TE OGH 2009/10/21 9Nc19/09g

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Veröffentlicht am 21.10.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen M***** M*****, geboren am ***** 2006, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Stockerau vom 30. Juli 2009, GZ 1 Ps 126/09h-9, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Graz-Ost wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

Text

Begründung:

I***** M***** ist in aufrechter Ehe mit D***** M***** verheiratet. Der Ehe entstammt die am ***** 2006 geborene Tochter M*****. Am 10. 6. 2009 verließ die Mutter mit der Tochter die eheliche Wohnung in S***** und flüchtete in ein Haus der Caritas in G***** und sodann, sobald dort ein Platz frei war, in das Frauenhaus G*****. Mutter und Tochter sind seit dem 30. 6. 2009 mit dem Hauptwohnsitz in G***** gemeldet.

In ihrem an das Bezirksgericht Graz-Ost gerichteten Antrag vom 10. 7. 2009, dem Vater die Obsorge für die Tochter zu entziehen und ihr die alleinige Obsorge zu übertragen, gab die Mutter bekannt, dass sie und ihre Tochter auf jeden Fall dauerhaft in G***** bleiben wollen. Dies bekräftigte sie auch in einem weiteren Schreiben vom 15. 7. 2009 an das Bezirksgericht Bruck an den Mur, worin sie - mit dem Ersuchen um Weiterleitung an das Bezirksgericht Stockerau - bekanntgab, dass sie sich immer noch im Frauenhaus G***** aufhalten und hier ihren Hauptwohnsitz begründet haben.

Parallel dazu beantragte der Vater schon am 16. 6. 2009 beim Bezirksgericht Stockerau, ihm die alleinige Obsorge zu übertragen. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 15. 7. 2009 erklärte sich das Bezirksgericht Graz-Ost für unzuständig und überwies die Pflegschaftssache gemäß § 44 JN an das Bezirksgericht Stockerau. Der ständige Aufenthalt der Mutter und der Minderjährigen liege in S*****. Es müsse schlüssig angenommen werden, dass die Mutter nicht dauerhaft ihren Aufenthalt und Wohnsitz in G***** nehme. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 30. 7. 2009 übertrug das Bezirksgericht Stockerau die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Graz-Ost. Die Minderjährige halte sich jetzt ständig im Sprengel des Bezirksgerichts Graz-Ost auf. Es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Graz-Ost diese Pflegschaftssache führe. Das Bezirksgericht Stockerau übermittelte hierauf den Akt dem Bezirksgericht Graz-Ost und wies zusätzlich auf das im Weg des Bezirksgerichts Bruck an der Mur eingelangte Schreiben der Mutter vom 15. 7. 2009 hin, wonach sie gemeinsam mit der Minderjährigen ihren Hauptwohnsitz in G***** begründet habe. Das Bezirksgericht Graz-Ost legte daraufhin den Akt dem Obersten Gerichtshof wegen eines Kompetenzkonflikts vor. Eine nähere Stellungnahme zur Übertragung der Zuständigkeit durch das Bezirksgericht Stockerau erfolgte nicht.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der fälschlichen Annahme des Bezirksgerichts Graz-Ost liegt hier kein (negativer) Kompetenzkonflikt vor. Der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Stockerau gemäß § 111 JN setzt vielmehr in formeller Hinsicht die durch den rechtskräftigen Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost (jedenfalls) begründete Zuständigkeit des Übertragungsgerichts voraus (vgl 1 Nc 34/04x; 1 Nc 2/05t; siehe auch RIS-Justiz RS0107254 ua). Die Vorlage des Akts durch das Bezirksgericht Graz-Ost ist daher ungeachtet ihres Wortlauts als Anzeige im Sinn des § 111 Abs 2 Satz 2 JN zu werten (vgl 3 Nc 3/09k ua).

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Gericht im Interesse eines Minderjährigen seine Zuständigkeit übertragen, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist die Übertragung nur dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder im Fall der Weigerung des anderen Gerichts eine Genehmigung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht - hier durch den Obersten Gerichtshof - erfolgt. Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist immer das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074 ua). § 111 JN nimmt darauf Bedacht, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Pflegebefohlenen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist. Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz daher am Besten durch jenes Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (2 Nd 501/00; 3 Nc 26/09t; RIS-Justiz RS0049144 ua). Die offenen Obsorgeanträge der Eltern stehen der Übertragung der Zuständigkeit nicht entgegen (RIS-Justiz RS0047032 ua). Nähere Erhebungen zu den wechselseitigen Obsorgeanträgen erfolgten bisher noch nicht. Es ist daher kein besonderer Vorteil aus der Bearbeitung der Anträge durch das bisherige Pflegschaftsgericht zu erwarten, vielmehr sprechen Gründe des Kindeswohls dafür, die Pflegschaftssache an jenes Bezirksgericht zu übertragen, in dessen Sprengel sich die Minderjährige in der mehrfach von der Mutter bekundeten Absicht befindet, dort dauerhaft zu bleiben (vgl 3 Nc 26/09t ua). Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Graz-Ost, in dessen Sprengel der Aufenthalt der Minderjährigen gelegen ist (§ 2 der Bezirksgerichte-Verordnung Steiermark, BGBl II 2002/82), ist daher gemäß § 111 Abs 2 JN zu genehmigen.

Anmerkung

E921579Nc19.09g

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0090NC00019.09G.1021.000

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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