TE OGH 2011/4/26 8Ob35/11x

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Veröffentlicht am 26.04.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Z***** J*****, 2) Z***** J*****, und 3) F***** J*****, ebendort, alle vertreten durch Mag. Dr. Géza Simonfay, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichisches Rotes Kreuz, Landesverband Steiermark, *****, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.600 EUR, 21.293 EUR und 22.175 EUR sowie Feststellung (Streitwert 1.500 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2011, GZ 2 R 198/10w-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 11. Oktober 2010, GZ 22 Cg 92/10v-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 2.342,51 EUR (darin enthalten 390,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Ehegatte der Erstklägerin und der Vater der Zweit- und Drittkläger ist am 3. 2. 2006 nach einem Schiunfall verstorben. Einem im Rahmen des Strafverfahrens gegen unbekannte Täter eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten ist zu entnehmen, dass der stark alkoholisierte Verunglückte an einer Sauerstoffunterversorgung des Herzens zufolge eines Milzrisses gestorben ist und Hinweise auf ein Fremdverschulden nicht bestanden. Nach Einstellung des Strafverfahrens durch die zuständige Staatsanwaltschaft stellten die Kläger am 24. 7. 2006 einen Fortsetzungsantrag, in dem sie den Helfern des Roten Kreuzes ***** grobe Pflichtverletzungen vorwarfen. Im Ergänzungsgutachten des medizinischen Sachverständigen wurde ausgeführt, dass merkliche äußere Verletzungen des Verstorbenen zum Unfallszeitpunkt nicht nachvollziehbar seien und für die am Unfallsort Anwesenden keine Möglichkeit bestanden habe, die inneren Verletzungen früher zu erkennen. In der Folge wurde das Strafverfahren endgültig eingestellt.

Am 5. 2. 2009 brachten die Kläger beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu ***** eine Schadenersatzklage gegen das Österreichische Rote Kreuz (Dachverband) ein. Mit Urteil vom 30. 9. 2009 wurde diese Klage mangels passiver Klagelegitimation (zwischenzeitlich rechtskräftig) abgewiesen.

Mit ihrer am 11. 5. 2010 eingebrachten Klage machten die Kläger im vorliegenden Verfahren ihre Schadenersatzansprüche gegen den hier beklagten Landesverband geltend. Sie seien davon ausgegangen, dass der Dachverband, allenfalls gemeinsam mit dem zuständigen Landesverband, passiv klagelegitimiert sei. Das Rotkreuzgesetz würde nur den Aufgabenbereich des Dachverbands regeln. Aus den einschlägigen Satzungen gehe nicht hervor, dass es sich bei den Landesverbänden um selbständige Rechtsträger handle. Die faktische Kenntnis vom zuständigen Landesverband als Schädiger habe frühestens im Zeitpunkt des Einwands der mangelnden Passivlegitimation durch den Dachverband im Vorverfahren bestanden.

Die beklagte Partei erhob den Einwand der Verjährung. Die Kläger hätten spätestens am 24. 7. 2006 Kenntnis vom angeblichen Schädiger haben müssen, weil sie in ihrem Fortsetzungsantrag im Strafverfahren den Helfern des Roten Kreuzes ***** diverse Versäumnisse vorgeworfen hätten.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren zur Gänze ab. Die Verjährung habe zum Zeitpunkt des Fortsetzungsantrags im Strafverfahren am 24. 7. 2006 zu laufen begonnen. Ausgehend von den vorliegenden Informationen hätten die Kläger anhand einer Internetrecherche in kürzester Zeit feststellen können, welcher der Landesverbände mit eigener Rechtspersönlichkeit für die behaupteten Pflichtverletzungen einzustehen habe. Darüber hinaus hätten die Kläger die benötigten Informationen auch dem Rotkreuzgesetz, dem Vereinsregister und den einschlägigen Satzungen entnehmen können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Ausgehend von dem ihnen bekannten Sachverhalt hätten die Kläger ohne besondere Mühe ermitteln können, welcher Rechtsträger für die handelnden Rettungskräfte einzustehen habe. Demgegenüber hätten sie es unterlassen, die Organisation des Roten Kreuzes zu klären. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Frage nach dem Ausmaß der Erkundigungsobliegenheit fremdsprachiger, ausländischer Geschädigter bei komplexerer Organisation von erheblicher Bedeutung sei. Außerdem könne die Auffassung vertreten werden, dass mit der Entscheidung gegen den Rechtssatz verstoßen werde, dass die Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen durch die verschuldete Unkenntnis nicht ersetzt werde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in der Weise abzuändern, dass dem Klagebegehren „hinsichtlich der Gewährung der Vollrente“ stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die beklagte Partei, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Die Vorinstanzen haben ihrer Entscheidung die richtigen Grundsätze zur Beurteilung der Verjährung von Schadenersatzansprüchen zugrunde gelegt. Im gegebenen Zusammenhang ist hervorzuheben, dass Schadenersatzansprüche nach § 1489 ABGB in drei Jahren ab dem Zeitpunkt verjähren, zu dem der Eintritt des Schadens und die Person des Ersatzpflichtigen dem Geschädigten soweit bekannt wurden, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg eingebracht werden kann. Der den Anspruch begründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch soweit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RIS-Justiz RS0034524; RS0034366; RS0034951). Für den Beginn der Verjährungsfrist ist grundsätzlich nicht entscheidend, ob sich der Anspruchsberechtigte in einem Irrtum befunden hat, sondern ob ihm objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatumstände bekannt waren (RIS-Justiz RS0034547).

Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in dem diese bei angemessener Erkundigung, aber ohne Überspannung der Erkundigungsobliegenheit möglich gewesen wäre. Es genügt die Kenntnis solcher Umstände, die es dem Geschädigten ermöglichen, in zumutbarer Weise den Ersatzpflichtigen festzustellen (RIS-Justiz RS0034327; RS0034335).

2.1 Die Beurteilung, wann der für eine erfolgreiche Klagsführung ausreichende Kenntnisstand erlangt und wann die Grenze der Erkundigungsobliegenheit erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0113916).

Die Schlussfolgerungen der Vorinstanzen, dass die Kläger aufgrund der ihnen bekannten Umstände die Person des wahren Ersatzpflichtigen ohne nennenswerte Mühe hätten in Erfahrung bringen können und das Vorliegen des relevanten Wissens auf den Zeitpunkt des Fortsetzungsantrags vom 24. 7. 2006 zu beziehen sei, erweisen sich als nicht korrekturbedürftig.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist auf das tatsächliche Wissen des Geschädigten von den objektiv relevanten Umständen und nicht auf seine rechtlichen Schlussfolgerungen oder das Vorliegen eines Rechtsirrtums ankommt (RIS-Justiz RS0034321). Nach den Feststellungen war den schon damals anwaltlich vertretenen Klägern spätestens bei Einbringung ihres Fortsetzungsantrags im Strafverfahren bekannt, dass das angebliche Fehlverhalten die Helfer des Roten Kreuzes ***** betroffen hat. Dementsprechend wurde in dem mit Schreiben vom 29. 12. 2008 übermittelten Klageentwurf auch das „Rote Kreuz, Bezirksstelle *****“, als beklagte Partei angeführt. Schon anhand dieser Informationen hätten die Kläger aufgrund zumutbarer Erhebungen, nämlich Prüfung von § 1 des Rotkreuzgesetzes und von § 3 des Steiermärkischen Rettungsdienstgesetzes, Einsicht in das Vereinsregister und in die über Internet leicht abrufbaren Satzungen des Dachverbands (vor allem § 3 leg cit) und des zuständigen Landesverbands (vor allem § 2 leg cit) sowie eine einfache Internetrecherche (Eingabe von „Rotes Kreuz“ oder „Rotes Kreuz *****“ in eine Suchmaschine), die Organisation des Österreichischen Roten Kreuzes und die Existenz der Landesverbände mit eigener Rechtspersönlichkeit ohne nennenswerte Mühe durchschauen und das richtige passiv klagelegitimierte Rechtssubjekt, also den Zweigverein, dem die handelnden Rettungskräfte haftungsrechtlich zurechenbar sind, eruieren können. Auch eine Auseinandersetzung mit Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs hätte die zu beachtende Organisationsstruktur des Österreichischen Roten Kreuzes offen gelegt (vgl 6 Ob 173/02p; 10 ObS 153/07h).

2.2 Die Kläger berufen sich in ihrer Revision darauf, dass ihnen nicht die Identität der hier beklagten Partei schlicht unbekannt gewesen sei, sondern dass sie aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zufolge vertretbarer Rechtsauffassung davon ausgegangen seien, nicht die hier beklagte Partei, sondern das Österreichische Rote Kreuz sei passiv klagelegitimiert. Die Ausführungen, wonach das Rotkreuzgesetz Landesverbände als rechtlich selbständige Rechtsträger nicht ausdrücklich vorsehe und die beklagte Partei als Ersatzpflichtige infolge komplexer Organisation nicht „auf der Hand gelegen sei“, stehen damit im Widerspruch. Der weiteren Argumentation der Kläger, dass das Rotkreuzgesetz die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben unmittelbar dem Österreichischen Roten Kreuz zuordne und dieses aufgrund der gesetzlichen Aufgabenübertragung auch dann hafte, wenn es sich zur Erfüllung der Aufgaben selbständiger Landesverbände bediene, ist schon deshalb nicht zu folgen, weil die Aufgabenerfüllung auf die schon in § 1 Abs 1 des Rotkreuzgesetzes angesprochene interne Organisation des Österreichischen Roten Kreuzes durchschlägt.

Mit ihrer Ansicht, dass dann, wenn der Geschädigte jenen Rechtsträger gerichtlich in Anspruch nehme, von dessen Passivlegitimation er ausgehe, Verjährung solange nicht eintreten könne, als der richtige Gegner nicht vollkommen eindeutig auf der Hand liege bzw Gewissheit über die mangelnde Passivlegitimation des in Anspruch genommenen Rechtsträgers bestehe, weichen die Kläger von der ständigen Rechtsprechung ab.

2.3 Entgegen der Begründung des Zulässigkeitsausspruchs durch das Berufungsgericht basiert die Entscheidung nicht auf der verschuldeten Unkenntnis bzw der bloßen Möglichkeit der Kenntnis des Geschädigten von der Person des Schädigers, sondern darauf, dass den Klägern Umstände bekannt waren, aufgrund derer die Ermittlung des ersatzpflichtigen Rechtsträgers leicht möglich gewesen wäre. Von einer Überspannung der Erkundigungsobliegenheit zufolge komplexer Organisationsstruktur des Österreichischen Roten Kreuzes oder von einer vertretbaren Rechtsansicht zur Passivlegitimation aufgrund der gesetzlichen Aufgabenzuweisungen kann nicht ausgegangen werden.

3. Insgesamt gelingt es den Klägern nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat primär die Zurückweisung der Revision beantragt (vgl RIS-Justiz RS0035979).

Textnummer

E97225

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0080OB00035.11X.0426.000

Im RIS seit

20.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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