TE OGH 2011/5/3 12Os127/10h

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Veröffentlicht am 03.05.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. T. Solé sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kunst als Schriftführer in der Rechtshilfesache betreffend Werner S***** wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 Abs 1 dStGB, AZ 9 HR 251/09x des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag der K***** Rechtsanwälte GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Ansehung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 4. Februar 2010, AZ 11 Bs 509/09z, 510/09x, 35/10w nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Am 7. September 2009 langte bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt das Ersuchen des Leitenden Oberstaatsanwalts München I ein, mit dem dieser in dem in Deutschland gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der B***** Werner S***** wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 Abs 1 dStGB im Zusammenhang mit dem Erwerb der H***** A***** A***** AG durch die B***** bei der Staatsanwaltschaft München I zu 320 Js 44754/09 geführten Ermittlungsverfahren im Rahmen der Rechtshilfe um Durchsuchung/Beschlagnahme/Herausgabe nach bzw von den in fünf beigefügten Beschlüssen des Amtsgerichts München je vom 31. August 2009 (AZ ER III Gs 7187/09, 7188/09, 7189/09, 7190/09, 7194/09) demonstrativ angeführten Unterlagen bei fünf Unternehmen, sämtliche situiert im Sprengel der Staatsanwaltschaft Klagenfurt - wegen der Notwendigkeit von Durchsuchungen in insgesamt sieben in- und ausländischen Städten möglichst gleichzeitig am 14. Oktober 2009 - unter jeweiliger Beiziehung der bayrischen Ermittlungsorgane begehrte.

Diesem Ersuchen entsprechend beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt zu 3 HSt 8/09f beim Landesgericht Klagenfurt die gerichtliche Bewilligung der von ihr mit dem Rechtshilfeersuchen korrespondierend ausgefertigten Anordnungen der Durchsuchung der im Rechtshilfeersuchen angeführten Geschäftsräumlichkeiten samt Nebenräumen und Kraftfahrzeugen gemäß §§ 117 Z 2, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO vom 10. September 2009 bei allen fünf Betroffenen zur Sicherstellung der vom Amtsgericht München näher beschriebenen Gegenstände (ON 3 bis ON 7) sowie die gerichtliche Bewilligung der Teilnahme der deutschen Ermittlungsorgane an diesen Durchsuchungen bzw Sicherstellungen gemäß § 58 Abs 2 EU-JZG. Antragsgemäß bewilligte der Ermittlungsrichter beim Landesgericht Klagenfurt am 14. September 2009 die fünf staatsanwaltschaftlichen Anordnungen (ON 3 bis ON 7) und am 22. September 2009 die Teilnahme der ausländischen Organe (ON 9).

Aufgrund eines weiteren gleichartigen Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft München I, dem ein entsprechender Bewilligungsbeschluss des Amtsgerichts München, GZ ER III Gs 8359/09 vom 8. Oktober 2009 angeschlossen war (ON 13), bewilligte die Ermittlungsrichterin beim Landesgericht Klagenfurt mit ihrem Beschluss vom 13. Oktober 2009 auch die weiters im Rechtshilfeweg begehrte und von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt am 8. Oktober 2009 angeordnete Durchsuchung der Geschäftsräumlichkeiten samt Nebenräumen und Kraftfahrzeugen der Kanzlei B***** Q***** K***** Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt zwecks Sicherstellung der vom Amtsgericht München ebenfalls näher beschriebenen Gegenstände (ON 14). Auch diesbezüglich wurden deutsche Ermittlungsorgane mittels Beschlusses des Landesgerichts Klagenfurt vom 13. Oktober 2009 zugelassen (ON 20).

Am 14. Oktober 2009 wurden bei den sechs angeführten Betroffenen die Durchsuchungen vollzogen, anlässlich derer umfangreiche schriftliche Unterlagen sowie elektronische Speichermedien sichergestellt wurden, wobei neben österreichischen Kriminalbeamten und teilweise Staatsanwälten auch deutsche Ermittlungsorgane teilnahmen. Die Durchsuchung bei der betroffenen Rechtsanwaltskanzlei fand in Beisein einer Vertreterin der Rechtsanwaltskammer und eines Rechtsanwalts der Kanzleigemeinschaft statt.

Neben anderen Betroffenen erhob die B***** Q*****, K***** Rechtsanwälte GmbH Widerspruch gemäß § 112 StPO gegen die Sicherstellung der bei ihr aufgefundenen Ordner und Akten und begehrte die Sicherung der Unterlagen. Demgemäß wurden diese in zwei versperrten und versiegelten Hartschalenkoffern den ermittelnden Beamten übergeben.

Darüber hinaus ergriff unter anderem die B***** Q*****, K***** Rechtsanwälte GmbH (nunmehr K***** Rechtsanwälte GmbH) Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 13. Oktober 2009 (ON 35).

Mit Beschluss vom 4. Februar 2010, AZ 11 Bs 509/09z, 510/09x, 35/10w, gab das Oberlandesgericht Graz dieser Beschwerde nicht Folge (ON 49).

Rechtliche Beurteilung

Gestützt auf § 363a StPO per analogiam (vgl RIS-Justiz RS0122228) und unter Behauptung einer Verletzung in den Grundrechten der Art 6 und 8 MRK beantragt nunmehr die K***** Rechtsanwälte GmbH die Erneuerung des Strafverfahrens.

Entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ist die Antragstellerin hiezu legitimiert:

Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung bedarf es zur Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO keines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (RIS-Justiz RS0122229, RS0122737). Zu einem darauf gerichteten Antrag sind Personen berechtigt, welche vertretbar behaupten, durch die letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts in einem Grundrecht verletzt oder trotz Ausschöpfung des Instanzenzugs gegen eine durch Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht begangene Grundrechtsverletzung weiterhin deren Opfer zu sein.

Die von § 363b Abs 2 Z 1 StPO genannte, in der Unterschrift eines Verteidigers bestehende Zulässigkeitsvoraussetzung hat den Obersten Gerichtshof - mit Blick auf das bloß zwischen Anklägern und Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO idF vor BGBl I 2004/19) differenzierende Verständnis des (von der Anpassungsgesetzgebung an das StPRefG unberührt gebliebenen) Erneuerungsverfahrens - dazu veranlasst, Grundrechtsschutz nach § 363a StPO unter dem Aspekt als verletzt reklamierter Anklägerinteressen zu verneinen. Ankläger (zu denen neben Privatanklägern, Subsidiaranklägern und Privatbeteiligten etwa auch Antragsteller nach §§ 6 bis 7c und 9 f MedienG zählen) sind nicht antragslegitimiert, weil diese sich selbst nach dem Verständnis des historischen Gesetzgebers (BGBl 1996/762) keines Verteidigers bedienen konnten (§ 39 StPO idF vor BGBl I 2004/19). Personen, die als Ankläger von einer Grundrechtsverletzung betroffen sind, sollte unter dem Aspekt innerstaatlicher Umsetzung von Urteilen des EGMR (Art 46 MRK; zur nachträglich erkannten Lücke aufgrund veränderter Normsituation vgl 13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832) kein Recht auf Neudurchführung von strafgerichtlichen Verfahren eingeräumt werden (vgl RIS-Justiz RS0123644). Angesichts der vom historischen Gesetzgeber intendierten, weiterhin systemkonformen Schutzrichtung gilt nichts anderes für Opfer (§ 65 StPO) in dieser Eigenschaft. Deren Interesse wird durch die Zulässigkeit von Fortführungsanträgen (§ 195 StPO) ausreichend geschützt. Für andere von strafgerichtlicher Grundrechtsverletzung im vorstehend definierten Sinn Betroffene gelten diese Überlegungen jedoch nicht. Sie gelten auch nicht in Betreff des hier reklamierten Grundrechtsschutzes Dritter, für welche das Erfordernis der Verteidigerunterschrift demnach mit der Maßgabe gilt, dass von ihnen gestellte Anträge der Unterschrift einer im Sinn des § 48 Abs 1 Z 4 StPO zur Verteidigung befähigten Person bedürfen. Da eine solche hier vorliegt, ist der Erneuerungsantrag zulässig (13 Os 130/10g mwN), jedoch nicht berechtigt.

Aus den Beschlüssen des Amtsgerichts München vom 31. August und - den Antragsteller betreffend -  vom 8. Oktober 2009 erschloss das Beschwerdegericht den (zusammengefasst wiedergegeben) begründeten Verdacht, Werner S***** habe zwischen 2006 und 9. Oktober 2007 in München als Vorstandsvorsitzender der B***** die ihm in dieser Funktion eingeräumte Befugnis, über deren Vermögen zu verfügen und die vertretene Bank zu verpflichten, wissentlich missbraucht und ihr dadurch einen 50.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil in Höhe von bis zu 460 Millionen Euro zugefügt, indem er (mit anderen Organen der vertretenen Bank gemeinsam) mit Kaufvertrag vom 22. Mai 2007 namens der B***** einen Gesamtanteil von 50 % und einer Aktie an der H***** A***** A***** AG um 1,675 Milliarden Euro erwarb und trotz Wissens um die Nachteiligkeit dieses Rechtsgeschäfts infolge des tatsächlichen Werts dieser Anteile von möglicherweise nur 1,215 Milliarden Euro den Vertrag auch vollzog (BS 9 ff).

Aufgrund des im Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. Oktober 2009 angeführten Umstands, dass die von der beantragten Durchsuchung betroffene Rechtsanwaltskanzlei für die Kärntner L***** (Kärntner L*****- und H*****) beratend tätig war, erschloss das Beschwerdegericht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Unterlagen im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Geschäftsabwicklung bei ihr vorhanden sein müssten (BS 13; vgl auch die gerichtlich bewilligte Anordnung der Durchsuchung, ON 14).

Als Verstoß gegen Art 6 MRK rügt die Antragstellerin das Fehlen einer Begründung der gerichtlichen Bewilligung der staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsanordnung vom 8. Oktober 2009 infolge vollständigen Verweises auf deren Erwägungen, die sich wiederum unzulässig auf den der Durchsuchung zu Grunde liegenden Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. Oktober 2009, sohin einen Rechtsakt eines nicht der österreichischen Rechtsordnung unterstehenden Gerichts, stütze.

Dabei übersieht sie jedoch, dass der eindeutige Verweis auf die Begründung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung, auf der der Bewilligungsbeschluss überdies unmittelbar erfolgte, methodisch nichts anderes darstellt als die - ebenfalls zulässige (13 Os 21/01) - Wiedergabe dieses Textes selbst. Der Verweis auf die Begründung der Anordnung bedeutet, dass sich der Einzelrichter diese zu Eigen macht und sich damit identifiziert. Dass er sich anlässlich der gegenständlichen Bewilligung nicht mit den von der Staatsanwaltschaft bejahten Voraussetzungen auseinandergesetzt hätte, kann aufgrund des Verweises nicht unterstellt werden; vom gänzlichen Fehlen einer Begründung kann somit nicht die Rede sein (RIS-Justiz RS0124017).

Warum die angeführte Judikatur für den deutlichen und unzweifelhaften Verweis der staatsanwaltschaftlichen Anordnung auf den Beschluss des Amtsgerichts München nicht gelten sollte, ist nicht erkennbar, handelt es sich doch ebenfalls - ungeachtet dessen, dass die Entscheidung nicht im Rahmen innerstaatlicher Jurisdiktion erging - methodisch um die Wiedergabe des darin enthaltenen Textes. Auch wurde der bezughabende amtsgerichtliche Beschluss der gerichtlichen Bewilligung (und damit der staatsanwaltschaftlichen Anordnung) angeschlossen (vgl S 3 f in ON 1). Dass der Beschluss des Amtsgerichts München anlässlich der Durchsuchung der Antragstellerin nicht ausgefolgt worden sei, wurde nicht einmal behauptet (vgl S 6 in ON 1).

Angesichts dieser logisch eindeutigen Mehrfachverweisung ging das Beschwerdegericht zutreffend von einer ausreichenden Begründung des angefochtenen Beschlusses aus, der sich keineswegs in der Anführung eines bloß vagen Verdachts, einer generalklauselartigen Auflistung der zu findenden Gegenstände bzw in Leerformeln oder Floskeln erschöpfte. Das Vertretungsverhältnis der Rechtsanwaltsgemeinschaft für die Kärntner L*****- und H***** wurde im amtsgerichtlichen Beschluss vom 8. Oktober 2009 ebenso dargestellt wie die sicherzustellenden Gegenstände beispielsweise nach Art und Inhalt aufgelistet wurden (vgl AS 9 f und AS 17 in ON 13). Zutreffend ging das Oberlandesgericht angesichts der im Beschluss des Amtgerichts München vom 8. Oktober 2009 enthaltenen Erwägungen zur Schwere der Tat und zur Dringlichkeit des Tatverdachts (S 17 f in ON 13) auch davon aus, dass die Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit der begehrten Ermittlungsmaßnahme sowie deren Zulässigkeit auch beim unverdächtigen Parteienvertreter gerade noch mit hinreichender Deutlichkeit bejaht wurden (BS 21 f).

Den abstrakten Überlegungen im Erneuerungsantrag (es seien grundsätzlich gelindere Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen) zuwider ist schon im Beschluss des Amtsgerichts München festgehalten, dass auch eine Durchsuchung beim Unverdächtigen erforderlich sei, zumal keine milderen Mittel zur Verfügung stünden, die, ohne die Ermittlungen durch eine vorzeitige Bekanntgabe zu gefährden, den gleichen Erfolg versprächen (S 17 in ON 13).

Die behauptete mangelnde Zuordenbarkeit des gerichtlichen Bewilligungsbeschlusses infolge Unleserlichkeit der Unterschrift und ein daraus resultierender allfälliger Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Gerichte erster und zweiter Instanz ändert nichts am Vorliegen der innerstaatlich im Regelfall erforderlichen (vgl § 120 Abs 1 erster Satz StPO) gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der Durchsuchung, sodass der behauptete Verstoß gegen Art 6 MRK nicht erkennbar ist und vom Antragsteller auch nicht nachvollziehbar begründet wird.

Der weitere Einwand, die bereits zuvor getroffene Anordnung der Staatsanwaltschaft verweise nicht auf die nach § 120 StPO erforderliche vorherige gerichtliche Bewilligung, sondern einzig auf den vom Amtsgericht München gefassten Beschluss, findet im Akteninhalt schon deshalb keine Deckung, weil sie in ihrem ersten Absatz davon spricht, dass „Aufgrund gerichtlicher Bewilligung … die Staatsanwaltschaft Klagenfurt … die Durchsuchung folgender Orte bzw Gegenstände anordnet …“, hernach der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 13. Oktober 2009 folgt und der letzte, demgemäß allein auf die Anordnung abstellende Absatz des Schriftstücks mit Stempel vom 13. Oktober 2009 lautet: „Anordnung der Durchführung“.

Diese Zusammenschau zeigt, dass - aus verfahrensökonomischen, dem Gebot des § 120 StPO jedoch nicht widersprechenden Gründen - die Staatsanwaltschaft wie auch das Gericht dem vorliegenden Schriftstück sowohl die (zeitlich spätere) Funktion und Qualität der Anordnung der Durchsuchung als auch des Antrags auf Bewilligung derselben zubilligten, wenngleich dies nicht explizit, etwa mittels einer gesonderten Überschrift, klar hervorgehoben wurde.

Eine Verletzung des Art 8 MRK erblickt die Antragstellerin in der Schädigung ihres beruflichen Ansehens und in der Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs vor dem Hintergrund des bestehenden Geheimnisschutzes der nicht tatverdächtigen Rechtsanwaltsgemeinschaft.

Eine Durchsuchung eines Rechtsanwaltsbüros (samt etwaiger Beschlagnahme von Unterlagen) ist jedenfalls als Eingriff in das Recht nach Art 8 MRK zu werten (Frowein in Frowein/Peukert, Europäische MenschenRechtsKonvention - EMRK-Kommentar3 [2009] Art 8 Rz 45; Grabenwarter, EMRK4 § 22 Rz 26, 30), und zwar als ein insgesamt dreifacher, nämlich sowohl als Eingriff in das Privatleben, die Wohnung und die Korrespondenz, wobei es hiebei aufgrund der Stellung des Rechtsanwalts für die Rechtspflege sowie seines Berufsgeheimnisses einer besonders strengen Prüfung hinsichtlich der Voraussetzungen für den Eingriff, der Verhältnismäßigkeit desselben sowie der Einhaltung des - in Österreich gesetzlich ausgestalteten - Verfahrens bedarf (Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 8 Rz 91). Das öffentliche Interesse an der Gewinnung von Daten, um Straftaten aufzuklären oder zu verhüten, ist grundsätzlich ein legitimes Ziel, doch ist im Einzelfall die Schwere der in Frage stehenden Straftat gegenüber dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einer Wertung zu unterziehen (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 22 Rz 39).

Angesichts des Berufsgeheimnisses eines Rechtsanwalts und Rechts des Mandanten, sich nicht selbst zu beschuldigen, prüft der EGMR die Zulässigkeit der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei unter dem Gesichtspunkt, ob wirksame Garantien gegen Missbrauch vorhanden sind, und berücksichtigt die Schwere der Straftat, wegen der durchsucht wird, ob ein Richter die Maßnahme angeordnet hat und ob sie danach richterlicher Überprüfung unterlag, ob ein hinreichender Tatverdacht bestand und die Anordnung angemessen begrenzt worden ist und welche Auswirkungen die Durchsuchung auf die Arbeit und den Ruf des Anwalts hat. Wesentlich ist, dass bei der Durchsuchung ein unabhängiger und ausreichend sachkundiger Beobachter anwesend war um sicherzustellen, dass vom Recht des Anwalts auf Verschwiegenheit gedeckte Unterlagen nicht beschlagnahmt werden (Meyer-Ladewig, EMRK3 Art 8 Rz 111 unter Hinweis auf die einschlägige Jud des EGMR).

Als bedeutsam stufte der EGMR (16. 10. 2007, Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH gegen Österreich, Nr 74.336/01, ÖJZ 2008/4 [MRK], 246) ein, dass immer dann, wenn ein beigezogener Vertreter der Rechtsanwaltskammer der Beschlagnahme eines bestimmten Dokuments widersprach, dieses versiegelt wurde. Ferner merkte der EGMR in dieser Entscheidung an, dass der Durchsuchungsbefehl die Schriftstücke und Daten, die gesichtet werden sollten, in angemessener Weise beschränkt hat, indem er sie als geschäftliche Schriftstücke beschrieb, die Kontakte mit den Verdächtigten in einem italienischen Verfahren enthüllten (Z 59).

Dem Antrag zuwider wird die vom Landesgericht Klagenfurt bewilligte Anordnung der Durchsuchungen diesen Kriterien gerecht:

Angesichts des Aufklärungsinteresses im Zusammenhang mit Vermögendelinquenz mit außerordentlicher Schadensumme führt das in einem bedeutsamen Straffall bestehende mediale Interesse und eine damit im Rahmen der öffentlichen Diskussion unter Umständen einhergehende Rufschädigung des von der Maßnahme Betroffenen nicht per se zur Unzulässigkeit des begehrten Ermittlungsschritts. Mit dem Hinweis auf - wie oben dargelegt - den Erhebungserfolg gefährdende gelindere Mittel wird ein Prävalieren des persönlichen Interesses vor dem öffentlichen Interesse nicht begründet.

Angesichts der oben angeführten, vom EGMR aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit der Durchsuchung der Kanzlei eines nicht selbst tatverdächtigen Rechtsanwaltsbüros erweist sich die Maßnahme schon deshalb als zulässig, weil die bezughabende Anordnung durch ihren zulässigen Verweis auf den Beschluss des Amtsgerichts München - anders als in den den von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des EGMR zu Grunde liegenden Fällen - ausreichend bestimmt war (eine „quasi Beschlagnahme ohne Einschränkung“ ist angesichts der deutlichen Umschreibung der sicherzustellenden Unterlagen keineswegs erkennbar) und eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme und des damit verbundenen Ziels schon aufgrund des Gewichts des bestehenden Tatverdachts nicht vorliegt.

Der bestehenden anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht wurde schon dadurch Rechnung getragen, dass alle beschlagnahmten Dokumente auf Verlangen der Erneuerungswerberin gemäß § 112 StPO gesichert und versiegelt übergeben wurden, und damit dem Geheimnisschutz des Rechtsanwalts im Sinn besonderer Verfahrensvorschriften, wie sie der EGMR fordert, Genüge getan wurde. Die während der Hausdurchsuchung anwesende Vertreterin der Rechtsanwaltskammer, welcher nach § 23a RAO obliegt, darauf zu achten, dass die Verschwiegenheitspflicht und die Gesetzmäßigkeit des Durchsuchungsvorgangs gewahrt wird, hat nach dem Protokoll der Durchsuchung im Sinn der besonderen Verfahrensvorschriften ebenfalls beigewohnt und keinerlei Beanstandungen geltend gemacht, sodass keine Verletzung des Art 8 MRK auszumachen ist. Die Erneuerungswerber waren durch die von ihnen durch Gesetz eingeräumte und auch erhobene Beschwerde samt Einspruch an das Oberlandesgericht Graz gegen staatliche Willkür geschützt.

An diesem Ergebnis vermögen auch die spekulativen Überlegungen der Antragstellerin, weshalb nicht damit habe gerechnet werden können, relevantes und der Sicherstellung unterliegendes Beweismaterial bei ihr aufzufinden, nichts zu ändern. Dass ihrer Ansicht nach Akten unzulässig beschlagnahmt worden seien, ist im Verfahren nach § 112 StPO zu klären.

Der Antrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97422

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0120OS00127.10H.0503.000

Im RIS seit

13.06.2011

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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