TE OGH 2010/5/6 12Os40/10i

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Veröffentlicht am 06.05.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Mai 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Wöss als Schriftführer in der Strafsache gegen Zejrudin C***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J***** und Dario M***** sowie über die Berufung des Angeklagten Nerko H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Jugendgeschworenengericht vom 17. November 2009, GZ 33 Hv 8/09m-187, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem die Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J*****, Dario M***** und Daniel T***** schuldig sprechenden Umfang und demgemäß auch in den diese Angeklagten betreffenden Straf- und Adhäsionsaussprüchen sowie die diesen Schuldsprüchen zugrunde liegenden Wahrsprüche und der Dario M***** betreffende Beschluss nach § 494a StPO aufgehoben und die Sache wird insoweit an das Erstgericht zur Anordnung einer neuen Hauptverhandlung verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J***** und Dario M***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Erstgericht wird aufgetragen, dem Oberlandesgericht Linz eine Aktenkopie zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Nerko H***** zu übermitteln.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Zejrudin C***** und Filip J***** jeweils des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (A./I./ und II./), Dario M***** des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB (A./III./) sowie Daniel T***** und Nerko H***** des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs2 StGB (A./IV./, V./), Nerko H***** darüber hinaus auch des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (B./) schuldig erkannt.

Danach haben am 28. September 2008 in Linz

I./ und II./ Zejrudin C***** und Filip J***** den Adis B***** dadurch getötet, dass sie ihm gemeinsam mit Dario M*****, Daniel T***** und Nerko H***** eine Vielzahl heftiger Faustschläge gegen den Kopf versetzten bzw Nerko H***** den Adis B***** zu diesem Zweck von hinten umklammerte, wodurch dieser zu Boden ging und sie gegen den sodann wehrlos am Boden Liegenden mit Fußtritten gegen den Oberkörper und wiederum vor allem gegen den Kopf und das Gesicht vorgingen, die multiple Körperverletzungen mit tödlicher Folge hervorriefen;

III./ Dario M***** gemeinsam mit Zejrudin C*****, Filip J*****, Daniel T***** und Nerko H***** dem Adis B***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem sie ihm eine Vielzahl heftiger Faustschläge gegen den Kopf versetzten bzw Nerko H***** den Adis B***** zu diesem Zweck von hinten umklammerte, wodurch dieser zu Boden ging und sie gegen den sodann wehrlos am Boden Liegenden mit Fußtritten gegen den Oberkörper und wiederum vor allem gegen den Kopf und das Gesicht vorgingen, wobei die Tat den Tod des Adis B***** zur Folge hatte;

IV./ Daniel T***** an einem Angriff mehrerer gegen Adis B***** tätlich teilgenommen, indem er diesem gemeinsam mit Zejrudin C*****, Filip J*****, Dario M***** und Nerko H***** eine Vielzahl heftiger Faustschläge gegen den Kopf versetzte bzw Nerko H***** den Adis B***** zu diesem Zweck von hinten umklammerte, wodurch dieser zu Boden ging, wobei dieser Angriff den Tod des Adis B***** zur Folge hatte;

V./ Nerko H***** an einem Angriff mehrerer gegen Adis B***** tätlich teilgenommen, indem er diesem gemeinsam mit Zejrudin C*****, Filip J*****, Dario M***** und Daniel T***** eine Vielzahl heftiger Faustschläge gegen den Kopf versetzte bzw Nerko H***** den Adis B***** zu diesem Zweck von hinten umklammerte, wodurch dieser zu Boden ging, wobei dieser Angriff den Tod des Adis B***** zur Folge hatte;

B./ Nerko H***** am 30. September 2009 in Linz, wenn auch nur fahrlässig, einen Schlagring, somit eine verbotene Waffe (§ 17 WaffG) unbefugt besessen.

Rechtliche Beurteilung

Nur die Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J***** und Dario M***** bekämpfen die gegen sie ergangenen Schuldsprüche mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden, die C***** auf Z 1, 6, 9 und 12, J***** auf Z 1, 6, 8 sowie 9 und M***** auf Z 1 und 5 jeweils des § 345 Abs 1 StPO stützen. Diesen Rechtsmitteln kommt Berechtigung zu.

Gestützt auf § 345 Abs 1 Z 1 StPO kritisieren sämtliche Nichtigkeitswerber die von ihnen und vom Angeklagten Daniel T***** bereits am Beginn der Hauptverhandlung vom 8. Oktober 2009 (S 4 f in ON 185) gerügte nicht gehörige Besetzung des Schwurgerichtshofs. Sie verweisen zutreffend darauf, dass der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs Mag. Walter E***** und die beisitzende Richterin Mag. Margit K***** auch Mitglieder jenes Jugendschöffengerichts waren, welches auf der Grundlage der von der Staatsanwaltschaft Linz am 12. Februar 2009 gegen sämtliche Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB sowie gegen Nerko H***** auch wegen des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG erhobenen Anklage (ON 98), mit - nach Zurückziehung angemeldeter Rechtsmittel seit 24. Juli 2009 rechtskräftigem - Urteil vom 6. Mai 2009, GZ 33 Hv 8/09m-127, seine Unzuständigkeit erklärt und dazu ausgeführt hatte, dass ein konkreter Tatverdacht in Richtung eines Anschuldigungsbeweises wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB vorliege.

Der Einwand der Besetzungsrügen erweist sich als zutreffend, weil § 43 Abs 2 StPO unter anderem die Richter vom Hauptverfahren ausschließt, die „an einem Urteil mitgewirkt“ haben, das in der Folge kassiert worden ist, und damit keinen interpretativen Spielraum für eine Differenzierung zwischen Formal- und Sachurteilen lässt (vgl Fabrizy StPO10 § 43 Rz 12). Rechtsprechung und Lehre zu § 68 Abs 2 zweiter Satz StPO aF, wonach ein zu Unrecht gefälltes Unzuständigkeitsurteil keinen Ausschluss der daran beteiligten Richter für das weitere Strafverfahren bewirkte, sind daher auf die neue Rechtslage nicht mehr weiter anwendbar. Hievon ausgehend sind auch Richter, die ihre Unzuständigkeit rechtskräftig ausgesprochen haben, im sodann vor einem Gericht höherer Ordnung zu führenden Hauptverfahren ausgeschlossen, weil sich ansonsten ein Wertungswiderspruch ergeben würde, wenn etwa der ein Unzuständigkeitsurteil fällende Einzelrichter die Sachentscheidung zwar (nach Bestätigung bzw Rechtskraft des Unzuständigkeitsurteils) als Vorsitzender des Schöffensenats, nicht jedoch (nach Aufhebung der Entscheidung gemäß § 261 StPO) als Einzelrichter treffen dürfe (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 24).

Da die vorliegende Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 1 StPO in Ansehung der Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J***** und Dario M***** unumgänglich die Urteilsaufhebung nach sich zieht, erübrigt sich ein Eingehen auf deren sonstiges Vorbringen.

Der dem Schuldspruch des Angeklagten Daniel T***** ebenfalls anhaftende Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 1 StPO, den der Genannte zwar nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht, die Teilnahme zweier aufgrund ihrer Beteiligung an der vorangegangenen Unzuständigkeitsentscheidung ausgeschlossener Richter am Beginn der Hauptverhandlung allerdings gerügt hatte, war jedoch von Amts wegen (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall, 344 StPO) wahrzunehmen, zumal ein nachteiliger Einfluss aus der verfehlten Besetzung des Schwurgerichtshofs nicht ausgeschlossen werden kann.

Hingegen kommt amtswegiges Vorgehen nach §§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall, 344 StPO zu Gunsten des Angeklagten Nerko H***** nicht in Frage, weil dieser Angeklagte seiner Rügeobliegenheit in Ansehung der in der Hauptverhandlung vom 8. Oktober 2009 von den übrigen Angeklagten relevierten fehlerhaften Besetzung des Schwurgerichtshofs mit zwei an der Fällung des Unzuständigkeitsurteils beteiligt gewesen und daher ausgeschlossenen Richtern nicht entsprochen hat (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 11). In Anbetracht der in Anwesenheit des anwaltlich vertretenen Nerko H***** (dessen Verteidiger ausdrücklich nur einen anderen Ausschlussgrund geltend machte; S 5 in ON 185) erörterten Frage der nicht gesetzmäßigen Besetzung des Schwurgerichtshofs ist bei diesem Angeklagten davon auszugehen, dass er eine Rüge dieses Besetzungsmangels bewusst unterlassen hat (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 133).

Den Nichtigkeitsbeschwerden war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben und auch aus Anlass dieser Rechtsmittel (§§ 290 Abs 1, 344 StPO) das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in seinem die Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J*****, Dario M***** und Daniel T***** schuldig sprechenden Umfang und in den zugrunde liegenden Wahrsprüchen, demgemäß auch in den diese Angeklagten betreffenden Straf- und Adhäsionsaussprüchen sowie im Umfang des Dario M***** betreffenden Beschlusses nach § 494a StPO aufzuheben und die Sache insoweit an das Erstgericht zur Anordnung einer neuen Hauptverhandlung zu verweisen (§§ 285e, 344 StPO).

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J***** und Dario M***** auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die aufhebende Entscheidung betreffend die Angeklagten Zejrudin C*****, Filip J*****, Dario M***** und Daniel T***** hat die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Nerko H***** zur Folge (§§ 285i, 344 StPO). Das Erstgericht wird daher zur Prozessbeschleunigung dem Oberlandesgericht Linz eine Aktenkopie zu übermitteln haben.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E93994

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00040.10I.0506.000

Im RIS seit

25.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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