TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/24 99/20/0341

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Veröffentlicht am 24.02.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §4 Abs5;
FrG 1997 §57 Abs7;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 99/20/0318 E 29. Juni 2000 99/20/0340 E 29. Juni 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Mai 1999, Zl. 209.378/0-VIII/22/99, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: HH, geboren am 15. Dezember 1973, zuletzt 4020 Linz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle von der Slowakei kommend am 15. März 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. März 1999 wurde sein Asylantrag gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen, weil der Mitbeteiligte in der Slowakei Schutz vor Verfolgung finden könne. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Aus Anlass der Berufung ersuchte die belangte Behörde die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See um Mitteilung, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Slowakei möglich sei und "welche Erfahrungen mit der slowakischen Republik in der Praxis bei Rückführungen" bestünden.

Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See teilte dazu am 30. April 1999 der belangten Behörde mit:

"Bezüglich der do. Anfrage betreffend Zurückschiebung in die Slowakei wird mitgeteilt, dass grundsätzliche alle illegalen Grenzgänger unverzüglich den slowakischen Grenzbeamten über die SID Niederösterreich zur Rückübernahme angeboten werden, wobei ersucht wird, den Zurückschiebetermin zu einem späteren Zeitpunkt zu vereinbaren. Eine Zurückschiebung wäre daher jederzeit möglich. Die Durchführung der Zurückschiebung ist äußerst mühsam, zumal die slowakischen Behörden den illegalen Grenzgänger bei der beabsichtigten Rückstellung niederschriftlich befragen. Eine Übernahme durch die slowakischen Beamten erfolgt in der Regel nur, wenn der Genannte genau sagen kann, wann, wo und wie er auf österreichisches Gebiet gelangt ist. Da für die slowakischen Grenzbeamten die Angaben des illegalen Grenzgängers immer unglaubwürdig erscheinen, wird der Fremde nicht übernommen. Die Tatsache, dass der i.G. bei der illegalen Einreise beobachtet wurde, zählt für die slowakischen Behörden nicht als Beweis. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Zurückschiebung in die Slowakei aus bisheriger Erfahrung aussichtslos erscheint."

Diese Mitteilung wurde von der belangten Behörde dem Bundesasylamt mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Das Bundesasylamt nahm dazu Stellung wie folgt:

"Bei dem Schreiben der BH Neusiedl am See vom 22.04.1999 kann es sich keineswegs um eine Äußerung gemäß § 57 Abs. 7 FrG handeln, zumal diese Äußerungen nur im konkreten Einzelfall abgegeben werden können und undifferenzierten Prognosen betreffend die Umsetzung eines Schubabkommens nicht die Rechtsqualität einer diesbezüglichen Äußerung zukommt.

Da im vorliegenden Fall mangels entsprechender Rückstellungsversuche der fremdenpolizeilichen Behörden noch von keiner Unmöglichkeit der Rückstellung ausgegangen werden kann, erscheint ein derzeitiges Vorgehen gemäß § 4 Abs. 5 AsylG nicht möglich. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass eine Prognose betreffend Rückstellungsmöglichkeit am Wortlaut des entsprechenden Schubabkommens zu treffen sein wird, welches entsprechend dem Grundsatz 'pacta sunt servanda' zu interpretieren ist."

Mit dem bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 20. Mai 1999 wurde der Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 32 Abs. 2 AsylG stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen, da nach dem hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284, eine Zurückweisung des Asylantrages gemäß § 4 Abs. 1 AsylG unzulässig sei, wenn bereits im laufenden Asylverfahren feststehe, dass der betreffende Fremde nicht in den in Aussicht genommenen Drittstaat einreisen und auch durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht dazu verhalten werden könne, sich in diesen Staat zu begeben. Die Behörde erster Instanz habe zwar zutreffend bemerkt, dass die Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See keine Mitteilung im Sinne des § 57 Abs. 7 FrG darstelle. Es trete daher der erstinstanzliche Bescheid nicht gemäß § 4 Abs. 5 AsylG ex lege außer Kraft. Allerdings dürfe der Asylantrag des Mitbeteiligten nach der erwähnten hg. Judikatur nicht gemäß § 4 Abs. 1 leg. cit. zurückgewiesen und damit der erstinstanzliche Bescheid auch nicht bestätigt werden. Nach der Judikatur komme es nicht auf die rechtliche, sondern auf die tatsächliche Möglichkeit der Einreise in den Drittstaat an. Wenn die Sicherheitsdirektion ausführe, dass ein neues Durchführungsübereinkommen auf Grund der in letzter Zeit gehäuft auftretenden Schwierigkeiten "beim Vollzug des österreichisch-slowakischen Schubabkommens" kurz vor der Unterzeichnung stehe, so werde die belangte Behörde künftig darauf Bedacht nehmen. Derzeit sei jedoch davon auszugehen, dass eine Rückschiebung des Mitbeteiligten nicht möglich sei.

Die vorliegende Entscheidung gemäß § 32 Abs. 2 AsylG bedeute, dass die erstinstanzliche Behörde (neuerlich) über den Asylantrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden haben werde. Es handle sich somit nicht um eine Entscheidung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG, weil Mängel in der Sachverhaltsermittlung durch die Behörde erster Instanz nicht vorlägen und andernfalls die Berufungsbehörde selbst zu einem ergänzenden Ermittlungsverfahren verpflichtet wäre. Einer mündlichen Verhandlung habe es nicht bedurft, weil eine solche vornehmlich der Klärung von Fragen des Sachverhaltes diene und die Behörde erster Instanz Gelegenheit gehabt habe, ihren Standpunkt darzulegen. Es sei eine mündliche Verhandlung für die Klärung der wesentlichen Fragen nicht erforderlich gewesen.

Mit der vorliegenden Beschwerde ficht der beschwerdeführende Bundesminister diesen Bescheid mit den im Wesentlichen gleich lautenden Argumenten an, die seiner Beschwerde im hg. Verfahren unter der Zl. 99/20/0353 zu Grunde liegen. Wie in diesem Verfahren wird auch hier die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit beantragt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Mitbeteiligte hat am Verfahren nicht teilgenommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0353, ausgesprochen hat, stellt die in diesem Verfahren ebenfalls zur Beurteilung vorgelegene gleich lautende Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See vom 30. April 1999 keine Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG dar, dass der Mitbeteiligte (zwangsweise) nicht in die Slowakei zurückgestellt werden könne. In diesem Erkenntnis wurde weiters ausgeführt, dass die ausgesprochene Zurückweisung gemäß § 4 Abs. 1 AsylG durch die Behörde erster Instanz von der Berufungsbehörde zu beheben wäre, wenn sich - ohne Vorliegen einer Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG - erweisen sollte, dass der Fremde nicht in den in Aussicht genommenen Zielstaat reisen und auch durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht dazu verhalten werden könne, sich dorthin zu begeben. Insoweit wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Ungeachtet des Umstandes, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall richtig erkannt hat, dass in der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See keine Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG zu sehen ist, kommt der Beschwerde aus folgenden Gründen dennoch Erfolg zu: Dem beschwerdeführenden Bundesminister ist darin zu folgen, dass die wiedergegebene Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See die Feststellung der belangten Behörde, der Mitbeteiligte könne "auch durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht dazu verhalten werden, sich in diesen Staat (Slowakei) zu begeben", für sich allein nicht schlüssig zu tragen vermag. Diese Mitteilung ist nämlich insoweit in sich widersprüchlich, als einerseits nur davon gesprochen wird, die Durchführung der Zurückschiebung sei "äußerst mühsam", eine "Übernahme durch die slowakischen Beamten erfolgt in der Regel nur, wenn der Genannte genau sagen kann, wann, wo und wie er auf österr. Gebiet gelangt ist", was zwar auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Übernahmeabkommens mit der Slowakei, BGBl. Nr. 667/1992 i.d.F. BGBl. Nr. 1046/1994, schließen lässt, nicht aber auf eine Aussichtslosigkeit, andererseits "zusammenfassend" ausgeführt wird, "dass eine Zurückschiebung in die Slowakei aus bisheriger Erfahrung als aussichtslos erscheint". Angesichts des Inhaltes dieser Mitteilung und des Umstandes, dass offensichtlich eine konkrete Erklärung der slowakischen Behörden auf ein Ersuchen um Übernahme des Mitbeteiligten im Sinne des Übernahmeabkommens unter Darlegung der konkreten Umstände der Einreise des Mitbeteiligten bislang noch nicht vorliegt, kann die von der belangten Behörde getroffene Feststellung der Unmöglichkeit der zwangsweisen Außerlandesschaffung des Mitbeteiligten in die Slowakei nicht nachvollzogen werden, zumal auch die mitteilende Fremdenpolizeibehörde vom Vorliegen der sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen für die Anwendung des Übernahmeübereinkommens ausgeht.

Es war somit der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Hinsichtlich des zitierten Erkenntnisses wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 24. Februar 2000

.bea

Nachstehende Beschwerde(n) wurde(n) im gleichen Sinn erledigt am 29.6.2000 99/20/0318, 0340, 0341

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999200341.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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