TE OGH 2017/11/14 10Ob29/17p

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Veröffentlicht am 14.11.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Esther Lenzinger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Rechtsanwalt in Graz, sowie die Nebenintervenientinnen auf Seiten der beklagten Partei 1. O***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Alexander Gerngross, Mag. Klaus Köck, Rechtsanwälte in Premstätten bei Graz, und 2. W***** GmbH, *****, vertreten durch Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Herausgabe (Streitwert: 132.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. März 2017, GZ 3 R 164/16m-44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Vorinstanzen haben die Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum gutgläubigen Erwerb eines Kraftfahrzeugs zutreffend angewendet. Danach ist es grundsätzlich Sache des Käufers eines Kraftfahrzeugs, sich durch Einsichtnahme in den Typenschein von der Rechtmäßigkeit des Besitzes seines Vorgängers bzw bei einem Erwerb in einem gewöhnlichen Unternehmensbetrieb von dessen Verfügungsbefugnis zu überzeugen. Ergibt sich aus der Einsichtnahme in den Typenschein nicht eindeutig die Berechtigung des Veräußerers, so sind weitere Nachforschungen anzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn besondere Umstände den Verdacht nahelegen, der Vertragspartner könnte unredlich sein. Speziell gilt dies auch im Kraftfahrzeughandel, weil Kraftfahrzeuge häufig unter Eigentumsvorbehalt verkauft werden. Die Beurteilung, welche Anforderungen an die Sorgfalt des Erwerbs zu stellen sind, hängt letztlich aber von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Gleiche gilt für die Frage, ob besondere Umstände weitere über die Einsicht in den Typenschein hinausgehende Nachforschungen erforderlich machen (vgl RIS-Justiz RS0010891, zuletzt 8 Ob 73/16t).

2.1 In der von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 8 Ob 73/16t hat der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zur 26. KFG-Novelle ausgeführt, dass der Typenschein für Fahrzeuge ohne österreichische Typengenehmigung, also mit einer EG-Betriebserlaubnis, nach dem Willen des Gesetzgebers durch die EG-Übereinstimmungsbescheinigung (Certificate of Conformity, kurz COC) im Sinn der (Rahmen-)Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge ersetzt wird (1000 ErläutRV BlgNR 22. GP 8).

2.2 Kraftfahrzeuge und Anhänger dürfen gemäß § 37 Abs 2 KFG 1967 ua nur zugelassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er der rechtmäßige Besitzer des Fahrzeugs ist. Als Nachweis dafür hat der Antragsteller bei der erstmaligen Zulassung gemäß § 37 Abs 2 lit a KFG ua den entsprechenden Genehmigungsnachweis für das Fahrzeug (Typenschein bei Fahrzeugen mit nationaler Typengenehmigung, gültige Übereinstimmungsbescheinigung oder Datenauszug aus der Genehmigungsdatenbank bei Fahrzeugen mit EG-Betriebserlaubnis, Bescheid über die Einzelgenehmigung bei einzeln genehmigten Fahrzeugen) zu erbringen.

2.3 § 7a Abs 1 der Zulassungsstellenverordnung (ZulassungsstellenV), BGBl II 1998/464 idgF normiert, dass vorzulegende Dokumente grundsätzlich im Original beizubringen sind, wobei ua eine Kopie des Datenauszugs aus der Genehmigungsdatenbank (§ 30a KFG 1967) als ausreichend anerkannt wird. Als Besitznachweis bei der Antragstellung gilt ua gemäß § 7a Abs 2 Z 3 lit a ZulassungsstellenV die Eintragung des Eigentümers im Typenschein oder im Datenauszug aus der Genehmigungsdatenbank bei einem Neufahrzeug.

2.4 Die Zulassungsbescheinigung besteht gemäß § 13 ZulassungsstellenV (iVm Anlage 6) aus zwei Teilen (Teil I und Teil II). Die Auflagen und behördlichen Eintragungen sind nur im Teil I enthalten, der auf Fahrten mitzuführen ist (§ 13 Abs 2 ZulassungsstellenV).

2.5 Das COC ist seit dem 1. 7. 2007 gemeinsam mit der Zulassungsbescheinigung Teil II gemäß § 13a der ZulassungsstellenV, BGBl II 1998/464, zum „Fahrzeug-Genehmigungsdokument“ verbunden (Grabner/Sarnthein, Praxishandbuch NoVA [2009], Anhang II zu NoVAR: Genehmigungsdatenbank).

§ 13a Abs 2 ZulassungsstellenV (in der seit der 3. Novelle zu dieser Verordnung, BGBl II 2007/131, seit 1. 7. 2007 geltenden Fassung, § 14 Abs 2 ZulassungsstellenV) lautet auszugsweise:

Wird der Verlust des Fahrzeug-Genehmigungsdokumentes glaubhaft gemacht, so hat die Zulassungsstelle bei Fahrzeugen, deren Daten vollständig in der Genehmigungsdatenbank enthalten sind, auf Antrag des Zulassungsbesitzers oder bei nicht zugelassenen Fahrzeugen auf Antrag des letzten Zulassungsbesitzers des Fahrzeuges einen aktuellen Datenausdruck aus der Genehmigungsdatenbank herzustellen und mit einer neuerlich ausgedruckten Zulassungsbescheinigung Teil 2 zu einem Duplikat-Genehmigungsdokument zu verbinden. Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen Leasingnehmer, so ist dem Antrag eine Zustimmungserklärung des Leasinggebers anzuschließen. In allen anderen Fällen hat der Antragsteller schriftlich zu erklären, ob er der Eigentümer des Fahrzeuges ist oder bei nicht zugelassenen Fahrzeugen der Eigentümer während der Zulassung des Fahrzeuges gewesen ist und, falls er nicht der Eigentümer des Fahrzeuges ist oder war, eine Zustimmungserklärung des Eigentümers anzuschließen.

3.1 Ausgehend davon bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den von der Revisionswerberin aufgeworfenen Fragen zur Qualität des COC als Nachweis des Eigentums bzw der Verfügungsberechtigung des Veräußerers. Bei Anlegen des in einem Fall wie dem vorliegenden gebotenen strengen Maßstabs an die Gutgläubigkeit des Erwerbers (RIS-Justiz RS0010168 [T1]; RS0010891 [T7]) stellt es keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts dar, wenn es die Gutgläubigkeit der Beklagten – wie auch ihrer Erwerbsvorgänger, der Erst- und Zweitnebenintervenientinnen –, die alle gewerbsmäßig befugte Fahrzeughändler sind, schon mit dem Hinweis verneint, dass sich diese mit einer offensichtlichen Kopie des COC begnügt haben, ohne die Herkunft des von ihr gekauften Fahrzeugs zu hinterfragen. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine (hier infolge des quer über die ganze Seite ersichtlichen „COPY“-Aufdrucks auch gut als solche erkennbare) Kopie im Zulassungsverfahren nur im Fall eines (im konkreten Fall bei der ersten Veräußerung des Fahrzeugs an die Zweitnebenintervenientin vom [Mit-]Leasingnehmer der Klägerin auch tatsächlich gemeldeten) Verlusts der gemäß § 7a Abs 1 ZulassungsstellenV erforderlichen Originaldokumente überhaupt denkbar wäre (erforderlich ist wie ausgeführt gemäß § 13a Abs 2 ZulassungsstellenV die Herstellung eines Duplikat-Genehmigungsdokuments durch die Zulassungsstelle). Darüber hinaus lag eine gemäß § 13a Abs 2 ZulassungsstellenV erforderliche schriftliche Zustimmungserklärung des Leasinggebers bzw Eigentümers oder eine Erklärung über die Eigentümerstellung im konkreten Fall der Beklagten nicht vor. Insbesondere findet sich eine solche auch nicht in der der Beklagten übermittelten Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II, in der lediglich vermerkt ist (unstrittiger Inhalt der Beil ./3): „C4 Antragsteller ist: Besitzer, dies ist kein Eigentumsnachweis.“

3.2 Lediglich der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass der Prokurist der Beklagten, der die Verhandlungen mit der Erstnebenintervenientin führte, in die Fahrzeugpapiere vor Abschluss des Kaufvertrags gar nicht Einsicht nahm, weil es hinsichtlich der von der Erstnebenintervenientin erworbenen Fahrzeuge noch nie Probleme gegeben hatte. Er forderte lediglich das COC an, das ihm von der Erstnebenintervenientin nur in Kopie (mit „COPY“-Vermerk) und überdies unvollständig (nur die Seiten 1 und 4; vgl auch 8 Ob 73/16t) übermittelt wurde. Die Ausführungen der Revisionswerberin, wonach nicht sie selbst, sondern die finanzierende Bank den Wagen erworben habe, finden in den Feststellungen keine Grundlage, sodass die Revision insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt ist. Zutreffend wies das Erstgericht schließlich darauf hin, dass die erst nach Abschluss des Kaufvertrags und Erteilung der Finanzierungszusage an die Beklagte übermittelten Papiere (das COC mit dem „COPY“-Vermerk samt angeschlossenem Zulassungsschein I und II) nicht auf die Erstnebenintervenientin lauteten, von der die Beklagte das Fahrzeug um 132.000 EUR erwarb, sondern auf die Zweitnebenintervenientin, von der es die Erstnebenintervenientin kaufte.

4. Die Ausführungen der Revisionswerberin, dass die Klägerin das in diesem Verfahren zu behandelnde Fahrzeug „auch für die beiden anderen bei ihr angekauften Pkw … verpfändet“ hätte, finden in den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen keine Grundlage, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

Textnummer

E120249

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00029.17P.1114.000

Im RIS seit

08.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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