TE OGH 2010/3/23 10ObS21/10a

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Veröffentlicht am 23.03.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertrud Johanna O*****, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, vertreten durch Das Haus des Rechts Rechtsanwälte Destaller-Mader in Graz, wegen Kostenübernahme, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. November 2009, GZ 8 Rs 73/09f-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. September 2009, GZ 29 Cgs 90/09s-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die am 12. 10. 1962 geborene Klägerin erlitt am 2. 8. 2008 einen Unfall, bei dem sie sich am linken Knie verletzte. Sie suchte Dr. Thomas P*****, Facharzt für Orthopädie in Graz, auf, der ihr das Medikament Voltaren sowie eine Physiotherapie verschrieb. Da dieses Medikament nicht die erhoffte Wirkung zeigte, verschrieb er ihr am 24. 2. 2009 das Präparat Hyalgan SprAmp 2 ml 5 St. Die Klägerin löste das entsprechende Rezept bisher nicht ein, da sie derzeit dazu finanziell nicht in der Lage ist.

Die beklagte Partei sprach mit Bescheid vom 14. 5. 2009 aus, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenübernahme für das am 24. 2. 2009 von Dr. Thomas P*****, Facharzt für Orthopädie in Graz, verordnete Präparat „Hyalgan SprAmp 2 ml 5 St“ habe.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die Kosten für das genannte Präparat zu übernehmen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, Kosten für Präparate, die - wie das gegenständliche - nicht im Erstattungskodex gelistet seien, könnten nur dann übernommen werden, wenn die Möglichkeiten des Erstattungskodex nicht ausreichend seien. Die Kosten für sogenannte Außenseitermethoden könnten dann übernommen werden, wenn eine Behandlung nach den anerkannten Regeln der Wissenschaft entweder nicht möglich oder nicht zumutbar sei und die Außenseitermethode erfolgreich oder zumindest erfolgversprechend gewesen sei. Eine Angabe des verordnenden Arztes, weshalb die Therapiemöglichkeiten des Erstattungskodex nicht ausreichten, sei von ihm trotz entsprechender Aufforderung nicht gemacht worden. Bei Hyaluron-Säurepräparaten sei zwar eine symptomatische Wirkung gegen Schmerzen vorhanden, sie stehe aber in keiner Relation zu den dafür notwendigen wirtschaftlichen Aufwendungen. Es bestehe bei einer Verabreichung in das Gelenk außerdem das Risiko einer Gelenksinfektion mit der Gefahr der Gelenksversteifung. Eine Behandlung der Schmerzsymptomatik mit Hyaluron-Säurepräparaten stehe daher im Widerspruch zu den Grundsätzen einer notwendigen, ausreichenden und zweckmäßigen Krankenbehandlung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, es bestehe kein durchsetzbarer Anspruch des Versicherten auf die Gewährung von Heilmitteln als Sachleistung. Wenn der Versicherte eine einzelne Leistung nicht auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhalte, könne er nur Kostenerstattung verlangen. Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung setze allerdings voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen worden seien. Diese Voraussetzung könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass das verordnete Arzneimittel nicht bezogen (und nicht bezahlt) werde, sondern auf künftige Übernahme der Kosten geklagt werde. Da die Klägerin das Rezept nicht eingelöst habe, sei das Klagebegehren bereits aus diesem Grund nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin dahin Folge, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Es vertrat im Wesentlichen die Rechtsansicht, das Begehren der Klägerin sei zweifelsfrei auf Kostenübernahme und nicht auf Kostenerstattung gerichtet. Es sei der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht eindeutig zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Kostenübernahme in Betracht komme. Stehe - wie im Fall der Klägerin - fest, dass es ihr aus finanziellen Gründen nicht möglich sei, die Kosten für das begehrte Heilmittel vorauszuleisten und erst danach einen Anspruch auf Kostenerstattung geltend zu machen, so wäre sie nach Ansicht des Berufungsgerichts vom Bezug des von ihr begehrten Heilmittels - dessen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit vorausgesetzt - in ungerechtfertigter Weise ausgeschlossen, würde man ihr ausschließlich einen Kostenerstattungsanspruch gewähren und ein Kostenübernahmebegehren im Sinne der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 36/09f als Umgehung ansehen. Es werde daher - allenfalls nach Erörterung mit der Klägerin, ob sie tatsächlich eine Kostenübernahme pro futuro anstrebe - eine Prüfung der Wirksamkeit des verordneten Heilmittels nach den in der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätzen vorzunehmen sein.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Klagebegehren auf Übernahme der Kosten eines Heilmittels durch den Krankenversicherungsträger zulässig sei, in der Rechtsprechung bisher nicht einheitlich beantwortet worden sei.

Die beklagte Partei bekämpft den Aufhebungsbeschluss mit rechtzeitigem Rekurs. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Klägerin hat sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, es bestehe kein durchsetzbarer Anspruch des Versicherten auf die Gewährung von Heilmitteln als Sachleistung. In der Entscheidung 10 ObS 36/09f habe der Oberste Gerichtshof bei einem vergleichbaren Sachverhalt ausgeführt, dass der Versicherte bzw Anspruchsberechtigte, der eine einzelne Leistung nicht auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhalte, nur Kostenerstattung verlangen könne. Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung setze allerdings voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten oder Anspruchsberechtigten getragen worden seien. Diese Voraussetzung könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass das verordnete Arzneimittel nicht bezogen (und bezahlt) werde, sondern dass auf künftige Übernahme der Kosten geklagt werde. Die Regeln über die Kostentragung für Anstaltspflege und medizinische Hauskrankenpflege einerseits sowie für Krankenbehandlung andererseits seien verschieden, weshalb Kostenübernahmebegehren nur im Zusammenhang mit Anstaltspflege und Hauskrankenpflege zulässig seien. Werde eine Therapie für einen längeren Zeitraum (zB Antidepressiva für zumindest sechs Monate) verordnet, sei auch im Bereich der Krankenbehandlung ein Kostenübernahmebegehren für jene Therapieeinheiten, welche nach dem Behandlungsplan erst nach dem Schluss der Verhandlung in erster Instanz zu erfolgen hätten, zulässig. Für die davor liegenden Einheiten komme hingegen nur eine Klage auf Kostenerstattung in Betracht. Dabei sei auch zu beachten, dass es bei derartigen Kostenübernahmebegehren in der Regel nicht um den grundsätzlichen Anspruch auf Krankenbehandlung gehe, sondern um die vom Versicherten konkret gewünschte Therapie. Da aber das ASVG im Gegensatz zur freien Arztwahl keine freie Therapiewahl kenne, sei es systemkonform, in diesen Fällen dem Versicherten die Vorleistung aufzuerlegen, wenn er die ihm zur Verfügung gestellte Therapie nicht in Anspruch nehmen möchte.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1.) Nach § 133 Abs 1 ASVG umfasst die Krankenbehandlung, die nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle ausreichend und zweckmäßig sein muss, das Maß des Notwendigen jedoch nicht überschreiten darf, ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. Die Heilmittel umfassen wiederum a) die notwendigen Arzneien und b) die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolgs dienen (§ 136 Abs 1 ASVG). Die Kosten der Heilmittel werden vom Träger der Krankenversicherung durch Abrechnung mit den Apotheken übernommen (§ 136 Abs 2 ASVG). Für jedes auf einem Rezept verordnete und auf Rechnung des Versicherungsträgers bezogene Heilmittel ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, eine Rezeptgebühr zu zahlen (§ 136 Abs 3 ASVG).

1.1 Die Leistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) werden den Versicherten grundsätzlich als Sachleistung oder in Form der Kostenübernahme bzw Kostenerstattung zur Verfügung gestellt. Durch die Sachleistungsvorsorge besteht für die Versicherten die Möglichkeit, die Leistung ohne Pflicht zur Vorauszahlung in Anspruch zu nehmen. Bei der Kostenerstattung hingegen hat der Versicherte die gewünschte Leistung selbst am Markt zu besorgen. Die Sozialversicherung leistet dabei grundsätzlich keine Hilfestellung. Ihre Aufgabe beschränkt sich darauf, die vom Versicherten für die Inanspruchnahme von Gesundheitsgütern aufgewendeten Kosten im Nachhinein bis zu einem gewissen Höchstbetrag zu erstatten.

1.2 Die nach ASVG Versicherten erhalten die Krankenbehandlung grundsätzlich als Sachleistung. Gemäß § 133 Abs 2 ASVG müssen die Leistungen der Krankenbehandlung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, als Sachleistungen erbracht werden. § 338 Abs 2 ASVG verpflichtet daher die Krankenversicherungsträger dazu, durch den Abschluss von Gesamt- und Einzelverträgen eine ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlichen und satzungsmäßigen Leistungen sicherzustellen. Auch § 23 Abs 5 ASVG trägt es den Krankenversicherungsträgern auf, für die Krankenbehandlung der Versicherten und ihrer Familienangehörigen ausreichend Vorsorge zu tragen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Sachleistungsprinzip verhindern, dass die Gewährung von Gesundheitsleistungen an finanziellen Schranken (wie beispielsweise der für die Versicherten oftmals unzumutbaren Vorfinanzierung der Leistungen der Krankenbehandlung oder gar der Anstaltspflege) scheitert (vgl Firlei, Heilmittelverschreibung [2006] 19 ua). Beim Kostenerstattungsmodell trägt der Versicherte auch das Risiko, dass die von ihm konsumierte Leistung nicht dem sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch zuzuordnen ist. War zum Beispiel die vom Arzt erbrachte Behandlung unzweckmäßig, nicht ausreichend oder überschießend, haben die Krankenversicherungsträger keinen Kostenersatz zu leisten (vgl Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin in der Krankenversicherung [2005] 14 mwN). Die Kostenerstattung soll daher im Bereich des ASVG die Ausnahme und nicht die Regel sein.

1.3 Nach § 31 Abs 5 Z 13 ASVG hat der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen zu erlassen. Dabei ist die Art und Dauer der Erkrankung zu berücksichtigen. Der Heilzweck darf durch die Richtlinien nicht gefährdet werden.

1.4 Nach § 31 Abs 3 Z 12 ASVG hat der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger auch einen Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe der Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich herauszugeben. In dieses Verzeichnis sind jene für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufzunehmen, die nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) annehmen lassen. Dieser Kodex besteht aus drei Bereichen (oder Boxen): Im grünen Bereich finden sich jene Arzneispezialitäten, die ohne chefärztliche Bewilligung, und im gelben Bereich jene, die nur mit chefärztlicher Genehmigung verschrieben werden können. In den roten Bereich werden befristet neue Arzneispezialitäten aufgenommen, bis klargestellt ist, wie mit ihnen auf Dauer verfahren wird; auch hier bedarf die Verschreibung der chefärztlichen Genehmigung. Frei verschreibbare Heilmittel werden auf Rechnung der Kasse abgegeben, wenn sie von einem Kassenarzt verschrieben wurden. Nicht in den Erstattungskodex aufgenommene Heilmittel werden grundsätzlich nicht auf Rechnung der Kasse abgegeben.

Den in der österreichischen Krankenversicherung versicherten Patienten können grundsätzlich alle erhältlichen Medikamente verordnet werden, wenn dies im einzelnen Behandlungsfall den gesetzlich festgelegten Kriterien einer ausreichenden, zweckmäßigen und das Maß des Notwendigen nicht übersteigenden Krankenbehandlung dient. Der Erstattungskodex, der jene Heilmittel auflistet, die ohne die sonst notwendige chefärztliche Bewilligung verschrieben werden können, schränkt daher das Recht der Versicherten auf Krankenbehandlung mit Heilmitteln nicht ein. Nicht jede ärztliche Verschreibung lässt einen gesetzlichen Anspruch auf eine Kostenerstattung des verordneten Heilmittels entstehen. Ein Leistungsanspruch ist nur gegeben, wenn die ärztliche Verschreibung auch den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Wesentlich ist jedoch, dass das Recht der Versicherten auf Krankenbehandlung weder durch den Erstattungskodex, noch durch den Chefarzt eingeschränkt werden kann (vgl Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin aaO 80 f; 10 ObS 75/06m mwN).

Nach den Grundsätzen des ASVG unterliegen alle Heilmittel gemäß § 350 ASVG einer ex ante chefärztlichen Genehmigung. Davon ausgenommen sind jene Heilmittel, die im Erstattungskodex angeführt sind. Die Verweigerung der Genehmigung durch den Chefarzt ist über Bescheidklage des Versicherten gerichtlich überprüfbar (vgl § 350 Abs 3 ASVG).

Die Konkretisierung des Leistungsanspruchs des Versicherten in der Krankenversicherung erfolgt daher im Streitfall durch die Gerichte, weil der Leistungsanspruch nach dem Gesetz letztlich nur im Einzelfall und nicht durch generelle Regelungen wie den Erstattungskodex abschließend festgelegt werden darf. Die soziale Krankenversicherung hat demnach keine eigenständige Befugnis, den Leistungsumfang - hier bei den Heilmitteln - endgültig festzulegen (10 ObS 22/06t = SSV-NF 20/16 mwN). In der Praxis wird allerdings der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Organe der Krankenversicherung dadurch, dass sie generelle Regelungen wie beispielsweise den Erstattungskodex erlassen oder Verträge abschließen, wie etwa Gesamtverträge, sowie durch Einzelfallentscheidungen, die insbesondere durch die Chefärzte getroffen werden, stark beeinflusst. Dies kann einem Versicherten im Bereich der Pflichtleistungen zwar nicht explizit das Recht auf eine bestimmte Leistung nehmen, sehr wohl aber den Weg dazu erschweren, weil er nur die Leistungen ohne weiteres bekommt, die im Gesamtvertrag oder im Erstattungskodex vorgesehen sind. Gibt sich ein Versicherter mit diesen Leistungen nicht zufrieden, so muss er zumindest die Genehmigung des Chefarztes einholen oder bei deren Verweigerung klagen. Möglich ist einerseits eine Klage auf Erstattung der angefallenen Kosten für eine bereits erfolgte Behandlung und andererseits eine Feststellungsklage, dass eine Leistungspflicht über den Gesamtvertrag hinaus besteht (vgl Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin aaO 187 mwN).

1.5 Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, hat der Versicherte somit keinen Anspruch auf Beistellung eines jeden (von ihm gewünschten oder ihm vom Arzt verschriebenen) Heilmittels; es steht ihm nur das im konkreten Fall notwendige und wirtschaftlichste Heilmittel zu (10 ObS 144/06h ua).

2.1 Es entspricht ebenfalls ständiger Rechtsprechung, dass das in der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem ASVG vorrangig herrschende Sachleistungsprinzip nicht bedeutet, dass der Krankenversicherungsträger alle Leistungen (ärztliche Hilfe, Heilmittel ...) tatsächlich in natura zu erbringen hat. Vielmehr ist er nur dazu verpflichtet, die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Versicherten die benötigten Gesundheitsleistungen auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhalten können. Besteht aber keine generelle Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers, jede einzelne Leistung tatsächlich in natura zu erbringen, muss auch ein durchsetzbarer Anspruch auf die Gewährung als Sachleistung verneint werden (vgl zuletzt 10 ObS 36/09f mwN; RIS-Justiz RS0111541).

2.2 Es ist ebenfalls unstrittig, dass der Versicherte, der sich die gewünschte Gesundheitsleistung selbst am Markt besorgt hat, vom Krankenversicherungsträger Kostenerstattung verlangen kann. Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung setzt allerdings voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten getragen wurden (vgl zuletzt 10 ObS 36/09f; RIS-Justiz RS0113911 [T2]). Ansprüche, die erst in Zukunft möglicherweise entstehen werden, können in der Regel nicht zum Gegenstand einer Feststellungsklage im Verfahren in Sozialrechtssachen gemacht werden (vgl 10 ObS 52/96 = SSV-NF 10/30 mwN ua; RIS-Justiz RS0105147). Der Krankenversicherungsträger hat somit erst im „Erstattungsverfahren“ die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der privat organisierten Behandlung zu überprüfen. In wirtschaftlicher Hinsicht führt das Kostenerstattungsmodell nicht nur zu einer vorübergehenden wirtschaftlichen Belastung des Versicherten, weil er mit den Behandlungskosten in Vorlage zu treten hat, der Versicherte trägt auch das Risiko, dass die von ihm vertraglich in Anspruch genommene Leistung gar nicht dem sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch entspricht. Da die Übereinstimmung zwischen dem vertraglich begründeten Leistungsanspruch und dem gesetzlich determinierten Anspruch gegen die Sozialversicherung erst ex post geprüft wird, birgt das Kostenerstattungsmodell für die Versicherten erhebliche Unsicherheiten (vgl Schrammel, Die Durchsetzung von Leistungsansprüchen in der sozialen Krankenversicherung, in FS Tomandl [1998] 679 ff [681]).

3. Im vorliegenden Fall steht unstrittig fest, dass sich die Klägerin das ihr ganz offensichtlich von einem Vertragsarzt der beklagten Partei verschriebene Heilmittel „Hyalgan“ bisher nicht beschafft hat, weil sie aus finanziellen Gründen zur Vorfinanzierung dieses Heilmittels nicht in der Lage ist. Das Klagebegehren der Klägerin ist daher auch nicht auf Kostenerstattung, sondern auf Übernahme der Kosten für dieses Heilmittel gerichtet. Es ist daher im Folgenden die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bisher nicht einheitlich beurteilte Frage zu prüfen, ob ein solches Begehren auf Übernahme der Kosten eines Heilmittels zulässig ist.

3.1 In Bezug auf Anstaltspflege und medizinische Hauskrankenpflege werden Klagebegehren auf Übernahme von Kosten durch den Sozialversicherungsträger (also ohne Vorfinanzierung) als zulässig angesehen. So hatte beispielsweise die Entscheidung 10 ObS 151/95 (= SSV-NF 9/65) die Übernahme der Kosten einer Anstaltspflege und die Entscheidung 10 ObS 315/00x (= SSV-NF 15/57) die Übernahme der Kosten einer medizinischen Hauskrankenpflege zum Gegenstand. In der Entscheidung 10 ObS 68/04d wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass dann, wenn eine Leistungsklage (noch) nicht in Betracht kommt und das Klagebegehren bloß darauf gerichtet ist, eine von der beklagten Partei bestrittene Verpflichtung zur Leistung medizinischer Hauskrankenpflege (dem Grunde nach) festzustellen, ein (entsprechend präzisiertes) Klagebegehren bei Vorhandensein eines rechtlichen Interesses zulässig ist. Ein solches Feststellungsinteresse des (damaligen) Klägers resultiere insbesondere schon daraus, dass die beklagte Partei mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag des (damaligen) Klägers auf Gewährung der medizinischen Hauskrankenpflege abgewiesen habe und dem Betroffenen die seinem Rechtsstandpunkt entsprechende Feststellungsklage offen stehe, wenn eine Leistungsklage (noch) nicht in Betracht komme. Die Umwandlung eines Leistungsbegehrens in ein Feststellungsbegehren sei an sich grundsätzlich eine Klagseinschränkung und demnach nicht als Klagsänderung anzusehen.

3.2 Bei Klagebegehren auf Durchsetzung von Ansprüchen auf Heilmittel gab der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 62/89 (= SSV-NF 3/68) einem Kostenerstattungsbegehren eines Klägers für die Vergangenheit statt und stellte gleichzeitig fest, dass die beklagte Partei die Kosten dieses Heilmittels entsprechend künftiger Rezeptierung zu übernehmen habe. Auch in der Entscheidung 10 ObS 9/99t (= SSV-NF 13/12) wurde im Fall einer Infusionstherapie ein Klagebegehren auf Übernahme von Kosten dieses Heilmittels für die Zukunft als möglich angesehen. In den Entscheidungen 10 ObS 361/01p (= SSV-NF 15/142), 10 ObS 227/03k (= SSV-NF 18/65) und 10 ObS 160/06m (= SSV-NF 21/12) wurde ganz allgemein ein auf Übernahme der Kosten eines Heilmittels durch den Krankenversicherungsträger gerichtetes Klagebegehren als zulässig angesehen. In der bereits von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 10 ObS 36/09f wurde diese Judikatur für den Fall, dass ein Versicherter eine einzelne Leistung nicht auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers erhalten hat, dahin eingeschränkt, dass er nur Kostenerstattung verlangen könne. Eine Leistungsklage auf Kostenerstattung setze allerdings wiederum voraus, dass die Kosten vorher vom Versicherten getragen worden seien. Diese Voraussetzung könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass das verordnete Arzneimittel nicht bezogen (und bezahlt) werde, sondern dass auf künftige Übernahme der Kosten geklagt werde. Diese Rechtsprechung wurde zuletzt in der Entscheidung 10 ObS 117/09t fortgeschrieben.

3.3 Der Oberste Gerichtshof hat allerdings auch bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass gemäß § 65 Abs 2 ASGG unter die Sozialrechtssachen - in allen in § 65 Abs 1 ASGG erfassten Rechtssachen - auch Klagen auf Feststellung fallen. Voraussetzung dafür ist gemäß § 228 ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechts oder Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage nach § 65 Abs 2 ASGG setzt aufgrund der sukzessiven Kompetenz jedenfalls auch einen Bescheid voraus, der über ein Feststellungsbegehren des Versicherten abgesprochen hat (10 ObS 47/03i= SSV-NF 17/36 mwN). Wurde mit einem Bescheid über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs entschieden, so steht dem Betroffenen die seinem Rechtsanspruch entsprechende Feststellungsklage offen, wenn eine Leistungsklage nicht in Betracht kommt. Dabei resultiert das rechtliche Interesse des Betroffenen im Allgemeinen schon daraus, dass der Sozialversicherungsträger die gegenteilige Feststellung getroffen hat und dieser Bescheid mangels Bekämpfung im Klageweg bindende Wirkung entfalten würde (vgl 10 ObS 68/04d; 10 ObS 2/01v = SSV-NF 15/22; 10 ObS 194/91 = SSV-NF 5/ 101).

Im Sinne dieser Ausführungen hat der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 119/08k im Fall einer EU-Auslandskrankenbehandlung ausgesprochen, dass der Versicherte den Bescheid des Krankenversicherungsträgers über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Krankenbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat mittels Feststellungsklage bekämpfen könne. Dabei liege das rechtliche Interesse des Betroffenen - wie erwähnt - im Allgemeinen schon darin, dass der Krankenversicherungsträger die gegenteilige Feststellung getroffen hat und dieser Bescheid bei mangelnder Bekämpfbarkeit im Klageweg bindende Wirkung zum Nachteil des Betroffenen entfalten würde. Andererseits führe der Erfolg einer solchen Feststellungsklage des Versicherten zur rechtskräftigen und damit für einen allfälligen Nachfolgeprozess wegen Kostenerstattung zwischen den Parteien bindenden Feststellung, dass die Voraussetzungen für eine Krankenbehandlung des Versicherten in einem anderen Mitgliedstaat nach der einschlägigen Bestimmung der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 vorlagen (vgl auch Neumayr, Zum Klagebegehren und Urteilsspruch im sozialgerichtlichen Verfahren über Bescheidklagen, ÖJZ 2009, 1031 ff [1033]).

3.4 Diese soeben zu Punkt 3.3 dargelegten Grundsätze sind nach Ansicht des erkennenden Senats auch im vorliegenden Fall zu berücksichtigen. Wurde - wie hier - vom Versicherungsträger mit einem Bescheid über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs des Versicherten auf Kostenübernahme für ein Heilmittel entschieden, so steht dem Betroffen nach der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die seinem Rechtsstandpunkt entsprechende Feststellungsklage offen, wenn eine Leistungsklage (noch) nicht in Betracht kommt. Eine auf Kostenerstattung gerichtete Leistungsklage kommt im vorliegenden Fall (noch) nicht in Betracht, weil die Klägerin das ihr von einem Facharzt verordnete Heilmittel nicht bezogen (und bezahlt) hat. Auch in diesem Fall ist aber eine Feststellungsklage des Versicherten darüber, dass eine Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers (über den Gesamtvertrag und den Erstattungskodex hinaus) besteht, zulässig (vgl auch Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin aaO 187; Rebhahn, Die Bereitstellung von Arzneimitteln, in Grillberger/Mosler [Hrsg], Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenversicherung [2003] 209 ff [228]). Nur dadurch kann der letztlich vom Gericht zu klärende gesetzliche Anspruch des Versicherten auf alle Heilmittel, sofern nur die Kriterien des § 133 Abs 2 ASVG erfüllt sind, verwirklicht werden. Dabei ist nämlich zu bedenken, dass der Krankenversicherungsträger die Kostenübernahme auch zu Unrecht abgelehnt haben könnte. Würde man die Ansicht vertreten, dass gegen die Ablehnung der vom Versicherten beantragten Kostenübernahme nur eine Klage auf Kostenerstattung zulässig wäre, könnte in einem Fall wie dem vorliegenden der Krankenbehandlungsanspruch des Versicherten in unzulässiger Weise ausgehöhlt werden. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass auch die Ablehnung der Kostenübernahme für ein verordnetes Heilmittel durch eine Feststellungsklage beim Arbeits- und Sozialgericht bekämpft werden kann. Für diese Rechtsansicht spricht weiters, dass auch die Verweigerung der Genehmigung eines Heilmittels durch den Chefarzt über Bescheidklage des Versicherten gerichtlich überprüfbar ist (vgl § 350 Abs 3 ASVG). Schließlich kann der Erfolg einer solchen Feststellungsklage des Versicherten zur rechtskräftigen und damit bei unveränderter Sach- und Rechtslage für einen allfälligen Nachfolgeprozess wegen Kostenerstattung zwischen den Parteien bindenden Feststellung führen, dass die Voraussetzungen für eine Übernahme der Kosten des Heilmittels durch den Krankenversicherungsträger vorlagen. Das zulässige Klagebegehren der Klägerin richtet sich daher im vorliegenden Fall auf die Feststellung, dass der Anspruch auf Kostenübernahme für das am 24. 2. 2009 von Dr. Thomas P*****, Facharzt für Orthopädie in Graz, verordnete Präparat „Hyalgan SprAmp 2 ml 5 St“ zu Recht bestehe. Die vom erkennenden Senat in der zitierten jüngeren Rechtsprechung (vgl insb 10 ObS 36/09f) vertretene und von den dargelegten Grundsätzen abweichende Rechtsansicht wird daher nicht mehr aufrecht erhalten.

4. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufhebung des Ersturteils und die Zurückverweisung der Sozialrechtssache an das Erstgericht zur inhaltlichen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für das Kostenübernahmebegehren der Klägerin erweist sich somit als zutreffend. Dem Rekurs der beklagten Partei musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E93791

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00021.10A.0323.000

Im RIS seit

05.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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