TE OGH 2010/6/30 9Ob47/09s

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Veröffentlicht am 30.06.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj P***** S*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Vaters Ing. J***** A***** W*****, vertreten durch Mag. Günter Eybl, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen Unterhaltserhöhung, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 4. Mai 2009, GZ 21 R 130/09f-U51, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 6. März 2009, GZ 6 P 52/07p-U44, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden mit Ausnahme der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teilzusprüche (Zahlung der Sonderbedarfskosten von 1.331,70 EUR in monatlichen Raten zu je 100 EUR ab 1. 4. 2009 sowie die Erhöhung des monatlich zu leistenden Unterhalts ab 1. 1. 2008 auf 310 EUR) aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Vater ist außer für den mj P***** noch für zwei weitere Kinder sorgepflichtig, die am 21. 11. 2004 bzw 13. 7. 2000 geboren sind.

Der Jugendwohlfahrtsträger begehrte zuletzt (ON U35) als Vertreter des mj P***** die Erhöhung der monatlich vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeiträge auf 450 EUR ab 1. 1. 2008. Der Jugendwohlfahrtsträger brachte dazu vor, dass der Vater einschließlich Sonderzahlungen monatlich netto 2.334,58 EUR verdiene, in diesem Betrag seien Diäten und Kilometergelder zur Hälfte eingerechnet. In der aufgetragenen Äußerung (ON U37) gab der Vater bekannt, dass sich aus der letzten Antragsmodifizierung des Minderjährigen (ON U35) keine Ermittlungsergebnisse ergeben, zu denen er Stellung nehmen könnte. In der Folge äußerte sich der Vater jedoch ausdrücklich dahin, dass ein Sachbearbeiter des Jugendwohlfahrtsträgers, der offensichtlich nicht ausreichend informiert gewesen sei, beim Arbeitgeber des Vaters den Vorwurf des Schwarzgeldbezuges erhoben habe. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass der Vater Kilometergelder bezogen habe, die für die Benutzung des eigenen PKWs als Außendienstmitarbeiter gewidmet gewesen seien (AS 211).

Das Erstgericht setzte, ohne auf diesen Einwand einzugehen, den monatlich zu zahlenden Unterhaltsbeitrag mit 399 EUR fest. Es stellte fest, dass der Vater im Jahr 2008 abzüglich eines Jahresbetrags von 3.846,32 EUR aus einem gerichtlichen Abschöpfungsverfahren monatlich netto 2.254,09 EUR verdient habe, darin seien anteilige Sonderzahlungen, Provisionen und die Hälfte der bezogenen Kilometer- und Taggelder enthalten (eine konkrete Aufgliederung der Teilbeträge erfolgte nicht). Es legte seiner Berechnung die Judikatur zugrunde, nach der sich bei einem rechtskräftig eingeleiteten Abschöpfungsverfahren Bedenken an der Leistungsfähigkeit des Schuldners ergeben. Beziehe der Unterhaltspflichtige wiederkehrende Leistungen mit Einkommensersatzfunktion, sei die Tilgung vom Unterhaltsschuldner nur aus der jeweiligen Differenz der Existenzminima nach § 291b Abs 2 EO und § 291a EO, das heißt aus jener Einkommensproportion, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vorbehalten sei, möglich. Bei Anwendung der Prozentkomponente unter Berücksichtigung zweier weiterer Sorgepflichten bestehe ein Anspruch des mj P***** auf 20 % des väterlichen Nettoeinkommens. Dies ergebe zwar einen Betrag von 450 EUR, doch seien die Transferleistungen (Familienbeihilfe) zu berücksichtigen, was eine Reduktion auf monatlich 399 EUR ergebe.

Dagegen erhoben beide Parteien Rekurs. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Jugendamts Folge und erhöhte die monatlich vom Vater zu leistenden Unterhaltszahlungen auf den begehrten Betrag von 450 EUR; dem Rekurs des Vaters gab es nicht Folge. Es vertrat im Wesentlichen die Auffassung, dass der Vater in seinem Rekurs rechnerisch zuerkannt habe, dass bei Einbeziehung des halben Kilometergelds und der halben Diäten die Unterhaltsbemessungsgrundlage mit 2.366,28 EUR monatlich auszumessen sei. Nach der Judikatur seien Diäten grundsätzlich zur Hälfte in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, es sei denn, ein Mehrverbrauch werde durch den Unterhaltspflichtigen nachgewiesen. Dies müsse auch für das Kilometergeld gelten: Der Vater habe nie die Behauptung aufgestellt, dass mit dem ihm ausgezahlten Kilometergeld ausschließlich ein berufsbedingter Mehraufwand abgegolten worden sei. Kilometergelder und Diäten müssten daher gleich beurteilt werden. Bei der Berücksichtigung des Abschöpfungsverfahrens stützte sich das Rekursgericht auf die schon vom Erstgericht zitierte Rechtsprechung.

Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, mit welchem Anteil Kilometergelder in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen seien und ob sie im Falle der Bezahlung des amtlichen Kilometergelds gänzlich aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden seien, weil hier die Abgeltung rein beruflich veranlassten Aufwands zu vermuten sei, Rechtsprechung des Höchstgerichts fehle.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Antrag des Minderjährigen, soweit er den monatlichen Unterhaltsbeitrag von 310 EUR übersteige, abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist im Rahmen des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0047442) sind Aufwandsentschädigungen (Diäten, Taggeld, Nächtigungsgeld, Reisekostenentschädigung udgl) regelmäßig zur Hälfte in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, sofern der Unterhaltsverpflichtete nicht nachweist, dass diese darüber hinaus der Abdeckung berufsbedingter Mehrausgaben dienen. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, zumal derartige, nicht näher geregelte Taggelder, Nächtigungsgelder etc keiner Beschränkung unterliegen und auch nicht immer nur einen Sachaufwand abdecken.

Bei der Auszahlung amtlichen Kilometergelds ist eine differenziertere Betrachtung geboten. Das Kilometergeld dient grundsätzlich dazu, sämtliche mit der Anschaffung und Erhaltung eines PKWs verbundenen Kosten angemessen abzudecken (7 Ob 522/94). Auch der Steuergesetzgeber geht davon aus, dass Beträge, die aus Anlass einer Dienstreise als Reisevergütungen (Fahrtkostenvergütungen, Kilometergelder) gezahlt werden, nicht zu den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit gehören (§ 26 Z 4 EStG). Um Kilometergelder von der Einkommensteuerpflicht auszunehmen, ist es jedoch erforderlich, dass diese die den Bundesbediensteten zustehenden Sätze nicht übersteigen (§ 26 Z 4 lit a EStG). Der Verwaltungsgerichtshof sieht in der Zahlung des amtlichen Kilometergelds die pauschale schätzungsweise Abgeltung aller durch berufliche Fahrten veranlasster Aufwendungen (GZ 90/14/0008). In mehreren Entscheidungen sprach er aus, dass eine Schätzung der Fahrtaufwendungen mit einem KFZ in Höhe des amtlichen Kilometergelds in vielen Fällen auch zu einem zutreffenden Ergebnis führen wird. Differenzierungen trifft der Verwaltungsgerichtshof dort, wo besonders hohe Jahreskilometerleistungen (ab ca 30.000 km) erbracht werden, weil dann nicht mehr von einem linearen Ansteigen der tatsächlichen Aufwendungen ausgegangen werden könne (GZ 2001/15/0088 uva).

Diese rein steuerrechtlichen Erwägungen zum Kilometergeld sind zwar für die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage durch die Gerichte nicht bindend, doch kann insoweit daran angeknüpft werden, als echte Aufwandsersätze in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht einzubeziehen sind. Im Regelfall kann unterstellt werden, dass vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für die Benützung des eigenen Pkws anlässlich aufgetragener Dienstfahrten ausbezahlte Kilometergelder, die den amtlichen Satz nicht übersteigen, echte Aufwandsentschädigungen darstellen (so schon OLG Wien, EFSlg 42.596). Allerdings muss unter besonderen Verhältnissen - wie zum Beispiel hier, wo eine Jahreskilometerleistung von mehr als 57.000 km behauptet wird - dem Unterhaltsberechtigten die Bestreitung offen stehen, dass das über ein übliches Maß hinausgehende Kilometergeld, wobei die vom Verwaltungsgerichtshof anerkannten jährlichen 30.000 km einen Anhaltspunkt bilden können, noch zur Gänze dem Aufwandsersatz dient. Selbstverständlich wird auch dann eine Überprüfung erforderlich sein, wenn im Einzelfall begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass unter dem Titel des „Kilometergelds“ erfolgte Auszahlungen in Wahrheit verdeckte Gehaltszahlungen sind. Andererseits liegt es am Unterhaltspflichtigen, insbesondere dann, wenn die ausbezahlten Kilometergeld-Summen nicht aufgegliedert sind, diese aufzuschlüsseln.

Der Jugendwohlfahrtsträger ging zwar - ohne nähere Begründung - davon aus, dass Kilometergelder zu 50 % in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen seien, erstattete dazu jedoch kein Sachvorbringen, insbesondere nicht, dass das vom Vater bezogene Kilometergeld nicht einem tatsächlichen Aufwand durch Dienstfahrten gewidmet war. So kann insbesondere den Gehaltsbestätigungen entnommen werden, dass zu Beginn des Jahres 2008 offensichtlich ein Kilometersatz von nur 0,18 EUR, später von 0,42 EUR, das heißt zunächst weit unter und dann genau in Höhe des amtlichen Kilometergelds, ausbezahlt wurde. Im vorliegenden Fall ist nicht hervorkommen, dass Kilometergeld auch für die Fahrten vom Wohnort zum Dienstort und zurück bezahlt worden wäre; die von den Vorinstanzen zitierte Entscheidung 10 Ob 59/06h ist daher nicht einschlägig. Ausgehend von diesen Prämissen hätte sich daher das Erstgericht nicht mit der Feststellung einer Pauschalsumme begnügen dürfen, sondern das Problem des Kilometergelds mit den Parteien erörtern und dann entsprechende Feststellungen treffen müssen. Da diese Feststellungen nicht vorliegen, liegt ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der die Aufhebung bedingt, ohne dass es eines Eingehens auf die weiteren Argumente im Revisionsrekurs bedarf.

Bei der neuerlichen Berechnung wird auch auf die neueste Judikatur des Obersten Gerichtshofs für die Berechnung von Unterhaltspflichten im Falle eines Insolvenz-(Abschöpfungs-)verfahrens Rücksicht zu nehmen sein. In seiner im verstärkten Senat gefassten Entscheidung vom 5. 5. 2010, 1 Ob 160/09z, hat der Oberste Gerichtshof unter anderem ausgesprochen: „Der Umstand, dass dem Unterhaltspflichtigen sein Erwerbseinkommen aufgrund der Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen oder daran anschließender insolvenzrechtlicher Konsequenzen (Abschöpfungsverfahren, Zahlungsplan, Zwangsausgleich) nicht zur Gänze zur Verfügung steht, führt für sich allein nicht zu einer Verminderung seiner Unterhaltspflicht.“ Unter Aufarbeitung der bisherigen Judikatur und Literatur gelangte der Oberste Gerichtshof zur Auffassung, dass, unabhängig davon, ob sich der Unterhaltsschuldner im Rahmen eines Abschöpfungsverfahrens (§§ 199 ff KO) oder der Erfüllung eines gerichtlich genehmigten Zahlungsplans (§ 193 KO) oder eines Zwangsausgleichs zu entschulden versucht, doch stets die schutzwürdigen Interessen der Unterhaltsgläubiger gleichermaßen zu berücksichtigen sind, die nicht dadurch beeinträchtigt werden sollen, dass sich die maßgebliche Unterhaltsbemessungsgrundlage durch die (anteilige) Erfüllung von Verbindlichkeiten, die außerhalb einer solchen Situation (zur Gänze) nicht abzugsfähig wären, vermindert. Dies bedeutet, dass nur jene Zahlungsanteile, die im Rahmen eines solchen Verfahrens geleistet werden, abzugsfähig sind, die auch vorher, das heißt ohne Insolvenzverfahren, eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellten. Um dies beurteilen zu können, fehlt es aber hier an den konkreten Feststellungen.

Der Oberste Gerichtshof hat mit der vorgenannten Entscheidung auch der bisherigen „Differenzmethode“ eine Absage erteilt. Wörtlich heißt es: „Bei der Unterhaltsbemessung ist in allen Insolvenzfällen regelmäßig von der im Einzelfall ermittelten Unterhaltsbemessungsgrundlage auszugehen. Auf die Deckung in der Differenz zwischen den Existenzminima gemäß § 291a EO und dem Unterhaltsexistenzminimum gemäß § 291b EO kommt es nicht an. Die Belastbarkeit des Unterhaltspflichtigen richtet sich nach dem Unterhaltsexistenzminimum gemäß § 291b EO, das ausnahmsweise in den Grenzen des § 292b EO unterschritten werden kann.“ Auch dieser im Zusammenhang mit insolventen Unterhaltsschuldnern neu aufgestellte Grundsatz wird bei der neuerlichen Entscheidung zu beachten sein.

Schlagworte

Unterhaltsrecht

Textnummer

E94386

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0090OB00047.09S.0630.000

Im RIS seit

06.08.2010

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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