TE Vwgh Erkenntnis 1994/12/20 93/08/0134

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Veröffentlicht am 20.12.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AMFG §19 Abs1 litb;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des A in P, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den aufgrund des Beschlusses des ständigen Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 14. April 1993, Zl. IVa-AlV-7022-9-B/3405 19 03 60/Freistadt, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1992 sprach das Arbeitsamt Freistadt aus, daß der Beschwerdeführer gemäß § 10 AlVG für die Zeit vom 16. November 1992 bis 13. Dezember 1992 den Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren habe; eine Nachsicht werde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer die Arbeitsaufnahme bei der Firma S ohne triftigen Grund abgelehnt habe.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er im wesentlichen ausführte, daß es sich bei der angebotenen Tätigkeit um eine Arbeit als Hilfsarbeiter handle. Da er bis dato in seiner beruflichen Laufbahn weder Stapler gefahren noch Holz sortiert habe, habe er sich in "keinster" Weise imstande gesehen, diese Arbeit anzunehmen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit Folge, als eine teilweise Nachsicht von den Rechtsfolgen des § 10 AlVG erteilt und ausgesprochen wurde, daß dem Beschwerdeführer das Arbeitslosengeld ab 7. Dezember 1992 wiederum gebühre. In der Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 7. Oktober 1992 der Firma S erstmalig zugewiesen worden. Die Einstellung sei aufgrund der mangelnden Qualifikation (Kenntnisse im Holzbereich) gescheitert; außerdem habe eine Rückfrage beim Betrieb ergeben, daß der Beschwerdeführer an einem Dauerjob nicht interessiert sei und nur Teilzeit arbeiten möchte. Daraufhin sei der Firma eine einmonatige Arbeitserprobung angeboten worden, um die Qualifikationsdefizite auszugleichen. Es sei eine zweite Zuweisung am 10. November 1992 mit fixiertem Arbeitsbeginn am 16. November 1992 erfolgt. Der Beschwerdeführer habe das Arbeitsangebot der Firma abgelehnt, weil es nach seiner Auffassung eine Hilfsarbeitertätigkeit (Pfosten schlichten, Staplerfahren) sei und mit seinem erlernten Beruf und mit einer kaufmännischen Tätigkeit nichts zu tun habe. Eine Rückfrage bei Herrn S habe ergeben, daß die Stelle als Lagerplatzverwalter nur während der Einschulzeit (Kennenlernen des Betriebes und des Materials) mit Hilfsarbeiten zu tun habe, anschließend wäre der Beschwerdeführer nicht als Hilfsarbeiter eingesetzt worden, sondern im Bürobereich, Verwaltung, Kundenbetreuung (Verkauf), am Lagerplatz und Aufsicht über zwei Hilfsarbeiter. Die Stelle bei der Firma sei im Angestelltenverhältnis. Der Beschwerdeführer habe der Firma gegenüber angegeben, daß er kein Interesse an einer Dauerstelle habe. Nach den Informationen der Firma S umfasse die Tätigkeit als Lagerplatzverwalter die Organisation und den Schnittholzverkauf am Lagerplatz, die Kundenbetreuung sowie die Aufsicht über zwei Hilfsarbeiter. Für diese Beschäftigung sei die Einstellung im Angestelltenverhältnis beabsichtigt gewesen. Da gute Holzkenntnisse in bezug auf Holzsortierung, -manipulation, -trocknung, -vermessung und -verarbeitung erforderlich gewesen wären, sei zunächst auch die Mithilfe beim Holzstapeln vorgesehen gewesen, vor allem auch deshalb, um das Stapelsystem kennenzulernen und später die Mitarbeiter entsprechend unterweisen zu können. Wenn auch bei dieser Tätigkeit wenig Büroarbeit angefallen wäre, so hätte es sich doch um eine durchaus anspruchsvolle Beschäftigung und nicht um eine bloße Hilfsarbeiterstelle gehandelt. Die Entlohnung wäre nach dem Kollektivvertrag erfolgt und damit angemessen im Sinne des § 9 AlVG gewesen. Der Beschwerdeführer habe in keiner Weise darlegen können, inwieweit eine Tätigkeit als Lagerplatzverwalter eine künftige Verwendung in seinem Beruf erschweren würde. Die Zumutbarkeitskriterien im Sinne des § 9 AlVG seien somit voll und ganz erfüllt. Der Beschwerdeführer sei nicht bereit, die angebotene zumutbare Beschäftigung als Lagerplatzverwalter anzunehmen, weshalb zu Recht eine Ausschlußfrist nach § 10 AlVG verhängt worden sei. Im Hinblick auf die nachgewiesenen Kreditverbindlichkeiten sowie seine Unterhaltsverpflichtungen für drei Kinder sei die Gewährung einer teilweisen Nachsicht von den Rechtsfolgen des § 10 AlVG berechtigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erblickt ausschließlich darin eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes, daß die belangte Behörde die Bestimmung des § 9 Abs. 2 AlVG zu extensiv interpretiert habe. Sie hätte zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die angebotene Tätigkeit für den Beschwerdeführer unzumutbar gewesen wäre. Er habe niemals eine manuelle Tätigkeit ausgeübt. Die ihm zugewiesene Stelle sei jedoch überwiegend mit körperlicher Arbeit verbunden und qualitativ als Hilfsarbeitertätigkeit einzustufen. Auch nach der sogenannten Einschulung als Lagerplatzverwalter wäre die Tätigkeit nicht anders gewesen. Die Beschäftigung hätte daher nicht den körperlichen Fähigkeiten entsprochen und wäre auch durch die schwere Arbeit sicherlich die Gesundheit beeinträchtigt worden. Auch eine wesentliche Erschwerung einer künftigen Verwendung im erlernten Beruf sei nicht von der Hand zu weisen. Jeder neue Arbeitgeber hätte sofort bemerkt, daß er lediglich eine untergeordnete Hilfsarbeitertätigkeit ausgeübt habe, wodurch jeder Dienstgeber mißtrauisch werden müsse und eine Einstellung als Büroangestellter erschwert, wenn nicht sogar verhindert werde.

Dem ist zu entgegnen, daß der Verlust des Arbeitslosengeldes nach § 10 Abs. 1 AlVG unter anderem die Zumutbarkeit der vom Arbeitsamt zugewiesenen Beschäftigung im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG voraussetzt. Nach dieser Bestimmung ist eine Beschäftigung zumutbar, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Der Beschwerdeführer meint lediglich unter Hinweis darauf, daß es sich um manuelle Tätigkeiten handle und er solche bisher niemals ausgeübt habe, daß diese "den körperlichen Fähigkeiten" nicht entsprochen und "sicherlich die Gesundheit beeinträchtigt" hätten. Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, daß dann, wenn ernsthafte Zweifel an seiner körperlichen Fähigkeit zur Verrichtung der ihm zugewiesenen Beschäftigung im Zeitpunkt der Zuweisung der Beschäftigung bzw. des Vorstellungsgespräches bestanden hätten, nicht nur die belangte Behörde, sondern auch die erstinstanzliche Behörde hätten klären müssen, ob er in den genannten Zeitpunkten tatsächlich zur Verrichtung dieser Beschäftigung fähig war. Der Beschwerdeführer hat - insoweit unbestritten - in keiner Phase des Verwaltungsgeschehens auf eine Einschränkung seiner körperlichen Fähigkeit auch nur ansatzweise hingewiesen. Der Umstand alleine, daß er bisher nur im kaufmännischen Bereich im Büro tätig geworden ist, begründet keine ernsthaften Zweifel daran, daß der Beschwerdeführer zur Verrichtung der angebotenen Beschäftigung befähigt sei. Auch für die weitere Behauptung des Beschwerdeführers, "durch die schwere Arbeit" wäre sicherlich die Gesundheit beeinträchtigt worden, finden sich keine konkreten Anhaltspunkte.

Zu seiner Behauptung, eine wesentliche Erschwerung einer künftigen Verwendung im erlernten Beruf sei nicht von der Hand zu weisen, ist dem Beschwerdeführer zu entgegnen, daß er nach der Rechtsprechung konkret darzutun hat, inwieweit dies der Fall ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 94/08/0143). Das Vorbringen des Beschwerdeführers erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Rahmen des Beschwerdepunktes (§ 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG) aber alle für die Entscheidung der Frage, ob das betreffende subjektive Recht des Beschwerdeführers verletzt worden ist oder nicht, maßgebenden Gründe zu beachten. Es ist daher eine für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Beschwerdepunkte maßgebende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vom Verwaltungsgerichtshof auch dann aufzugreifen, wenn sie vom Beschwerdeführer weder ausdrücklich noch nach dem Inhalt der Beschwerde geltend gemacht wurde (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1994, Slg. Nr. 11525/A). Eine solche Rechtswidrigkeit haftet dem angefochtenen Bescheid aus folgenden Gründen an:

Arbeitswillig ist gemäß § 9 Abs. 1 AlVG, wer bereit ist, eine durch das Arbeitsamt vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.

Der im § 10 Abs. 1 für den Fall der Weigerung, eine vom Arbeitsamt zugewiesene, zumutbare Beschäftigung anzunehmen, vorgesehene Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld tritt gemäß § 10 Abs. 1 letzter Satz AlVG auch dann ein, wenn der Arbeitslose sich ohne triftigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt.

Unter einer Nach(Um)schulung sind Maßnahmen zu verstehen, die entweder der Umstellung auf eine andere berufliche Tätigkeit (um mit dieser Tätigkeit ein weiteres Verweisungsfeld für den Arbeitslosen herzustellen) oder der Auffrischung von Kenntnissen im erlernten (allenfalls auch im früher ausgeübten) Beruf dienen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 30. März 1993, Zlen. 92/08/0216, 0267, 93/08/0005). Die belangte Behörde ging davon aus, daß die erste Zuweisung des Beschwerdeführers aufgrund seiner mangelnden Qualifikation gescheitert sei und daher diesem präsumtiven Dienstgeber eine einmonatige Arbeitserprobung angeboten worden sei, um die Qualifikationsdefizite des Beschwerdeführers auszugleichen. Für die Zuweisung einer derartigen Arbeitserprobung bzw. einer Arbeitsstelle mit einer solchen Einschulungszeit ist aber erforderlich, daß die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0215). Erst wenn dem Beschwerdeführer eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung nicht zugewiesen werden kann, ist ihm eine mit einer Nach(Um)schulung verbundene Beschäftigung zuzuweisen. Die Behörde hat die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Beschwerdeführer - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitlosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Beschwerdeführers, eine solche Beschäftigung anzunehmen, kann nur dann gesprochen werden, wenn sie in objektiver Kenntnis des Inhaltes der erforderlichen Nach(Um)schulung und der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt.

Da dem angefochtenen Bescheid die Voraussetzungen einer solchen Zuweisung nicht zu entnehmen sind, kann das Verhalten des Beschwerdeführers in bezug auf diese Zuweisung nicht als Weigerung mit den Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AlVG angesehen werden. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993080134.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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