TE OGH 2018/12/11 11Os111/18k

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Veröffentlicht am 11.12.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Kontr. Ziegler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jan Z***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juli 2018, GZ 31 Hv 49/18b-23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jan Z***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht.

Danach hat er am 29. April 2018 in Wien durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) und unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Messers mit einer Klingenlänge von etwa 13 cm, Katharina G***** Bargeld in unbekannter Höhe mit dem Vorsatz, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abzunötigen versucht, indem er mit dem Messer in der Hand die Übergabe von Bargeld forderte, wobei er von Passanten an der Vollendung der Tat gehindert wurde.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung meldete der Angeklagte nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, wobei er weder Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichnete noch erklärte, ob sich die Berufung gegen die Strafe oder die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB richtet (ON 22 S 13).

Die Urteilsausfertigung wurde der Wahlverteidigerin am 12. Juli 2018 zur Rechtsmittelausführung (ON 1 S 12) zugestellt.

Da die vom Vorsitzenden des Schöffengerichts angeordnete gleichzeitige Zustellung der Ausfertigung des Protokolls der Hauptverhandlung (vgl § 271 Abs 6 letzter Satz StPO) zunächst unterblieb, verfügte er neuerlich die (am 8. August 2018 erfolgt) Zustellung des Protokolls an die Wahlverteidigerin (ON 1 S 13).

Mit am 10. August 2018 eingebrachtem Schriftsatz vom 9. August 2018 teilte die Wahlverteidigerin mit, „dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst ist“ (ON 27).

In einem Amtsvermerk vom 10. August 2018 hielt der Vorsitzende fest: „Da HV-Protokoll irrtümlich […] nicht mit Urteil zugestellt wurde, hat RM-Frist noch nicht zu laufen begonnen (WK-StPO Rz 40 zu § 271 StPO)“. Er beschloss die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 61 Abs 2 StPO und verfügte die Zustellung des Urteils und des Hauptverhandlungsprotokolls „an Vert sobald bekannt zur RM-Ausführung“ (ON 27 S 1).

Der Verfahrenshilfeverteidigerin (ON 28) wurden das Urteil und das Hauptverhandlungsprotokoll am 17. August 2018 zugestellt. Sie brachte am 6. September 2018 eine auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit b und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde und eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ein (ON 29).

Rechtliche Beurteilung

Nach Anmeldung einer Nichtigkeitsbeschwerde oder einer Berufung hat der Beschwerdeführer das Recht, (außer im Fall des § 285 Abs 2 [§ 294 Abs 2 dritter Satz] StPO) binnen vier Wochen nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung seiner Beschwerdegründe beim Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 erster Satz, § 294 Abs 2 zweiter Satz StPO); auf die von § 271 Abs 6 letzter Satz StPO verlangte Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls kommt es dabei nicht an. Vielmehr beeinflusst es den Lauf der Rechtsmittelfrist nicht, wenn einem Angeklagten oder seinem Verteidiger entgegen der Anordnung des § 271 Abs 6 letzter Satz StPO das Protokoll der Hauptverhandlung nicht spätestens zugleich mit der Ausfertigung des Urteils zugestellt wird (11 Os 19/09t, SSt 2009/22; RIS-Justiz RS0124686, RS0124905; Ratz, WK-StPO § 285 Rz 2, 4; Fabrizy, StPO13 § 285 Rz 3; aM Danek, WK-StPO § 271 Rz 40).

Nach fristauslösender Zustellung an den Verteidiger bewirkt auch weder eine Auflösung des Vollmachtsverhältnisses noch – weil die Bestimmung des § 63 Abs 1 StPO nur außerhalb des Regelungsbereichs des § 63 Abs 2 StPO gilt (jüngst 13 Os 142/17g; Soyer/Schumann WK-StPO § 63 Rz 8) – die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (hier zudem nach Fristablauf) noch ein explizites Ausführungsverbot (§ 63 Abs 2 letzter Halbsatz StPO) eine Änderung des Fristenlaufs (11 Os 204/09y, SSt 2010/8; RIS-Justiz RS0116182 und RS0125686, erneut 13 Os 142/17g; Soyer/Schumann WK-StPO § 63 Rz 9; Fabrizy, StPO13 § 63 Rz 2).

Die zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel zur Verfügung stehende Frist wurde am 12. Juli 2018 durch Zustellung des Urteils an die Wahlverteidigerin ausgelöst und endete mit Ablauf des 9. August 2018.

Auf die am 6. September 2018 (verspätet) eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 letzter Satz StPO).

Da der Angeklagte weder bei der Rechtsmittelanmeldung noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, war seine Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO).

Ebenso war – worauf die Generalprokuratur gleichfalls zutreffend hinwies – die (verspätet ausgeführte) Berufung zurückzuweisen, weil der Angeklagte bei deren Anmeldung nicht erklärte, ob sie sich gegen die Strafe oder die vorbeugende Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB richtet (§ 294 Abs 4 erster Satz, § 296 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0100395, RS0100042; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 10, § 296 Rz 6). Hinsichtlich des unbekämpft gebliebenen Beschlusses auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) trat solcherart keine Beschwerdeimplikation gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO ein (Jerabek, WK-StPO § 498 Rz 6 mwN; RIS-Justiz RS0101863).

Bleibt anzumerken, dass das Unterbleiben einer fristgerechten Rechtsmittelausführung durch die Wahlverteidigerin (trotz der sie nach Auflösung des Vollmachtsverhältnisses außer im Fall des § 63 Abs 2 letzter Halbsatz StPO treffenden Pflicht; vgl Soyer/Schumann WK-StPO § 63 Rz 30, 33) ein dem Angeklagten zuzurechnendes (RIS-Justiz RS0101272), die Wiedereinsetzung ausschließendes grobes Verschulden im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO darstellt (11 Os 147/14y), weshalb ein zugleich mit der verspäteten Ausführung der Rechtsmittel gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Änderung der Sachlage bewirkt hätte.

Im Übrigen haften dem Urteil die in der verspätet eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemachten Nichtigkeitsgründe ebenso wenig an wie von Amts wegen wahrzunehmende.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E123581

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00111.18K.1211.000

Im RIS seit

21.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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