TE OGH 2010/6/17 2Ob10/10z

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Veröffentlicht am 17.06.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Scherbaum/Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, der auf Seite der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Stephan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, und der auf Seite der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenientin H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 170.000 EUR sA (Revisionsinteresse jeweils 74.290 EUR sA) über die außerordentlichen Revisionen der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 2. November 2009, GZ 5 R 140/09m-110, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 26. Mai 2009, GZ 18 Cg 144/05d-101, abgeändert wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

I. Die Revision der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

II. Der Revision der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass sie einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten haben wie folgt:

1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 39.165,69 EUR samt 9,47 % Zinsen seit 3. 5. 2005 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 130.834,31 EUR samt 9,47 % Zinsen seit 3. 5. 2005 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.319,37 EUR (darin 1.824,76 EUR USt und 3.370,81 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 5.895,16 EUR (darin 272,39 EUR USt und 4.260,81 EUR anteilige Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.

4. Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei die mit 8.665,01 EUR (darin 1.444,17 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 5.896,34 EUR (darin 272,59 EUR USt und 4.260,81 EUR anteilige Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei die mit 115,20 EUR bestimmten anteiligen Barauslagen des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.

6. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.568,16 EUR bestimmte anteilige Pauschalgebühr der Revision der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu bezahlen.

7. Im Übrigen werden die Kosten des Revisionsverfahrens im Verhältnis der beklagten Partei einerseits zu der klagenden Partei und der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei andererseits gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist der Haftpflichtversicherer der Nebenintervenientin auf Klagsseite, die eine Asphaltmischanlage betreibt und unter anderem „Splitt-Mastix-Asphalt“ („SMA“) herstellt. Im Rahmen der Sanierung der Südostautobahn A 3 im Bereich Ebersdorf/Ottendorf war für die Herstellung der Oberfläche die Aufbringung von SMA vorgesehen. In den „Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau“ („RVS“) ist die Herstellung des dafür notwendigen Mischgutes „SMA 11“ exakt festgehalten; die RVS sind technische Normen über Zusammensetzung, Herstellung und Verarbeitung von Mischgut. Für den Straßenbelag auf Autobahnen ist dabei ein Mindestreibungsbeiwert vorgesehen. Der Reibungswert ist für die Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche und somit für die Verkehrssicherheit wesentlich. Der Reibungswert wird dadurch gemessen, dass das verwendete Gestein, das zur Herstellung des SMA verwendet wird, bestimmte Polierwiderstände aufweisen muss. Für die Herstellung des geforderten SMA ist ein Polierwiderstand von zumindest 50 PSV (= polished stone value) erforderlich.

Die ASFINAG beauftragte als Straßenerhalter die Gebrüder H***** GmbH & Co KG ***** (im Folgenden: H***** KG) mit der Durchführung der Bauarbeiten einschließlich der Herstellung der Fahrbahnoberfläche. Diese beauftragte ihrerseits die Nebenintervenientin auf Klagsseite mit der Herstellung des SMA 11 für das Bauvorhaben. Diese erzeugte das Mischgut für den Straßenbelag mit Materialien der Beklagten aus deren Steinbruch in B*****. Weil nach den Vorgaben der RVS und somit auch der H***** KG gewisse Parameter beim Mischgut einzuhalten waren, verlangte die Nebenintervenientin auf Klagsseite die Vorlage entsprechender Atteste über das Rohmaterial; insbesondere hatte der Reibbeiwert oder Polierwert PSV > 50 zu sein. Firmenintern untersuchte die Nebenintervenientin auf Klagsseite nur mehr das Mischgut, nicht jedoch das Rohmaterial, weil eine derartige Überprüfung ohnedies beim Hersteller (Steinbruch) erfolgte. Bei diesen firmeninternen Kontrollen beschäftigte die Nebenintervenientin auf Klagsseite externe Labore, die im Rahmen ihrer Prüfungen des Mischgutes den Reibbeiwert ebenfalls nicht kontrollieren, weil ohnedies entsprechende Atteste - wie etwa der MAPAG oder der ERMGEST - verlangt werden und es sich dabei um einschlägige staatliche Prüfeinrichtungen handelt.

A***** M*****, ein Mitarbeiter der Firma G*****, die zu 35 % Gesellschafterin der Nebenintervenientin auf Klagsseite ist, trat an H***** S*****, den Geschäftsführer der Beklagten heran, ihm Edelkörnungen für die Mischanlage der Nebenintervenientin auf Klagsseite anzubieten. Die Beklagte legte ihr diesbezügliches Anbot vom 15. 3. 2004. Zwischen H***** S***** und A***** M***** wurde besprochen, dass die Nebenintervenientin auf Klagsseite ein Attest (über die Qualität der Edelkörnungen) als Voraussetzung für den Kauf benötige und ein Vertrag ohne ein derartiges Attest nicht geschlossen werden könne. H***** S***** hatte schon zuvor den Hersteller des gewünschten Materials, nämlich die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite gewählt; es war geplant, dass die Beklagte direkt bei der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite kauft und das Material nach Aufschlag der eigenen Gewinnspanne direkt an die Nebenintervenientin auf Klagsseite frei Werk liefere. Von der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite bekam H***** S***** auch das entsprechende Attest, ein „Übereinstimmungszeugnis“ der „ermächtigten Stelle für Gesteinskörnung“ (ERMGEST), einer staatlich zertifizierten Prüfanstalt für Gesteinskörnung, sowie einen Überwachungsbereich der MAPAG, einer staatlich akkreditierten Prüf- und Überwachungsstelle. Das ERMGEST-Attest stammte vom 30. 5. 2003 und galt ein Jahr. Das Attest wies einen PSV für Edelbrechkorn (EBK) des Abbruchs B***** der Körnungen 4/8 und höher als 51 aus. Das Attest wurde an A***** M***** weitergegeben; dieser kontrollierte nur die attestierten Parameter, ob sie mit den Vorgaben des eigenen Auftraggebers, der H***** KG, übereinstimmten. Inhaltlich prüfte A***** M***** das Übereinstimmungszeugnis nicht nach. Ein derartiges ERMGEST-Zertifikat kommt so zustande, dass das Werk im Rahmen einer Erstprüfung bestimmte Proben einreicht, die geprüft werden. Es liegt dann im Verantwortungsbereich des Steinbruchbetreibers zu gewährleisten, dass die in dem Zertifikat angeführten Parameter auch über einen längeren Zeitraum gleich bleiben. Da Gesteinskörper, insbesondere Serpentinitablagerungen durchaus inhomogen sein können, kann der Polierreibwert auch innerhalb eines Abbruchs regional divergieren.

Eine Anfang Juli 2004 im Auftrag der niederösterreichischen Landesregierung an der Baustelle durch die MAPAG durchgeführte Untersuchung ergab, dass bestimmte Parameter nicht den vorgegebenen entsprachen, insbesondere bestanden qualitative Abweichungen im Hinblick auf den tatsächlich vorhandenen Polierwert (42 statt mindestens 50). Dieser zu geringe Polierwert liegt am Rohmaterial der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite, das bei den bemängelten Stellen ausschließlich verwendet wurde. Das Amt der niederösterreichischen Landesregierung wies in seinem Schreiben vom 16. 7. 2004 die H***** KG auf diesen Mangel und auch auf weitere Mängel (Unregelmäßigkeiten in der bituminösen Tragschicht, Überschreitung des Hohlraumgehalts und Unterschreitung des Mindestverdichtungsgrades) hin; es wurde besonders der geringe Reibbeiwert als Sicherheitsrisiko für die Verkehrsteilnehmer bezeichnet und das Abfräsen sowie die Neuaufbringung des Belags angeordnet. Die H***** KG verlangte von der Nebenintervenientin auf Klagsseite die Schadensbegleichung und zog von den Forderungen der Nebenintervenientin auf Klagsseite ihr gegenüber 259.734,51 EUR ab; die Sanierungskosten erhöhten sich in weiterer Folge auf einen Gesamtbetrag von 279.772,44 EUR. Die Nebenintervenientin auf Klagsseite ersuchte mit Schreiben vom 7. 12. 2004 die Klägerin um Deckung des Schadens. Die Klägerin ersetzte der Nebenintervenientin auf Klagsseite 170.000 EUR.

Ursächlich für den eingetretenen Schaden war die Unterschreitung des PSV-Wertes, die Überschreitung des Hohlraumgehalts und die Unterschreitung des Mindestverdichtungsgrades. Die jeweiligen Anteile am Gesamtschaden der genannten Komponenten betragen 5,3 % für die H***** KG, 7,3 % für die Nebenintervenientin auf Klagsseite und 87,4 % für die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite.

Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin von der Beklagten die Bezahlung von 170.000 EUR sA und brachte zusammengefasst vor: Da die Beklagte den Schaden zu verantworten habe, sei sie gegenüber der Klägerin regresspflichtig. Unabdingbare Voraussetzung für den Bezug des Edelbrechsandes bzw des Edelbrechkorns sei für die Nebenintervenientin auf Klagsseite gewesen, dass die Beklagte ihrem Angebot vom 15. 3. 2004 ein Übereinstimmungszeugnis der ERMGEST beigefügt habe. Aus diesem gehe hervor, dass die zertifizierten Produkte der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite einer werkseigenen Produktionskontrolle unterlägen und den RVS entsprächen. Selbst wenn die Beklagte gegenüber der Nebenintervenientin auf Klagsseite keine echte Garantie abgegeben habe, treffe sie dennoch eine Erfolgszusage für die Leistung der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite als Dritten. Das vorgelegte Übereinstimmungszeugnis habe zumindest den Anschein erweckt, dass mit den von der Beklagten gelieferten Produkten das gewünschte Mischgut produziert werden könne. Die Beklagte habe sich auf ein zu altes und untaugliches Zertifikat verlassen. Das Verschulden des Lieferanten für die untaugliche Lieferung, aber auch die unrichtige Zertifizierung habe sich die Beklagte iSd § 1313a ABGB anrechnen zu lassen. Die Nebenintervenientin auf Klagsseite sei lediglich als Verkäuferin des Mischgutes aufgetreten.

Die Nebenintervenientin auf Klagsseite brachte vor, die Beklagte habe ihre Prüfpflicht verletzt. Ab April 2004 seien ausschließlich Lieferungen von der Beklagten aus dem Abbaugebiet der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite erfolgt. Es liege eine Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte iSd § 1311 ABGB vor, weil die bezughabenden Vorschriften verlangten, dass ein aktuelles Analysezertifikat und ein Eignungsattest beigebracht werden. Sollte ein Versehen der Nebenintervenientin auf Klagsseite vorliegen und diese die fehlende Aktualität nicht erkannt haben, bedeute dies aufgrund des Schutzgesetzcharakters kein Mitverschulden der Nebenintervenientin auf Klagsseite. Die Beklagte hätte vor Einbaubeginn am 1. 7. 2004 eine neue Eignungsprüfung durchführen und ein aktualisiertes Übereinstimmungszeugnis vorlegen müssen.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, sie habe sich auf das Übereinstimmungszeugnis vom 30. 5. 2003 verlassen; dieses stelle keine Garantie- oder Erfolgszusage dar. Die Beklagte sei nicht in der Lage gewesen, das von ihrer Lieferantin gekaufte Korngut zu überprüfen; sie treffe kein Verschulden, wenn das Edelbrechkorn nicht den notwendigen Reibbeiwert aufgewiesen habe. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, selbst ein Labor mit der Gesteinsuntersuchung zu beauftragen; diese Pflicht habe vielmehr die Nebenintervenientin auf Klagsseite als Werkunternehmerin getroffen. Die Beklagte habe sich auf das übergebene Übereinstimmungszeugnis und den Überwachungsbericht verlassen dürfen. Der behauptete Mangel des zu geringen Reibbeiwertes des Edelbrechkorns sei äußerlich nicht erkennbar gewesen. Die Prüfatteste der MAPAG und der ERMGEST hätten jedenfalls bis 1. 6. 2004 Geltung gehabt; bis dorthin sei ein Großteil des Materials durch die Beklagte geliefert worden. Nach dem Juni 2004 seien keine Beanstandungen erfolgt.

Die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite schloss sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Beklagten an.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Betrag von 148.580 EUR sA statt und wies unbekämpft das Mehrbegehren von 21.420 EUR sA ab. Es traf die bereits wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Produzentin (Nebenintervenientin auf Beklagtenseite) sei nicht Erfüllungsgehilfin der Beklagten als Händlerin. Als solche treffe sie aber der erhöhte Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB. Als jemandem, der mit Edelbrechkorn handle, müsse der Beklagten bekannt sein, dass es regionale Unterschiede auch innerhalb eines Steinbruchs gebe. Zudem müsse sie wissen, dass das ERMGEST-Zertifikat eine Eingangsprüfung „spiegle“ und die Überwachung der über einen längeren Zeitraum geführten Abbautätigkeit hinsichtlich der weiteren Gültigkeit der attestierten Parameter notwendig sei, und zwar umso mehr dann, wenn das Zertifikat an sein Gültigkeitsende gekommen sei. Darin liege ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Beklagten, wofür sie schadenersatzpflichtig sei. Die Nebenintervenientin auf Klagsseite treffe kein Mitverschulden. Die Beklagte müsse daher entsprechend dem Anteil der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite an der Schadensursache mit 87,4 % der Klägerin Ersatz leisten.

Das von der Beklagten und der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von 74.290 EUR sA verurteilte und (einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils des erstgerichtlichen Urteils) das Mehrbegehren von 95.710 EUR sA abwies. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite sei nicht Erfüllungsgehilfin der Beklagten. Dieser habe allerdings ebenso wie ihrem Auftraggeber (Nebenintervenientin auf Klagsseite) das Ende der Gültigkeit des Attests (30. 5. 2004) bewusst sein müssen. Die Beklagte habe zugestanden, dass von ihr bis zum 1. 6. 2004 nicht die gesamte Menge, sondern nur ein Großteil des Materials geliefert worden sei. Aus den Rechnungen der Beklagten ergebe sich, dass sie vom 16. 3. 2004 bis 9. 7. 2004 Edelbrechkorn geliefert habe. Selbst wenn man von der Beklagten nicht verlange, eine eigene Überprüfung des von ihr zwischen 1. 6. 2004 und 9. 7. 2004 an die Nebenintervenientin auf Klagsseite weitergelieferten Materials zu veranlassen, sei ihr vorzuwerfen, gegenüber ihrem Lieferanten keine geeigneten Schritte zum Nachweis des Vorliegens der geforderten Spezifikation der Ware unternommen zu haben. Die Beklagte hätte von ihrem Lieferanten etwa die Beibringung eines neuen, gültigen Attests verlangen müssen. Die unterlassene Sicherstellung des Nachweises der geschuldeten Spezifikation begründe die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten. Den ihr obliegenden Beweis eines mangelnden Verschuldens (§ 1298 ABGB), die zeitliche Befristung des erhaltenen Attests etwa nicht gekannt zu haben, habe die Beklagte nicht angetreten. Die Beklagte sei daher aufgrund ihrer rechtswidrigen und schuldhaften Schlechterfüllung des Vertrags schadenersatzpflichtig. Hingegen sei der von beiden Berufungswerbern verfolgte Mitverschuldenseinwand berechtigt. Das Mitverschulden der Nebenintervenientin auf Klagsseite beruhe darauf, dass auch sie sich trotz der zeitlichen Befristung des Attests mit diesen begnügt und keinen weiteren gültigen Nachweis darüber verlangt habe, dass das ab dem 1. 6. 2004 gelieferte Material die vereinbarte Spezifikation aufweise. Angesichts der jeweils gleich gelagerten Fahrlässigkeit der Nebenintervenientin auf Klagsseite und der Beklagten sei das jeweilige Verschulden am eingetretenen Schaden im Verhältnis 1 : 1 zu teilen. Die Klägerin habe sich das Verhalten ihrer Versicherungsnehmerin anrechnen zu lassen. Der Klägerin stehe daher nur der halbe vom Erstgericht errechnete Betrag zu.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin auf Klagsseite mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich weiters die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Oberste Gerichtshof hat der klagenden Partei und der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin die Erstattung einer Revisionsbeantwortung zur Revision der beklagten Partei freigestellt. Diese Parteien beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils, die Revision der Erstbeklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision der Nebenintervenientin auf Klagsseite ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Zur Revision der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei:

Die Revisionswerberin meint unter Berufung auf die Entscheidung 1 Ob 265/03g, die Beklagte müsse sich die Nebenintervenientin auf ihrer Seite als Erfüllungsgehilfin zurechnen lassen. Die Revisionswerberin hingegen treffe kein Mitverschulden.

1.1. Zur Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite:

Wer nach dem Inhalt des Kaufvertrags nicht zur Herstellung der Kaufsache verpflichtet ist, haftet nicht für jedes Verschulden des Produzenten, der Erzeuger ist nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers (RIS-Justiz RS0022662).

Von diesem Grundsatz wurde nur in besonderen Fällen abgewichen: Hat ein Werkunternehmer nach vertraglichen Absprachen nicht nur eine bestimmte Werkleistung zu erbringen, sondern dafür auch ein nach deren Zweck erforderliches und geeignetes Produkt eines selbständigen und weisungsfreien Dritten bereitzustellen, und bezieht er diesen Dritten unmittelbar in die Erbringung der werkvertraglichen Erfüllungshandlung (Erfüllungshandlungen) ein, so bedient er sich dieses Dritten zur Erfüllung seiner Leistungspflicht (Leistungspflichtigen) und hat daher für dessen Verschulden wie für sein eigenes einzustehen. Das gilt auch dann, wenn der unter unmittelbarer Anleitung und Kontrolle des Dritten ausgeführte Teil der Erfüllungshandlung (Erfüllungshandlungen) wegen einer Verletzung von Aufklärungspflichten eine Schädigung des Werkbestellers verursachte (1 Ob 265/03g; RIS-Justiz RS0118512).

Im Gegensatz dazu liegt im vorliegenden Fall kein Werkvertrag vor. Weiters war in 1 Ob 265/03g die Erzeugerin eines bestimmten (letztlich ungeeigneten) Dichtungssystems bei den Arbeiten des beklagten Werkunternehmers im Hotel des klagenden Werkbestellers intensiver als im vorliegenden Fall involviert. Sie überwachte nämlich durch ihren Außendienstmitarbeiter die Arbeiten des Beklagten und erklärte dem Beklagten dabei „die Anwendung des Systems“. Der 1. Senat führte aus, die Erzeugerin des Dichtungssystems sei aufgrund ihrer offenkundigen Heranziehung durch den Beklagten unmittelbar in dessen werkvertragliche Erfüllungshandlung eingebunden gewesen. Diese Sachverhaltsvariante sei der Verarbeitung des Vorprodukts eines Lieferanten durch den Werkunternehmer nach einer allgemeinen schriftlichen Anleitung ohne Beteiligung des Lieferanten an der werkvertraglichen Erfüllungshandlung nicht gleichzusetzen.

In 5 Ob 92/07a bejahte der Oberste Gerichtshof die Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Nebenintervenientin unter anderem deshalb, weil sie nicht etwa nur (wie im vorliegenden Fall) zur Beschaffung und Lieferung des Natursteins an die Beklagte zwecks Weiterverkaufs an den Kläger beigezogen worden sei, sondern ganz spezifisch auch der Erfüllung der von der Beklagten dem Kläger geschuldeten Aufklärungs- und Informationsaufgaben zur Produktauswahl, und zwar für das Gesamtkonzept für die Inneneinrichtung des Hauses des Klägers gedient habe.

Entgegen den Ausführungen der Revision liegen somit die Voraussetzungen dafür, die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite als Erfüllungsgehilfin der Beklagten im Vertragsverhältnis zwischen dieser und der Nebenintervenientin auf Klagsseite zu qualifizieren, nicht vor.

1.2. Zum Mitverschulden der Nebenintervenientin auf Klagsseite:

Ob und inwieweit diese ein Mitverschulden am geltend gemachten Schaden trifft, ist eine Frage des Einzelfalls, die - von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen - die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht verwirklicht (vgl RIS-Justiz RS0087606 [T10]).

Eine krasse Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen: Die Rechtsansicht, dass auch die Nebenintervenientin auf Klagsseite im selben Maß wie die Beklagte die Obliegenheit traf, den Ablauf der Gültigkeitsdauer des Zertifikats im Auge zu behalten bzw nach Ablauf derselben auf die Qualität des gelieferten Materials besonders zu achten, ist vertretbar.

1.3. Die Revisionswerberin kann daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

2. Zur Revision der Beklagten:

Die gerügten Mängel des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

In der Rechtsrüge führt die Revisionswerberin aus, das Berufungsgericht übersehe, dass der Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen dem rechtswidrigen Verhalten und dem eingetretenen Schaden auch in den Fällen der Beweislastumkehr grundsätzlich dem Geschädigten obliege.

Hiezu wurde erwogen:

Während der Geltungsdauer des Attests, dessen Vorliegen eine ausdrücklich bedungene Vertragsvoraussetzung war, traf die Beklagte keine besondere Prüfpflicht (vgl RIS-Justiz RS0023638; RS0026094). Hinsichtlich der danach erfolgten „attestlosen“ Lieferungen liegt hingegen eine Pflichtverletzung durch die Beklagte vor. Dabei ist auf die Lieferzeitpunkte und nicht auf den für den Besteller (Nebenintervenientin auf Klagsseite) nicht erkennbaren Abbruch des Materials abzustellen.

Die von der Revisionswerberin für eine Klagsstattgebung für notwendig erachteten weiteren Feststellungen über die Kausalität des Fehlverhaltens der Beklagten sind entbehrlich: Obwohl auch im Fall der Schädigung durch Unterlassung der Geschädigte grundsätzlich den Kausalzusammenhang zu beweisen hat, ist doch anerkannt, dass an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs nicht so strenge Anforderungen gestellt werden können wie bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht tatsächlich stattgefunden hat (RIS-Justiz RS0022900 [T14]).

In diesem Sinn reicht es im vorliegenden Fall aus, den nach dem 30. 5. 2004 an die Nebenintervenientin auf Klagsseite gelieferten Teil des Gesteinmaterials zu ermitteln, für den die Beklagte haftbar ist. Die Lieferzeitpunkte lassen sich aus dem von beiden Parteien vorgelegten Rechnungskonvolut (Beil ./5, Beil ./F) ersehen: Bis 30. 5. 2004 erfolgten Lieferungen im Betrag von 59.078,37 EUR, im Zeitraum danach von 65.881,82 EUR. Auf den ersten Zeitraum entfallen somit 47,28 %, auf den zweiten 52,72 %. Für diesen zweiten Zeitraum, somit hinsichtlich von 52,72 % des Betrags, mit dem das Berufungsgericht die Klagsforderung als berechtigt erkannt hat, war daher dem Klagebegehren stattzugeben, im Übrigen war es abzuweisen.

Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO. Die klagende Partei ist mit 23,04 % ihrer Forderung durchgedrungen. Für die Honorierung einzelner Leistungen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite sowie hinsichtlich der verzeichneten vorprozessualen Kosten der klagenden Partei war von den zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts auszugehen. Die Barauslagen (Sachverständigengebühren, anteilige Pauschalgebühr) wurden saldiert.

Die Kostenentscheidung für das zweitinstanzliche Verfahren gründet sich auf §§ 50, 43 Abs 1 ZPO. Die Berufungswerber sind mit 73,64 % des Berufungsinteresses durchgedrungen. Der Einheitssatz beträgt beim gegebenen Berufungsinteresse 150 % (§ 23 Abs 3 und 9 RATG), der Streitgenossenzuschlag 10 % (§ 15 RATG und § 19a GGG).

Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren hinsichtlich der Revision der beklagten Partei gründet sich auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Die Revisionswerberin ist mit 47,28 % des Revisionsinteresses durchgedrungen und erhält in diesem Ausmaß die Paschalgebühr ersetzt, im Übrigen waren die Kosten des Revisionsverfahrens (Revision der Beklagten) gegenseitig aufzuheben.

Textnummer

E94403

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0020OB00010.10Z.0617.000

Im RIS seit

07.08.2010

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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