden worden sei, weil er ja sonst nichts gekannt habe. Dort, wo er herkomme, werde bei Konflikten nicht lange diskutiert, sondern diene Gewalt als Kommunikationsmittel. Aus heutiger Sicht sei es dem BF klar, dass Gewalt kein geeignetes Mittel zur Lösung von Konflikten sei. Sein Vater sei alkoholkrank, brutal, gewalttätig und in seinen Handlungen unberechenbar gewesen. Es sei an der Tagesordnung gewesen, dass der BF vom Vater körperlich und psychisch schwer misshandelt worden sei. Das Schlimme daran wäre gewesen, dass die Misshandlungen für ihn nicht voraussehbar gewesen seien, und er sich dadurch stets in Alarmbereitschaft versetzt habe, um auf die nächste Prügelattacke vorbereitet zu sein, weshalb er permanent physisch und psychisch angespannt gewesen sei. Die Frage, ob die über ihn verhängten Strafen gerecht seien, sei vom BF ansatzlos bejaht worden. Zur bisherigen Therapie wurde ausgeführt, dass der BF außer der ca. zweijährigen bereits genannten Psychotherapie sich nunmehr seit April 2018 regelmäßig bei einem Verein einer Alkoholberatung und entsprechenden Therapie unterziehe, sowie bei einem weiteren Verein ein Anti-Gewalttraining besuche. Nach Wegfall der Fußfessel plane der BF nach XXXX zu seiner Mutter zu übersiedeln. Bei dem BF handle es sich um einen Repräsentanten der Gewaltkriminalität mit klassischen Ursachen (Gewalt zwischen den Eltern, Gewaltausübung der Eltern gegenüber Kindern, gewaltakzeptierende Wertehaltung). Von Bedeutung sei die erziehungsbedingte, erhöhte Basiserregung des BF im Sinne einer besonders ausgeprägten Angst vor Verletzung der eigenen körperlichen Integrität. Diese in der Folge angstbesetzten Erlebnisse habe der BF wiederholt unvorbereitet und unvorhergesehen durch die Gewaltanwendung seines Vaters in der Kindheit und Jugend über sich ergehen lassen. Für den äußeren Beobachter würde das Zuschlagen als aggressive Tathandlung bewertet werden, psychisch betrachtet erfolge die Gewaltanwendung nicht aus Lust oder Frustration seinem Kontrahenten gegenüber, sondern als Präventivhandlung, da die Angst selbst verletzt zu werden, seelisch nicht aushaltbar sei. Diese Gruppe von Gewalttätern, die meist über traumatisierende Lebensereignisse verfügen, würden sich wesentlich von Gewalttätern mit einer dissozialen oder narzisstischen Persönlichkeitsstörung unterscheiden. Letztere seien erst in langen Therapien in ihrem Verhalten veränderbar, und verfügen kaum über eine Einsicht für die Therapienotwendigkeit.

In einem beigelegten Schreiben des Vereins XXXX vom 12.11.2018 wird bestätigt, dass der BF am XXXX, XXXX, XXXX und XXXX Beratungstermine der Männerberatung in Anspruch genommen habe.

5. Der BF befindet sich seit 01.02.2018 in Justizhaft, wobei er die Haftstrafe seit 08.03.2018 unter elektronisch überwachten Hausarrest verbringt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zur Person des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und verfügt über einen bis Juli 2027 gültigen russischen Reisepass. Er reiste im Dezember 2004 im Alter von 13 Jahren illegal ins Bundesgebiet ein, wobei für ihn am 13.12.2004 ein Asylantrag gestellt wurde.

Das Asylverfahren wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23.09.2011 beendet, wobei im Ergebnis festgestellt wurde, dass die Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 AsylG 2005 auf Dauer unzulässig sei. Im Oktober 2011 wurde dem BF erstmals der Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte-Plus erteilt.

Der BF hat am 26.09.2016 einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels nach dem NAG gestellt.

Der BF ist ledig und kinderlos. Seine Mutter sowie zwei Geschwister wohnen seit etwa 5 Jahren in XXXX. Der BF ist seit 2011 in XXXX gemeldet und wohnt in einer Wohngemeinschaft mit zwei Mitbewohnern.

Der BF spricht Russisch, Deutsch und Englisch. Er hat in Österreich den Lehrberuf Restaurantfachmann positiv absolviert. Er hat im Herkunftsland und in Österreich die Schule besucht.

Der BF leidet an keiner schwerwiegenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Der BF wurde seit Anfang 2009 9 Mal rechtskräftig durch Gerichte wegen einschlägiger Vergehen und Verbrechen zu Geld- und Haftstrafen rechtskräftig verurteilt. Zuletzt wurde er mit Urteil eines Landesgerichtes von März 2017 wegen des Verbrechens der teilweise versuchten, teilweise vollendeten schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 4, Abs. 5 Z 2, 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lagen Straftaten, die im XXXX 2016 vom BF begangen wurden, zugrunde.

Der BF befindet sich seit 01.02.2018 in Justizhaft, wobei er die Haftstrafe seit 08.03.2018 unter elektronisch überwachten Hausarrest verbringt. Er geht aktuell einer Beschäftigung in seinem erlernten Beruf bei einem Gastronomieunternehmen nach. Der BF befand sich bereits zuvor im Jahr 2014 in Justizhaft.

Der BF hat nachweislich seit Juli 2018 an vier Tagen Beratungstermine der Männerberatung eines entsprechenden Vereins in Zusammenhang mit Aggressionsabbau besucht. Weiters nimmt er die ambulante Alkoholberatung bei einem entsprechenden Verein in Anspruch.

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, wonach der BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland der Folter, einer unmenschlichen Bestrafung oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist, konnte nicht festgestellt werden.

Im Übrigen wird der Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

2. Zur allgemeinen Situation in der Russischen Föderation werden folgende - dem angefochtenen Bescheid entnommene - Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-

Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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