TE OGH 2011/6/9 4R96/11g

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Veröffentlicht am 09.06.2011
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Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht hat durch Senatspräsident Dr. Wilhelm Jeryczynski als Vorsitzenden sowie Mag. Hans Peter Frixeder und Mag. Edeltraud Kraupa in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M***** M*****, ***** vertreten durch Mag. Florian Traxlmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1) L***** AG und 2) L***** S***** GmbH, *****vertreten durch Dr. Ludwig Beurle und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen restlich EUR 271.000,00 und Feststellung (Streitwert EUR 5.000,00), 38 Cg 14/11p des Landesgerichtes Linz, über den Rekurs des Klägers gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 21. April 2011, 35 Nc 8/11z-3, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Die Rekursbeantwortung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat seine Rekurskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte nach Bewilligung der Verfahrenshilfe von den Beklagten EUR 270.000,00 Schadenersatz, weil sie ihn bei der Ausübung des Bestattungsgewerbes rechtswidrig behindert und schließlich in die Insolvenz getrieben hätten.

Die Beklagten bestritten das Klagsvorbringen und beantragten Klagsabweisung.

Mit der Behauptung, sein Schaden betrage mittlerweile EUR 1,375.000,00, beantragte der Kläger die Ausdehnung der Verfahrenshilfe auf diesen Betrag sowie auf ein Feststellungsbegehren (ON 6).

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab (ON 7); das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Antrag des Klägers auf Ausdehnung der Verfahrenshilfe zurückgewiesen wurde (ON 16).

Danach dehnte der Kläger sein Begehren auf EUR 1,375.000,00 sowie um ein Feststellungsbegehren aus (ON 18).

Mit Beschluss vom 14. März 2011, ON 19, erklärte das Erstgericht die Verfahrenshilfe für erloschen und wies den darüber hinausgehenden Antrag der Beklagten auf Entziehung der Verfahrenshilfe ab (ON 19). Es vertrat - mit ausführlicher Begründung - die Ansicht, dass die weitere Rechtsverfolgung des Klägers offenbar mutwillig und aussichtslos sei. Es führte unter anderem aus, dass der Beklagte (richtig: Kläger) mit seinem Bestattungsunternehmen wirtschaftlich gescheitert sei und nun einen stolzen Betrag von EUR 1,375.000,00 einklage. Eine Partei, die die Kosten dieses Prozesses selbst tragen müsste, hätte die Klage jedenfalls nur um jene Beträge ausgedehnt, deren Verjährung droht.

Der Kläger lehnte daraufhin die Verhandlungsrichterin wegen dieser Formulierungen ab. Mit „stolzer Betrag“ bringe die Richterin eine emotionelle negative Wertung und ein Missfallen gegenüber dem begehrten Schadenersatz zum Ausdruck. Mit der Feststellung, dass der Kläger „wirtschaftlich gescheitert ist“, stelle die Richterin in für den Kläger beleidigender Weise die Eignung, ein Bestattungsunternehmen zu führen, in Frage, ohne auf die konkreten Umstände, weshalb es zur Einstellung des Unternehmens des Klägers gekommen ist, überhaupt einzugehen. Im Übrigen habe die Richterin den Kläger, als dieser sie bei Gericht aufgesucht habe, ohne ihn anzuhören und ohne die Möglichkeit einer Terminvereinbarung abrupt und unfreundlich des Zimmers verwiesen.

Die abgelehnte Richterin erklärte, nicht befangen zu sein. Mit der Formulierung des „wirtschaftlichen Scheiterns“ habe sie ausdrücken wollen, dass der Kläger ein Insolvenzverfahren hinter sich hat und letztlich seinen Betrieb - nach eigenem Vorbringen - aus wirtschaftlichen (nicht etwa aus in seiner Person gelegenen) Gründen einstellen musste. Der Betrag, um den die Klage ausgedehnt wurde, sei in der Tat als „stolz“ anzusehen. Richtig sei, dass sie den Kläger nach seinem dritten Besuch nicht mehr besonders freundlich, aber jedenfalls sachlich, bestimmt und mit Sicherheit nicht unfreundlich aus dem Zimmer verwiesen habe, nachdem sie ihm zum wiederholten Male vergeblich zu erklären versucht habe, dass seine Besuche nichts bringen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht die Ablehnung zurückgewiesen. Die beanstandeten Formulierungen seien weder unsachlich noch beleidigend, die Verweisung des Klägers aus dem Richterzimmer nicht unsachlich.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem erschließbaren Abänderungsantrag, der Ablehnung Folge zu geben.

Die Rekursbeantwortung der Beklagten ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger und herrschender Rechtsprechung sind an dem von Amtswegigkeit geprägten Ablehnungsverfahren nur jene Prozessparteien beteiligt, die selbst einen Ablehnungsantrag gestellt haben. Ein Rekursrecht gegen eine abweisende Entscheidung steht nur jener Prozesspartei zu, die selbst abgelehnt hat, oder - im Falle einer Selbstanzeige gemäß § 22 GOG - dem Richter (Mayr in Rechberger³, Rz 1 und 4 zu § 24 JN; Klauser-Kodek16 E 13 zu § 24 JN; Ballon in Fasching, Kommentar², Rz 1 und 6 zu § 24 JN). Ein Kostenersatz findet im Ablehnungsverfahren nicht statt (Mayr aaO, Rz 6; Klauser-Kodek16, E 5 zu § 24 JN; Ballon aaO, Rz 4 zu § 23 JN; RIS Justiz RS0035778).

Im Gegensatz zu dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof in der vom Erstgericht erwähnten Entscheidung 4 Ob 143/10y ausgesprochen, dass das Verfahren über die Ablehnung eines Richters „grundsätzlich zweiseitig“ sei (RIS-Justiz RS0126587), und dass über die Kosten dieses Zwischenstreites unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden sei (RIS-Justiz RS0126588). Diese Entscheidung eines einfachen Senates ist aber bislang vereinzelt geblieben; sie vermag aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen:

„Gesetzlicher Richter“ ist derjenige Richter, welchem die Geschäftsverteilung seines Gerichtes ein Verfahren nach im Vorhinein bestimmten Kriterien zuweist, mitsamt allen seinen Stellvertretern. Auch der ausgeschlossene oder befangene Richter ist gesetzlicher Richter, und nicht erst der durch die zuständigen Organe (Gerichtsvorsteher, Befangenheitssenat) als zuständig bestimmte Stellvertreter. Andernfalls würde genau das eintreten, was durch eine feste Geschäftsverteilung verhindert werden soll: dass nämlich der gesetzliche Richter erst im Nachhinein durch eine individuelle Entscheidung bestimmt werden würde.

Die Entscheidung im Ablehnungsverfahren greift nicht in die feste Geschäftsverteilung ein, sondern wendet sie an, indem sie im Falle der Ausgeschlossenheit oder Befangenheit des zunächst berufenen Richters die Sache seinem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Stellvertreter zuweist. Die Unanfechtbarkeit stattgebender Entscheidungen gemäß § 24 Abs 2 JN ist kein Argument für, sondern gegen die Zweiseitigkeit des Verfahrens: In diesem geht es nicht um die Wahrnehmung von Parteiinteressen, sondern um das öffentliche Interesse an der Objektivität der Rechtsprechung (Ballon aaO, Rz 6 zu § 24 JN). Das Gesetz sieht die Gefahr, dass eine Sache einem unbefangenen Richter abgenommen wird, offenkundig als so gering an, dass es sie zu Gunsten einer Verfahrensbeschleunigung vernachlässigt. Das ist sachgerecht und nicht unfair; es gibt kein Verfassungs- oder gar Menschenrecht der Prozessparteien auf Abwehr eines Ablehnungsantrages.

Die zwingende Einräumung eines Äußerungsrechtes würde zu einer „Äußerungsflut“ führen, weil jede Äußerung beinahe zwangsläufig eine das Verfahren weiter verlängernde und verteuernde Gegenäußerung nach sich zöge. Dass bei offenkundig unbegründeten Anträgen keine Äußerungsmöglichkeit einzuräumen sein soll, würde querulatorische Parteien unsachlich begünstigen, während seriöse Ablehnungswerber das volle Kostenrisiko träfe.

Dass das Ablehnungsverfahren kein Zwischenstreit ist, in dem die Prozessparteien einander gegenüber stehen, wird dann besonders deutlich, wenn ein Richter selbst gemäß § 22 GOG seine Befangenheit anzeigt. Wäre das Verfahren zweiseitig, und würde er gegen eine abweisende Entscheidung erfolglos Rekurs erheben, stellte sich die Frage, wer dann die Kosten der Rekursbeantwortungen beider Parteien zahlte. Eine unmittelbare persönliche Kostenersatzpflicht des Richters gibt es seit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 nicht mehr (die §§ 51 Abs 2, 514 Abs 3 ZPO aF wurden aufgehoben), und für einen Amtshaftungsanspruch wäre Unvertretbarkeit erforderlich. Die Parteien müssten dann wohl ihre Kosten selbst tragen, was aber den Grundsätzen eines Zwischenstreites widerspräche.

Eine unmittelbare Anwendung des § 521a ZPO über die Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Bestimmung ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien voraussetzt. Im Ablehnungsverfahren stehen einander aber nur die ablehnende Partei und der Richter gegenüber; die andere Partei ist gar nicht Beteiligte dieses Verfahrens. Das ist keineswegs ungewöhnlich; beispielsweise ist das Verfahren über einen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention gemäß § 18 Abs 2 ZPO nur zwischen dem Antragsteller und dem Nebenintervenienten zu führen.

Dass der Oberste Gerichtshof diese Überlegungen angestellt und die - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - aufgezeigten Auswirkungen seiner Entscheidung 4 Ob 143/10y bedacht und gewollt hätte, ist der Begründung dieser Entscheidung nicht zu entnehmen. Dass tragfähige Gründe, an der Einseitigkeit festzuhalten, nicht zu erkennen seien, ist keine tragfähige Begründung dafür, in Österreich deutsches (Verfassungs-)Recht anzuwenden, und dass kein Grund bestehe, an der einen Kostenersatz ablehnenden Rechtsprechung festzuhalten, ist keine tragfähige Rechtsgrundlage dafür, eine Partei mit unter Umständen erheblichen Kosten zu belasten. Die Entscheidung bietet daher keinen Anlass, von der herrschenden Rechtsprechung abzugehen und das Ablehnungsverfahren mehrseitig zu gestalten, sodass die Rekursbeantwortung der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen war.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Rekurswerber bemängelt, dass ihm keine Möglichkeit eingeräumt wurde, auf die Stellungnahme der abgelehnten Richterin zu replizieren. Die Einholung einer solchen Stellungnahme ist aber nicht zwingend (Klauser-Kodek16, E 13 zu § 22 JN; Mayr aaO, Rz 2 zu § 22 JN; Ballon aaO, Rz 5 zu § 22 JN). Der Rekurswerber bleibt eine Erklärung dafür schuldig, welches entscheidungswesentliche Vorbringen er in einer solchen Äußerung erstattet hätte. Im Rekurs bringt er dazu nur mehr vor, dass ihm die abgelehnte Richterin einen Verhandlungstermin für Ende März 2011 in Aussicht gestellt (und nicht eingehalten) hätte. Daraus allein könnte aber keine Befangenheit der Richterin abgeleitet werden; Ungeduld des Rekurswerbers ist gleichfalls kein Ablehnungsgrund.

In der Sache beanstandet der Rekurswerber weiterhin die Formulierungen „stolzer“ Betrag und „wirtschaftlich gescheitert“. Die Formulierung „stolzer“ Betrag sei eine persönliche Wertung, die die gebotene Sachlichkeit und Distanz vermissen lasse. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht handle es sich beim Adjektiv „stolz“ um eine persönliche Einschätzung, die keinen Inhalt transportiere. Mit „wirtschaftlichem Scheitern“ nehme die Erstrichterin eine „empotional gefärbte, ebenfalls die Sachlichkeit vermissende, negative und für den Kläger beleidigende Wertung vor, im Übrigen ohne die Hintergründe der Eröffnung des Konkursverfahrens überhaupt zu hinterfragen“.

Nach Duden, Deutsches Universalwörterbuch7, das wohl als sprachwissenschaftliches Werk gelten darf, bedeutet „stolz“ im hier verwendeten Zusammenhang umgangssprachlich „(im Hinblick auf Anzahl, Menge, Ausmaß) erheblich, beträchtlich; als ziemlich hoch empfunden; beeindruckend“. Die Verwendung der Umgangssprache allein deutet aber weder auf eine „emotionale Einstellung“ noch auf mangelnde Sachlichkeit und Distanz hin. Die mit der Verwendung des Wortes „stolz“ verbundene Wertung ist nicht unsachlich und zur Prüfung, ob die weitere Prozessführung des Rekurswerbers offenbar mutwillig iSd § 63 Abs 1 ZPO ist, auch notwendig. Die Meinungen darüber, ob EUR 1,375.000,00 ein „stolzer" Betrag sind, dürften entgegen der Ansicht des Rekurswerbers bei der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung nicht sehr weit auseinandergehen.

„Scheitern“ bedeutet nach Duden, aaO, „ein angestrebtes Ziel o.Ä. nicht erreichen, keinen Erfolg haben; misslingen, missglücken, fehlschlagen“. Dieser Begriff ist weder emotional gefärbt noch beleidigend, sondern wertfrei. Da die abgelehnte Richterin, wie der Rekurswerber selbst hervorhebt, sich zu den Hintergründen des Konkursverfahrens überhaupt nicht geäußert hat, begründet auch diese beanstandete Formulierung nicht einmal den objektiven Anschein einer Befangenheit.

Der angefochtene Beschluss, auf dessen zutreffende Begründung im Übrigen verwiesen wird (§ 500a ZPO), ist damit frei von Rechtsirrtum, sodass dem Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf der oben dargestellten Rechtsprechung, nach der es im Ablehnungsverfahren keinen Kostenersatz gibt.

Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 24 Abs 2 JN kein Rechtsmittel zulässig (Klauser-Kodek16 E 17 und 20 zu § 24 JN; Mayr aaO, Rz 5 zu § 24 JN; Ballon aaO, Rz 8 zu § 24 JN; RIS-Justiz RS0098751, RS0074402).

Textnummer

EL0000133

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2011:00400R00096.11G.0609.000

Im RIS seit

29.06.2011

Zuletzt aktualisiert am

29.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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