TE OGH 2018/3/21 9Ob1/18i

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Veröffentlicht am 21.03.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Tautschnig Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei ***** K*****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen 155.655,62 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 15. November 2017, GZ 5 R 101/17p-105, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der Beklagte, der ein Schlägerungsunternehmen betreibt, wurde von einem Holzindustrieunternehmen im Bereich des W***** bei ***** mit Waldschlägerungsarbeiten beauftragt. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft ***** vom 16. 10. 2010 wurde mit diversen Auflagen die Errichtungs- und Betriebsbewilligung für eine nicht ortsfeste forstliche Materialseilbahn in der KG L***** erteilt. Zweck der Anlage war die Aufarbeitung von Käferholz auf Grundstücken verschiedener Liegenschaftseigentümer der KG L***** mittels Seilkran – Bergabbringung. Als Betreiber und Betriebsleiter der Anlage wurde der Beklagte beauftragt. Zu den Auflagen gehörte, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass kein Material wie Steine, Erde oder Holz auf den Rettungsplatz der Klägerin oder die Zufahrtsstraße abrollen konnten. Solche wurden vom Beklagten nicht gesetzt. Am 27. 1. 2011 löste sich im Zuge des Taltransports von Baumstämmen mit der Materialseilbahn ein Baumstamm, raste talwärts und beschädigte ein der Klägerin gehöriges Transformatorenhaus neben dem Rettungsplatz. Die mit dem Transport befassten Forstarbeiter bemerkten den Vorfall nicht. Ob der nachträglich aufgestellte Schutzzaun (Steinschlagnetz) den Schaden verhindert hätte, ist ungewiss.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht bejahte eine Haftung des Beklagten für die von der Klägerin begehrten Wiederherstellungskosten nach Maßgabe des § 364a ABGB. In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt der Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Das in § 176 Abs 3 ForstG 1975 verankerte Haftungsprivileg des Waldeigentümers oder einer sonst an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Person steht der Annahme einer nachbarrechtlichen Gefährdungshaftung nicht entgegen (5 Ob 3/99y; 10 Ob 33/00a; 6 Ob 21/01h).

2. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Nach § 364a ABGB ist jedoch, wenn die Beeinträchtigung durch eine behördlich genehmigte Anlage verursacht wird, der Grundbesitzer nur berechtigt, den Ersatz des zugefügten Schadens gerichtlich zu verlangen, auch wenn der Schaden durch Umstände verursacht wird, auf die bei der behördlichen Verhandlung keine Rücksicht genommen wurde.

3. Die ständige Rechtsprechung billigt einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB auch dann zu, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu dieser Bestimmung ergeben. Eine § 364a ABGB analoge Situation wird etwa in Fällen angenommen, in denen durch eine Baubewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss (RIS-Justiz RS0010668), so vor allem bei behördlich genehmigten Bau- und Abbrucharbeiten oder Aufgrabungen in öffentlichen Verkehrsflächen und Erholungsflächen (RIS-Justiz RS0010668 [T2]; vgl auch RS0106324).

4. Der Anspruch auf Ersatz des Schadens nach § 364a ABGB (analog) ist als Ausgleichsanspruch anzusehen und wird daher ohne Rücksicht auf Verschulden gewährt (s RIS-Justiz RS0010449). Auf die Frage, ob die Arbeiten fachgerecht durchgeführt wurden, kommt es dabei nicht an (RIS-Justiz RS0126490).

5. Der Beklagte richtet sich in der außerordentlichen Revision gegen die Annahme seiner Passivlegitimation.

Nach der Rechtsprechung haftet nicht nur der Eigentümer des Nachbargrundstücks für den durch Immissionen der in § 364a ABGB umschriebenen Art verursachten Schaden, sondern jeder, der die Beeinträchtigung durch eine, wenn auch behördlich genehmigte Anlage herbeiführt (RIS-Justiz RS0010519, zuletzt 7 Ob 113/16t). Der Anspruch besteht nicht nur gegen den Grundeigentümer, sondern gegen jeden, der das Grundstück für seine Zwecke nutzt (RIS-Justiz RS0010519 [T2]; RS0010654 [T1, T17]), wobei eine Beziehung zum emittierenden Grundstück bzw ein „gewisser Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission“ gefordert wird (8 Ob 44/14z; 8 Ob 132/14s; s auch Holzner in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON 1.03 § 364 Rz 6; Kerschner/Wagner in Klang ABGB3 § 364 Rz 279, 285; krit zur Einschränkung „für eigene Zwecke“ Oberhammer in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 364 Rz 12). Ein allfälliges Vertragsverhältnis zum Grundeigentümer, das dem Störer die Benützung der emittierenden Liegenschaft ermöglicht, schließt das für die Passivlegitimation erforderliche Handeln für eigene Zwecke keineswegs aus (RIS-Justiz RS0010654 [T14]). Ein Bauunternehmer, der auf dem emittierenden Grundstück Bauarbeiten durchführt, ist aber aufgrund des mit dem Grundeigentümer bestehenden Werkvertrags gerade nicht zu der von der Rechtsprechung geforderten Benützung der Liegenschaft berechtigt; der für die Annahme seiner Passivlegitimation erforderliche Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission liegt bei ihm aufgrund seiner eingeschränkten Befugnisse nicht vor (8 Ob 44/14z mwN; 8 Ob 132/14s).

6. Eben diese Rechtsprechung führt der Beklagte für seinen Standpunkt ins Treffen, die Errichtung der Materialseilbahn habe lediglich der Erfüllung seines Werkvertrags mit dem Holzindustrieunternehmen gedient.

Bereits das Berufungsgericht wies darauf hin, dass es sich beim Beklagten nicht um einen bloßen Werkunternehmer, sondern um den Betreiber der behördlich bewilligten Materialseilbahn, sohin einer behördlich genehmigten Anlage iSd § 364a ABGB handelte. Hervorzuheben ist dazu, dass die Eingriffshaftung des § 364a ABGB denjenigen treffen soll, der die behördliche Anlage betreibt, dem daher der Eingriff gestattet wurde und der daher (wegen der Rechtfertigung der Eingriffe) nicht mehr den auf Rechtswidrigkeit und Verschulden beruhenden Schadenersatzansprüchen ausgesetzt ist (vgl Koziol, Eingriffs- und Gefährdungshaftung im Nachbarrecht, RdW 2013, 3, 6). Diesem kommt auch die Verfügungsgewalt und damit die Einflussmöglichkeit und Beherrschung von mit dem Betrieb der Anlage verbundenen Gefahrenquellen zu. Mit dem Betrieb der Anlage wird insofern auch der liegenschaftsspezifische Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission hergestellt. Das Argument, dass die Anlage nur zur Erfüllung eines Werkvertrags mit einer dritten, vom Grundeigentümer verschiedenen Person betrieben wird, muss daneben in den Hintergrund treten.

7. Dass der Beklagte die klagsgegenständlichen Waldgrundstücke nach dem Revisionsvorbringen nur vorübergehend nutzte, steht dem hier nicht entgegen: Zum einen kann sich eine Genehmigung auch auf eine nur einmalige oder vorübergehende Tätigkeit beziehen (4 Ob 89/10g [Abbrucharbeiten]; Eccher/Riss in KBB5 ABGB § 364a Rz 2). Zum anderen ist nach dem Akteninhalt nicht zweifelhaft, dass die Schlägerungsarbeiten ohnehin über einen Zeitraum von mehreren Monaten (November 2010 bis April 2011) durchgeführt werden sollten.

8. Dem Beklagten ist hier auch nicht die Eigenschaft als Betreiber der Anlage abzusprechen, entspricht es doch schon seinem erstinstanzlichen Vorbringen, dass ihm die Errichtung und der Betrieb der Materialseilbahn bescheidmäßig bewilligt wurde (ON 2 AS 15), sowie seinem Selbstverständnis (s Aussage des Beklagten, ON 10 S 3 = AS 103).

Der Betrieb der Anlage erfolgte auch weder im Auftrag noch aufgrund einer anderen vertraglichen Beziehung von Liegenschaftseigentümern mit dem Beklagten.

9. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Textnummer

E121349

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0090OB00001.18I.0321.000

Im RIS seit

11.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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