TE Vfgh Erkenntnis 2015/2/19 E1535/2014

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.2015
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §5
FremdenpolizeiG 2005 §61

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Anordnung zur Außerlandesbringung einer schwangeren, irakischen Staatsangehörigen nach Ungarn wegen objektiver Willkür mangels Berücksichtigung vor Erlassung der Entscheidung übermittelter Unterlagen über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im Hinblick auf einen allfälligen Durchsetzungsaufschub

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gemäß §61 FPG als unbegründet abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1.              Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, stellte am 7. April 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab sie an, ihren Herkunftsstaat bereits im Jahr 2007 verlassen zu haben und nach Syrien gereist zu sein, wo sie bis zum Jahr 2011 gelebt habe. Anschließend habe sie sich bis Ende März 2014 in der Türkei aufgehalten. Ein Schlepper habe sie sodann in einem LKW über unbekannte Länder nach Ungarn gebracht, wo sie von der Polizei aufgegriffen und in eine Polizeistation verbracht worden sei. Dort seien ihr zwar Fingerabdrücke abgenommen worden, von einer Stellung eines Asylantrages wisse sie allerdings nichts. Drei Tage später habe sie ihr Schlepper nach Österreich gebracht. Am darauffolgenden Tag habe sie ihren in Österreich subsidiär schutzberechtigten Ehemann, den sie im Jahr 2011 in der Türkei kennengelernt habe, in einer Moschee nach muslimischem Ritus geheiratet; bereits am nächsten Tag habe sie ihren Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Ihr Vater, ihre Mutter, eine Schwester und beide Brüder hielten sich in den Niederlanden auf, eine weitere Schwester lebe in Deutschland. In Ungarn sei die Beschwerdeführerin zwar gut behandelt worden, sie wolle jedoch nicht dorthin zurückkehren, sondern bei ihrem Ehemann in Österreich bleiben.

Auf Grund dieser Angaben stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 9. April 2014 an Ungarn ein Ersuchen um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin im Sinne des Art23 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO). Mit Schreiben vom 17. April 2014 erklärten sich die ungarischen Behörden zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin bereit.

In Bezug auf die geführten Konsultationen mit Ungarn brachte die Beschwerdeführerin in einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 4. Juni 2014 vor, dass sie an Schlafstörungen und psychischen Problemen leide. Die Lage für Asylwerber in Ungarn sei schlecht; sie könne dort unmöglich alleine leben und wolle in Österreich bei ihrem Ehemann bleiben.

1.2.              Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies daraufhin den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 17. Juni 2014 gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 144/2013 (im Folgenden: AsylG 2005), als unzulässig zurück, weil gemäß Art18 Abs1 litb Dublin III-VO Ungarn für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Gleichzeitig erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegenüber der Beschwerdeführerin eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß §61 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 144/2013 (im Folgenden: FPG), und erachtete ihre Abschiebung nach Ungarn gemäß Abs2 leg.cit. für zulässig.

1.3.              In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde vom 1. Juli 2014 führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Beziehung zu ihrem Ehemann bereits seit dem Jahr 2011 bestehe und durch die Verlobung im Jahr 2012 gefestigt worden sei. Es sei daher aktenwidrig, wenn die belangte Behörde davon ausgehe, dass die Beschwerdeführerin die Beziehung erst zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, als ihr bereits ihr unsicherer Aufenthaltsstatus in Österreich bewusst gewesen sei. Mit ihrem Ehemann sei sie seit ihrer Ankunft in Österreich nach muslimischem Ritus verheiratet, ein Termin für die standesamtliche Trauung sei bereits fixiert. Zudem sei die Beschwerdeführerin mittlerweile schwanger, wobei sowohl ihr psychischer als auch ihr physischer Gesundheitszustand besorgniserregend seien: Sie erbreche häufig, könne nichts essen und keine Flüssigkeit bei sich behalten. Ihre multiplen Beschwerden seien noch medizinisch abzuklären, derzeit benötige sie infolge der Diagnose Emesis gravidarum (Schwangerschaftserbrechen) Infusionen. In einer gutachterlichen Stellungnahme sei auch festgestellt worden, dass die Beschwerdeführerin unter einer Anpassungsstörung mit ängstlicher Komponente leide. Als vulnerable Person sei sie somit auf die Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen, weshalb ihre Abschiebung nach Ungarn nicht in Betracht komme. Österreich sei daher nach den Ermessensklauseln des Art17 Dublin III-VO zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Des Weiteren widerspreche es dem Wohl des – noch ungeborenen – Kindes der Beschwerdeführerin, wenn es ohne seinen Vater aufwachsen müsste.

Im Zuge des weiteren Beschwerdeverfahrens legte die Beschwerdeführerin den vorläufigen Patientenbrief eines Krankenhauses vom 7. Juli 2014 vor, welchem zufolge sie von 7. bis 9. Juli 2014 wegen der Diagnose Hyperemesis gravidarum (übermäßiges Schwangerschaftserbrechen) stationär behandelt worden sei. Weiters ehelichte die Beschwerdeführerin den bereits nach muslimischem Ritus angetrauten Kindesvater am 30. Juli 2014. Aus der vorgelegten Kopie des Mutter-Kind-Passes vom 10. Juli 2014 geht der 21. Februar 2015 als errechneter Geburtstermin hervor; der gynäkologische Status sei "unauffällig". Mit Schreiben vom 2. September 2014 teilte die Beschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass sie am Vortag in Schubhaft genommen, unmittelbar darauf ins Spital eingeliefert und wegen Haftunfähigkeit noch am selben Tag aus der Schubhaft entlassen worden sei: Laut Befund der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses vom 1. September 2014 leide die Beschwerdeführerin an "Hyper-emesis grav[idarum] Keton +++"; es sei mit einem stationären Aufenthalt von zwei bis drei Tagen zu rechnen.

1.4.              Am 5. September 2014 langte ein erneutes Schreiben der Beschwerdeführerin am Bundesverwaltungsgericht ein. Aus diesem geht hervor, dass die Beschwerdeführerin am 3. September 2014 aus dem Spital entlassen worden sei und weitere Unterstützung im häuslichen Umfeld benötige; sie sei auf die Pflege und Betreuung ihres Ehemannes angewiesen. Dem Schreiben waren Befunde zweier näher genannter Ärzte vom 4. September 2014 beigelegt, nach denen die Beschwerdeführerin in physischer Hinsicht auf Grund ihrer Unterernährung und des übermäßigen Erbrechens in der Schwangerschaft "vital gefährdet" sei, weshalb eine Reise "ihr und dem ungeborenen Kind in keinem Fall zuzumuten" sei; in psychischer Hinsicht leide sie unter einer "posttraumatischen Belastungsstörung und Angststörungen", wobei "jegliche Belastung und Stress […] die Schwangerschaft gefährden" könnten.

1.5.              Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit der angefochtenen Entscheidung vom 4. September 2014 "gemäß §5 AsylG 2005 und §61 FPG als unbegründet" ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Die Zuständigkeit Ungarns zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz ergebe sich aus Art13 Abs1 und Art18 Abs1 litb Dublin III-VO; für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Ungarn gebe es keine Anhaltspunkte. Im Übrigen habe der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013, Rs. C-394/12, Abdullahi, klargestellt, dass ein Asylwerber kein subjektives Recht auf Durchführung seines Asylverfahrens in einem bestimmten Mitgliedstaat habe. Hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin hielt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes fest:

"Die beschwerdeführende Partei leidet unter einer – derzeit nicht behandlungsbedürftigen – Anpassungsstörung mit ängstlicher Komponente oder an einer Angststörung, wobei die Symptome Albträume und Schlafstörungen beschrieben werden. Sie befindet sich in der 17. Schwangerschaftswoche mit dem errechneten Geburtstermin am 21.02.2015 und befand sich wegen Hyperemesis gravidarum (übermäßiges Schwangerschaftserbrechen) vom 07.07.2014 bis 09.07.2014 und seit dem 01.09.2014 abermals mehrere Tage stationär in einem Krankenhaus, wobei sie jeweils mit Infusionen behandelt wurde. Der gynäkologische Status wurde als unauffällig beschrieben.

Die gesundheitlichen Probleme der beschwerdeführenden Partei weisen somit keinesfalls jene besondere Schwere auf, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art3 EMRK eine Abschiebung nach Ungarn als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe. Es ist insbesondere nicht anzunehmen, dass sich etwa die beschwerdeführende Partei in dauernder stationärer Behandlung befände oder auf Dauer nicht reisefähig wäre. Laut den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides wird Asylwerbern in Ungarn die notwendige medizinische Versorgung gewährt und können daher die erforderlichen Therapien und Behandlungen auch in diesem Mitgliedstaat der Union erfolgen. ln Ungarn sind alle Krankheiten uneingeschränkt behandelbar. Nach der Rechtsprechung zu Art3 EMRK wäre es schließlich auch unerheblich, ob die Behandlung im Zielland etwa nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver wäre als im abschiebenden Staat.

Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Durchführung einer Abschiebung im Fall von bekannten Erkrankungen des Fremden durch geeignete Maßnahmen dem Gesundheitszustand Rechnung zu tragen hat. Insbesondere wird kranken Personen eine entsprechende Menge der verordneten Medikamente mitgegeben. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt. Im Fall einer schweren psychischen Erkrankung und insbesondere bei Selbstmorddrohungen werden geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung getroffen.

So ist auch im konkreten Fall vom Amtsarzt die aktuelle Transportfähigkeit der beschwerdeführenden Partei, die sich mehrere Male wegen übermäßigen Schwangerschaftserbrechens für zwei bis drei Tage in Spitalsbehandlung befand, abzuklären und die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat entsprechend schonend durchzuführen. Im Fall einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, beispielweise einer dauernden Transportunfähigkeit während der verbleibenden Überstellungsfrist, hätte das Bundesamt, wie dies in derartigen Fällen die Praxis darstellt, einen Folgeantrag der beschwerdeführenden Partei zuzulassen."

Nach den ausführlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass in Ungarn die Rechte der Beschwerdeführerin nach Art3 EMRK infolge der dortigen Situation für zurückkehrende Asylwerber verletzt werden würden oder systemische Mängel des Asylverfahrens vorlägen. In der Erstbefragung habe die Beschwerdeführerin selbst noch angegeben, dass sie in Ungarn gut behandelt worden sei und bloß wegen ihres in Österreich lebenden Ehemanns nicht dorthin zurückkehren wolle. Betreffend den durch die Anordnung zur Außerlandesbringung erfolgenden Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens führte das Bundesverwaltungsgericht weiters aus:

"[D]ie beschwerdeführende Partei verbrachte den Großteil des Lebens im Herkunftsstaat und reiste erst am 05.04.2014 illegal mit Hilfe eines Schleppers in das Österreichische Bundesgebiet ein. Sie verfügte zu keinem Zeitpunkt über einen regulären Aufenthaltstitel in Österreich, sondern stützte ihren Aufenthalt vielmehr von Anfang an nur auf einen unzulässigen Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich der Gründung der Familie, nämlich der Eheschließung in Österreich und der Schwangerschaft, bleibt auszuführen, dass diese zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der beschwerdeführenden Partei und ihrem Ehemann der unsichere Aufenthaltsstatus der beschwerdeführenden Partei bewusst gewesen sein musste. Trotz der Tatsache, dass sich die beschwerdeführende Partei und ihr nunmehriger Ehemann schon im Jahr 2011 im Urlaub kennenlernten und in der Folge telefonisch in Kontakt blieben und sich telefonisch verlobten, wurde eine Lebensgemeinschaft naturgemäß erst nach der Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich aufgenommen. Dass die beschwerdeführende Partei Schritte unternommen hätte, um in Österreich auf legale Weise einen Aufenthaltstitel zu erhalten, wurde hingegen nicht einmal vorgebracht. Es ergaben sich schließlich auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte Integration der beschwerdeführenden Partei in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer. Auch befindet sich die beschwerdeführende Partei erst am Anfang ihrer Schwangerschaft und aus der Kopie des Mutter-Kind-Passes ist nicht ersichtlich, dass etwa eine Risikoschwangerschaft vorliegen würde. Eine Pflegebedürftigkeit oder dauernde Transportunfähigkeit ist ebenfalls nicht gegeben."

Es liege daher keine Verletzung der Bestimmungen der GRC oder EMRK vor, weshalb kein Anlass für die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts nach Art17 Abs1 Dublin III-VO bestanden habe.

2.              In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art3 und 8 EMRK, Art4, 7 und 24 GRC, Art3, 9, 12 und 13 UN-Kinderrechtskonvention sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht habe den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin verkannt, derzeit könne sie nicht einmal mehr das Bett verlassen. Indem das Bundesverwaltungsgericht dies außer Acht gelassen habe, habe es Willkür geübt. Im Rahmen der Interessenabwägung nach Art8 EMRK habe das Bundesverwaltungsgericht zudem nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin in Ungarn gar keine Verwandten habe und ihr Familienleben allein in Österreich stattfinde. Dieses sei im konkreten Fall besonders schützenswert, weil die Beschwerdeführerin auf die Unterstützung ihres Ehemannes, von dem sie ein Kind erwarte, angewiesen sei. Weiters sehe §61 Abs3 FPG vor, dass die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung für die notwendige Zeit aufzuschieben sei, wenn diese aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK bedeutete und diese Gründe nicht von Dauer seien. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich in diesem Zusammenhang mit der fortgeschrittenen Schwangerschaft und den damit verbundenen gesundheitlichen Problemen auseinandersetzen müssen; die Beschwerdeführerin habe diesbezüglich ärztliche Bestätigungen vorgelegt, wonach sie in ihrem gesundheitlichen Zustand weder reise- noch transportfähig sei und eine Überstellung nach Ungarn ihrem ungeborenen Kind schaden würde. Insofern widerspreche die angefochtene Entscheidung auch dem Wohl ihres noch ungeborenen Kindes.

3.              Das Bundesverwaltungsgericht sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und übermittelte den Gerichtsakt in Kopie.

II.              Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmung des §61 FPG lautet:

"Anordnung zur Außerlandesbringung

§61. (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

       1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß §68 Abs1 AVG oder

       2. er in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser Mitgliedstaat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß §28 AsylG 2005 zugelassen wird."

III.              Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

A. Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung zur Außerlandesbringung richtet, ist sie begründet:

1.1.              Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, ins-besondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011).

1.2.              Betreffend die Anordnung zur Außerlandesbringung liegt aus folgenden Gründen (objektive) Willkür vor:

1.2.1.              Mit der angefochtenen Entscheidung weist das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17. Juni 2014 "gemäß §5 AsylG 2005 und §61 FPG als unbegründet" ab, weil Ungarn für die Prüfung des Antrags der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß der Dublin III-VO zuständig sei. Hinsichtlich der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin und ihres Gesundheitszustands hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass sie wegen übermäßigen Schwangerschaftserbrechens von 7. bis 9. Juli 2014 und neuerlich seit 1. September 2014 mehrere Tage in einem Krankenhaus stationär behandelt worden sei. Da der gynäkologische Status der Beschwerdeführerin nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumenten jedoch unauffällig sei, sie sich nicht in dauernder stationärer Behandlung befinde und keine Risikoschwangerschaft vorliege, sei in einer Abschiebung nach Ungarn keine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art3 EMRK zu erkennen.

1.2.2.              Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2014 wurde der Beschwerdeführerin laut Rückschein am 10. September 2014 zugestellt. Davor, nämlich am 5. September 2014, übermittelte die Beschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht per Fax ein Schreiben, wonach sie zwar aus der stationären Pflege der Krankenanstalt Rudolfstiftung entlassen worden, jedoch auf die Pflege, Betreuung und Unterstützung durch ihren Ehemann angewiesen sei. Aus den beigelegten Befunden zweier näher genannter Ärzte vom 4. September 2014 geht hervor, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Unterernährung und des übermäßigen Erbrechens in der Schwangerschaft "vital gefährdet" sei, weshalb eine Reise "ihr und dem ungeborenen Kind in keinem Fall zuzumuten" sei, und sie unter einer "posttraumatischen Belastungsstörung und Angststörungen" leide, wobei "jegliche Belastung und Stress […] die Schwangerschaft gefährden" könnten.

Diese vor Erlassung der angefochtenen Entscheidung dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten Unterlagen und der sich daraus ergebende Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin fanden in der Entscheidung keine Berücksichtigung. Für die Entscheidung über einen allfälligen Durchsetzungsaufschub gemäß §61 Abs3 FPG wäre dies jedoch von zentraler Bedeutung gewesen. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach im Rahmen einer Abschiebung von der Fremdenpolizeibehörde ohnehin der aktuelle Gesundheitszustand bzw. im konkreten Fall die Transportfähigkeit der Beschwerdeführerin vom Amtsarzt überprüft werde, vermögen daran nichts zu ändern, weil das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Entscheidung über die Beschwerde betreffend die Anordnung zur Außerlandesbringung auch über die Frage der Erlassung eines Durchführungsaufschubes selbst zu entscheiden hat.

1.2.3.              Die angefochtene Entscheidung betreffend die Anordnung zur Außerlandesbringung ist daher mit (objektiver) Willkür belastet (vgl. VfGH 12.6.2013, U1413/2012 ua.).

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

2.              Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob Ungarn nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin zuständiger Staat anzusehen ist (vgl. EuGH 10.12.2013, Rs. C-394/12, Abdullahi), nicht anzustellen.

IV.              Ergebnis

1.              Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Anordnung zur Außerlandesbringung abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2.              Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3.              Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

4.              Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenpolizei, Außerlandesbringung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:E1535.2014

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten