TE Vfgh Erkenntnis 2013/9/27 U701/2013

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Veröffentlicht am 27.09.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

AsylG 2005 §4, §5, §10
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Dublin II-VO des Rates vom 18.02.03, EG 343/2003 Art3 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Asylantrags eines somalischen Staatsangehörigen wegen Drittstaatsicherheit und Ausweisung in die Niederlande mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Asylberechtigung eines in Österreich lebenden minderjährigen Kindes des Asylwerbers im Hinblick auf die gegebenenfalls gebotene Ausübung des Selbsteintrittsrechts

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).              

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Dem Beschwerdeführer, einem somalischen Staatsangehörigen, wurde in den Niederlanden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ein vom 16. April 2009 bis 7. April 2013 gültiges Konventionsreisedokument ausgestellt. Am 9. November 2012 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Einvernahmen gab er an, dass er in Österreich bleiben wolle, weil hier seine Frau, die er in den Niederlanden kennengelernt und in Folge "traditionell" geheiratet habe, und sein am 19. Mai 2011 geborener Sohn leben würden; seine Frau sei erneut schwanger und benötige seine Unterstützung.

2. Auf das vom Bundesasylamt an die Niederlande gerichtete Wiederaufnahmegesuch erklärten sich die Niederlande gemäß Art16 Abs2 der Verordnung (EG) Nr 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO), bereit, den Beschwerdeführer wieder aufzunehmen.

3. Das Bundesasylamt wies daraufhin den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 7. Jänner 2013 gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100, idF BGBl I 4/2008, als unzulässig zurück, erklärte die Niederlande gemäß Art16 Abs2 Dublin II-VO für zuständig (Spruchpunkt I.), wies den Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005, idF BGBl I 38/2011, (im Folgenden: AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Niederlande aus und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Niederlande gemäß §10 Abs4 AsylG 2005 für zulässig (Spruchpunkt II.).

4. Am 25. Jänner 2013 fand in Österreich die standesamtliche Eheschließung des Beschwerdeführers und seiner Frau, die in Österreich den Status einer Asylberechtigten hat, statt. Dies wurde allerdings dem Asylgerichtshof – soweit aus den vorgelegten Gerichtsakten ersichtlich – nicht bekannt gegeben.

5. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 30. Jänner 2013 wies der Asylgerichtshof die gegen den Bescheid des Bundesasylamts erhobene Beschwerde gemäß §5 AsylG 2005 ab und ordnete gemäß §10 Abs3 AsylG 2005 einen Durchführungsaufschub der Ausweisung bis 15. April 2013 an.

5.1. Der Asylgerichtshof begründete seine Entscheidung zur Unzuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zusammengefasst damit, dass eine Zuständigkeit der Niederlande bestehe. In einem Wiederaufnahmeverfahren nach Art16 Dublin II-VO finde eine neuerliche Überprüfung der Richtigkeit der seinerzeit erfolgten Zuständigkeitsbestimmung nicht mehr statt. Die Niederlande hätten sich im mängelfrei durchgeführten Konsultationsverfahren zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers bereit erklärt.

5.2. Auch ein Selbsteintritt nach Art3 Abs2 Dublin II-VO sei nicht zwingend geboten. Zu einer möglichen Verletzung des Art8 EMRK führte der Asylgerichtshof aus:

"Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er mit seiner in Österreich aufhältigen Lebensgefährtin [...] bereits einen gemeinsamen Sohn habe, [...], beide Staatsangehörigkeit Somalia, und nunmehr ein weiteres Kind erwartet werde. Aus den aktuellen AIS-Auszügen geht hervor, dass Frau Y[...], Staatsangehörigkeit Somalia, am 18.01.2008 in Österreich eingereist ist und ihr am 13.04.2011 in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Ihr[em] Sohn [...], Staatsangehörigkeit Somalia, wurde die Flüchtlingseigenschaft im Familienverfahren am 23.07.2011 gewährt.

Der Beschwerdeführer, welcher am 09.11.2012 in Österreich eingereist ist, lebt seit 16.11.2012 mit den beiden Genannten in gemeinsamem Haushalt.

Es ist dem Bundesasylamt beizupflichten, dass das Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK bejaht wird, jedoch die Rückführung des Beschwerdeführers in die Niederlande keine ungerechtfertigte Verletzung des durch Art8 EMRK geschützten Rechts auf Familien- und Privatleben darstellt.

[...]

Bei Abwägung der maßgebenden Kriterien zeigt sich, dass aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles die Ausweisung des Beschwerdeführers keine Verletzung des Artikel 8 de[r] EMRK bewirkt:

Der Beschwerdeführer ist erst seit November 2012 in Österreich bei seiner Familie aufhältig. Es hat zuvor keine Lebensgemeinschaft gegeben und liegen auch Hinweise auf längere gegenseitige Besuche nicht vor. Obwohl sein angeblicher Sohn [...], in dessen Geburtsurkunde er nicht als Kindesvater eingetragen ist, da er – wie er in seiner Einvernahme vorbrachte – zum Zeitpunkt der Geburt sich nicht in Österreich aufgehalten habe und nicht unterschreiben habe können, bereits [im Mai 2011] zur Welt gekommen ist, verblieb der Beschwerdeführer bis November 2012 in den Niederlanden und gab er auf konkreten Vorhalt an, dass ihm der Lehrer seines Sprachkurses eine Ausreise nicht erlaubt habe. Dies wiegt umso schwerer, als der Beschwerdeführer seinem vorgelegten Reisedokument für Fremde nach seit 16.04.2009 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in den Niederlanden innehat und jederzeit seine Lebensgefährtin in Österreich – wie auch nunmehr – hätte besuchen können.

Den Interessen des Beschwerdeführers am Zusammenleben mit seiner in Österreich lebenden Lebensgefährtin sowie Sohn stehen gegenüber seine illegale Einreise, die festgestellte Zuständigkeit der Niederlande zur Führung seines Asylverfahrens, das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Dublin II Verordnung und des darin normierten europäischen Systems der Zuständigkeiten zur Prüfung von Asylanträgen, der bisher kurze Aufenthalt in Österreich und zentral das Faktum, dass das Familienleben in Kenntnis der Unzuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Asylantrages eingegangen wurde. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer nicht begründetermaßen erwarten konnte, in Österreich ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erhalten, musste ihm sowie seiner Lebensgefährtin daher bereits am Beginn ihrer Beziehung klar gewesen sein, dass der gemeinsame Verbleib in Österreich sehr unsicher sein würde. Wiegt man all diese genannten Umstände gegeneinander ab, zeigt sich, dass eine Trennung des Beschwerdeführers zum Zwecke der effektiven Umsetzung der Dublin II VO zulässig ist und kann nicht davon ausgegangen werden, dass außerordentliche Umstände vorliegen, die einen Eingriff in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben unzulässig erscheinen lassen. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass seine Lebensgefährtin ein Kind vom Beschwerdeführer erwartet, insbesondere als auch familiäre Anknüpfungen nach der Judikatur des EGMR erst mit der tatsächlichen Geburt begründet werden (Vergleiche EGMR 26.05.1994, Fall KEEGAN, Appl 16.969/90, EGMR 19.02.1996 GÜL vs Switzerland, VfGH 24.02.2003, B1670/01).

Dass den öffentlichen Interessen an der Durchsetzung der Zuständigkeitsordnung der Dublin II Verordnung auch bei einer Abwägung nach Artikel 8 EMRK erhebliches Gewicht zukommt, zeigt sich etwa aus dem Erkenntnis des VwGH vom 25.1.2008, Zahl 2006/20/0624, in dem dieser dem gesetzlichen Zurückweisungsgrund der Unzuständigkeit Österreichs erhebliches Gewicht zumisst.

Es wäre dem Beschwerdeführer, der den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in den Niederlanden genießt, schließlich auch möglich, sich um ein gemeinsames Familienleben mit seiner Familie in den Niederlanden – einem Land der Europäischen Union – zu bemühen.

Auch gegebenenfalls eine Familienzusammenführung in Österreich entsprechend der einschlägigen niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zu betreiben, erschiene letztendlich zumutbar.

Die in Art8 Abs2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegen somit in einer Gesamtschau das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung des Familienlebens mit seiner Lebensgefährtin und seinem angeblichen Sohn.

Was das von Artikel 8 EMRK ebenfalls geschützte Privatleben betrifft, genügt die Feststellung, dass im Fall des Beschwerdeführers schon allein wegen seines kurzen, ungesicherten Aufenthalts in Österreich nicht von einer verfestigten Integration ausgegangen werden kann.

Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa auf Grund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11).

Insgesamt ist somit festzuhalten, dass im vorliegenden Fall bei einer Rückführung des Beschwerdeführers in die Niederlande kein Verstoß gegen das von Artikel 8 EMRK geschützte Familien- und Privatleben vorliegt. Um dem Beschwerdeführer jedoch die Möglichkeit zu geben, die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Niederlassung in Österreich erheben zu können sowie aus humanitären Erwägungen, insbesondere der Anregung von *** ******** folgend, 'aus Sicht des Geburtshelfers und psychohygienischen Gründen wäre es wünschenswert, wenn die Abschiebung zumindest bis nach dem errechneten Geburtstermin verschoben werden könnte', wurde in diesem speziellen Einzelfall von einer sofortigen Ausweisung abgesehen und ein diesbezüglicher Durchführungsaufschub bis 15.04.2013 gewährt.

Der Vollständigkeit halber ist weiters anzufügen, dass dem in der Beschwerde zitierte Fall des EuGH vom 06.11.2012, C245/11K und daraus folgender Anwendbarkeit des Art15 Abs2 Dublin-II-VO ein gänzlich anderer mit dem vorliegenden nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag (Kriterium der Hilfsbedürftigkeit u.a. wegen einer schweren Krankheit, ernsthaften Behinderung) und mangels hier vorliegender Vulnerabilität (die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers erwartet lediglich ein Kind und sind der Aktenlage nach nicht einmal Hinweise auf eine Problemschwangerschaft gegeben) eine in der Beschwerde angenommene Anwendbarkeit von Art15 Abs2 Dublin-II-VO verfehlt ist."

Zum Asylwesen in den Niederlanden stellt der Asylgerichtshof fest, dass die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich seien. Der Asylgerichtshof sehe keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Selbsteintrittsrechts nach Art3 Abs2 Dublin II-VO infolge drohender Verletzung von Art3 oder Art8 EMRK zu verpflichten.

5.3. Die ebenfalls bekämpfte Ausweisungsentscheidung des Bundesasylamts sei zulässig, werde jedoch bis 15. April 2013 aufgeschoben. Unter Berücksichtigung seines zum Entscheidungszeitpunkt sehr kurzen Aufenthalts verfüge der Beschwerdeführer über kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich.

6. Der Beschwerdeführer behauptet in der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK und auf diskriminierungsfreie Anwendung dieses Rechts gemäß Art14 iVm Art8 EMRK sowie in dem in Art1 BVG über die Rechte von Kindern gewährleisteten Recht auf Vorrang des Kindeswohls.

6.1. Die Dublin II-VO sei auf subsidiär Schutzberechtigte nicht anwendbar. Der Beschwerdeführer sei in den Niederlanden subsidiär schutzberechtigt; aus diesem Grund hätte in seinem Fall nicht §5 AsylG 2005, sondern §4 leg.cit. angewendet werden müssen. Nach §4 Abs4 AsylG 2005 sei der Antrag nicht als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine damit verbundene Ausweisung zu einer Verletzung von Art8 EMRK führen würde. Das werde gesetzlich dann fingiert, wenn die Asylwerber Staatsangehörige eines EWR-Staates seien oder wenn Eltern minderjähriger, unverheirateter Kinder, Ehegatten oder minderjährigen Kindern in Österreich Asyl gewährt und zwischenzeitig nicht aberkannt worden sei. Ein minderjähriges Kind des Beschwerdeführers lebe in Österreich als anerkannter Konventionsflüchtling mit dem Beschwerdeführer an einer gemeinsamen Wohnadresse.

Der Asylgerichtshof sei verpflichtet gewesen, die entscheidungserhebliche Frage, ob die Dublin II-VO auf subsidiär Schutzberechtigte überhaupt anwendbar ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

6.2. Da der Asylgerichtshof von der falschen Rechtsgrundlage ausgegangen sei, habe er keine ausreichenden Ermittlungen zu den Fragen angestellt, ob der Beschwerdeführer iSd §4 AsylG 2005 verheiratet sei und es sich tatsächlich um den leiblichen Sohn des Beschwerdeführers handle.

6.3. Die Beurteilung der Gültigkeit der zwischen zwei Somalis im Ausland geschlossenen Ehe hätte auch anhand der Bestimmungen des IPR-Gesetzes erfolgen müssen; demnach sei die traditionell geschlossene Ehe des Beschwerdeführers und seiner Frau gültig.

6.4. Der belangte Asylgerichtshof habe §5 AsylG 2005 und die Dublin II-VO auch insofern willkürlich angewendet, als sich aus Art7 Dublin II-VO eine Zuständigkeit Österreichs ergebe, weil der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers in Österreich lebe. Art16 Dublin II-VO stelle kein Zuständigkeitskriterium dar.

Österreich hätte jedenfalls von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen. Die Umstände des Falles des Beschwerdeführers seien jenen, die dem Urteil des EuGH vom 6. November 2012 in der Rechtssache K gegen Bundesasylamt, C-245/11, zugrunde gelegen seien, sehr ähnlich; der Fall, dass eine Person wegen Schwangerschaft oder eines neugeborenen Kindes auf die Unterstützung einer anderen Person angewiesen sei, werde wörtlich von der humanitären Klausel in Art15 Abs2 Dublin II-VO erfasst.

6.5. Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, der Asylgerichtshof hätte bei verfassungskonformer Anwendung des §5 AsylG 2005 die Tatbestände des §4 Abs4 AsylG 2005, in denen die Zurückweisung "insbesondere" zu unterbleiben hat, analog anwenden müssen, weil ein unterschiedlicher Maßstab hinsichtlich der Prüfung des Art8 EMRK bei §4 und §5 AsylG 2005 sachlich nicht gerechtfertigt sei.

6.6. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, zwischen solchen Flüchtlingen, die vor der Flucht geheiratet hätten, und solchen, deren Eheschließung nach der Flucht erfolgte, zu unterscheiden. Eine solche Auslegung der humanitären Klausel des Art15 Dublin II-VO verletze den Beschwerdeführer in seinen Rechten gemäß Art14 iVm Art8 EMRK.

6.7. Im Übrigen habe der Asylgerichtshof auch die Interessenabwägung iSd Art8 EMRK in einer das Recht auf Privat- und Familienleben verletzenden Weise vorgenommen. Die Frau des Beschwerdeführers und seine Kinder seien auf die persönliche Anwesenheit und Unterstützung des Beschwerdeführers angewiesen. Durch die Erlassung der Ausweisung werde dem Beschwerdeführer die sichtvermerksfreie Einreise und die Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens verunmöglicht. Eine Zusammenführung der Familie in den Niederlanden oder in Österreich würde an den jeweiligen Einwanderungsgesetzen scheitern. Gerade im Hinblick auf das Kindeswohl hätte der Asylgerichtshof erörtern müssen, ob eine gemeinsame Wohnsitznahme in den Niederlanden überhaupt möglich und zumutbar wäre.

7. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Rechtslage

1. §4 und §5 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 135/2009, lauten:

"2. Abschnitt

Unzuständigkeit Österreichs

Drittstaatsicherheit

§4. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde in einem Staat, zu dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz oder die Dublin - Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).

(2) Schutz im sicheren Drittstaat besteht, wenn einem Fremden in einem Staat, in dem er nicht gemäß §8 Abs1 bedroht ist, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen steht oder im Wege über andere Staaten gesichert ist (Asylverfahren), er während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt ist und er dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat - auch im Wege über andere Staaten - hat, sofern er in diesem gemäß §8 Abs1 bedroht ist. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Entscheidung getroffen haben.

(3) Die Voraussetzungen des Abs2 sind in einem Staat widerlegbar dann gegeben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, das die Grundsätze dieser Konvention, der EMRK und des Protokolls Nr 6, Nr 11 und Nr 13 zur Konvention umgesetzt hat.

(4) Trotz Schutz in einem sicheren Drittstaat ist der Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine mit der Zurückweisung verbundene Ausweisung zu einer Verletzung von Art8 EMRK führen würde. Die Zurückweisung wegen Schutzes in einem sicheren Drittstaat hat insbesondere zu unterbleiben, wenn

1. der Asylwerber EWR-Bürger ist;

2. einem Elternteil eines minderjährigen, ledigen Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde oder

3. dem Ehegatten, dem eingetragenen Partner oder einem minderjährigen ledigen Kind des Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.

(5) Kann ein Fremder, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.

Zuständigkeit eines anderen Staates

§5. (1) Ein nicht gemäß §4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

(2) Gemäß Abs1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs1 Schutz vor Verfolgung findet."

2. Die Dublin II-VO ersetzte in ihrem Geltungsbereich das Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (kundgemacht in BGBl III 165/1997).

2.1. Die Dublin II-VO legt die Kriterien und das Verfahren für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest. Gemäß dem in Kapitel III enthaltenen Art5 der Verordnung finden diese Kriterien in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge Anwendung. Hält ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags für zuständig, führt er ein so genanntes Konsultationsverfahren durch, in dem er im Rahmen der Verwaltungskooperation gemäß Art21 Dublin II-VO den anderen Mitgliedstaat um Daten und Informationen über den Asylwerber oder gemäß Art17 leg.cit. gleich um Aufnahme des Asylwerbers ersucht. Der ersuchte Mitgliedstaat entscheidet über dieses Gesuch gemäß Art18 leg.cit. innerhalb von zwei Monaten.

2.2. Kapitel III der Dublin II-VO lautet auszugsweise:

"KAPITEL III

RANGFOLGE DER KRITERIEN

Artikel 5

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

Artikel 6

Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.

Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.

Artikel 7

Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen – ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat –, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

Artikel 8

Hat ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

Artikel 9

(1) Besitzt der Asylbewerber einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

(2) – (5) […]

Artikel 10

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylbewerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Hat der Asylbewerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Artikel 11

(1) Reist ein Drittstaatsangehöriger in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ein, in dem für ihn kein Visumzwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

(2) Der Grundsatz nach Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Drittstaatsangehörige seinen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat stellt, in dem er ebenfalls kein Einreisevisum vorweisen muss. In diesem Fall ist der letztgenannte Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Artikel 12

Stellt ein Drittstaatsangehöriger einen Asylantrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaats, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

Artikel 13

Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Artikel 14

Stellen mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Asylantrag, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:

a) zuständig für die Prüfung der Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist;

b) andernfalls obliegt die Prüfung dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten Familienmitglied eingereichten Asylantrags zuständig ist."

2.3. Auch wenn ein Mitgliedstaat nach den dargelegten Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, kann er einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen. Art3 Dublin II-VO lautet:

"Artikel 3

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Abweichend von Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Asylbewerber nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften unter Wahrung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention in einen Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

(4) Der Asylbewerber wird schriftlich und in einer ihm hinreichend bekannten Sprache über die Anwendung dieser Verordnung, ihre Fristen und ihre Wirkung unterrichtet."

2.4. Art15 und Art16 Dublin II-VO haben folgenden Wortlaut:

"KAPITEL IV

HUMANITÄRE KLAUSEL

Artikel 15

(1) Jeder Mitgliedstaat kann aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen.

(2) In Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, entscheiden die Mitgliedstaaten im Regelfall, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat.

(3) Ist der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger, der ein oder mehrere Familienangehörige hat, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, und die ihn bei sich aufnehmen können, so nehmen die Mitgliedstaaten nach Möglichkeit eine räumliche Annäherung dieses Minderjährigen an seinen bzw. seine Angehörigen vor, es sei denn, dass dies nicht im Interesse des Minderjährigen liegt.

(4) Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Ersuchen statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

(5) Die Bedingungen und Verfahren für die Umsetzung dieses Artikels, gegebenenfalls einschließlich der Schlichtungsverfahren zur Regelung von Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten über die Notwendigkeit einer Annäherung der betreffenden Personen bzw. den Ort, an dem diese erfolgen soll, werden gemäß dem Verfahren nach Artikel 27 Absatz 2 beschlossen.

KAPITEL V

AUFNAHME UND WIEDERAUFNAHME

Artikel 16

(1) Der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

a) einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19 aufzunehmen;

b) die Prüfung des Asylantrags abzuschließen;

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;

d) einen Asylbewerber, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;

e) einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

(2) Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so fallen diesem Mitgliedstaat die Verpflichtungen nach Absatz 1 zu.

(3) – (4) [...]"

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg  18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011).

2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1. Gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 wird einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt AZ2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Die "Unzuständigkeit Österreichs" wird im folgenden Abschnitt des AsylG 2005 geregelt, wobei diese in den in §4 ("Drittstaatsicherheit") und §5 AsylG 2005 ("Zuständigkeit eines anderen Staates") geregelten Fällen in der Regel zur Zurückweisung des Asylantrages führen soll: Gemäß §4 Abs1 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde in einem Staat, zu dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz oder die Dublin-Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat). Daran knüpfend ist gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 ein nicht gemäß §4 leg.cit. erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist; mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

2.2. Der Beschwerdeführer genießt nach den (unbestrittenen) Feststellungen des belangten Asylgerichtshofes in den Niederlanden subsidiären Schutz. Es ist dem belangten Asylgerichtshof aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten und denkmöglich, wenn er von einer Anwendbarkeit der Dublin II-VO und von einer Zuständigkeit der Niederlande zur Prüfung des (in Österreich neuerlich gestellten) Antrags auf internationalen Schutz ausgeht.

Nach Art3 Abs2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festhält, kann die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art3 Abs2 Dublin II-VO zur Vermeidung einer sonst eintretenden Verfassungswidrigkeit geboten sein (vgl. etwa VfSlg 17.340/2004, 19.264/2010). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits zum Selbsteintrittsrecht im Rahmen des Dubliner Übereinkommens ausgesprochen, dass eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des §5 Abs1 AsylG 1997 idF BGBl I 4/1999 – der vergleichbar mit §5 AsylG 2005 idgF eine Zurückweisung im Fall der vertraglichen Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages vorsah – durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechts von der Asylbehörde zu vermeiden ist (VfSlg 16.122/2001). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Asylbehörde, den zur Beurteilung der Verpflichtung zum Selbsteintritt wesentlichen Sachverhalt festzustellen und zu würdigen (vgl. etwa VfSlg 19.264/2010).

2.3. §4 Abs4 zweiter Satz AsylG 2005 normiert Fälle, in denen die Zurückweisung des Antrags des Asylwerbers auf internationalen Schutz wegen Schutzes in einem sicheren Drittstaat zu unterbleiben hat. Dabei handelt es sich um Kriterien, denen über die im vorhergehenden Satz angeordnete Berücksichtigung des Art8 EMRK hinausgehend eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. VfGH 7.6.2013, U963/2012). Die Zurückweisung wegen Schutzes in einem sicheren Drittstaat hat demnach "insbesondere zu unterbleiben, wenn [...] dem Ehegatten, dem eingetragenen Partner oder einem minderjährigen ledigen Kind des Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde."

Zur Vermeidung einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ist jedoch dieses – dem Wortlaut nach nur für Fälle der Zurückweisung nach §4 AsylG 2005 geltende – Kriterium in verfassungskonformer Auslegung auch im Fall der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung nach §5 AsylG 2005 anzuwenden. Es ist nämlich keine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung zwischen solchen Antragstellern, deren Asylantrag zurückgewiesen werden soll, weil ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrags zuständig ist (§5 AsylG 2005), und solchen, die in einem (anderen) sicheren Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden können (§4 AsylG 2005), und deren in Österreich gestellter Antrag aus diesem Grund zurückgewiesen werden soll, ersichtlich.

2.4. Der Asylgerichtshof stellte im Rahmen seiner Prüfung, ob vom Selbsteintrittsrecht nach Art3 Abs2 Dublin II-VO zwingend Gebrauch zu machen sei, fest, dass der "Lebensgefährtin" (die Eheschließung war dem Asylgerichtshof nicht bekannt) und dem "angeblichen" Sohn des Beschwerdeführers in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Die Zurückweisung hätte jedoch zu unterbleiben, wenn u.a. dem Ehegatten oder einem minderjährigen, unverheirateten Kind eines Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde (§4 Abs4 Z3 AsylG 2005). Mit der Frage, ob tatsächlich "dem minderjährigen ledigen Kind des Asylwerbers" in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, hat sich der Asylgerichtshof nicht hinreichend auseinandergesetzt. Da der Asylgerichtshof einen wesentlichen Aspekt für die Begründung seiner Entscheidung hinsichtlich der (gegebenenfalls gebotenen) Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art3 Abs2 Dublin II-VO vermissen lässt, wurde der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Drittstaatsicherheit, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U701.2013

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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