TE OGH 2009/4/16 1R73/09a

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Veröffentlicht am 16.04.2009
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Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Jesionek als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Mag. Schaller und Dr. Rassi in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, 6020 Innsbruck, vertreten durch Tinzl & Frank, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. F***** H***** GmbH, *****, 1110 Wien, 2. R***** H*****, *****, 1180 Wien, beide vertreten durch Dr. Manfred Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 15.000,-- sA, über den Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 02.10.2008, GZ 22 Cg 30/08t-25, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass der Antrag der klagenden Partei vom 26.09.2008 (ON 20), das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens 20 Cg 24/07v des Handelsgerichtes Wien zu unterbrechen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit EUR 651,24 (darin enthalten EUR 108,54 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit ihrer am 12.11.2004 eingebrachten und am 25.11.2004 (vgl ON 3) verbesserten Mahnklage begehrte die Klägerin für „Werklohn/Honorar“ EUR 15.000,--. Sie brachte dazu im Wesentlichen vor, dass sie der Erstbeklagten auftragsgemäß Gewerke erstellt hätte. Nach Saldierung der offenen Verbindlichkeiten hafte per 30.11.2003 ein offener Saldo von EUR 38.991,36 unberichtigt aus. Zur Besicherung der offenen Forderung habe die Klägerin einen Wechsel über EUR 15.000,-- ausgestellt. Der Zweitbeklagte habe die Wechselbürgschaft für die Erstbeklagte übernommen. Das Verfahren wurde am 02.12.2004 streitanhängig und ruhte vom 25.04.2005 bis zum 06.03.2008. Zuletzt wurde die Klage gegenüber dem Zweitbeklagten unter Anspruchsverzicht zurückgenommen (ON 20).

Mit einer weiteren am 12.01.2007 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von F***** H***** und der hier Erstbeklagten vor dem Handelsgericht Wien zu 20 Cg 24/07v ausgehend von der oben dargelegten Restforderung abzüglich einer Zahlung von EUR 3.500,-- den Betrag von EUR 35.491,36. Dabei stützte sich die Klägerin im Wesentlichen auf eine außergerichtliche Vereinbarung vom 05.04.2005, wonach sich F***** H***** und die hier Erstbeklagte zur Zahlung eines Betrages von EUR 15.000,-- sA und die hier Erstbeklagte zur Zahlung eines weiteren Betrages von EUR 23.991,36 verpflichtet hätten. Mit noch nicht rechtskräftigem Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 16.07.2008 zu 20 Cg 24/07v wurden Franz Hafner und die hier Erstbeklagte zur Zahlung von EUR 15.000,-- sA zur ungeteilten Hand und die hier Erstbeklagte darüber hinaus zur Zahlung von weiteren EUR 20.491,36 sA verurteilt.

Nach Zustellung dieses Urteils beantragte die Klägerin, das gegenständliche Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens 20 Cg 24/07v zu unterbrechen. Das Verfahren 20 Cg 24/07v sei präjudiziell für das hier anhängige Verfahren; zudem seien im anderen Verfahren auch sämtliche anspruchsbegründenden Urkunden vorgelegt worden.

Die Erstbeklagte sprach sich gegen die Unterbrechung aus und vertrat, dass mangels Vorlage bzw Existenz eines Wechsel ein wechselrechtlicher Anspruch nicht bestehe, weshalb es keinen Grund für eine Unterbrechung gebe. Vielmehr wäre das Verfahren im klagsabweisenden Sinn spruchreif.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens 20 Cg 24/07v unterbrochen und ausgesprochen, dass das Verfahren nur auf Parteienantrag fortgesetzt werde. Es ging in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen davon aus, dass die Entscheidung im Verfahren 20 Cg 24/07v zum Tatbestand der im gegenständlichen Verfahren zu lösenden Rechtsfrage gehöre. Als präjudiziell wurde zum einen die Frage der Streitanhängigkeit bzw der rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens und zum anderen die Frage des Vergleichs betrachtet.

Dagegen richtet sich der am 01.12.2008 eingebrachte (und dem Rekursgericht am 01.04.2009 vorgelegte) Rekurs der Erstbeklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen werde.

Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Unterbrechung des Verfahrens ist nach § 190 ZPO zulässig, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen gerichtlichen Verfahrens bildet. Dieser Bestimmung liegt ein verfahrensökonomischer Gedanke zugrunde, weil zivilgerichtliche Entscheidungen über Vorfragen bei Parteienidentität nach der Rechtskraftlehre Bindungswirkung in einem Folgeprozess haben. Stellt ein rechtskräftig entschiedener Anspruch eine Vorfrage für den mit einer anderen Klage geltend gemachten Anspruch dar (ist die rechtskräftige Entscheidung also präjudiziell), verhindert der Sachzusammenhang zwischen dem neuen Begehren und dem vorliegenden Urteilsspruch eine selbständige Beurteilung der Vorfrage im zweiten Prozess: Die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft bewirkt somit eine inhaltliche Bindung an die Entscheidung des Vorurteils (vgl Rechberger in Rechberger3 § 411 Rz 9 mwN). Damit korrespondiert § 190 ZPO, der die Unterbrechung deshalb erlaubt, damit hinsichtlich der relevanten Vorfrage im unterbrochenen Prozess nach Entscheidung im anderen Prozess kein weiteres Beweisverfahren mehr durchgeführt werden muss, sondern sich das Gericht auf die Bindungswirkung berufen kann. Nach der nun herrschenden Rechtsprechung ist nur die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage von der Bindungswirkung umfasst, nicht aber eine dort beurteilte Vorfrage (4 Ob 87/07h mwN; 4 Ob 200/08b; 1 Ob 83/08c; RIS-Justiz RS0041567 [T8]). Eine Unterbrechung des Rechtsstreits ist nach § 190 Abs 1 ZPO somit nur dann zulässig, wenn die Frage des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, die im Rechtsstreit als Vorfrage gelöst werden musste, in einem anderen (bereits anhängigen) Verfahren als Hauptfrage gelöst werden muss und das Gericht an diese Lösung gebunden ist (Schragel in Fasching/Konecny2 § 190 ZPO Rz 24). Die früher teilweise vertretene Auffassung, eine gewisse Bindungswirkung müsse aufgrund der anzustrebenden Entscheidungsharmonie angenommen werden, wird von der jüngeren Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht mehr geteilt (vgl RIS-Justiz RS0102102; 9 ObA 205/98g; 1 Ob 83/08z uva). Allein das Bedürfnis an Entscheidungsharmonie kann die Grenzen der materiellen Rechtskraft somit nicht ausweiten (4 Ob 87/07h mwN; 4 Ob 200/08b). Sie kann daher auch eine Unterbrechung nach § 190 ZPO nicht rechtfertigen.

Die hier vom Erstgericht zu entscheidende Hauptfrage, ob die Erstbeklagte der Klägerin einen Betrag von EUR 15.000,-- schuldet, ist nicht von der Beurteilung einer Vorfrage abhängig, die im Verfahren 20 Cg 24/07v die Hauptfrage ist bzw war. Präjudizialität setzt nämlich voraus, dass die Entscheidung zum Tatbestand der in dem gerichtlichen Verfahren zu lösenden Rechtsfrage gehört; ein Sinnzusammenhang genügt nicht (ÖBl 1999, 138). Auch eine Unterbrechung bloß zur Erlangung eines Beweisgrundes ist nicht zulässig (LGZ Wien EFSlg 76.054 und 82.219). Es genügt also nicht, dass in dem anderen Verfahren Beweisaufnahmen zum selben Beweisthema erforderlich sind (vgl LGZ Wien EFSlg 72.954).

Das Erstgericht begründet die Unterbrechung damit, dass für das Verfahren die Streitanhängigkeit bzw die rechtskräftige Erledigung des Verfahrens im Parallelprozess bzw die Frage des Vergleiches präjudiziell seien.

Weder auf den Aspekt der allfälligen Streitanhängigkeit noch auf das Hindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache musste hier näher eingegangen werden. Selbst wenn man zwischen beiden Verfahren Streitanhängigkeit bejaht, wäre das gegenständliche Verfahren von diesem Prozesshindernis nicht betroffen. Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 233 Abs 1 ZPO bewirkt die Streitanhängigkeit während ihrer Dauer ein Prozesshindernis für die neuerliche Geltendmachung desselben Anspruchs. Dieses Hindernis muss in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrgenommen werden und führt zur Zurückweisung der zweiten Klage (SZ 19/74; Rechberger/Klicka in Rechberger3 § 233 ZPO Rz 7). Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit kann das vom Rekurssenat zu prüfende Verfahren 22 Cg 30/08t schon deshalb nicht erfassen, weil dessen Streitanhängigkeit bereits Jahre vor dem zu 20 Cg 24/07v anhängigen Verfahren eingetreten ist. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die zweite Klage zu einem Zeitpunkt streitanhängig wurde, als das hier zu prüfende Verfahren ruhte. Auch ein ruhendes Verfahren ist nämlich anhängig, soweit seine Fortsetzung nicht ausgeschlossen ist (8 ObS 1019/95; Rechberger/Klicka in Rechberger3 § 233 ZPO Rz 8). Mangels rechtskräftiger Entscheidung im Verfahren 20 Cg 24/07v kann auch das Prozesshindernis der entschiedenen Rechtssache noch nicht vorliegen.

Auch eine allfällige notwendige rechtliche Prüfung des Vergleiches, der jenem Anspruch zugrunde liegt, der mit der Klage zu 20 Cg 24/07v geltend gemacht wurde, rechtfertigt keine Unterbrechung nach § 190 ZPO. Zum einen bilden die Wirkungen des behaupteten Vergleiches im Verfahren 20 Cg 24/07v nur eine Vorfrage. Zum anderen haben sich die Streitteile im Verfahren 22 Cg 30/08t bislang noch nicht auf die Wirkungen bzw die Unwirksamkeit dieses Vergleiches gestützt. Hinzuweisen ist, dass sich die Klägerin in diesem Verfahren auf eine mit einem Wechsel abgesicherte Werklohnforderung stützt, während sich der im Verfahren 20 Cg 24/07v geltend gemachte Anspruch auf eine außergerichtliche Einigung stützt.

Auch eine Verneinung des (vom Rekursgericht nicht zu prüfenden, vgl oben) Prozesshindernisses der Streitanhängigkeit im zweiten Verfahren hat nicht zur Folge, dass die Klägerin von der Gegenseite den Betrag von EUR 15.000,-- zweimal fordern kann. Wenn die Tatbestandsmerkmale zweier anspruchsbegründender Normen erfüllt werden, die Ansprüche aber dem gleichen wirtschaftlichen Ziel dienen, erlischt durch die Erfüllung eines dieser Ansprüche auch der andere (vgl RIS-Justiz RS0038060). Ein Anspruch erlischt somit nicht bereits durch die Entscheidung über den anderen Anspruch, weshalb auch aus diesem Grund eine Unterbrechung nicht zu rechtfertigen ist.

Somit war der angefochtene Beschluss im antragsabweisenden Sinn abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Hat der Rekurs einer Partei gegen einen auf Antrag des Gegners erfolgten Unterbrechungsbeschluss Erfolg, sind ihr die Kosten dieses losgelösten Zwischenstreits zuzusprechen (OLG Wien ÖBl 1971, 41; 7 Ra 105/95; 10 Ra 133/07p; Bydlinski in Fasching/Konecny2 § 52 ZPO Rz 3; Fucik in Rechberger3 § 52 ZPO Rz 5).

Gemäß § 192 Abs 2 ZPO kann die Aufhebung einer in erster Instanz verfügten Unterbrechung durch das Rekursgericht nicht angefochten werden (vgl SZ 22/94; EvBl 1952/419; MietSlg 19.525; 39.746; OLG Wien 7 Ra 105/95; 10 Ra 133/07p).

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW006851R73.09a

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2009:00100R00073.09A.0416.000

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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