TE Vwgh Erkenntnis 2000/10/18 99/08/0027

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Veröffentlicht am 18.10.2000
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AMFG §19 Abs1 litb;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der A in S, vertreten durch Mag. Wolfgang Mayrhofer, Rechtsanwalt in Waidhofen/Thaya, Bahnhofstraße 8, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 30. September 1998, Zl. LGS NÖ/JUR/12181/1998, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß §§ 10 und 38 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 15. Mai 1998 nahm die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Waidhofen/Thaya mit der im Bezug der Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführerin eine Niederschrift über die Verweigerung der Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ("Bewerbungstraining für Frauen") ab 18. Mai 1998 auf.

Die Beschwerdeführerin gab - dem Formblatt zufolge nach Belehrung über die Rechtsfolgen gemäß § 10 AlVG - an, nicht bereit zu sein, an der Maßnahme teilzunehmen, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel vorhanden seien, die Beschwerdeführerin ihre Kinder betreuen müsse und keine Betreuungsperson habe und außerdem der Arbeitsmarkt derzeit so schlecht sei, dass ohnehin keine geeigneten Arbeitsstellen für die Beschwerdeführerin vorhanden seien. Außerdem sei der Kindergarten für das größere Kind der Beschwerdeführerin (die Beschwerdeführerin hat eine am 14. November 1992 und eine am 25. März 1995 geborene Tochter) ein oder zweimal während der vorgesehenen Dauer der Maßnahme geschlossen.

Mit Bescheid vom 27. Mai 1998 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Waidhofen/Thaya aus, die Beschwerdeführerin habe den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 18. Mai bis zum 28. Juni 1998 verloren, weil sie die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung am 18. Mai 1998 verweigert habe. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

In ihrer Berufung vom 9. Juni 1998 führte die Beschwerdeführerin aus, es bestehe keine Verweigerung den Kurs zu besuchen, sondern sie habe um Aufschub vom Termin Juni auf September oder danach ersucht, da ihre zweite Tochter dann den Kindergarten besuchen werde. Die Beraterin habe ihr mitgeteilt, dass es diesen Kurs nur jetzt und nicht zu einem späteren Zeitpunkt geben werde, da die Beschwerdeführerin dann bereits als Langzeitarbeitslose gelten würde. Außerdem habe die Beschwerdeführerin die Beraterin gefragt, wie es derzeit mit einer Beschäftigung nach dem Kurs aussehe. Die Beraterin habe ihr erklärt, dass es keine Möglichkeit gebe, einen Posten in der Sparte der Beschwerdeführerin zu erhalten. Dies bestätige der Beschwerdeführerin die Sinnlosigkeit des Kurses, da ohnehin keine Chance auf Arbeit bestünde. Die Beschwerdeführerin müsse für sieben Wochen ein Auto kaufen, da keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stünden, und sie frage, wer diese Mehrkosten zahle, wenn sie danach ohnehin keinen Posten bekomme. Zwar besitze ihr Ehegatte einen PKW, dieser müsse für ihn als Landwirt aus näher dargelegten Gründen aber jederzeit griffbereit sein. Die Niederschrift vom 15. Mai 1998 habe die Beschwerdeführerin "nur unter Zwang" unterschrieben. Die Beschwerdeführerin würde sich dafür interessieren, nach welchen Kriterien die Frauen angeschrieben worden seien, ob nach der Höhe des Tagessatzes, nach dem Alphabet oder ob es nur ein Zufallsgenerator gewesen sei. Einige Mütter hätten der Beschwerdeführerin andere Frauen in der selben Situtation genannt, die aber nie ein Schreiben vom Arbeitsmarktservice bekommen hätten. Darüber hinaus verwies die Beschwerdeführerin auf die finanzielle Lage der Bauern sowie darauf, dass ihr Ehegatte zu den Jungbauern gehöre und im Aufbau sei, und die Beschwerdeführerin daher die Notstandshilfe für ihre Kinder und sich selbst brauche.

Mit Schreiben vom 13. Juli 1998 hielt die belangte Behörde der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Waidhofen/Thaya vor, die Beschwerdeführerin habe in der Berufung angegeben, ab September 1998 einen Kindergartenplatz für ihr zweites Kind zu haben. Aus den "PST-Eintragungen" gehe hervor, dass der Beschwerdeführerin seitens des Arbeitsmarktservice bisher kein einziger Vermittlungsvorschlag unterbreitet, sondern lediglich die Wiedereingliederungsmaßnahme angeboten worden sei. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme es darauf an, dass die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien. Es werde daher gebeten, mitzuteilen, welche Kenntnisse durch die Maßnahme vermittelt werden sollten, die dann auch die Arbeitslosigkeit tatsächlich beenden könnten. In einer der PST-Eintragungen sei vermerkt, dass der Beschwerdeführerin Blindbewerbungen angeraten worden seien. Es werde gebeten mitzuteilen, ob sich zumutbare offene Stellen qualifiziert hätten und wenn ja, welche. Weiters möge unter näher beschriebenen Gesichtspunkten ermittelt werden, auf welche Weise die tägliche Erreichbarkeit der Wiedereingliederungsmaßnahme für die Beschwerdeführerin gegeben gewesen wäre.

Im Antwortschreiben an die belangte Behörde vom 31. Juli 1998 führte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Waidhofen/Thaya aus, vereinbarungsgemäß werde "vorläufig von einer Stellungnahme in Bezug auf die Frage, wie durch die 'Aktivierende Maßnahme für Frauen' die Arbeitslosigkeit beendet werden könnte, abgesehen". Zu den übrigen Fragen werde dahingehend Stellung genommen, dass Blindbewerbungen Bewerbungen bei möglichen potentiellen Dienstgebern seien, die jedoch zu diesem Zeitpunkt keine offene Stelle beim Arbeitsmarktservice gemeldet hätten. Dies werde vor allem mit Arbeitslosen vereinbart, die über "genügend Selbsthilfepotential" verfügen. Die Beschwerdeführerin habe solche Maßnahmen aber nicht nachweislich durchgeführt. Weiters enthielt dieses Schreiben Ausführungen dazu, auf welche Weise es für die Beschwerdeführerin möglich gewesen wäre, den Kursort täglich zu erreichen.

Am 5. August 1998 hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin schriftlich vor, in ihrer Berufungsangelegenheit habe festgestellt werden können, dass die angebotene Maßnahme gerade jene Problematiken aufgreife, von denen die Beschwerdeführerin betroffen sei. So würden etwa die möglichen Betreuungseinrichtungen oder Pendelbewegungen, die einer Vermittlung am Arbeitsmarkt entgegenstünden, aufgegriffen und aufgearbeitet, um so bei einem konkreten Arbeitsangebot kurzfristig reagieren und somit die Arbeitslosigkeit beseitigen zu können. Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Beschwerdeführerin und der nächsten Bahnstation betrage 2 km, die Fahrtdauer des Zuges nach Waidhofen/Thaya 15 Minuten bei einer Entfernung von 10 km. Weiters habe bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft festgestellt werden können, dass sowohl auf die Beschwerdeführerin selbst als auch auf ihren Ehegatten je ein PKW zugelassen sei.

Hiezu nahm die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. August 1998 dahingehend Stellung, dass zwar die Luftlinie zwischen ihrem Wohnort und der nächsten Bahnstation 2 km betrage, der Fußweg aber 4 km lang sei. Die Zulassung eines PKW auf ihren Namen sei nur aus Versicherungsgründen erfolgt. Tatsächlich stehe ihr kein PKW zur persönlichen Verfügung.

Schließlich richtete die Beschwerdeführerin am 21. August 1998 noch ein Schreiben an die belangte Behörde, in dem sie um Aufklärung darüber bat, dass bei der Zuweisung zum Kurs vom 18. Mai bis zum 3. Juli 1998 der von der Beschwerdeführerin gewünschte Aufschub auf September nicht akzeptiert und dies damit begründet worden sei, dass die Beschwerdeführerin jetzt die Zielgruppe sei und nicht im September. Dies sei der Gegenstand des Berufungsverfahrens. Eigenartigerweise sei die Beschwerdeführerin nun doch wieder die Zielgruppe, da sie erneut denselben Kurs besuchen solle, und zwar vom 14. September bis zum 13. November 1998. Diesen Kurs werde sie nun auch absolvieren. Sie ersuche um Klärung, weshalb mit ihr so verfahren werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die belangte Behörde stellte den Inhalt anzuwendender Rechtsvorschriften, des erstinstanzlichen Bescheides und der von der Beschwerdeführerin eingebrachten Berufung dar und traf folgende Feststellungen zum Sachverhalt:

"Die Berufungswerberin war zuletzt vom 15.11.1994 bis 04.02.1995 bei American Express beschäftigt. Vom 05.02.1995 bis 28.05.1995 bezog sie Wochengeld und ab 29.05.1995 Karenzurlaubsgeld. Im Anschluss daran war sie vom 26.03.1997 bis 30.06.1997 wieder als Bankangestellte beim früheren Dienstgeber beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis endete jedoch durch Kündigung seitens des Dienstgebers. Seither steht sie wieder im Leistungsbezug. Ihre beiden Kinder sind am 14.11.1992 und 25.03.1995geboren; der Wohnort befindet sich in 3900 Schwarzenau, KI, Reichenbach 2.

Am 04.02.1998 vereinbarte die zuständige Beraterin vom AMS mit der Berufungswerberin, dass sich diese eigeninitiativ bei Banken bewerben solle. In weiterer Folge wurde mit ihr über die Teilnahme an einer aktivierenden Maßnahme für Frauen gesprochen und der Besuch des Infotages für Mittwoch den 06.05.1998 vereinbart. Am 23.04.1998 teilte die Berufungswerberin mit, die Einladung zu diesem Infotag erhalten zu haben, sie wüsste jedoch nicht, wie sie das Betreuungsproblem ihrer jüngeren Tochter lösen sollte.

Am 08.05.1998 wurde ihr von der Regionalen Geschäftsstelle Waidhofen/Thaya der Auftrag erteilt, an der aktivierenden Maßnahme für Frauen bei der BEST Personaltraining GmbH in der Zeit vom 18.05.1998 bis 03.07.1998 und zwar montags bis freitags in der Zeit von 08:00 bis 12:00 Uhr teilzunehmen. Dieser speziell für Frauen mit Betreuungspflichten ausgerichtete Kurs wird in der Arbeiterkammer in Waidhofen/Thaya durchgeführt. Ausgerichtet ist dieser Kurs auf Förderung der eigenständigen und effizienten Arbeitsuche, das Aufzeigen von Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie die Stärkung der persönlichen und sozialen Kompetenz.

Am 15.05.1998 teilte die Berufungswerberin mit, dass sie nicht an diesem Training teilnehmen könne und gab niederschriftlich an, dass keine öffentlichen Verkehrsmitteln vorhanden seien, sie keine Betreuungsperson für ihre Kinder habe und außerdem der Arbeitsmarkt derzeit so schlecht sei, dass sowieso keine geeigneten Arbeitsstellen für sie vorhanden seien. Darüber hinaus hat der Kindergarten für das ältere Kind einmal oder zweimal während der aktivierenden Maßnahme geschlossen. Aus der Stellungnahme des Beraters geht hervor, dass die Stellensuche bisher keine brauchbaren Ergebnisse gebracht hat und die angebotene Wiedereingliederungsmaßnahme insofern zur Beendigung der Arbeitslosigkeit beitragen kann, als in dieser versucht wird, alle Problematiken, wie insbesondere Betreuungsmöglichkeiten und Pendelbewegungen etc., die einer Vermittlung am Arbeitsmarkt entgegenstehen, aufzuarbeiten, um bei einem konkreten Arbeitsangebot kurzfristig reagieren zu können. Darüber hinaus sind Zugverbindungen ab Schwarzenau vorhanden, ebenso ein Pkw.

Im ergänzenden Ermittlungsverfahren wurde nach Rücksprache mit der zuständigen Bezirkshauptmannschaft festgestellt, dass sowohl auf die Berufungswerberin als auch auf den Ehemann jeweils ein Pkw zugelassen ist. Darüber hinaus beträgt die Entfernung zwischen dem Wohnort Kl. Reichenbach und der nächsten Bahnstation Schwarzenau 2 km, wobei der Zug von Schwarzenau etwa 15 Minuten nach Waidhofen/Thaya benötigt (Entfernung 10 km). Diese Feststellungen wurden der Berufungswerberin zur Kenntnis gebracht und sie führte dazu aus, dass die Luftlinie zwischen Kl. Reichenbach und der nächsten Bahnstation Schwarzenau etwa 2 km betrage und der Fußweg etwa 4 km ausmache. Weiters sei die Zulassung des Pkws auf ihren Namen nur aus Versicherungsgründen vorgenommen worden. Ihr stünde kein Pkw persönlich zur Verfügung. Weiters kündigte sie an, dass sie nun diesen angebotenen Kurs in der Zeit vom 14.09.1998 bis 13.11.1998 besuchen werde."

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführerin sowohl ein Fußweg von 2 km als auch ein solcher von 4 km zumutbar sei, um die nächstgelegene Bahnstation zu erreichen, und darüber hinaus auch ein PKW auf sie zugelassen sei. Ihre Behauptung, das Fahrzeug sei nur aus versicherungstechnischen Gründen auf sie zugelassen, gehe ins Leere, weil es darauf nicht ankomme. Ob der PKW nur aus versicherungstechnischen Gründen auf die Beschwerdeführerin zugelassen sei, liege "in der Sphäre" der Beschwerdeführerin und sei "von dieser zu vertreten". Das Auto sei ihr "jedenfalls zurechenbar". Die Beschwerdeführerin habe den Kursort daher sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln als auch mit dem PKW erreichen können, und sie habe "konkret keine Einwendungen dargelegt, wonach die Versorgung ihrer Kinder deshalb gefährdet sei, weil sie wegen des Besuches der Maßnahme nicht täglich an ihren Wohnort zurückkehren" könne oder eine solche Rückkehr zwar möglich sei, wegen der längeren Wegzeiten - im Verhältnis zu einer Maßnahme am Wohnort - aber die Versorgung von Familienangehörigen beeinträchtigt sei. Die Zumutbarkeit der Teilnahme an der Maßnahme "gemäß § 9 Abs. 3 AlVG" sei daher gegeben. Die Wiedereingliederungsmaßnahme sei speziell auf Frauen mit Betreuungspflichten ausgerichtet und habe zum Inhalt, die eigenständige und effiziente Arbeitssuche zu fördern, Kinderbetreuungsmöglichkeiten aufzuzeigen sowie die persönliche und soziale Kompetenz zu stärken. Damit würden gerade die Problematiken aufgegriffen, von denen die Beschwerdeführerin betroffen sei, und in der Maßnahme würden Lösungen erarbeitet, um der Vermittlung entgegenstehende Hindernisse zu beseitigen. Alle von der Beschwerdeführerin in der Berufung vorgebrachten Einwendungen würden in der Maßnahme "thematisiert und aufgearbeitet", womit zur Beendigung der Arbeitslosigkeit beigetragen würde. Dabei sei auch zu beachten, dass dem Arbeitsmarktservice nicht alle offenen Stellen gemeldet würden und die arbeitslos gewordenen Personen daher verpflichtet seien, auch eigeninitiativ die Arbeitssuche zu betreiben. Es könne "nicht sein, dass die Verantwortung alleine auf das Arbeitsmarktservice abgeschoben wird und arbeitssuchende Personen lediglich darauf warten, vom Arbeitsmarktservice eine Stelle zugewiesen zu erhalten". Die zugewiesene Maßnahme sei daher geeignet, "aufgrund der Behandlung der speziellen Thematiken" die Beschwerdeführerin in die Lage zu versetzen, wieder einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erlangen, weshalb die diesbezüglichen Berufungseinwendungen ins Leere gingen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht im Sinne des § 10 Abs. 2 AlVG (wie z.B. Arbeitsaufnahme innerhalb der Ausschlussfrist) lägen nicht vor.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Nach § 10 Abs. 1 AIVG verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AIVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 21. Dezember 1993, Zlen. 93/08/0215-0218, und vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0134, zur Nach(Um)schulung Arbeitsloser die Auffassung vertreten, es könne aus den §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AIVG nicht abgeleitet werden, dass es im freien Belieben des Arbeitsamtes stünde, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihn zu einer Nach- oder Umschulung zuzuweisen. Eine solche Zuweisung vermöge sich insbesondere auch nicht auf die vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, zu stützen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien. Das Arbeitsamt habe diese Voraussetzungen zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an einer ihm zugewiesenen Nach- oder Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, könne nur dann gesprochen werden, wenn sie in objektiver Kenntnis des Inhaltes der erforderlichen Nach(Um)schulung und der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolge.

Diese Subsidiarität gilt nach dem hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246, und der daran anschließenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - angesichts des nach wie vor bestehenden Primates der Erlangung bzw. Vermittlung einer dem Arbeitslosen zumutbaren Beschäftigung durch seine eigenen, von ihm zu entfaltenden Bemühungen oder durch das Arbeitsamt (nunmehr: das Arbeitsmarktservice) - in entsprechender Weise auch für Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Demgemäß liegt eine ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitslosen, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, nur dann vor, wenn es sich überhaupt um eine solche Maßnahme handelt, wenn weiters feststeht, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Erlangung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind und es deshalb solcher Maßnahmen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bedarf, und wenn schließlich das Arbeitsamt (nunmehr: das Arbeitsmarktservice) das Ergebnis des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht hat und der Arbeitslose dennoch ohne wichtigen Grund die Teilnahme an der Maßnahme ablehnt (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0131, vom 6. Mai 1997, Zl. 95/08/0339, vom 16. September 1997, Zl. 96/08/0308, vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132 und Zl. 98/08/0306, und vom 23. Februar 2000, Zl. 98/08/0220 und Zl. 98/08/0322).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführerin bei der Zuweisung zur Wiedereingliederungsmaßnahme - spätestens bei der (im vorliegenden Fall noch vor dem Beginn der Maßnahme erfolgten) Aufnahme der Niederschrift über die Verweigerung der Teilnahme - das Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens, wonach die Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschwerdeführerin für die Erlangung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend gewesen seien und es deshalb der vorgesehenen Maßnahme bedurft hätte, zur Kenntnis gebracht worden sei. Der Vorhalt diesbezüglicher Ermittlungsergebnisse kann im Rechtsmittelverfahren - und somit im Besonderen auch im Berufungsbescheid - naturgemäß nicht mehr nachgeholt werden (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 21. Dezember 1993, Zlen. 93/08/0215-0218, und vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132). Die belangte Behörde hat gemeint, es genüge, wenn ohne Feststellung darüber, dass die Weigerung der Beschwerdeführerin schon in Kenntnis der Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens hierüber erfolgt sei, im Berufungsverfahren geklärt werde, dass und weshalb es der Maßnahme bei der Beschwerdeführerin bedurft hätte. Schon dieser Rechtsirrtum der belangten Behörde belastet den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, die zu seiner Aufhebung führen muss.

Davon abgesehen kann der Verwaltungsgerichtshof aber auch nicht finden, dass die Erforderlichkeit der Maßnahme im angefochtenen Bescheid schlüssig begründet wäre. Auch im angefochtenen Bescheid wird nicht festgestellt, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschwerdeführerin - im vorliegenden Fall nach den Feststellungen über den Sachverhalt offenbar gemeint: in Bezug auf "Betreuungsmöglichkeiten und Pendelbewegungen etc." - in einer der Beendigung der Arbeitslosigkeit entgegenstehenden Weise mangelhaft gewesen wären.

Nach den Feststellungen der belangten Behörde ist daher nicht davon auszugehen, dass das Arbeitsmarktservice berechtigt war, die Beschwerdeführerin unter Androhung der in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Sanktion zum Besuch dieser Maßnahme zu verpflichten.

Im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 98/08/0304, hat der Verwaltungsgerichtshof aber auch näher dargelegt, dass der Gesetzgeber mit dem Kriterium des "wichtigen Grundes" in den auf die Nichtteilnahme an Nach(um)schulungen und Wiedereingliederungsmaßnahmen bezogenen Fällen des § 10 Abs. 1 AlVG eine nicht auf die Fälle des § 9 Abs. 2 bis 5 AlVG beschränkte Berücksichtigung von Zumutbarkeitskriterien - in Bezug auf die Maßnahme - ermöglicht hat und davon etwa unter dem auch im vorliegenden Fall offenkundigen Gesichtspunkt der Nachholbarkeit der Maßnahme gerade dann, wenn es nur um die Festlegung des Termins für die Teilnahme geht, ohne Anlegung allzu strenger Maßstäbe Gebrauch zu machen ist. Damit entfallen im hier gegebenen Zusammenhang unter anderem die engen Beschränkungen und strengen Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 AlVG für die Bedachtnahme auf familiäre Betreuungspflichten des Arbeitslosen. Mangels konkret darstellbarer Anhaltspunkte dafür, dass sich die Arbeitsmarktschancen der Beschwerdeführerin durch die Teilnahme an der Maßnahme so schlagartig verbessert hätten, dass ein Aufschub der Teilnahme eine Verlängerung der Arbeitslosigkeit bedeutet hätte, wäre daher auch bei schlüssig begründeter Notwendigkeit der Maßnahme und rechtzeitigem Vorhalt der Ergebnisse des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens im vorliegenden Fall nicht einzusehen, warum der Wunsch der Beschwerdeführerin, den Kurs im Hinblick auf die dann gegebene Kindergartenbetreuung des jüngeren Kindes erst im September zu besuchen, keine Beachtung verdient hätte.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch auf den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Oktober 2000

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999080027.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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