TE OGH 2010/4/20 1Ob25/10y

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Veröffentlicht am 20.04.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Peisi T*****, vertreten durch Dr. Alexander Gruber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 217.491,85 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 111.425,53 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2009, GZ 14 R 202/09t-31, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. September 2009, GZ 30 Cg 17/09d-23, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Übrigen als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird in der Abweisung des Begehrens von 111.425,53 EUR sA und in der Kostenentscheidung aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war wegen des Verdachts der Schlepperei, des schweren gewerbsmäßigen Betrugs (unter anderem unter Verwendung einer falschen oder verfälschten Urkunde nach § 147 Abs 1 Z 1 StGB) und der kriminellen Organisation vom 8. 6. 2004, 6:00 Uhr bis 5. 8. 2005, 12:40 Uhr in Untersuchungshaft. Mit Urteil vom 19. 4. 2006 wurde sie nur wegen Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB verurteilt, von den anderen Vorwürfen wurde sie rechtskräftig freigesprochen. Aus Anlass der von der Klägerin erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ordnete der Oberste Gerichtshof die Erneuerung des Verfahrens erster Instanz im Umfang des Schuldspruchs an. Mit Urteil vom 5. 3. 2007 wurde die Klägerin schließlich auch von dem wegen Urkundenfälschung erhobenen Strafantrag vom 7. 2. 2007 gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen. Das Bezirksgericht Liesing stellte mit Beschluss vom 2. 4. 2007 auf Antrag der Klägerin fest, dass nach dem Freispruch hinsichtlich der von ihr erlittenen Untersuchungshaft ein Ersatzanspruch nach dem StEG bestehe.

Mit Schreiben vom 25. 6. 2008 forderte der Klagevertreter namens der Klägerin die Finanzprokuratur zur Anerkennung eines Ersatzanspruchs nach dem StEG in Höhe von 127.200 EUR für 424 Tage Untersuchungshaft sowie weiteren 90.695,05 EUR an Verteidigungskosten laut gleichzeitig übersandter Kostennote auf. Dieses Aufforderungsschreiben langte am 27. 6. 2008 bei der Finanzprokuratur ein. Mit Schreiben vom 30. 7. 2008 unterbreitete die Finanzprokuratur der Klägerin zur Abgeltung aller geltend gemachten Ersatzansprüche ein - für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren unpräjudizielles - Vergleichs- anbot in Form der Zahlung eines Pauschalbetrags von 65.000 EUR. Das Anbot war bis 29. 8. 2008 (Einlangen der schriftlichen Annahmeerklärung bei der Finanzprokuratur) befristet. Der Klagevertreter ersuchte die Finanzprokuratur per Telefax am 29. 8. 2008 wegen eines Aufenthalts der Klägerin in China um Verlängerung der Frist bis 31. 10. 2008. Die Finanzprokuratur erklärte sich in ihrem Schreiben vom 1. 9. 2008 mit dieser Fristverlängerung einverstanden.

Die Klägerin begehrte in ihrer am 15. 6. 2009 eingebrachten Klage neben der Feststellung der Haftung für künftige Schäden die Zahlung von 217.895,05 EUR. Dieser Betrag ergibt sich eindeutig aus der Addition der der Klagserzählung zugrunde gelegten Summen von 127.200 EUR Haftentschädigung und 90.695,05 EUR Verteidigungskosten iVm dem auf Seite 1 angeführten Streitwert, obwohl das Urteilsbegehren nominell auf Zahlung von 127.200 EUR lautete. In der Verhandlung vom 17. 9. 2009 ließ sie das Feststellungsbegehren fallen, berichtigte das Urteilsbegehren auf Zahlung von 217.895,05 EUR und schränkte es gleichzeitig um 403,20 EUR auf 217.491,85 EUR ein. Davon entfielen 127.200 EUR auf die Haftentschädigung (300 EUR pro Tag x 424) und 90.291,85 EUR auf die Kosten der notwendigen Verteidigung.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und - mit Ausnahme eines Haftentschädigungsbetrags von 42.300 EUR (100 EUR pro Tag x 423) - auch der Höhe nach. Nur haftbedingte Mehrkosten seien als Verteidigungskosten zu ersetzen. Der nach § 393a StPO zuerkannte Betrag sei darauf anzurechnen. Im Übrigen seien die Ansprüche verjährt. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen seien der Klägerin mit Verkündung des Urteils des Schöffensenats am 19. 4. 2006 bekannt geworden. Ab Rechtskraft des Teilfreispruchs sei evident gewesen, dass jedenfalls für die Untersuchungshaft, welche die verhängte einmonatige bedingte Freiheitsstrafe überstiegen hätte, ein Entschädigungsanspruch bestehe. Da das Aufforderungsschreiben am 27. 6. 2008 bei der Finanzprokuratur eingelangt sei und die Verjährungsfrist für die Dauer des Aufforderungsverfahrens nur hinsichtlich ihres Ablaufs gehemmt werde, sei die Verjährungsfrist bereits vor Klagseinbringung abgelaufen. Die 127.200 EUR übersteigende Klagsforderung sei auch deshalb verjährt, weil im ursprünglichen Klagebegehren nur dieser Betrag aufgeschienen sei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin 42.400 EUR Haftentschädigung (100 EUR pro Hafttag) sowie 4.564,36 EUR Verteidigungskosten zu und wies das Mehrbegehren von 170.527,49 EUR ab. Zur Frage der Verjährung ging es davon aus, dass sich die am 19. 4. 2006 in Gang gesetzte dreijährige Verjährungsfrist in Form einer Fortlaufhemmung für den Zeitraum zwischen dem 27. 6. 2008 und dem Ablauf der mit 31. 10. 2008 gesetzten Frist, also um „gut vier Monate“, verlängert habe. Bei den Verteidigungskosten wertete es nur anwaltliche Leistungen im Gegenwert von 4.564,36 EUR als ersatzfähig und lehnte die Anrechnung des nach § 393a StPO zugesprochenen Beitrags zu den Verteidigungskosten ab.

Der Zuspruch der Haftentschädigung von 42.400 EUR sowie die Abweisung von 63.666,32 EUR wurden nicht bekämpft.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht nahm Verjährung an und wies daher die noch strittige Klagsforderung von 111.425,53 EUR ab. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 8 Abs 1 StEG 2005 sei mit dem Teilfreispruch vom 19. 4. 2006 in Gang gesetzt worden. Von allen Vorwürfen sei nur mehr der Verdacht der Urkundenfälschung übrig geblieben, der für sich alleine bei einem Strafrahmen von höchstens einem Jahr keine Verhaftung gerechtfertigt hätte. § 8 Abs 2 StEG 2005 regle eine Fortlaufhemmung, die aber mit dem Vergleichsanbot vom 30. 7. 2008 beendet worden sei. Die verlängerte Frist zur Annahme des Vergleichsanbots wirke sich nicht als Ablaufhemmung zu Gunsten der Klägerin aus, weil die Klage mehr als ein halbes Jahr nach Ablauf der verlängerten Äußerungsfrist und damit nicht mehr in angemessener Frist erhoben worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin, die den Zuspruch eines weiteren Betrags von 111.425,53 EUR sA begehrt, ist zulässig und mit ihrem von der beantragten Abänderung umfassten Aufhebungsantrag berechtigt.

Nicht strittig ist, dass die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 (ungerechtfertigte Haft) verwirklicht sind. Nach § 8 Abs 1 StEG 2005 verjährt ein Ersatzanspruch in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der geschädigten Person die anspruchsbegründenden Voraussetzungen bekannt geworden sind, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft der Entscheidung oder Verfügung, aus der der Ersatzanspruch abgeleitet wird. Auf das Argument der Klägerin, die dreijährige Verjährungsfrist sei erst mit der Entscheidung vom 2. 4. 2007 in Gang gesetzt worden und nicht bereits mit dem Teilfreispruch vom 19. 4. 2006, muss nicht eingegangen werden. Auch bei einem Fristbeginn am 19. 4. 2006 ist die Klage rechtzeitig eingebracht worden:

Die dreijährige Verjährungsfrist wird nach § 8 Abs 2 StEG 2005 durch eine Aufforderung gemäß § 9 für die dort bestimmte Frist oder, wenn die Aufforderung innerhalb dieser Frist beantwortet wird, bis zur Zustellung der Antwort an die geschädigte Person gehemmt. Nach § 9 Abs 1 Satz 1 StEG 2005 soll die geschädigte Person den Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, zunächst schriftlich auffordern, ihr binnen drei Monaten eine Erklärung zukommen zu lassen, ob er den Ersatzanspruch anerkennt oder ganz oder zum Teil ablehnt. Zur mit § 8 Abs 2 StEG 2005 vergleichbaren Bestimmung des § 6 Abs 1 AHG hat der Oberste Gerichtshof bereits judiziert, dass es sich dabei um eine Fortlaufhemmung handelt (RIS-Justiz RS0111778). Dasselbe hat auch für § 8 Abs 2 StEG 2005 zu gelten (Eder-Rieder, StEG 2005, 81). Aufgrund § 9 Abs 3 StEG 2005 erließ der Bundesminister für Justiz eine Verordnung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz 2005, BGBl II 2005/34. Deren § 1 Abs 1 verpflichtet den Geschädigten, im Aufforderungsschreiben den anspruchsbegründenden Sachverhalt zu schildern und den Anspruch der Höhe nach zu beziffern. Nach § 2 der zitierten Verordnung hat die Finanzprokuratur den Geschädigten innerhalb von drei Monaten in einem Antwortschreiben darüber zu verständigen, ob der Ersatzanspruch anerkannt bzw zur Gänze oder zum Teil abgelehnt wird. Im ersten Fall handelt es sich um eine rein zivilrechtliche Erklärung, die als privatrechtliches, konstitutives Anerkenntnis zu qualifizieren ist und zu einer selbständigen Verpflichtung des Anerkennenden führt. Wird der Anspruch nur dem Grund nach anerkannt, ist weiterhin eine Durchsetzung über das zivilgerichtliche Entschädigungsverfahren notwendig. Dieses beschränkt sich dann aber auf die Höhe des Ersatzanspruchs (Eder-Rieder aaO, 86 mwN). Sinn dieser Bestimmung ist eindeutig, dem Geschädigten Klarheit darüber zu verschaffen, ob bzw in welchem Umfang sein Anspruch anerkannt wird und welche Maßnahmen ihm offenstehen.

Das Antwortschreiben der Finanzprokuratur vom 30. 7. 2008 (Beilage ./1) wird entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts diesem Erfordernis nicht gerecht, enthält es doch nur ein unpräjudizielles Vergleichsanbot. Es stellt damit aus der Sicht des Geschädigten nicht eindeutig klar, ob der Anspruch dem Grund nach anerkannt wird (daher den ursprünglichen Anspruchsgrund betreffende Einwände - wie hier der Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist iSd § 8 Abs 1 StEG 2005 - abgeschnitten sind), und nur mehr Divergenzen über die Höhe der Entschädigungssumme bestehen. Da das Schreiben der Finanzprokuratur vom 30. 7. 2008 kein eindeutiges Anerkenntnis dem Grunde nach und auch keine eindeutige Ablehnung darstellt, wurde die Fortlaufhemmung nicht durch den Zugang dieses Schreibens beendet, sondern erst durch Ablauf der dreimonatigen Frist ab Eingang des Aufforderungsschreibens. Die dreijährige Verjährungsfrist zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs hat sich daher um die gesetzliche Dauer des Aufforderungsverfahrens von drei Monaten verlängert. Sie endete daher erst am 19. 7. 2009, weshalb die am 15. 6. 2009 eingelangte Klage nicht verfristet ist.

Das Berufungsgericht, das die Abweisung der restlichen Schadenersatzforderung ausschließlich auf Verjährung gegründet hat, wird sich daher in einer neuerlichen Entscheidung mit den Argumenten in der Berufung der Klägerin, die sich mit der Höhe der Haftentschädigung und der Berechtigung der weiteren Verteidigungskosten befasste sowie einen (primären) Verfahrensmangel wegen unterlassener Beweisaufnahme rügte, auseinanderzusetzen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

 

Schlagworte

4 Amtshaftungssachen,

Textnummer

E93894

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0010OB00025.10Y.0420.000

Im RIS seit

18.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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