TE OGH 2009/3/17 10ObS36/09f

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Veröffentlicht am 17.03.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Boindl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert J*****, vertreten durch Nistelberger & Perz Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien, wegen Kostenübernahme (80,75 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2008, GZ 7 Rs 142/08s-33, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 21. 11. 2007 lehnte die beklagte Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag des Klägers auf Gewährung des Präparats „Testogel Gel 50mg 5g BTL à 30 St OP 2" laut Verordnung der Fachärztin für Urologie Dr. M***** vom 8. 10. 2007 ab.

Der Kläger stellte das Begehren, die beklagte Partei zu verpflichten, ihm das Präparat laut Verordnung zu gewähren. Die beklagte Partei wandte unter anderem ein, dass kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf die Gewährung von Sachleistungen in der Krankenversicherung bestehe; denkbar sei aber ein Klagebegehren auf Übernahme von Kosten durch den Krankenversicherungsträger. Die Fassung des Klagebegehrens wurde in erster Instanz nicht erörtert.

Das Erstgericht, das feststellte, dass der Kläger das Präparat bislang nicht gekauft und bezahlt hat, erkannte die beklagte Partei schuldig, die Kosten der Heilbehandlung des Klägers mit dem genannten Präparat „im Rahmen der Sachleistungsgewährung zu übernehmen". Das Klagebegehren sei zu modifizieren gewesen, weil es keinen durchsetzbaren Anspruch auf Gewährung von Sachleistungen in der Krankenversicherung gebe. Zulässig sei jedoch die Verpflichtung der beklagten Partei zur Übernahme der Kosten einer Behandlung im Rahmen der Sachleistungsgewährung.

Über Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab. Aufgrund des gesetzlichen Auftrags, das Sachleistungsprinzip möglichst zu verwirklichen, sei es erforderlich, den sozialversicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch von der endgültigen schuldbefreienden Zahlung abhängig zu machen. Ein Klagebegehren auf Übernahme von Kosten für ein (hier am 8. 10. 2007 verschriebenes) Heilmittel durch den beklagten Krankenversicherungsträger komme nur für die Zukunft in Betracht, während eine Leistungsklage auf Kostenerstattung für die Vergangenheit die vorherige Kostentragung durch den Versicherten oder Anspruchsberechtigten voraussetze. Da der Kläger das verschriebene Präparat weder gekauft noch bezahlt habe, sei die Ersatzfähigkeit zu verneinen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision sei mangels Abweichung von der höchstgerichtlichen Judikatur nicht zulässig.

In seiner außerordentlichen Revision führt der Kläger aus, dass er keine Leistungsklage auf Kostenerstattung für die Vergangenheit gestellt habe, sondern auf Übernahme der Kosten im Rahmen der Sachleistungsgewährung.

Dies ist insofern richtig zu stellen, als die beklagte Partei erst durch den Zuspruch im erstgerichtlichen Urteil (in der berichtigten Form) verpflichtet wurde, die Kosten der Heilbehandlung des Klägers mit dem Präparat Testogel „im Rahmen der Sachleistungsgewährung" zu übernehmen; begehrt worden war die Gewährung des Präparats. Vom Kläger ist aber nun klargestellt, dass es ihm „um Übernahme der Kosten des ... Präparats durch die beklagte Partei im Rahmen der Sachleistungsgewährung" geht.

Nach dem System des ASVG obliegt es den Krankenversicherungsträgern im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dafür zu sorgen, dass ärztliche Hilfe, Heilmittel etc bei Bedarf jedem Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen. Die Kostenerstattung stellt demnach die Ausnahme und nicht die Regel dar (10 ObS 119/03b zur medizinischen Hauskrankenpflege; Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 33).

Das Sachleistungsprinzip bedeutet aber nicht, dass die Krankenversicherungsträger alle Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung (ärztliche Hilfe, Heilmittel etc) tatsächlich in natura zu erbringen haben. Vielmehr sind sie nur dazu verpflichtet, die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Versicherten die benötigten Gesundheitsleistungen auf Rechnung der Krankenversicherungsträger erhalten können (Tomandl, Grundriss5 Rz 159). Besteht aber keine generelle Verpflichtung der Krankenversicherung, jede einzelne Leistung tatsächlich in natura zu erbringen, muss auch ein durchsetzbarer Anspruch auf die Gewährung als Sachleistung verneint werden (10 ObS 9/99t = SSV-NF 13/12; RIS-Justiz RS0111541). Wenn der Versicherte bzw Anspruchsberechtigte eine einzelne Leistung nicht auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhält, kann er nur Kostenerstattung verlangen (Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 45 ff, 54 ff). Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung setzt allerdings wiederum voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen worden sind (RIS-Justiz RS0113911 [T2]). Diese Voraussetzung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass das verordnete Arzneimittel nicht bezogen (und bezahlt) wird, sondern dass auf künftige Übernahme der Kosten geklagt wird.

Aus der in der außerordentlichen Revision angeführten Entscheidung 10 ObS 151/95 (= SSV-NF 9/65) ist für den Kläger nichts zu gewinnen. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde die dort beklagte Partei schuldig erkannt, die Kosten für eine Anstaltspflege in einem Pflege- und Therapiezentrum zu übernehmen. Die Regeln über die Kostentragung für Anstaltspflege und medizinische Hauskrankenpflege einerseits (§§ 144 ff ASVG) und für Krankenbehandlung andererseits (§§ 133 ff ASVG) sind verschieden (vgl 10 ObS 176/97y = SSV-NF 11/148). Im Fall der Notwendigkeit von Anstaltspflege hat der Versicherte einen Anspruch auf Einweisung in eine fondsfinanzierte Krankenanstalt. Nur dann, wenn die vom Versicherungsträger abgegebene Kostenübernahmeerklärung widerrufen wird oder die Einweisungsvoraussetzungen nicht vorliegen, kann der Krankenanstaltenträger die Pflegegebühren vom Patienten einfordern; der Versicherte muss dann ein Leistungsstreitverfahren anstrengen (Binder in Tomandl, SV-System [21. ErgLfg] 256 [2.2.3.4.E.]). Die Regeln über den Kostenersatz bei Krankenbehandlung gelten nach § 151 Abs 4 ASVG nur bei Nichtinanspruchnahme von Vertragspartnern, eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers; in diesem Fall würde eine Kostenerstattung davon abhängen, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen worden sind (10 ObS 68/04d, 10 ObS 67/04g). Im Regelfall der Anstaltspflege, wie er der Entscheidung 10 ObS 151/95 (= SSV-NF 9/65) zugrunde lag, ist eine vorherige Kostentragung keine Voraussetzung für ein Begehren auf Übernahme der Kosten durch den Krankenversicherungsträger (vgl zuletzt 10 ObS 99/08v [Ausnüchterung im Krankenhaus]).

Die angefochtene Entscheidung hält sich somit im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Ersatz der Kosten eines verordneten Heilmittels: Nach Vorfinanzierung der Kosten kann Kostenerstattung verlangt werden.

Da eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht aufgezeigt wird, ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Textnummer

E90519

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00036.09F.0317.000

Im RIS seit

16.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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