TE OGH 2009/2/19 2Ob48/08k

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Veröffentlicht am 19.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria R*****, vertreten durch Mag. Kurt Kadavy, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Ärztekammer für Wien, Weihburggasse 10-12, 1010 Wien, vertreten durch Spitzauer & Backhausen Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 218.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2007, GZ 11 R 45/07d-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. Februar 2007, GZ 18 Cg 23/06v-18, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 2.245,31 EUR (darin 374,22 EUR USt) und der zweitbeklagten Partei die mit 2.449,97 EUR (darin 408,33 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist die Witwe und Erbin eines am 7. 1. 2000 verstorbenen Facharztes für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, der als Vertragsarzt in Wien 18 eine Zahnarztpraxis betrieb. Nach dem Tod ihres Mannes führte die Klägerin die Praxis im Einvernehmen mit den beklagten Parteien bis Ende März 2003 durch einen „Vertretungsarzt" fort. In der zweiten Hälfte des Jahres 2002 wurde die Kassenplanstelle entsprechend den in Punkt II der von den beklagten Parteien gemäß § 5 Abs 2 des Gesamtvertrags vom 25. 6. 1956 abgeschlossenen „Vereinbarung über die Auswahl und Invertragnahme von Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde" (in der Folge nur: Vereinbarung) festgelegten Kriterien ausgeschrieben. Punkt III der Vereinbarung regelt die Ordinationsübernahme und lautet auszugsweise wie folgt:

„1. Ausschreibungs- und Auswahlkriterien richten sich nach den Bestimmungen von Punkt II. Bei den Auswahlkriterien ist eine vorangegangene Vertretertätigkeit in der zu übernehmenden Ordination zu berücksichtigen. (...)

2.

(...)

3.

Sollten nach Information des höchstgereihten Bewerbers gemäß Punkt II/5 oder des Übergebers innerhalb von drei Wochen keine konstruktiven Verhandlungen zustande gekommen sein, sind in einer von der Ärztekammer für Wien und der Wiener Gebietskrankenkasse paritätisch besetzten Kommission die Umstände zu prüfen, die diese Nichteinigung bedingen und dem/der Nächstgereihten die Möglichkeit zu geben, Verhandlungen zu führen, bzw bei Verdacht auf überhöhte (Ablöse-)Forderungen Schätzgutachten anzufordern.

4.

(...)

5.

(...)

6.

Beharrt der Übergeber auf seiner das Schätzgutachten übersteigenden Forderung, können die Ärztekammer für Wien und die Wiener Gebietskrankenkasse dem/der für die Übernahme Erstgereihten die Möglichkeit der Niederlassung an einer in unmittelbarer Nähe an deren Stelle neu errichteten Planstelle zugestehen.

              7.              Sollte die Kommission zu der Ansicht kommen, dass der Bewerber unrealistische Übergabemodalitäten anstrebt, oder bei näherer Einblicknahme seinerseits kein Interesse an der Übernahme mehr vorliegt, sind Verhandlungen mit dem Nächstgereihten zu initiieren."

Der in der Praxis der Klägerin als Vertreter tätige Arzt schien in der Reihung der sechs Bewerberinnen und Bewerber an dritter Stelle auf. Die Verhandlungen zwischen der Klägerin und der Erstgereihten scheiterten; die Erstgereihte hatte den Eindruck, die Klägerin wäre an ihrem Angebot nicht interessiert und wolle die Ordination an die Dauervertretung übergeben. Danach versuchte auch die Zweitgereihte vergeblich, mit der Klägerin eine Einigung über die Ordinationsübernahme herbeizuführen. Am 18. 11. 2002 gab die Klägerin der Erstbeklagten das Scheitern auch dieser Vertragsgespräche infolge Nichteinigung bekannt. Am 27. 11. 2002 stellte die Zweitgereihte bei der Kurie der Zahnärzte den Antrag auf Einsetzung einer paritätisch besetzten Kommission, um die Umstände der Nichteinigung zu prüfen. Die Klägerin wolle die Ordination offensichtlich nur an den Drittgereihten vergeben. Anlässlich einer Vorsprache bei der Kurie der Zahnärzte der erstbeklagten Partei vom 18. 12. 2002 und einer Konferenz mit Vertretern der Zweitgereihten am 15. 1. 2003 machte die Klägerin deutlich, dass sie die Übertragung der Zahnarztpraxis an die Zweitgereihte aus persönlichen Gründen (zB sei ihr die Bewerberin unsympathisch; sie wolle grundsätzlich keine Frau als Ordinationsnachfolgerin) ablehne. Die Ordination solle im Sinne ihres verstorbenen Mannes fortgeführt werden, was nur durch den von den Patienten sehr geschätzten Drittgereihten gewährleistet sei. Mit Schreiben vom 5. 2. 2003 setzte die erstbeklagte Partei die Klägerin davon in Kenntnis, dass sich die Niederlassungskommission infolge ihrer ausdrücklichen Weigerung, der Zweitgereihten die Ordination zu übertragen, gezwungen sehe, dieser die Möglichkeit der Niederlassung mit allen Kassenverträgen in unmittelbarer Nähe des Standorts zuzugestehen.

Die Klägerin begehrte von den beklagten Parteien 218.000 EUR sA an Schadenersatz und brachte vor, sie habe durch die den beklagten Parteien zuzurechnende unvertretbare Entscheidung der Niederlassungskommission und die rechtswidrige Weigerung der beklagten Parteien, ihr den übernahme- und zahlungswilligen Drittgereihten zu präsentieren, allenfalls auch durch eine unrichtige Reihung der Bewerber, erheblichen Schaden erlitten. Dieser errechne sich aus der Differenz des angemessenen Übernahmeentgelts und dem verbleibenden Wert der einzelnen Ordinationsgegenstände. Die erstbeklagte Partei hafte überdies wegen Erteilung eines unrichtigen Rats.

Die beklagten Parteien wandten unter anderem ein, die Niederlassungskommission sei aufgrund der ausdrücklichen Weigerung der Klägerin, die Ordination an die Zweitgereihte zu übergeben, zu der beanstandeten Entscheidung gezwungen gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus,

dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es vertrat die Rechtsansicht, Punkt III/6 der Vereinbarung regle den Normalfall des Scheiterns von Vertragsverhandlungen, nämlich das Festhalten des Übergebers an einer überhöhten Forderung. Dem sei der Fall gleichzuhalten, dass der Übergeber es gar nicht erst zu Verhandlungen über den Übergabepreis kommen lasse, sondern das Scheitern der Vertragsverhandlungen aus anderen Gründen provoziere. In diesem Fall seien die beklagten Parteien nicht verpflichtet, dem Übergeber den Nächstgereihten zu präsentieren. Auch wenn die Vereinbarung mit ihren Regeln über die Ordinationsübernahme Schutzwirkungen zugunsten der Erben nach einem Vertragsarzt entfalte, seien diese doch darauf beschränkt, dass den Erben kein vermögensrechtlicher Nachteil entstehen dürfe. Die Klägerin habe nie behauptet, dass ihr im Fall des Vertragsabschlusses mit der Zweitgereihten ein solcher Nachteil entstanden wäre. Sie habe aber keinen Rechtsanspruch darauf, mit einem bestimmten, in den Reihungsvorschlag aufgenommenen Arzt zu kontrahieren. Ebenso wenig habe sie einen Anspruch auf Einhaltung der Reihungskriterien. Die Haftung der erstbeklagten Partei für einen unrichtig erteilten Rat komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin spätestens nach der Vorsprache am 18. 12. 2002 ausreichend über die Rechtsfolgen ihrer die Zweitgereihte betreffenden Haltung aufgeklärt gewesen sei. Zur Begründung seines Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision führte das Berufungsgericht aus, der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 7 Ob 165/03w generell darauf verwiesen, dass die Bestimmungen über die Ordinationsübernahme in der Vereinbarung der beklagten Parteien Schutzwirkungen zugunsten der Erben eines Vertragsarztes entfalten würden. Für den Fall, dass dies auch auf die Reihungskriterien zutreffen sollte, sei das Berufungsgericht von der zitierten Rechtsprechung abgewichen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

I. Die den Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts begründende Rechtsfrage vermag die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO aus folgenden Gründen nicht zu erfüllen:

1. Gemäß § 343 Abs 1 Satz 1 ASVG erfolgt die Auswahl der Vertragsärzte und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrags und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. Die von den beklagten Parteien gemäß § 5 Abs 2 des Gesamtvertrags vom 25. 6. 1956 abgeschlossene Vereinbarung stellt eine Zusatzvereinbarung zu diesem Gesamtvertrag dar, deren Regelungen daher auch zum Inhalt des Gesamtvertrags zählen. Gemäß § 341 Abs 3 ASVG ist der Inhalt des Gesamtvertrags auch Inhalt der zwischen den einzelnen Trägern der Krankenversicherung und den einzelnen Vertragsärzten (gemäß § 343 Abs 1 ASVG im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer) abzuschließenden Einzelverträge.

2. Der Oberste Gerichtshof hat vor dem Hintergrund dieser Rechtslage in der Entscheidung 7 Ob 165/03w = SZ 2003/90 unter dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter die auch hier relevante Frage geprüft, ob die Witwe eines Vertragsarztes aus der besagten Vereinbarung Ansprüche gegen die beklagten Parteien auf Ersatz eines im Zuge der Ordinationsübernahme erlittenen Vermögensschadens ableiten kann. Er bejahte dies unter der Voraussetzung, dass die beklagten Parteien rechtswidrig und schuldhaft gegen die Vereinbarung verstoßen hätten und die (damalige) Klägerin dadurch auch tatsächlich geschädigt worden sei (im Anlassfall wurde der hier zweitbeklagten Partei die willkürliche Schätzung des Unternehmenswerts der zu übergebenden Zahnarztpraxis und die sittenwidrige Beeinflussung der Vertragsverhandlungen durch die an den Interessenten gerichtete Drohung, er werde bei Zahlung eines höheren Übernahmepreises keinen Kassenvertrag erhalten, zum Vorwurf gemacht). Aufgrund der Maßgeblichkeit des betreffenden Gesamtvertrags für den Inhalt der in seinem Bereich geschlossenen Einzelverträge sei - so im Wesentlichen die Argumentation des 7. Senats - die unmittelbare Auswirkung des Gesamtvertrags samt der in Frage stehenden Zusatzvereinbarung auf den Vertragsarzt als Partei des Einzelvertrags ganz offensichtlich. Zweck der dem Interessenausgleich dienenden einschlägigen Bestimmungen des ASVG sei einerseits der Schutz der Versichertengemeinschaft durch Sicherstellung ausreichender Sachleistungsvorsorge, andererseits aber auch die Interessen der Ärzteschaft (bzw des einzelnen Vertragsarztes). Diese Schutzwirkung schlage gerade bei einer Materie wie der Ordinationsübernahme auch auf die Rechtsnachfolger der Vertragsärzte durch. Der Einwand, das bloße Vermögen eines Dritten sei nicht in den Schutzbereich eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter einbezogen, sei nicht stichhältig, weil der einzelne Vertragsarzt (bzw seine Alleinerbin) von der Regelung der Ordinationsübernahme unmittelbar betroffen sei und es dabei insbesondere um vermögensrechtliche Belange gehe. Es sei somit festzuhalten, dass die gegenständliche Vereinbarung und insbesondere die darin enthaltenen Bestimmungen über eine Ordinationsübernahme Schutzwirkungen auch gegenüber der Klägerin, die im Erbweg Alleineigentümerin der Ordination geworden sei, entfalte. Die Interpretation des Berufungsgerichts, die angesprochenen Schutzwirkungen würden sich auf den Schutz des präsumtiven Übergebers vor vermögensrechtlichen Nachteilen beziehen, stimmt mit dem Sinngehalt der erörterten Ausführungen überein; ging es doch auch im damals beurteilten Fall ausschließlich um vermögensrechtliche Ansprüche der Klägerin, deren Einbeziehung in den Schutzbereich der gesamtvertraglichen Vereinbarung nur deshalb - von den allgemeinen Grundsätzen abweichend - möglich war, weil die „Hauptleistung", nämlich die Einhaltung der Regeln über die Ordinationsübernahme vorrangig ihre Interessen betraf (vgl RIS-Justiz RS0022475 [T1], RS0017068 [T2, T4 und T6]). Die daran anknüpfende Erwägung des Berufungsgerichts, der Schutz der Klägerin beschränke sich auf jene Regelungen, deren Nichtbeachtung zur Herbeiführung eines solchen Vermögensschadens führen könne, ist folgerichtig, steht zu der Entscheidung 7 Ob 165/03w nicht im Widerspruch und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

3. Die in Punkt II/3 der Vereinbarung enthaltenen und für die Fälle der Ordinationsübernahme in Punkt III/1 ergänzten Reihungskritierien berühren die schützenswerten Vermögensinteressen des präsumtiven Übergebers nicht. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, dienen die Reihungsbestimmungen für die Vergabe eines Kassenvertrags den Interessen der Versicherten und dem Schutz der Bewerber mit dem Ziel, dass möglichst der fachlich Bestqualifizierte zum Zug kommen soll. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet unsachliche Differenzierungen, das heißt die Anwendung sachlich nicht gerechtfertigter Auswahlkriterien. Die Vergabe eines Kassenvertrags muss daher auf objektiven und nachprüfbaren Erwägungen beruhen, die transparent und sachlich gerechtfertigt sind (7 Ob 299/00x = SZ 74/129 = ZAS 2002/8 [Schrammel]; RIS-Justiz RS0115621, auch RS0115622; ferner Kienast/Newole, Vergabe von Kassenverträgen im Visier des OGH, RdW 2002/155).

Mehrfach wurde etwa das Auswahlkriterium einer vorvertraglichen privatrechtlichen Einigung zwischen Bewerber und Praxisvorgänger als sachlich nicht gerechtfertigt mit der Begründung abgelehnt, es schütze nur die Interessen des Praxisvorgängers, sage aber nichts über die fachliche Qualifikation des Bewerbers aus (7 Ob 299/00x; 3 Ob 127/06g).

Ebenso wurde das Auswahlkriterium der Nachfolge innerhalb der Familie in direkter Linie als unsachlich qualifiziert. Der Praxisinhaber bleibe zwar Eigentümer und könne seine Rechte auf seine Nachkommen übertragen. Der Kassenvertrag sei aber kein gesondertes, umlauffähiges und übertragbares Vermögensrecht und stehe nicht im Eigentum des Arztes, auch wenn wirtschaftlich gesehen der Kassenvertrag eine unverhältnismäßig größere Anzahl von Patienten sichere. Der Kundenstock hänge unmittelbar mit dem Bestehen von Kassenverträgen zusammen, die der veräußernde Arzt aber nicht übertragen könne. Diese Problematik sei eine Auswirkung der Beschränkung des Zugangs der Ärzte zu Einzelverträgen, die nicht im Umweg über das Auswahlverfahren - weil es kein fachspezifisches Kriterium im Interesse der Versicherten sei - gemildert werden könne (7 Ob 299/00x).

Aus diesen Grundsätzen ist mit hinreichender Deutlichkeit ableitbar, dass die (vermögensrechtlichen) Interessen der präsumtiven Übergeber vom Schutzbereich der Reihungskriterien ausgenommen sind, dürfen sie doch für die Reihung nicht maßgeblich sein. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Einhaltung der Reihungskriterien, ist somit bereits durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gedeckt, von der abzugehen kein Anlass besteht.

II. Die Klägerin zeigt in ihrem Rechtsmittel auch keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Zunächst ist klarzustellen, dass das in den Revisionsausführungen immer wiederkehrende Argument, den beklagten Parteien komme nicht das Recht zur Auflösung des Einzelvertrags zu, auf einer Verkennung der Rechtslage beruht. Gemäß § 343 Abs 2 Z 3 ASVG erlischt das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung ohne Kündigung im Falle des Todes des Vertragsarztes, wobei die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Honoraransprüche des Arztes auf die Erben übergehen (Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 283). Im vorliegenden Fall wurde demnach das Vertragsverhältnis zur zweitbeklagten Partei mit dem Tod des Ehemanns der Klägerin ipso iure aufgelöst. Es konnte im Nachhinein weder gekündigt werden, noch bestand insoweit die Möglichkeit zur Anrufung der in § 344 ASVG geregelten paritätischen Schiedskommission. Der Vorwurf, die beklagten Parteien hätten durch ihre Vorgangsweise den Verlust des Einzelvertrags rechtswidrig herbeigeführt, muss daher ins Leere gehen. An der Rechtsfolge der Auflösung des Vertragsverhältnisses ändert auch die Möglichkeit einer vorübergehenden Weiterführung der Praxis durch einen von der Klägerin im Einvernehmen mit den beklagten Parteien betrauten Arzt für Rechnung der Klägerin nichts (vgl Mosler aaO 283; vgl ferner Tanzer, Weiterführung der Praxis nach dem Tod des Vertragsarztes, SozSi 1971, 188).

2. Die vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abgeschlossenen Gesamtverträge (§ 341 ASVG) sind samt ihren Zusatzvereinbarungen als Rechtsquellen sui generis anzusehen, deren Zustandekommen zwar nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist, die ihrem Inhalt nach jedoch Gesetzen im materiellen Sinn gleichzuhalten sind (7 Ob 3/05z = SZ 2005/149 mwN; 2 Ob 128/06x). Ein Gesamtvertrag ist daher in seinem schuldrechtlichen Teil wie ein Vertrag, also nach den §§ 914 f ABGB auszulegen, während sein normativer Teil nach den Grundsätzen der §§ 6 f ABGB ausgelegt werden muss (vgl 7 Ob 3/05z; Mosler aaO 404). In der Lehre wird dazu die Auffassung vertreten, dass auch die Vorschriften über den Stellenplan und die Vertragsarztauswahl zum schuldrechtlichen Teil des Gesamtvertrags zählen. Beabsichtigt sei nicht die Gestaltung der Einzelverträge, sondern deren Zustandekommen zum Zweck der Organisation der Sachleistungsvorsorge (Mosler aaO 234). Die Regelungen über die Ordinationsübernahme in Punkt III der Vereinbarung dienen ebenfalls der Begründung von Einzelverträgen und legen nicht deren Inhalt fest. Folgte man der zitierten Lehrmeinung wären sie daher nach den §§ 914 f ABGB auszulegen. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des Punkts III/6 zwar nicht offen gelegt, an welchen Auslegungsgrundsätzen es sich orientierte. Dies fällt hier aber nicht entscheidend ins Gewicht, weil das erzielte Auslegungsergebnis nach beiden Auslegungsmethoden vertretbar ist:

a) Unterliegt die Auslegung den §§ 914 f ABGB, ist von einer Vertragslücke auszugehen, weil die Folgen einer Ablehnung konstruktiver Vertragsverhandlungen durch den präsumtiven Übergeber aus „persönlichen Gründen" in Punkt III der Vereinbarung nicht geregelt ist. Treten nach Vertragsabschluss Konflikte auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher nicht ausdrücklich geregelt wurden, dann ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten (RIS-Justiz RS0017758). Wenn das Berufungsgericht unter Betonung des Vertragszwecks der Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung eines bestimmten Gebiets im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu dem Ergebnis kam, die grundsätzliche Weigerung des Übergebers, mit einem Bewerber in Verhandlungen zu treten, sei dem in Punkt III/6 geregelten Fall gleichzuhalten, ist ihm - auch unter Bedachtnahme auf Punkt III/3 - keine Fehlbeurteilung unterlaufen, die eines korrigierenden Eingreifens des Obersten Gerichtshofs bedarf. Auch wenn die Auslegung gesamtvertraglicher Bestimmungen typischerweise nicht einzelfallbezogen, sondern für einen größeren Personenkreis von Bedeutung ist, trifft dies gerade im vorliegenden Fall nicht (mehr) zu, weil die besagte Vereinbarung durch die aus Anlass der Reihungskriterien-Verordnung des Bundesministers für Soziales und Generationen vom 20. 12. 2002, BGBl II 487/2002, schon mit 1. 1. 2003 in Kraft getretenen „Richtlinien für die Auswahl und Invertragnahme von Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bzw Zahnärzten gemäß § 5 Abs 2 Gesamtvertrag" abgelöst wurde und § 12 Abs 10 dieser Richtlinie eine ausdrückliche Regelung für Fälle wie den vorliegenden enthält.

b) Zum selben Ergebnis käme man, wenn die Auslegung nach §§ 6 f ABGB erfolgen würde. Auch in diesem Fall wäre von einer Lücke, einer planwidrigen Unvollständigkeit, auszugehen, die das Berufungsgericht in vertretbarer Weise mit Hilfe eines Größenschlusses geschlossen hat (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Lückenschließung durch Analogie vgl Mosler aaO 405 f): Soll dem Bewerber die Möglichkeit der Niederlassung in unmittelbarer Nähe der bisherigen Planstelle zugestanden werden können, wenn der Übergeber auf seiner das Schätzgutachten übersteigenden Forderung beharrt, so muss dies erst recht gelten, wenn der Übergeber Verhandlungen von vornherein schlichtweg verwehrt. Im Übrigen kommt der Auslegung infolge geänderter Rechtslage (siehe oben) bereits überholter Rechtsvorschriften keine Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS-Justiz RS0042350 [T1]).

3. Die Klägerin stützt ihren Anspruch gegen die erstbeklagte Partei auch auf die Erteilung eines unrichtigen Rats gemäß § 1300 Satz 1 ABGB (vgl zu dieser Anspruchsgrundlage 7 Ob 165/03w; auch Karner in KBB² § 1300 Rz 2 und Rz 3 zur Haftung gegenüber Dritten). Sie bezieht sich dabei auf ihre Prozessbehauptung, von einem Vertreter der erstbeklagten Partei über ihr Recht zur Ablehnung von Verhandlungen mit der bestgereihten Interessentin belehrt worden zu sein. Das Berufungsgericht hielt dem entgegen, dass die Klägerin nach den erstinstanzlichen Feststellungen anlässlich ihrer Vorsprache in der Kurie der Zahnärzte am 18. 12. 2002 über die wahre Rechtslage ausreichend aufgeklärt worden sei. Die Klägerin führt dazu in ihrem Rechtsmittel aus, die damaligen Erklärungen hätten den unrichtigen Rat nicht relativiert.

Wie die Klägerin als redliche Erklärungsempfängerin die ihr von den Vertretern der erstbeklagten Partei erteilten Belehrungen in ihrer Gesamtheit verstehen durfte, betrifft die Auslegung dieser Erklärungen im Einzelfall und begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042555). Die (zumindest implizit) vertretene Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Rat (so er tatsächlich erteilt wurde; eine eindeutige Feststellung liegt dazu nicht vor) sei aufgrund des Gesprächs mit dem Niederlassungsreferenten vom 18. 12. 2002 für die Entscheidung der Klägerin jedenfalls nicht mehr kausal gewesen, lässt keine auffallende Fehlbeurteilung erkennen. Wurde die Klägerin doch nach dem Vortrag ihrer Gründe für die Ablehnung der Zweitgereihten auf die Maßgeblichkeit der „Vergaberichtlinien" hingewiesen und sie überdies dahin belehrt, dass es ihr dennoch freistehe, die Ordination ohne Kassenvertrag an einen beliebigen Dritten zu veräußern.

4. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

Anmerkung

E902552Ob48.08k

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inRdW 2009/346 S 390 (Info aktuell) - RdW 2009,390 (Info aktuell) = ARD5986/11/2009XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00048.08K.0219.000

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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