TE AsylGH Erkenntnis 2012/10/23 E14 425939-1/2012

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Veröffentlicht am 23.10.2012
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Spruch

E14 425.939-1/2012-7E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag.a JICHA, als Vorsitzende und den Richter Dr. BRACHER, als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.03.2012, Zl. 11 10.349-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verfahrensgang und Sachverhalt

 

Verfahrensgang

 

Der Beschwerdeführer stellte am 09.09.2011 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: AS] 3). Die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Wels Innere Stadt fand am 09.09.2011 statt (AS 7 - 17).

 

Das Bundesasylamt beauftragte das XXXX für klinisch-forensische Bildgebung in Graz mit einem Gutachten zur forensischen Altersschätzung. Dieses gelangt im Gutachten vom 09.11.2011 (AS 67 - 79) zu einem Mindestalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Untersuchung von 19 Jahren (AS 77).

 

Mit Verfahrensanordnung vom 22.11.2011 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt für volljährig erklärt (AS 103, 109).

 

Am 22.11.2011 (AS 99 - 119) wurde der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Traiskirchen, und am 19.03.2012 (AS 147 - 159) beim Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, niederschriftlich einvernommen.

 

Im Zuge der Einvernahme am 19.03.2012 wurden dem Beschwerdeführer die Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat Pakistan ausgehändigt und die Möglichkeit eingeräumt, hierzu innerhalb einer Woche eine Stellungnahme abzugeben (AS 157).

 

Der Beschwerdeführer gab zu den aktuellen Länderfeststellungen keine Stellungnahme ab.

 

Der Beschwerdeführer legte im erstinstanzlichen Verfahren Fotos seines verstorbenen Bruders (AS 139 - 145) und zwei polizeiliche Anzeigen (AS 205) [Übersetzung: (Ordnungszahl des Beschwerdeverfahrensaktes [im Folgenden: OZ] 2)] vor.

 

Das Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, wies mit Bescheid vom 30.03.2012, Zl. 11 10.349-BAE, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers in Spruchpunkt I bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und in Spruchpunkt II bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Mit Spruchpunkt III wies das Bundesasylamt den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Pakistan aus (AS

219 - 267).

 

Gegen diesen am 02.04.2012 zugestellten (AS 270) Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die fristgerechte Beschwerde vom 04.04.2012 (AS 273 - 295).

 

Verfahrensinhalt

 

Vorbringen

 

Zu seiner Identität befragt gab der Beschwerdeführer zunächst an, XXXX zu heißen, und am XXXX geboren zu sein. Nach Ankunft des Dolmetschers, gab er die im Spruch angeführte Identität an (AS 5, 17).

 

Der Beschwerdeführer brachte zu seinem Fluchtgrund befragt im Rahmen der Erstbefragung am 09.09.2011 im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass sein Onkel XXXX für einen großen Bauern als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter tätig gewesen sei. Dieser habe dort im Jahr 2002 Probleme bekommen. Ein Mann habe auf seinen Onkel geschossen und diesen an der rechten Schulter sowie an der linken Hand verletzt. Sein Onkel habe sich verteidigt und diesen Mann getötet. Daraufhin habe es einen Familienstreit gegeben. Bei diesem sei sein Vater getötet und sein Bruder XXXX am rechten Unterschenkel und am linken Oberschenkel verletzt worden. In den Jahren 2009, 2010 und 2011 habe es auch Angriffe auf seine Person gegeben (AS 15).

 

In den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 22.11.2011 und 19.03.2012 schilderte der Beschwerdeführer nochmals sein Vorbringen zum Fluchtgrund. Sein Onkel namens XXXX habe gemeinsam mit anderen Personen für XXXX gearbeitet. Während dieser Arbeit sei sein Onkel mit den anderen Personen in Streit geraten. Daraufhin habe einer der Männer namens XXXX [Anmerkung an anderer Stelle (AS 113) als XXXX protokolliert] auf seinen Onkel geschossen. Jemand habe dies seinem Vater mitgeteilt. Daraufhin sei dieser mit einer Kalaschnikow bewaffnet dorthin geeilt und habe XXXX erschossen. Dies sei im Jahr 2002 der Beginn der Feindschaft zwischen den Leuten von XXXX und seiner Familie gewesen. 2006 hätten Leute von XXXX auf seinen älteren Bruder und seinen Vater geschossen. Letzterer sei dabei ums Leben gekommen. Die Feindschaft sei seit damals immer stärker geworden. In den Jahren 2009, 2010 und 2011 sei auch auf ihn geschossen worden. Am 14.06.2011 habe er sich dabei im Zuge eines Motorradsturzes am linken Knie und an der linken Hand verletzt. Er sei aber nicht angeschossen worden (AS 113, 152 - 155). Sein 13-jähriger Bruder XXXX sei auf Weg von der Schule nach Hause gewesen und dabei ebenfalls von den Feinden getötet worden (AS 151, 155).

 

Im Übrigen habe es im Dorf des Beschwerdeführers im Jahr 2011 eine Überschwemmung gegeben (AS 107, 113, 152).

 

Bescheid und Beschwerde

 

Das Bundesasylamt begründete den abweisenden Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Sachverhalt von Seiten des Beschwerdeführers vage geschildert worden und nicht nachvollziehbar sei. Vor allem fänden sich einige Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers (AS 255 [Bescheid Seite [im Folgenden: BS] 41]).

 

In der Erstbefragung habe er beispielsweise angegeben, der Mann namens XXXX sei von seinem Onkel erschossen worden, in den weiteren Einvernahmen hingegen nannte er seinen Vater als Schützen (AS 255 [BS 41]).

 

Weiters divergierten die Angaben zum Todeszeitpunkt seines Vaters (2004 und 2006). Im Übrigen sei es nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer hinsichtlich der Ermordung seines Vaters und der Verletzung seines Bruders XXXX zunächst bei der Erstbefragung von zwei Vorfällen im Abstand eines Jahres spricht, in der Folge diesbezüglich jedoch nur einen einzigen Vorfall - im Jahr 2006 - schildert (AS 255, 256 [BS 41, 42]).

 

Ebenfalls widersprüchlich stellten sich die Angaben des Beschwerdeführers zu folgendem Vorfall dar. So habe der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung am 09.09.2011 behauptet, im Jahr 2010 gemeinsam mit einem Freund auf dem Motorrad unterwegs gewesen zu sein. Nachdem auf sie geschossen worden sei, wären sie gestürzt und hätte sich der Freund dabei den Fuß gebrochen. Bei der Einvernahme am 22.11.2011 habe der Beschwerdeführer dann zwar gleichbleibend ausgeführt, mit einem Freund mit dem Motorrad unterwegs gewesen zu sein, jedoch sei der Freund bei dieser Schilderung am Knie von einer Kugel getroffen worden. Bei der Einvernahme am 19.03.2012 erklärte der Beschwerdeführer schließlich - anders als in den beiden vorhergehenden Erzählungen -, dass es nicht im Jahr 2010, sondern bereits im Jahr 2009 während einer Autofahrt zu einem Vorfall gekommen sei. Die einzelnen Erzählungen seien nun dermaßen unterschiedlich, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer tatsächlich erlebte Sachverhalte schildere (AS 256 [BS 42]).

 

Grob widersprüchlich seien im Übrigen jene Angaben, welche sich alle auf einen Vorfall am 14.06.2011 beziehen. Bei der Erstbefragung am 09.09.2011 habe der Beschwerdeführer davon gesprochen, beim Vorfall im Jahr 2011 gemeinsam mit seinem Bruder auf einem Motorrad unterwegs gewesen zu sein. Er sei bei einem auf sie verübten Schussattentat - trotz eines Sturzes - unverletzt geblieben. Sein Bruder hätte sich dabei die linke Hand gebrochen. Bei der Einvernahme am 22.11.2011 habe der Beschwerdeführer den Vorfall in der Weise geschildert, dass er allein auf dem Motorrad unterwegs gewesen wäre, man auf ihn geschossen hätte, er dadurch gestürzt wäre und sich hierbei auf dem linken Knie und der linken Hand verletzte habe. Letztlich habe der Beschwerdeführer bei der Einvernahme am 19.03.2012 hinsichtlich dieses Vorfalls zu Protokoll gegeben gemeinsam mit seinem Cousin mit dem Motorrad unterwegs gewesen zu sein. Beim Versuch sie zu erschießen, wäre sein Cousin am rechten Unterschenkel und am linken Oberarm angeschossen worden. Er selbst sei jedoch unverletzt geblieben. Dass es hinsichtlich eines einzigen Vorfalles zu dermaßen unterschiedlichen Schilderungen komme, lasse nur den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer das Geschilderte zu keiner Zeit persönlich erlebt habe (AS 256 - 257 [BS 42 - 43]).

 

Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer auf Grund dieser bereits über lange Zeit bestehenden Feindschaft von seinen Gegnern mittlerweile zu Hause aufgesucht worden wäre, wenn er von diesen Personen verfolgt werden würde, zumal diese mächtigen und einflussreichen Personen in der unmittelbaren Umgebung seines Elternhauses - etwa 20 km entfernt - wohnten. Es sei nicht nachvollziehbar, dass er immer erst auf der Straße angegriffen werde (AS 258 [BS44]).

 

Letztlich werde zum als Beweismittel vorgelegten Schriftstück angemerkt, dass dieses gerichtliche Schreiben als unbeglaubigte ausländische Urkunde nicht die Beweiskraft einer inländischen Urkunde besitze und der freien Beweiswürdigung unterliege. Wenn man das Schriftstück betrachte, finde sich daran weder ein Behördensiegel, noch ein Behördenstempel. Die Art und Weise des Druckes wäre überall herstellbar und sei daraus nicht ersichtlich, dass dieses im Herkunftsstaat hergestellt worden sei. Zudem sei die mit Schreibmaschine oder Computer geschriebene handschriftlich unterschriebene Bestätigung einer objektivierbaren Überprüfung nicht zugänglich und vermag somit für sich genommen den Befund der Unglaubwürdigkeit nicht entscheidend zu relativieren (AS 259 [BS45]).

 

Im Rahmen der Beschwerde wird der Bescheid in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens angefochten (AS 275).

 

Beantragt wird, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesasylamt zurückzuverweisen, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Pakistan zuerkannt werde, allenfalls die gegen ihn ausgesprochene Ausweisung aufzuheben und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof anzuberaumen (AS 275).

 

Auch im Asylverfahren würden die AVG-Prinzipien der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts und der Wahrung des Parteiengehörs gelten. Die Art und Weise, in welcher das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, entspreche nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht iSd §§ 37ff AVG (AS 277).

 

Das Bundesasylamt messe die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers daran, dass er nicht immer gleichlautend auf die Fragen geantwortet habe. Dies liege einerseits an einer nicht korrekten Übersetzung, andererseits daran, dass sich der Beschwerdeführer in einer außergewöhnlichen Stresssituation befunden habe. Hier habe es das Bundesasylamt verabsäumt, seine konkrete Situation zu überprüfen (AS 279).

 

Hinsichtlich der vorgelegten Dokumente gehe das Bundesasylamt ohne genauere Prüfung davon aus, dass es sich dabei um eine Fälschung handle. Die Begründung hierfür sei für den Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar. Insoweit wird zum Beweis der Richtigkeit der vorgelegten Dokumente die Beiziehung eines Sachverständigen für das pakistanische Behördenwesen beantragt (AS 281).

 

Der vom Bundesasylamt ins Treffen geführten Argumentation hinsichtlich der Verfolgung von privater Seite sei zu widersprechen. Der Beschwerdeführer hätte von staatlicher Seite keine Hilfe zu erwarten. Der Staat greife in solche Streitigkeiten keinesfalls ein, sondern lasse dies die Familien untereinander regeln (AS 281 - 283).

 

Von der ihm gebotenen Stellungnahme zu den Länderfeststellungen habe er leider keinen Gebrauch machen können, da er deren Bedeutung nicht verstanden habe und die Frist für einen Laien zu kurz angesetzt gewesen sei (AS 285).

 

Hinsichtlich der Lage in Pakistan, speziell zur Menschenrechtssituation und zur Lage nach den verheerenden Überschwemmungen wurde auf verschiedene Berichte - etwa von Human Rights Watch, Amnesty oder UNHCR - verwiesen (AS 285 - 291).

 

Letztlich verletze der bekämpfte Bescheid den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (AS 293).

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt des Beschwerdeführers.

 

Rechtliche Grundlagen

 

Art. 129f Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930 idgF normiert, dass die näheren Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren des Asylgerichtshofes durch Bundesgesetz getroffen werden.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 Bundesgesetz über den Asylgerichtshof (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008 idgF, entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 (AsylG 2005) entscheidet der Asylgerichtshof, soweit nicht in Abs. 3 leg. cit. eine Einzelrichterzuständigkeit, wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4 (lit. a), Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 (lit. b) oder entschiedener Sache gemäß § 68 AVG (lit. c) vorgesehen ist, über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes in Senaten.

 

§ 22 Abs. 1 2. Satz AsylG 2005 entsprechend, ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

§ 66 Abs. 2 AVG

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte auch berücksichtigt werden muss, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Der Gesetzgeber hat zur Sicherung der Qualität des Asylverfahrens einen Instanzenzug vorgesehen, der zum Unabhängigen Bundesasylsenat und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt. Es kommt dem Unabhängigen Bundesasylsenat in dieser Funktion schon nach der Verfassung die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" (Art. 129c Abs. 1 B-VG) zu. Diese wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen.

 

Im bereits zitierten Erkenntnis vom 21.11.2002, 2000/20/0084, sowie im Erkenntnis vom 22.12.2002, 2000/20/0236, weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass - auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens - eine ernsthaft Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden solle. Ein Vorgehen gemäß § 66 Abs. 2 AVG ermöglicht es daher, dem Abbau einer echten Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens und der Aushöhlung der Funktion des Unabhängigen Bundesasylsenates als Kontrollinstanz entgegenzuwirken.

 

Zur grundsätzlichen Frage, wann eine kassatorische Entscheidung für die Berufungsbehörde möglich ist, betont der VwGH in den Erkenntnisen vom 20.04.2006, 2003/01/0285, und 17.10.2006, 2005/20/0459, zusammengefasst, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes zulässig ist, sondern nur dann, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass eine weitere Verhandlung oder Einvernahme erforderlich ist, was jedoch nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert werden könnten.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.

 

Zum bisherigen Ermittlungsergebnis ist zunächst anzuführen, dass im Vorbringen des Beschwerdeführers durchaus Widersprüche und Ungereimtheiten auftreten, welche Zweifel am Realitätsgehalt des Vorbringens aufkommen lassen könnten.

 

Allerdings hat der Beschwerdeführer Fotos (AS 139 - 145) und Dokumente (AS 205) vorgelegt, welche sein Vorbringen belegen sollen.

 

Die vom Bundesasylamt vorgenommene Überprüfung der vorgelegten Dokumente kann seitens des Asylgerichtshofes nicht nachvollzogen werden. So findet sich in der Beweiswürdigung folgende Passage dazu (AS 259 [BS 45]): "Zum als Beweismittel vorgelegten Schriftstück wird angemerkt, dass dieses gerichtliche Schreiben als unbeglaubigte ausländische Urkunde nicht die Beweiskraft einer inländischen Urkunde besitzt und der freien Beweiswürdigung unterliegt. Wenn man das Schriftstück betrachtet, so findet sich daran weder ein Behördensiegel noch ein Behördenstempel und die Art und Weise des Druckes wäre überall herstellbar und daraus ist nicht ersichtlich, dass dieses im Herkunftsstaat hergestellt wurde. Diese äußeren Umstände sind für jedermann erkennbar und können als notorisch vorausgesetzt werden und solche Urkunden sind auch in Licht der Verhältnisse des Herkunftsstaates unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass die mit Schreibmaschine oder Computer geschriebene handschriftlich unterschriebene Bestätigung einer objektivierbaren Überprüfung nicht zugänglich ist und somit für sich genommen den Befund der Unglaubwürdigkeit nicht entscheidend zu relativieren vermag."

 

Im vorliegenden Verwaltungsakt befindet sich jedoch kein mit Schreibmaschine oder Computer geschriebenes gerichtliches Schreiben, sondern 2 handschriftlich beschriebene kopierte Seiten, welche jeweils mit einem Stempel samt Unterschrift versehen sind (AS 205). Eine Auseinandersetzung mit diesen beiden Dokumenten hat allerdings nicht stattgefunden, so dass der Schluss naheliegt, dass im Bescheid ein nicht passender Textbaustein verwendet wurde.

 

Die vorgelegten Fotos (AS 139 - 145) fanden im Bescheid überhaupt keine Berücksichtigung.

 

Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der Authentizität und Echtheit der vorgelegten Beweismittel auseinanderzusetzen zu haben, wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass es nicht ausreichend sein wird, sich auf die Berichtslage in Bezug auf die Erlangbarkeit ge- bzw. verfälschter Dokumente zurückzuziehen, sondern gegebenenfalls auch eine gutachterliche Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Quellenmaterial bzw. Recherchen vor Ort durchzuführen sein werden. Der Asylgerichtshof hat bereits mehrfach in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers darauf hingewiesen, dass die Berichtslage alleine nicht zu einem Automatismus führen kann, Beweismittel aus Pakistan von vornherein als nicht beweiskräftig zu qualifizieren (für viele: AsylGH E10 416.595-1/2010; E9 423.804-1/2012; E10 413.358-1/2010; E13 423.920-1/2012; E13 421.886-1/2011).

 

Des Weiteren hat es das Bundesasylamt verabsäumt geeignete Länderfeststellungen im Hinblick auf das Vorbringen und die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers zu treffen.

 

Der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend kann jedoch das Vorbringen eines Asylwerbers, das eng mit politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in seinem Herkunftsstaat in Verbindung steht, nur auf der Basis eines entsprechenden Fachwissens unter Heranziehung aktueller Berichte zur Ländersituation beurteilt werden (vgl für viele: VwGH 23.02.2006, 2005/01/0104). Beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit eines Fluchtvorbringens dürfen nicht nur auf das Vorbringen eines Asylwerbers beschränkt werden, sondern es bedarf vielmehr auch einer Betrachtung der konkreten Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil die Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 28.01.2005, 2004/01/0476; 18.04.2002, RS4 2001/01/0023), wobei die Asylbehörden von dieser Ermittlungspflicht selbst dann nicht entbunden sind, wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint (VfGH 02.10.2001, B 2136/00).

 

Der Beschwerdeführer ist Pashtune aus Khyber Paktunkhwa (AS 7,99, 149) und bringt zusammengefasst eine Familienfehde vor. Aus dem erkennenden Senat zugänglichen Länderberichten (siehe etwa UK Border Agency, Country of Origin Information Report, Pakistan; 07.06.2012; EASO Country of Origin Inrormation Report, Afghanistan; Juli 2012) ist ersichtlich, dass sich Pashtunen dem Pashtunwali, welches als einen der wichtigsten Begriffe die Rache für Ehrverletzungen ("badal") festschreibt, unterwerfen.

 

Im Hinblick auf die oben zitierte höchstgerichtliche Judikatur, wird es daher Aufgabe der belangten Behörde sein, ausreichend individualisierte Länderfeststellungen zu treffen, insbesondere ob und in welcher Intensität in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers das Pashtunwali zum Einsatz kommt.

 

Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesasylamt im Rahmen einer neuerlichen Einvernahme schließlich hinreichend mit der Frage eventueller Rückkehrschwierigkeiten und mit der aktuellen privaten und familiären Situation des Beschwerdeführers in Österreich auseinanderzusetzen haben. Vor allem fehlen konkrete Feststellungen zu den Lebensmöglichkeiten und zur Versorgungssituation in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, der Provinz Kyber Pakhtunkhwa, da diese jeweils von den Flutkatastrophen der letzten Jahre betroffen war (vgl. dazu etwa IRB, Research Directorate, Immigration and Refugee Board to Canada, Pakistan: The impact of the 2010 and 2011 floods, including on mobility, reconstruction, housing and shelter, employment and access to food; PAK103865.E; 01.12.2011).

 

Da im gegenständlichen Fall das gesamte, den Kern des Fluchtvorbringens betreffende, Ermittlungsverfahren vor den Asylgerichtshof verlagert wäre, sowie dieser erstmalig umfassende Ermittlungen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers durchführen müsste, wären wesentliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, vom Asylgerichtshof als Beschwerdeinstanz zu tätigen, was zu einem unerwünschten Abbau der Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens führen würde. Es verbietet sich somit unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG.

 

Von diesen Überlegungen ausgehend ist im gegenständlichen Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesasylamt zur neuerlichen Einvernahme und Entscheidung zurückzuverweisen.

 

Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67d AVG.

 

Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 67d Abs. 4 AVG abgesehen werden.

Schlagworte
Befragung, Bescheinigungsmittel, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
13.11.2012
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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