TE OGH 2010/6/17 13Os159/09w

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Veröffentlicht am 17.06.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rajko M***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 18. September 2009, GZ 34 Hv 39/09b-23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rajko M***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er Anfang August 2008 in Haid mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er die am 31. Oktober 1997 geborene Sarah S***** mit seiner rechten Hand oberhalb und unterhalb der Unterhose im Geschlechtsbereich streichelte, ihre Schamlippen auseinanderdrückte, ihre Scheide massierte und mit einem Finger in ihre Scheide eindrang.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Durch Ablehnung des vom Verteidiger in der Hauptverhandlung beantragten psychologischen Gutachtens, das eingeschränkte Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit der Zeugin Sarah S***** dartun sollte (ON 22 S 9 iVm ON 19 S 47), wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt (Z 4).

Im Sinn des ablehnenden Zwischenerkenntnisses (ON 22 S 9) sind Gutachten über die Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit von Zeugen nur in besonderen Ausnahmefällen einzuholen. Voraussetzung für die psychologische oder psychiatrische Untersuchung des Zeugen ist (abgesehen von seiner Zustimmung), dass objektive Momente seine Fähigkeit, Wahrnehmungen zu machen und diese gedächtnisgetreu wiederzugeben, in Frage stellen. Solche eine nur ausnahmsweise Psychiatrierung eines Zeugen rechtfertigende persönlichkeitsbedingte Zweifel müssen ganz erheblich sein und nach Bedeutung und Gewicht dem Grad der in § 11 StGB erfassten Geistesstörungen nahe kommen (RIS-Justiz RS0097576; Kirchbacher, WK-StPO § 154 Rz 6; vgl Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 9). Bei unmündigen oder jugendlichen Zeugen können auch Anhaltspunkte für eine Entwicklungsstörung ausschlaggebend für die Begutachtung sein (vgl RIS-Justiz RS0097697).

Derartiges wurde aber bei der Antragstellung auch mit dem vagen Hinweis auf einen „Unfall“ oder eine „Erkrankung“ der Zeugin (ON 22 S 9) nicht dargetan, ebenso wenig ihre weiters erforderliche Zustimmung zur Untersuchung ihres Geisteszustands (RIS-Justiz RS0108614; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

Die Mängelrüge (Z 5) betrifft keine für den vorliegenden Schuldspruch entscheidende Tatsache, soweit sie eine Feststellung über die Tendenz des Angeklagten, sich durch die Tat geschlechtlich zu erregen (US 6 erster Absatz), als unbegründet kritisiert (Z 5 vierter Fall). Auf eine solche Willensausrichtung kommt es nach § 206 Abs 1 StGB nicht an.

Die vom Angeklagten vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) der Urteilsannahmen zur inneren Tatseite findet sich auf US 12, die ihm gleichfalls abgehende Fundierung jener zum äußeren Geschehen hebt er im Rahmen seines weiteren Vorbringens als in der Aussage der Zeugin Sarah S***** gelegen selbst hervor (US 6 ff).

Weshalb die Aussage der Daniela M***** erörterungsbedürftig gewesen sei, Sarah S***** habe ihr einmal ein Foto von einer Verletzung gezeigt (Z 5 zweiter Fall), ist nicht zu ersehen.

Mit deren Angaben über den Zeitpunkt, zu dem ihr der Angeklagte drei Wünsche freigestellt habe, damit sie nichts weiter erzähle, mussten sich die Tatrichter nicht befassen, weil sie keine Eignung erkennen lassen, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu verändern (Z 5 zweiter Fall; RIS-Justiz RS0116877; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409).

Der ohne näheres Vorbringen erstattete Einwand, es sei „auch die Penetration an sich in Frage zu stellen“, ist nicht am Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände orientiert (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Der Tatsachenrüge (Z 5a) fehlt es weitgehend an einer von der Prozessordnung verlangten Bezugnahme auf konkrete Beweismittel (RIS-Justiz RS0117446).

Indem sie im Übrigen (wie schon zur Mängelrüge dargelegt:) unerhebliche Details der Aussage der Zeugin Sarah S***** beleuchtet, vermag sie keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken (RIS-Justiz RS0118780).

Soweit unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge (Z 5a) ein medizinisches Sachverständigengutachten vermisst wird, macht die Beschwerde nicht deutlich, wodurch der Angeklagte an der Ausübung seines Rechts, die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (RIS-Justiz RS0115823; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), desgleichen die vom Angeklagten angemeldete (ON 25), zur Anfechtung kollegialgerichtlicher Urteile aber nach der Verfahrensordnung nicht zulässige (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Über die Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche und über die Berufung der Staatsanwaltschaft hat daher das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E94348

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0130OS00159.09W.0617.000

Im RIS seit

02.08.2010

Zuletzt aktualisiert am

02.08.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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