TE OGH 2011/6/16 6Ob105/11a

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Veröffentlicht am 16.06.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. K***** S*****, 2. Dr. S***** S*****, beide vertreten durch Dr. Gerhard Mitterböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 7.500 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8. März 2011, GZ 37 R 211/10v-38, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 25. März 2010, GZ 9 C 588/07a-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 818,66 EUR (darin 136,44 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

In einer Entfernung von ca 60 m vom Haus der Kläger befindet sich ein Fußballplatz. Dort wird bereits seit den 1950er Jahren Fußball gespielt. Im Frühjahr 2003 ließ die beklagte Partei den Platz an drei Seiten mit einer ca 5 m Stahlgitterkonstruktion einzäunen, wobei es sich um ein lärmgedämpftes Gitter nach dem damaligen Stand der Technik handelt. Seit der Errichtung kam es zu einem deutlichen Anstieg der Besucherfrequenz und zu einer intensiveren Benutzung des Fußballplatzes. Jetzt wird der Platz vermehrt von älteren Jugendlichen und Erwachsenen benützt, und zwar mangels Lichtanlage bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die Liegenschaft der klagenden Parteien befindet sich im „Wohngebiet in Vororten“ wo ein Grundgeräuschpegel von 40 dB und ein energieäquivalenter Dauerschallpegel von 50 dB nicht überschritten werden soll. Durch das Anprallen des Balles gegen das Gitter sowie durch die Schreie der Spieler treten einzelne Pegelspitzen von 45 bis 57 dB auf. Der Grundgeräuschpegel im Garten der Kläger liegt ohne Geräusche vom Fußballplatz zwischen 36 und 40 dB. Wenn andere Geräusche auftreten, geht der Lärm vom Fußballplatz kurzfristig unter.

Die klagenden Parteien begehren, die Beklagte zu verpflichten, eine vom Fußballplatz ausgehende Lärmentwicklung zu unterlassen, welche das ortsübliche und zumutbare Maß übersteigt.

Das Erstgericht wies das Unterlassungsbegehren ab. Das Urteilsbegehren sei nicht ausreichend bestimmt. Außerdem sei es auch inhaltlich nicht berechtigt. Insgesamt seien auch die erst nach Errichtung des Gitterzaunes neu hinzugekommenen Ballgeräusche als noch ortsüblich einzustufen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Ortsüblichkeit sei ein dem Wandel der Zeit unterworfener Begriff. Das allgemeine Interesse am Betrieb eines Fußballplatzes dürfe ähnlich dem an einem Kinderspielplatz nicht außer Betracht gelassen werden. Auch in einem Wohngebiet bestehe ein öffentliches Interesse, frei zugängliche Sportplätze zu betreiben, um es gerade Jugendlichen zu ermöglichen, sich körperlich zu betätigen, dies auch im Hinblick auf die damit verbundene soziale Komponente.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage, ob ein in einem Wohngebiet betriebener Fußballplatz, der mit einem Gitter umzäunt ist, eine das ortsübliche und zumutbare Maß übersteigende Lärmentwicklung auslöse, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Fragen der Ortsüblichkeit betreffen regelmäßig den Einzelfall (6 Ob 85/10h).

Lärmeinwirkungen sind mittelbare Immissionen, die nur soweit, als sie das ortsübliche Ausmaß überschreiten und die ortsübliche Benützung wesentlich beeinträchtigen, untersagt werden können (7 Ob 361/97g). Der Maßstab der Wesentlichkeit der Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver, der auf die Benützung der Nachbargrundstücke abstellt und daher von der Natur und Zweckbestimmung des beeinträchtigenden Grundstücks abhängig ist.

Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet (RIS-Justiz RS0010607; RS0010557). Maßgebend sind die Lage des beeinträchtigten Grundstücks zu dem, von dem die Störung ausgeht, und die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften (RIS-Justiz RS0010678; RS0010653). Für die Ortsüblichkeit und deren Intensität können auch Ö-Normen als Anhaltspunkt dienen (RIS-Justiz RS0010678 [T5]). In der Regel hängt die Ortsüblichkeit von Immissionen in dem zu betrachtenden Raum davon ab, ob schon eine größere Anzahl von Grundstücken dieses Gebiets so genutzt wird, dass Einwirkungen von ihnen ausgehen, die den zu beurteilenden Immissionen entsprechen (RIS-Justiz RS0010653 [T17]). Flächenwidmungsplänen kommt daher nur Indizfunktion für die in dem betreffenden Raum bestehenden Verhältnisse sowohl in Bezug auf Art und Ausmaß üblicher Immissionen als auch der Grundstücksnutzung zu (zuletzt 7 Ob 192/09z). Der beeinträchtigte Grundnachbar muss im Allgemeinen eine durch die normalerweise voraussehbare Entwicklung begründete Zunahme der Einwirkungen hinnehmen, nicht aber eine schlagartige Verstärkung (RIS-Justiz RS0010672).

Neben dem Grad und der Dauer der Einwirkung und ihrer Störungseignung sind auch das Herkommen und das öffentliche Interesse wesentlich (Spielbüchler in Rummel, ABGB3 § 364 Rz 13; 7 Ob 192/09z). Allerdings kann das öffentliche Interesse dann nicht anerkannt werden, wenn die Beeinträchtigung nicht notwendig mit dem Betrieb der Anlage verbunden ist, sondern durch Schutzeinrichtungen abgestellt oder doch auf ein tragbares Maß vermindert werden kann und wenn keine ausreichende Notwendigkeit gegeben ist, die Anlage an einem Ort zu betreiben, an dem sie eine Beeinträchtigung über das nach den dort gegebenen Verhältnissen gewöhnliche Maß hinaus bewirkt (RIS-Justiz RS0010680).

Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen und den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist in der Auffassung der Vorinstanzen, dass die vom Fußballplatz ausgehenden Geräusche als ortsüblich anzusehen sind, keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits seit den 1950er Jahren auf der betreffenden Fläche Fußball gespielt wird, sodass hinsichtlich der dadurch entstehenden Geräusche, insbesondere der Schreie der Spieler, wodurch ebenfalls Pegelspitzen von bis zu 57 dB auftreten, bereits von Ortsüblichkeit auszugehen ist. Außerdem muss es im Sinne der zitierten Rechtsprechung als vorhersehbar angesehen werden, dass ein zunächst provisorisch eingerichteter Fußballplatz nach und nach durch Errichtung von Toren und in der Folge durch Errichtung von Abgrenzungen zum Schutz vorbeigehender Fußgänger ausgebaut und dadurch eine allmählich verstärkte Frequentierung bewirkt wird. Was das von den klagenden Parteien monierte Fehlen von Zwischenplättchen anlangt, ist auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens zu verweisen, wonach nicht prognostiziert werden könne, ob eine Erneuerung eine merkbare Geräuschverringerung brächte.

Entgegen der Auffassung der Revisionswerber steht die Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung 5 Ob 65/03z (SZ 2003/36). In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die von einem Tennisplatz ausgehenden Störungen nicht mit Störungen vergleichen lassen, wie sie mit der Ausübung anderer Sportarten einhergehen. Dabei verwies der Oberste Gerichtshof ausdrücklich auf vom Tennisplatz aufgewirbelten Sand. Aus dieser Entscheidung ist daher schon mangels Vergleichbarkeit des Sachverhalts für den vorliegenden Fall nichts abzuleiten.

Damit bringt die Revision aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E97706

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00105.11A.0616.000

Im RIS seit

14.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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