TE OGH 2018/8/28 11Os47/18y

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Veröffentlicht am 28.08.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Tahsin A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 58 Hv 2/16h des Landesgerichts Feldkirch, über den Antrag des Verurteilten Tahsin A***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Soweit für die Erledigung des Antrags auf Erneuerung relevant wurde Tahsin A***** mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. Juni 2016, GZ 58 Hv 2/16h-215, zweier am 11. Oktober 2014 in B***** verübter Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 (I) schuldig erkannt.

Der gegen diesen Schuldspruch erhobenen Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld gab das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht mit Urteil vom 31. Oktober 2017, AZ 11 Bs 46/17b, 11 Bs 247/17m, nicht Folge.

Im dagegen gerichteten Antrag des Tahsin A***** auf Erneuerung des Verfahrens wird (großteils unter wörtlicher Wiedergabe des Berufungsvorbringens) eine Verletzung von Art 6 MRK und Art 2 7. ZPMRK zufolge unterbliebener Aufnahme von (teils von ihm beantragten, vom Oberlandesgericht ausführlich begründet als auf Erkundungsbeweisführung gerichtet beurteilten [Berufungsurteil S 59, 68]) Beweisen „in der vom Gesetzgeber dafür eigens vorgesehenen mündlichen reformatorischen Berufungsverhandlung“ behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Erneuerungsanträge (wie hier) ohne Befassung des EGMR zielen auf die Feststellung einer Verletzung des Antragstellers unter anderem in grundlegenden Verfahrensrechten iSd § 281 Abs 1 Z 4 StPO ab, sodass sich die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs allein darauf bezieht. Andere Rechtsverletzungen bleiben bei der Behandlung dieses Rechtsbehelfs außer Betracht (RIS-Justiz RS0129606; vgl Ratz in FS Höpfel, 229 [236 f, 242]; zur Grobprüfung auf der Verfassungsstufe anstelle Feinprüfung unterhalb derselben auch Ratz, Überprüfung von Entscheidungen durch den OGH in Strafsachen, ÖJZ 2010, 983 [986 f]).

Weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 13 Rz 16), hat auch ein Erneuerungsantrag ohne Befassung des EGMR deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]).

Inwiefern aus Art 2 7. ZPMRK ungeachtet des Gesetzesvorbehalts im letzten Satz seines Abs 1 (Frowein/Peukert, EMRK3 Art 2 7. ZP Rn 2; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 171) ein generelles (Grund-)Recht auf Beweisaufnahme im Berufungsverfahren (siehe dazu §§ 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO) ableitbar sein soll, macht der Erneuerungswerber nicht klar. Ebenso wenig legt er dar, weshalb der den Zugang zu einem Gericht absichernde Art 6 MRK ein Recht auf eine zweite Instanz einräumen sollte (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 171).

Eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK erblickt der EGMR im Übrigen nur dann, wenn das Berufungsgericht (bei voller Kognitionsbefugnis in der Schuldfrage) von der Beweiswürdigung des Erstgerichts zum Nachteil des Angeklagten ohne unmittelbare Beweisaufnahme abweicht (vgl 17 Os 18/17a; EGMR 29. 3. 2016, 61112/12, Gómez Olmeda/Spanien [Z 33 ff]; RIS-Justiz RS0105692; Wiederin, WK-StPO § 6 Rz 65; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Rauner, EMRK4 Art 6 Rz 176). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht indes gerade keine Bedenken gegen die Feststellungen (samt korrespondierender Beweiswürdigung) des Erstgerichts gehegt (vgl § 473 Abs 2 StPO; Ratz, WK-StPO § 473 Rz 6 und 8/1).

Bleibt darüber hinaus anzumerken, dass der EGMR unterbliebene Zulassung von Erkundungsbeweisen (vgl RIS-Justiz RS0099353) unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 und 3 lit d EMRK nicht beanstandet (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330; EGMR 4. 4. 2013, 30465/06, C. B./Österreich [Z 45]; vgl auch Frowein/Peukert, EMRK3 Art 6 Rn 121).

Der Erneuerungsantrag war bei der nichtöffentlichen Beratung – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Textnummer

E122643

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00047.18Y.0828.000

Im RIS seit

19.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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