TE OGH 2009/4/6 3Nc3/09k

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Veröffentlicht am 06.04.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Lovrek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Therese L*****, geboren am *****, und Lili L*****, geboren am *****, aufgrund der vom Bezirksgericht Graz-Ost verfügten Vorlage dessen Akts AZ 231 P 238/08i, nunmehr 231 P 48/09z, zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 1. Dezember 2008, GZ 231 P 238/08i-S-37, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Kitzbühel wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2008 übertrug auf Antrag der obsorgeberechtigten Mutter das Bezirksgericht Graz-Ost, das die Pflegschaftssache erst im Juni 2008 vom Bezirksgericht Gleisdorf übernommen hatte, die Zuständigkeit zu deren Besorgung dem Bezirksgericht Kitzbühel, weil sich die Kinder jetzt ständig in dessen Sprengel aufhielten (ON S-43 [vorher S-38]). Dieser den Eltern nachträglich zugestellte Beschluss wurde von ihnen nicht angefochten und ist somit rechtskräftig. Das Bezirksgericht Kitzbühel lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache mit Beschluss vom 16. Dezember 2008 ab. Das Bezirksgericht Graz-Ost legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung „über den negativen Kompetenzkonflikt" vor.

Rechtliche Beurteilung

Ungeachtet seines Wortlauts ist dieser Antrag als Anzeige iSd § 111 Abs 2 zweiter Satz JN zu werten. Die Übertragung ist auch zu bewilligen.

Übertragungsbeschlüsse iSd § 111 Abs 1 JN führen (jedenfalls unmittelbar) schon deshalb nicht zu einem negativen Kompetenzkonflikt, weil das übertragene Gericht eine wirksame Übertragung durch seinen - wenn auch rechtskräftigen - Beschluss allein nicht zu bewirken vermag. Vielmehr bedarf dieser zu seiner Wirksamkeit entweder der Zustimmung des anderen Gerichts (§ 111 Abs 2 erster Satz JN) oder der Genehmigung des beiden betroffenen Gerichten zunächst übergeordneten Gerichtshofs (§ 111 Abs 2 zweiter Satz JN), bei in verschiedenen Oberlandesgerichtssprengeln gelegenen Bezirksgerichten wie hier daher des Obersten Gerichtshofs. Bis zum Vorliegen eines dieser beiden Akte dauert somit die eine Voraussetzung für die Übertragung bildende (Mayr in Rechberger³ § 111 JN Rz 1 mwN) Zuständigkeit des übertragungswilligen Gerichts fort (RIS-Justiz RS0046164).

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache an jenes Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Betroffenen liegt (RIS-Justiz RS0047300). Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts ist anzunehmen, dass das Kind auch zukünftig im Sprengel des Bezirksgerichts Kitzbühel wohnen wird. Die Mutter ist dort seit Anfang September 2008 gemeldet und gibt an, sich dort mit ihren Kindern ständig aufzuhalten. Dies bestätigt im Wesentlichen auch der Vater (ON S-44). Den notwendigen pflegschaftsgerichtlichen Schutz kann idR das Gericht am besten gewährleisten, in dessen Sprengel die Pflegebefohlenen wohnen (3 Nc 32/03s; ähnlich 9 Nc 14/08w mwN). Auch offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (RIS-Justiz RS0047032; RS0046895); es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Entscheidung über einen solchen Antrag durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (4 Nc 15/05a). Im vorliegenden Fall hatte der Vater am 29. April 2008 beim übertragenden Gericht beantragt, der Mutter die Obsorge zu entziehen und ihm zu übertragen. In der Folge ersuchte er um Unterstützung bei der Durchsetzung seines Besuchsrechts. Auch die väterlichen Großeltern hatten eine Besuchsrechtsregelung verlangt. Dieses Gericht hat nach Einholung von Äußerungen der Mutter bereits eine mündliche Erörterung der Besuchsrechtsfrage durchgeführt und eine kinderpsychologische Sachverständige bestellt, die bisher nur ein Aktenstudium durchführte und einen Fragenkatalog erstellte (ON S-36). In der Folge beantragte die Mutter auch noch beim übertragenden Bezirksgericht Verfahrenshilfe. Nach der Aktenlage ist kein hinreichender Grund ersichtlich, der eine Entscheidung über die offenen Anträge durch das bisher zuständige Gericht zweckmäßiger erscheinen ließe, auch wenn die Mutter ua die Vernehmung zweier Zeuginnen verlangt, von denen zwar eine in Graz wohnt. Bei der anderen Zeugin ist aber eine Adresse in Kärnten angegeben. Zumindest für die Entscheidung über den Antrag auf Änderung der Obsorge wird die schon verfügte Begutachtung und Befragung der Kinder und der Eltern erforderlich sein, die besser von einem näher zu dem nunmehrigen Aufenthaltsort von drei dieser Personen ansässigen Sachverständigen vorzunehmen sein wird. Mag eine solche auch dem Bezirksgericht Graz-Ost möglich sein, wäre doch die Anhörung von Kindern und Mutter durch dieses Gericht durch die große Entfernung von deren im Übrigen nunmehr schon seit mehr als einem halben Jahr geänderten Wohnort erschwert. Besondere unmittelbar gewonnene Beweisergebnisse liegen auch beim übertragenden Gericht noch nicht vor. Unter diesen Umständen ist kein Vorteil aus der Weiterbearbeitung der offenen Anträge durch das bisher zuständige Gericht zu erwarten (RIS-Justiz RS0046972 [T4]; 3 Nd 502/97; RS0047032 [T5, T7, T8, T12, T14]). Im Hinblick darauf, dass eine Änderung der bisher allein der Mutter zukommenden Obsorge nicht a priori wahrscheinlich ist, weil sie nur unter den strengen Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB erfolgen darf (s dazu die Rsp bei Stabentheiner in Rummel, ABGB³ 1. ErgBd § 176 Rz 3), hindert auch der dazu gestellte Antrag die Übertragung entgegen der vom Bezirksgericht Kitzbühel geäußerten Ansicht nicht. Die bisherige Rechtsprechung betraf zwar nicht nur Fälle von Erstanträgen iSd nunmehrigen §§ 177a und 177b ABGB (wohl aber etwa 4 Nd 501/94; 6 Nd 508/00), in denen demnach anders als im vorliegenden nicht einmal feststand, welchem Elternteil überhaupt die Obsorge erstmals allein zustehen würde. In der jüngeren Rechtsprechung wird aber überwiegend die Auffassung vertreten, dass sich generell die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung während eines aufrechten Obsorgestreits ausschließlich daran zu orientieren hat, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerechter und umfassender beurteilen kann (RIS-Justiz RS0047027 [T2, T3, T4]). Dass dies hier weniger auf das übertragende Gericht zutrifft, wurde bereits erläutert.

Anmerkung

E904923Nc3.09k-2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0030NC00003.09K.0406.000

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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