TE AsylGH Erkenntnis 2012/10/24 S23 429693-1/2012

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Veröffentlicht am 24.10.2012
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Spruch

S23 429.693-1/2012-6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Nowak als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.09.2012, Zahl: 12 11.306-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 idgF stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen gemeinsam mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern in das österreichische Bundesgebiet und stellte gesetzlich vertreten durch ihre Mutter am 25.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.08.2012 gab die Mutter der Beschwerdeführerin an, dass sie am 09.08.2012 gemeinsam mit ihrer Familie ihr Heimatland verlassen habe. Mit einem Zug seien sie über Moskau und Brest nach Polen gereist. In Polen seien sie von der Polizei angehalten und fotografiert worden. Weiters seien ihnen auch die Fingerabdrücke abgenommen worden. Danach seien sie entlassen worden. Ihnen sei gesagt worden, dass sie ins Lager fahren sollten. Dies hätten sie jedoch nicht getan. Einen Asylantrag habe sie nicht gestellt. In Polen hätten sie sich einen Tag aufgehalten. Ihr Mann habe am Taxistand einen Fahrer gefunden, der sie für 60.000 Rubel am 16.08.2012 in einem PKW bis nach Österreich gefahren habe. Der Fahrer habe die Mutter der Beschwerdeführerin und ihre Familie zu einem alten Ehepaar in deren Wohnung gebracht, wo sie einige Tage untergebracht gewesen seien. Nähere Angaben dazu könne sie nicht machen. Nach einigen Tagen seien sie wieder von einem Schlepper abgeholt und bis nach T. gebracht worden, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Sie habe ihr Heimatland verlassen, da ihr Mann mehrmals von maskierten Russen und Tschetschenen verhaftet und misshandelt worden sei. Deswegen habe er körperliche Schäden. Der Grund dafür sei gewesen, dass sie nach seinem Onkel gesucht hätten und ihr Mann Infos über ihn sagen hätte sollen. Den Entschluss zur Ausreise habe ihr Mann gefasst. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat befürchte die Mutter der Beschwerdeführerin, dass ihr Mann wieder misshandelt oder sogar getötet werden könnte. Nach Polen wolle sie nicht zurückkehren, da sie nicht wisse, was sie und ihre Familie dort erwarten würde. Weiters würden ihre Angaben auch für ihre drei minderjährigen Kinder gelten. Diese hätten keine eigenen Fluchtgründe.

 

1.2. Die Mutter der Beschwerdeführerin hat laut EURODAC Treffer am 12.08.2012 in Polen einen Asylantrag gestellt.

 

1.3. Aufgrund des EURODAC Treffers richtete das Bundesasylamt am 28.08.2012 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II VO"), gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen.

 

1.4. Am 30.08.2012 langte bei der Erstbehörde eine Aufenthaltsbestätigung des LK. M. vom 28.08.2012 ein (vgl. AS 63 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der Mutter der Beschwerdeführerin). Daraus geht hervor, dass sich die Beschwerdeführerin vom 26.08.2012 bis 28.08.2012 in stationärer Krankenhausbehandlung befunden hat.

 

1.5. Am 31.08.2012 wurde der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin gemäß

 

§ 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 28.08.2012 Konsultationen mit Polen geführt würden.

 

1.6. Mit Schreiben vom 31.08.2012 stimmte Polen der Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ausdrücklich zu.

 

1.7. Am 03.09.2012 langte bei der Erstbehörde ein Kurzbrief des LK. M. vom 31.08.2012 betreffend die Beschwerdeführerin ein. Darin wurden als Anlass für die Vorstellung im Krankenhaus St.p. 1. Krampfanfall sowie St.p. Frühgeburt angeführt. Als Befundergebnisse bzw. weitere Vorgehensweise wurden EEG Kontrolle am 20.09., 12.00 Uhr, Stesolid 5mg bei cerebralem Anfall nach 3 min, vorzeitige Fiebersenkung ab Temp. 38 Grad mit Mexalen 125 mg supp sowie Kontrolle bei Verschlechterung jederzeit in der Kinderambulanz (neuerlicher Krampfanfall) angeführt.

 

1.8. Mit Aktenvermerk vom 27.09.2012 wurde von der Erstbehörde festgehalten, dass mit der ha. Ärztestation Rücksprache gehalten worden sei. Zuletzt habe die Beschwerdeführerin Medikamente wegen einer Verkühlung erhalten. Für den 11.10.2012 sei eine Kontrolle im KH. M. vorgesehen. Derzeit sei keine akute Behandlung der Beschwerdeführerin erforderlich und vorgesehen.

 

1.9. Im Verlauf ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27.09.2012 brachte die Mutter der Beschwerdeführerin nach erfolgter Rechtsberatung ergänzend zusammengefasst vor, dass ihre bisherigen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Befragt nach ihrem und den Gesundheitszustand ihrer Kinder gab die Mutter der Beschwerdeführerin an, dass sie Kreuzschmerzen habe. In Behandlung sei sie deswegen nicht. In Tschetschenien habe sie drei Mal Fieber und starke Schmerzen gehabt. Ihre Tochter sei an Epilepsie erkrankt. Am 26.08.2012 hätte ihre Tochter einen Anfall gehabt. Deswegen sei sie drei Tage im Krankenhaus gewesen, wo sie untersucht worden sei. Am 11.10.2012 würden sie einen weiteren Termin im Krankenhaus haben. Einen weiteren Anfall hätte ihre Tochter nicht gehabt. Weiters habe ihr Sohn M. E. Grippe und Husten. Er bekomme Hustensaft und Nasentropfen. Sonst würde er keine Medikamente benötigen. Nach Vorhalt der Ergebnisse der gutachtlichen Stellungnahme vom 21.09.2012 durch das Bundesasylamt und der Frage, ob sie dazu Stellung nehmen wolle, antwortete die Mutter der Beschwerdeführerin, dass sie sich dort normal verhalten habe. Wenn es die Ärztin so geschrieben habe, werde es schon richtig sein. Befragt nach ihren Familienverhältnissen gab die Mutter der Beschwerdeführerin an, dass sie zusammen mit ihrem Gatten und ihren drei minderjährigen Kindern hier sei. Sie seien gemeinsam eingereist und würden hier zusammen wohnen. Weiters lebe ein Bruder von ihr mit seiner Familie in Österreich. Er sei vor acht Jahren aus der Heimat weggefahren. Zwei Jahre habe er in Polen gelebt und sei nun seit sechs Jahren in Österreich. Hier sei er in psychologischer Behandlung. Er würde in Wien wohnen, die genaue Adresse wisse sie jedoch nicht. Auf Vorhalt des Bundesasylamts, ob sie Kontakt zu ihrem Bruder habe, antwortete die Mutter der Beschwerdeführerin, dass sie zu seiner Frau Kontakt habe. Sie würden ein oder zwei Mal in der Woche telefonieren. Sie spreche zwar schon mit ihrem Bruder, aber mehr mit seiner Frau. Weiters habe sie ihr Bruder mit seiner Frau besucht, als sie mit ihrer Tochter aus dem Krankenhaus zurückgekommen sei. Sie habe auch Geschenke und einen Kinderwagen von ihnen erhalten. In der Heimat habe sie mit ihrem Bruder keinen Kontakt gehabt. Er habe aber ihre Mutter ein oder zwei Mal im Monat angerufen. Zuletzt habe sie mit ihrem Bruder vor acht Jahren in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, was einer Ausweisung nach Polen entgegenstehe, antwortete die Mutter der Beschwerdeführerin, dass sie nicht nach Polen zurück wolle, da sie dort Angst habe zu leben. Sie wisse nicht wie es dort sei und sie wolle außerdem in der Nähe ihres Bruders leben. Befragt, ob sie in die vorliegenden Länderfeststellungen zu Polen Einsicht nehmen wolle, antwortete die Mutter der Beschwerdeführerin, dass sie dies nicht wolle.

 

1.10. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.09.2012 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß

 

§ 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 treffe daher zu.

 

Bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sich bis zur Bescheiderlassung weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit noch eine schwere psychische Störung ergeben habe, die bei einer Überstellung/Abschiebung nach Polen eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde. Zum Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin, dass die Beschwerdeführerin an Epilepsie leide, führte die Erstbehörde aus, dass deshalb bei der Ärztestation der Betreuungsstelle O. nachgefragt worden sei. Demnach sei derzeit keine Behandlung erforderlich und auch nicht vorgesehen. Unter Zugrundelegung der Judikatur des EGMR zur Frage von krankheitsbedingten Abschiebehindernissen und einer ausreichenden medizinischen Versorgung in den Zielstaaten unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK würde sich somit keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Zurückweisung eines Asylantrages und Abschiebung aufgrund des Gesundheitszustandes nach Polen ergeben. Aus den Feststellungen zu Polen gehe hervor, dass in Polen ausreichende Behandlungsmöglichkeiten vorhanden seien und auch die erforderliche medizinische Versorgung gewährleistet sei. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK sei im Fall der Beschwerdeführerin daher auszuschließen. Ergänzend wurde von der Erstbehörde darauf hingewiesen, dass vor einer Abschiebung von der Fremdenpolizeibehörde eine Prüfung dahingehend vorzunehmen sei, ob eine beabsichtigte Abschiebung eine EMRK-widrige Behandlung bedeuten würde.

 

Weiters seien aus den Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr damit eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe im Wesentlichen lediglich angegeben, dass sie Angst hätte in Polen zu leben. Diese Angaben seien in keinster Weise geeignet, die Sicherheit der Beschwerdeführerin in Polen in Zweifel zu ziehen.

 

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK wurde ausgeführt, dass die Einheit des Familienverbandes gewahrt werden würde, da die gesamte Familie der Beschwerdeführerin eine gleich lautende Entscheidung erhalten würde. Weiters würde der Onkel der Beschwerdeführerin mit seiner Familie seit sechs Jahren in Österreich leben. Ihr Onkel habe Tschetschenien vor acht Jahren verlassen. Somit habe ein Familienleben nie bestanden. Ein familiäres Anknüpfungsmoment zu ihrem Onkel und dessen Familie werde zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, es habe aber nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin dermaßen auf die Unterstützung ihres Onkels und seiner Familie angewiesen sei oder dass ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliege, dass ihr ein weiterer Verbleib im Gebiet der Europäischen Union außerhalb Österreichs schlicht unzumutbar sein würde. Eine besondere Notwendigkeit der Aufrechterhaltung oder Neubegründung eines Zusammenlebens mit diesen Angehörigen der Beschwerdeführerin könne von der Behörde nicht erkannt werden. Die Ausweisung stelle somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar. Auch hätten sich im Verfahren keine Hinweise auf vorliegende und besonders gewichtige private Interessen an einem Verbleib in Österreich ergeben. Der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin sei bewusst gewesen, dass ihr Aufenthalt in Österreich von Anfang an ungewiss sei und bloß für die Dauer des Asylverfahrens vorübergehend legalisiert werde. Im Zuge einer Interessensabwägung sei daher davon auszugehen, dass die Ausweisung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK das legitime Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verfolge.

 

Nach Ansicht der Erstbehörde habe es daher keinen Anlass gegeben von der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO Gebrauch zu machen.

 

Weiters enthält der Bescheid gestützt auf eine Zusammenstellung der Staatendokumentation iSd § 60 AsylG 2005 auch eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern einschließlich der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten von Asylwerbern und zur Praxis des Non-Refoulement Schutzes.

 

1.11. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, fristgerecht Beschwerde, in der zusammengefasst vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführerin und ihre Familie Polen verlassen hätten, da sie sich dort nicht sicher gefühlt hätten und darüber hinaus eines der Kinder krank gewesen und nicht behandelt worden wäre. Hätte das Bundesasylamt ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, so wäre eine Zurückweisung nach Polen aufgrund der dort drohenden Verfolgung durch die Verfolger aus Tschetschenien sowie aufgrund der Erkrankung der Beschwerdeführerin und ihres Vaters aus Gründen des Art. 8 EMRK unzulässig gewesen. So leide der Vater der Beschwerdeführerin unter großen gesundheitlichen Problemen. Er habe psychische Probleme sowie Probleme mit der Leber und dem Herzen. Er habe sich vor einigen Tagen einem Bluttest im Krankenhaus B. unterzogen und warte derzeit auf die Diagnosen. Weiters leide die Beschwerdeführerin unter Epilepsie und habe eine Behandlung im Krankenhaus M. bekommen. Diese Behandlung sei für die kommenden zwei Jahre anberaumt und eine Unterbrechung sei weder im Interesse der Beschwerdeführerin noch aus medizinischer Sicht positiv. Weiters wurde vorgebracht, dass der Bruder der Mutter der Beschwerdeführerin als anerkannter Flüchtling in Österreich leben würde. Dieser leide unter einer starken Traumatisierung und befinde sich nach wie vor in psychiatrischer Behandlung. Eine Ausweisung seiner gerade wieder gewonnenen Schwester aus Österreich würde für ihn großen Stress bedeuten und seinen Gesundheitszustand massiv verschlechtern. Darüber hinaus würde er regelmäßiger und intensiver Pflege bedürfen. Die Mutter der Beschwerdeführerin würde sich dafür zuständig fühlen und auch in der Lage sein ihren Bruder zu pflegen. Weiters habe die Mutter der Beschwerdeführerin und ihre Familie vorgebracht, dass es für sie keinen Unterschied machen würde, ob sie in Polen oder in Tschetschenien leben würden, da es allgemein bekannt sei, dass die Verfolger aus Tschetschenien insbesondere auch in polnischen Flüchtlingslagern nach gesuchten Personen suchen würden. Diese Probleme seien dem Bundesasylamt in den Einvernahmen zumindest in Ansätzen zur Kenntnis gebracht worden bzw. hätten aus der Aktenlage ersichtlich sein müssen. Die Erstbehörde habe jedoch zu keinem dieser Vorbringen nähere Ermittlungen angestellt, sondern habe auf die allgemeinen Länderfeststellungen verwiesen. Insbesondere sei keine einzige Frage im Hinblick auf den in Österreich lebenden Bruder der Mutter der Beschwerdeführerin gestellt worden. Auch wäre der Blutbefund betreffend den Vater der Beschwerdeführerin abzuwarten bzw. ein medizinisches Gutachten über die Erkrankung und Behandlung der Beschwerdeführerin einzuholen gewesen. Weiters seien keine spezifischen Berichte über die Verfolgung von Tschetschenen in Polen und über die Schutzfähigkeit der polnischen Polizei eingeholt worden.

 

Weiters ist der Beschwerde ein bisher noch nicht vorgelegter Kurzbrief des LK M. vom 12.09.2012 betreffend die Beschwerdeführerin angeschlossen. Darin wurden als Anlass für die Vorstellung am 12.09.2012 im Krankenhaus St.p. 1 Krampfanfall und St.p. Frühgeburt angegeben. Als Befundergebnisse bzw. weitere Vorgehensweise wurden Stesolid 5 mg bei cerebralem Krampfanfall, EEG Kontrolle am 11.10.,

10.30 Uhr, Mexalen 125 mg 3 mal täglich für 3 Tage, Schädel-MRT im Intervall sowie Kontrolle bei Verschlechterung jederzeit in der Kinderambulanz angegeben.

 

1.12. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 09.10.2012 beim Asylgerichtshof ein.

 

1.13. Mit Schreiben vom 08.10.2012, eingelangt beim Asylgerichtshof am 09.10.2012, wurde von der ARGE Rechtsberatung eine Bestätigung des LK. M. (Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde) vom 03.10.2012 betreffend den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin vorgelegt. Als Diagnosen sind protrahiertes Krampfgeschehen, globale Entwicklungsverzögerung und St.p. Frühgeburt 30. SSW angeführt. Weiters wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin in der neuropädiatrischen Spezialambulanz in regelmäßiger engmaschiger ambulanter sowie stationärer Betreuung befinde. Es handle sich um eine schwere cerebrale Schädigung nach Frühgeburt sowie Asphyxie, die nicht heilbar sei. Im August sei bei der Beschwerdeführerin ein protrahierter cerebraler Krampfanfall aufgetreten. Weiters sei das EEG pathologisch gewesen. Es seien weitere EEG-Kontrollen sowie eine medikamentöse Einstellung vorgesehen. Bei langen Reisen, Stress und Aufregung könne es weiterhin, insbesondere bei Infekten, zu schweren Anfallsepisoden kommen, die auch lebensbedrohliche Zustände wie Status epilepticus oder Atemnot auslösen können würden. Daher sei von einem Transfer aus medizinischer Sicht abzuraten.

 

1.14. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 11.10.2012 wurde der Beschwerde gemäß

 

§ 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBl I Nr. 140/2011 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung (in Folge: "AVG") anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung (im Folgenden: ZustG) maßgeblich.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 vor, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Unionsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall unionsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Einzel-Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, K15. zu Art. 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die unionsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Unionsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Unionsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Unionsrechts und aus Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, Kommentar zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Unionsrecht kann nur von den zuständigen unionsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. So hat auch der EGMR festgestellt, dass der Rechtsschutz des Unionsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Unionsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls unionsrechtswidrig.

 

2.3. Im vorliegenden Fall war in diesem Zusammenhang primär die Rechtsfrage zu klären, ob die Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen aufgrund der besonderen Umstände einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Grundrechte, insbesondere die reale Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte mit sich brächte.

 

2.3.1. Aus den sich im Akt befindlichen Befunden geht hervor, dass die minderjährige Beschwerdeführerin offenbar an Epilepsie leidet. In der am 09.10.2012 vorgelegten Bestätigung des LK. M. (Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde) vom 03.10.2012 sind als Diagnosen protrahiertes Krampfgeschehen, globale Entwicklungsverzögerung und St.p. Frühgeburt 30. SSW angeführt. Weiters wurde zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie sich in der neuropädiatrischen Spezialambulanz in regelmäßiger engmaschiger ambulanter sowie stationärer Betreuung befindet. Weiters liegen eine schwere cerebrale Schädigung nach Frühgeburt sowie Asphyxie, die nicht heilbar ist, vor. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass im August bei der Beschwerdeführerin ein protrahierter cerebraler Krampfanfall aufgetreten ist. Weiters ist das EEG pathologisch gewesen. Es sind weitere EEG-Kontrollen sowie eine medikamentöse Einstellung vorgesehen. Von der behandelnden Ärztin wird außerdem angeführt, dass es bei langen Reisen, Stress und Aufregung weiterhin, insbesondere bei Infekten, zu schweren Anfallsepisoden kommen kann, die auch lebensbedrohliche Zustände wie Status epilepticus oder Atemnot auslösen könnten. Daher ist von einem Transfer aus medizinischer Sicht abzuraten.

 

In diesem Zusammenhang sind die Sachverhaltsermittlungen bzw. Feststellungen des Bundesasylamtes zum konkreten Gesundheitszustand bzw. zur Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichend. So ist der angenommenen Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin keine ausreichende fachärztliche Beurteilung zugrunde gelegt worden, obwohl die Mutter in ihrer Einvernahme am 27.09.2012 angegeben hat, dass ihre Tochter an Epilepsie leidet. Auch im Hinblick auf die vorgelegte Aufenthaltsbestätigung des LK. M. vom 28.08.2012 hinsichtlich des stationären Krankenhausaufenthaltes der Beschwerdeführerin vom 26.08.2012 bis 28.08.2012 (siehe 1.4.) und des vorgelegten Kurzbriefes des LK. M. vom 31.08.2012 (siehe 1.7.) wären ergänzende Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin erforderlich gewesen. Zudem befindet sich die Beschwerdeführerin laut der Bestätigung des LK. M. vom 03.10.2012 in der neuropädiatrischen Spezialambulanz in regelmäßiger engmaschiger ambulanter sowie stationärer Betreuung.

 

Es wird nicht verkannt, dass es unerheblich ist, wenn die Behandlung in Polen nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat gibt. Dennoch ist dem Asylgerichtshof die Prüfung einer allfälligen Art. 3 EMRK Verletzung nicht möglich, solange das Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin insofern nicht ermittelt ist, als die Ausführungen des Bundesasylamtes keine nähere Prüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin erkennen lässt und schon allein daraus eine Diskrepanz zu den (wenngleich auch erst zum Teil nach der Erledigung des erstinstanzlichen Bescheides ersichtlichen) ärztlichen Anmerkungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.

 

2.3.2. § 41 Abs. 3 AsylG 2005 besagt, dass in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat einerseits für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide in Asylangelegenheiten sehr kurze Fristen vorgesehen (siehe §§ 41 Abs. 2 und 37 Abs. 3 AsylG 2005), andererseits aber den für die Beschwerde zuständigen Asylgerichtshof dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne

 

§ 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (vgl. § 41 Abs. 3 AsylG 2005). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und in der Sache zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die für die Beschwerde zuständige Stelle im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn dem Asylgerichtshof - aufgrund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

2.3.3. Die von der erkennenden Behörde in der Bescheidbegründung vorgenommenen Ausführungen alleine reichen nicht aus, um eine allenfalls drohende Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte im gegenständlichen Fall von vornherein auszuschließen. Die notwendige Einzelfallprüfung macht es im gegenständlichen Fall, insbesondere vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde erforderlich, den aktuellen Gesundheitszustand, die tatsächlichen Behandlungsmöglichkeiten in Polen sowie die Überstellungsfähigkeit der minderjährigen Beschwerdeführerin zu ermitteln, wobei die Einholung einer fachärztlichen Beurteilung und eine nachfolgende Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin hiezu (auch zur Wahrung des Parteiengehörs) nötig erscheint. Auf die auch hier relevanten Ausführungen oben zu 2.3.1. ist hinzuweisen. Ohne die Aufnahme dieser weiteren Beweise kann aus Sicht des Asylgerichtshofes aus den dargestellten Gründen nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden.

 

Es war daher zusammengefasst nach § 41 Abs. 3 3. Satz AsylG 2005 vorzugehen.

 

3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ermittlungspflicht, gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Überstellungsrisiko
Zuletzt aktualisiert am
13.11.2012
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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