TE OGH 2018/4/20 7Ob55/18s

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Veröffentlicht am 20.04.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** K*****, vertreten durch die Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, gegen die beklagte Partei N***** AG, *****, vertreten durch Mag. Stefan Hutecek und Mag. Katja Pfeiffer, Rechtsanwälte in Herzogenburg, wegen 50.982,07 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2017, GZ 3 R 46/17g-19, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat die vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel geprüft; sie liegen nicht vor. Der Kläger macht angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, deren Vorliegen bereits das Berufungsgericht verneint hat und die daher in der Revision nicht mehr mit Erfolg neuerlich geltend gemacht werden können (RIS-Justiz RS0042963).

2. Der Kläger behauptet, die Vorinstanzen hätten nicht klargestellt, gegen welche Versicherungsbedingungen (Obliegenheiten) er verstoßen habe.

Dem ist zu entgegnen, dass die erfolgte Vereinbarung der vom Kläger schon in seiner Klage angesprochenen AKKB 2014 immer unstrittig war. Diese lauten auszugsweise:

„Artikel 7

Was ist vor bzw. nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

(Obliegenheiten)

3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs. 3 VersVG) werden bestimmt,

3.2 nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen;“

Die vorsätzliche Verletzung dieser Aufklärungsobliegenheit haben die Vorinstanzen dem Kläger zweifelsfrei erkennbar und durch vorliegende Rechtsprechung gedeckt angelastet:

3.1. Zu dieser Aufklärungsobliegenheit gibt es eine ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach sie ein Versicherungsnehmer dann verletzt, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle nicht meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach § 4 StVO verpflichtet ist und im konkreten Fall etwas versäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung durch objektives „Unbenützbarwerden“ (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels muss der Versicherer behaupten und beweisen (RIS-Justiz RS0043520). Vom Versicherungsnehmer ist in Entsprechung der Versicherungsbedingungen und § 4 Abs 2 sowie 5 StVO zu verlangen, nach einem Unfall in jedem Fall einer wahrgenommenen Verletzung einer Person oder Beschädigung von fremden Sachgütern ohne jede Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Polizeianzeige zu erstatten (vgl RIS-Justiz RS0074495). Eine Unfallmeldung kann nur unterlassen werden, wenn ausschließlich der den Unfall verursachende Lenker, der zugleich Versicherungsnehmer ist, verletzt oder sein eigenes Fahrzeug beschädigt wurde (RIS-Justiz RS0074483). Die Höhe des Schadens selbst ist ohne Bedeutung. Für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genügt das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv werden muss (RIS-Justiz RS0080477). Dieses Bewusstsein ist mangels besonderer Entschuldigungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, bis zum Beweis des Gegenteils vorauszusetzen (7 Ob 109/12y mwN; 7 Ob 177/14a).

3.2. Die Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung aller jener Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Darunter fällt auch die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des an einem Unfall beteiligten Versicherungsnehmers hinsichtlich einer allfälligen Alkoholisierung (RIS-Justiz RS0081010).

3.3. Beim Unfall wurde ein Leitpflock durch Absplitterung und einen Riss beschädigt und aus der Verankerung gerissen sowie die Rinde eines Baumes im unteren Bereich bis ca 1 m Höhe teilweise abgerissen. Es lag somit eine Beschädigung fremder Sachgüter vor. Soweit der Kläger dies zu entkräften sucht und sich dazu auf die erstgerichtliche Feststellung stützt, dass er „mit der rechten Fahrzeugseite an einen Leitpflock unter einen Kirschenbaum … prallte“, liegt ein offenkundiger Schreibfehler vor. Die Feststellung muss richtig lauten, dass er „mit der rechten Fahrzeugseite an einen Leitpflock und einen Kirschenbaum … prallte“.

3.4. Die Feststellung des Erstgerichts, wonach der Kläger gewusst habe, dass bei Unfällen mit bloßem Sachschaden die Polizei zu verständigen ist, hat das Berufungsgericht ausdrücklich übernommen. Das Erstgericht hat weiters festgestellt, „dass der Kläger, der damals nur über einen befristeten Führerschein verfügte, weil er zuvor in einem mit 2,14 Promille alkoholisierten Zustand einen Unfall mitverursacht hatte, durch sein Verhalten alles vermeiden (wollte), um eine lückenlose und restlose Aufklärung des Sachverhalts durch die Polizei zu verhindern“. Damit steht eine vorsätzliche Verletzung der Verpflichtung nach § 4 Abs 5 StVO und der allgemeinen Aufklärungsobliegenheit fest. Die vom Kläger erst mehr als neun Stunden nach dem Unfall vorgenommene Meldung beim Polizeiposten ist jedenfalls keine „ohne unnötigen Aufschub“. Die vom Kläger dazu ins Treffen geführte Entscheidung 7 Ob 276/01s betraf einen anders gelagerten Sachverhalt (Verneinung einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit eines Lenkers, der eine Amnesie und Unfallverletzungen erlitten hatte).

3.5. Es ist offenkundig, dass zumindest die mögliche Alkoholisierung des Klägers hätte geklärt werden können, wäre die Polizei umgehend („ohne unnötigen Aufschub“) verständigt worden. Der Verdacht einer Alkoholisierung folgt hier daraus, dass der Kläger ohne erkennbare Ursache gegen einen Leitpflock und einen Baum fuhr, dann sein verkehrsbehindernd zum Stillstand gekommenes Fahrzeug ungesichert zurückließ, und vom Unfallort flüchtete, nachdem er schon zuvor unter starkem Alkoholeinfluss an einem Unfall beteiligt war.

4. Bei dieser Sachlage haben die Vorinstanzen die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers nach Art 7.3.2 AKKB 2014 im Einklang mit der Rechtsprechung des Fachsenats bejaht. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich in diesem Zusammenhang nicht. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dies nicht.

Textnummer

E121703

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00055.18S.0420.000

Im RIS seit

18.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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