TE OGH 2011/7/1 1R184/11h

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Veröffentlicht am 01.07.2011
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Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht hat durch den Präsidenten Dr. Bildstein als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Kempf und Dr. Ciresa als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der Antragstellerin H*****, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die Antragsgegnerinnen 1. B*****, 2. E*****, beide vertreten durch Dr. Rainer Welte, Rechtsanwalt in Rankweil, wegen Beweissicherung, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Montafon vom 25. Mai 2011, 2 Nc 7/11p-4, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Akt wird dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, den Rekurs der Antragstellerin an den Vertreter der Antragsgegnerinnen zuzustellen und den Akt nach Einlangen der Rekursbeantwortung oder Verstreichen der hiefür offen stehenden Frist zur Entscheidung über den Rekurs wieder vorzulegen.

Text

Begründung:

Beim Bezirksgericht Montafon behängt zu 7 A 149/09p das Verlassenschaftsverfahren nach dem am 16. Dezember 2009 unter Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorbenen F*****. Dieser hinterließ seine Ehegattin, die Antragstellerin, sowie seine beiden Töchter, die Antragsgegnerinnen. In den Nachlass fällt die Liegenschaft EZ ***** Grundbuch *****, bestehend aus GST-NR ***** mit dem darauf befindlichen Wohnhaus S*****.

In der Tagsatzung vom 16. Juni 2010 haben die Antragsgegnerinnen aus dem Titel des Testamentes vom 4. August 1993 die bedingte Erbantrittserklärung je zur Hälfte, die Antragstellerin die bedingte Erbantrittserklärung zu einem Drittel des Nachlasses aus dem Titel des Gesetzes abgegeben. Beim Erstgericht behängt daher derzeit ein Verfahren zur Feststellung des Erbrechtes, da die letztwillige Verfügung unterschiedlich ausgelegt wird.

In ihrem – ursprünglich im Verlassenschaftsverfahren gestellten - Antrag vom 7. April 2011 hat die Antragstellerin gestützt auf die Bestimmung des § 384 ZPO die gerichtliche Beweissicherung durch Einholung eines Sachbefundes zum Zustand der im Gebäude S*****, eingebauten Altfenster beantragt.

Die Antragsgegnerinnen haben sich gegen diesen Antrag ausgesprochen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht den Antrag vom 7. April 2011, welchen es im streitigen Verfahren behandelte, mit der Begründung zurückgewiesen, dass gemäß § 810 Abs 1 ABGB der Erbe, der bei Antretung der Erbschaft sein Erbrecht hinreichend ausweise, das Recht habe, das Verlassenschaftsvermögen zu benützen, zu verwalten und die Verlassenschaft zu vertreten, solange das Verlassenschaftsgericht nichts anderes anordne. Treffe dies auf mehrere Personen zu, so übten sie dieses Recht gemeinsam aus, soweit sie nichts anderes vereinbarten. Amtsbestätigungen gemäß § 172 AußStrG seien bis dato nicht ausgestellt worden, weil das Erbrecht nicht hinreichend ausgewiesen sei. Keinem der Erbansprecher könne, solange im Prozess über die strittigen Erbrechte nicht rechtskräftig entschieden sei, die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen werden. Gemäß § 173 AußStrG hätte das Verlassenschaftsgericht erforderlichenfalls einen Verlassenschaftskurator zu bestellen. Deshalb sei der Beweissicherungsantrag zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der fristgerechte Rekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, die Beweissicherung zu bewilligen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Gemäß § 521a Abs 1 ZPO ist der Rekurs gegen einen Beschluss, der nicht bloß verfahrensleitend ist, nach Eintritt der Streitanhängigkeit zweiseitig. Mit der Zivilverfahrens-Novelle 2009, BGBl I 2009/30, wurde zur Stärkung des aus Art 6 Abs 1 EMRK herleitbaren Grundsatzes der Waffengleichheit das Rechtsmittelverfahren gegen Beschlüsse generell zweiseitig gestaltet, sofern es sich nicht bloß um einen „verfahrensleitenden“ Beschluss handelt. Ausgenommen von der Zweiseitigkeit sind daher nur mehr Beschlüsse, die vor Streitanhängigkeit ergehen, sowie prozessleitende (verfahrensleitende) Beschlüsse, soweit im Einzelnen nicht die Zweiseitigkeit angeordnet ist (vgl RIS-Justiz RS0098745 ua zur Rechtsprechung vor der ZVN 2009).

1.2. Prozessleitende Beschlüsse – weder das Gesetz noch die Gesetzesmaterialien geben eine Definition oder klare Abgrenzung – dienen nach der Lehre der notwendigen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens, haben also keinen Selbstzweck und vermögen auch kein vom Verfahren losgelöstes Eigenleben zu entfalten (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1590; Rechberger in Rechberger3 § 425 ZPO Rz 3; M. Bydlinski in Fasching/Konecny2 III vor §§ 425 ff ZPO Rz 10, 425 Rz 3 ua; 7 Ob 178/10t mwN; 9 Ob 23/10v).

Die Lehre unterscheidet zwischen prozessbeendenden, verfahrensgestaltenden (dazu gehört etwa die Unterbrechung oder die Zulassung einer Klageänderung) und prozessleitenden Beschlüssen im engeren Sinn (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny² Vor § 425 Rz 4 ff). Aus verfassungsrechtlicher Sicht stünde es mit Art 6 MRK in Einklang, unter „verfahrensleitenden" Entscheidungen all jene Beschlüsse zu subsumieren, die keine Sachentscheidung darstellen (vgl G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit im Rekursverfahren, ÖJZ 2004, 534 [540]). Ein derartiges Verständnis verbietet sich aber im Hinblick auf den von § 48 Abs 1 AußStrG, der die Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens vorsieht, wenn über die Sache oder die Kosten des Verfahrens entschieden wird, abweichenden Wortlaut der Neuregelung. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Neuregelungen die Zweiseitigkeit gegenüber § 521a ZPO aF erweitern wollte (G. Kodek in Zak 2009, 249 [250]; 6 Ob 201/09s).

Anders als nach der früheren Rechtslage ist der Rekurs nach § 521a ZPO nunmehr also im Regelfall zweiseitig, sofern es sich nicht bloß um einen „verfahrensleitenden“ Beschluss handelt. Damit kehrt die neue Regelung das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis um (G. Kodek, Änderungen im Rechtsmittelverfahren durch die ZVN 2009 und das Budgetbegleitgesetz 2009 – Ein Überblick Zak 2009, 249 [250]; 6 Ob 201/09s). Die „verfahrensleitende“ Entscheidung nach § 521a ZPO ist daher im Sinn des prozessleitenden Beschlusses im engeren Sinn zu verstehen, der auch sonst abweichenden Regeln unterliegt (vgl § 522 Abs 1 ZPO; siehe hiezu auch Fasching, Lehrbuch² Rz 1587 ff; M. Bydlinski in Fasching/Konecny² Vor § 425 ZPO Rz 10 ff) ).

Damit ist nach der neuen Rechtslage beispielsweise nicht nur das Rekursverfahren gegen die Zurückweisung einer Klage nach Streitanhängigkeit, sondern auch das Rekursverfahren gegen verfahrensbeendende und verfahrensgestaltende Beschlüsse, wie etwa die Unterbrechung oder die Frage der Zulässigkeit der Nebenintervention, zweiseitig (Kodek aaO; RIS-Justiz RS0125481). Auch ein Beschluss, mit dem ein Rechtmittel zurückgewiesen wird, hat verfahrensbeendende Wirkung und ist daher nicht als bloß prozessleitend zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0125481; 6 Ob 201/09s). Die Beschlussfassung über einen Berichtigungsantrag stellt ebenfalls keinen verfahrensleitenden Beschluss dar (7 Ob 204/10s).

Verfahrensleitende Beschlüsse sind, soweit nicht ihre selbständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Sache anfechtbar. Die Entscheidung über Beweisanträge ist als verfahrensleitender Beschluss anzusehen. Darunter fallen die die Stoffsammlung dienenden Aufträge und Verfügungen (RIS-Justiz RS0120910[T1], RS0120052), also beispielsweise auch ein Beschluss, mit dem ein Sachverständiger bestellt wird. Aber auch die Entscheidung, ob der Sachverständige zur Erörterung des Befundes zu laden ist, ist eine rein verfahrensrechtliche (1 Ob 116/08b).

2.1. Seiner Struktur nach ist das Beweissicherungsverfahren mit dem Verfügungsverfahren verwandt, weil beide Verfahren Sicherungsverfahren sind. Der Unterschied zur einstweiligen Verfügung besteht aber darin, dass diese die Durchsetzung eines Anspruches sichern soll, während die Beweissicherung der vorsorglichen Beweisaufnahme dient, indem (bei Sachen) der jetztige Zustand von Beweismitteln dokumentiert wird bzw Aussagen von Personen gesichert werden (Rassi in Fasching/Konecny² III § 384 Rz 3). Es ist, jedenfalls im Rahmen eines Prozesses, als vorweggenommener Teil eines kontradiktorischen streitigen Verfahrens zu qualifizieren. Das Beweissicherungsverfahrens außerhalb eines Rechtsstreites weist (auch) starke Parallellen zum Verfügungs-, aber auch zum außerstreitigen Verfahren auf (Rassi aaO Rz 4 mwN).

2.2. Der dem Beweissicherungsantrag stattgebende Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 386 Abs 4 ZPO). Es entspreche der Verfahrensökonomie, keinen weiteren Rechtszug gegen eine bewilligende Maßnahme des Gerichtes zuzulassen, weil dem Antragsgegner in dem allenfalls nachfolgenden Zivilrechtsstreit, in dem erst mit einem vermögenszuerkennenden bzw vermögenseinschränkenden Ergebnis zu rechnen sei, alle Rechtsmöglichkeiten ohnedies offenstünden. Auch durch die Kostenregelung des § 388 Abs 3 ZPO könne der Antragsgegner durch die Verfahrenskosten keinen (vermögensrechtlichen) Schaden erleiden. Mit § 386 Abs 4 ZPO habe daher der Gesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Bewilligung von Beweissicherungsmaßnahmen in höherer Instanz nicht überprüfbar ist und dass er dem Beweissicherungsgegner kein Rechtsschutzinteresse an der Abwehr einer solchen Maßnahme zuerkenne (7 Ob 120/03b). In dieser Entscheidung wird auch ausgeführt, dass die Einschränkung der zur Chancengleichheit und damit zu den Garantien des Art 6 Abs 1 MRK gehörenden Gewährleistung des rechtlichen Gehörs im Hinblick auf den bloßen Provisorialcharakter des Beweissicherungsverfahrens zu Gunsten der angestrebten Verfahrensbeschleunigung hingenommen werden müsse.

2.3. G. Kodek (Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens (Teil II) in ÖJZ 2004/37) hat noch zur alten Rechtslage aus Anlass der Entscheidung Beer gegen Österreich die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Entscheidung im Beweissicherungsverfahren „geradezu um ein Musterbeispiel einer bloßen verfahrensrechtlichen Entscheidung“ handle. Die Fairness der Beweissicherung sei lediglich im Rahmen einer Gesamtbeurteilung des Hauptverfahrens zu berücksichtigen. Die – nicht Artikel 6 MRK unterliegenden – verfahrensrechtlichen Entscheidungen dürften allerdings nicht mit bloßen prozessleitenden Entscheidungen gleichgesetzt werden, sodass Kodek – entgegen der Entscheidung 2 R 58/03x OLG Graz (= RG0000033) – von der Einseitigkeit des Rekursverfahrens im Beweissicherungsverfahren ausgegangen ist (vgl auch Klauser/Kodek ZPO16 § 384 ZPO E 16).

Das Oberlandesgericht Graz hatte argumentiert, dass der Beschluss, mit dem eine Beweissicherung angeordnet oder ein darauf zielender Antrag abgewiesen werde, nicht nur Beweisbeschluss iSd § 277 ZPO sei. Vielmehr werde damit auch (und sogar primär) über den prozessualen Anspruch auf Beweissicherung entschieden. Erwachse der Beschluss in Rechtskraft, bleibe das Gericht – im Gegensatz zu bloß prozessleitenden Verfügungen – bei gleichbleibenden Verhältnissen für die Dauer des Verfahrens daran gebunden. Durch diese Bindung des Gerichtes werde deutlich, dass die Anordnung einer Beweissicherung oder die Abweisung eines darauf zielenden Antrags nicht (nur) eine prozessleitende Verfügung darstelle. Vielmehr werde damit über einen prozessualen Rechtsschutzanspruch des Antragstellers abgesprochen. Aus diesem Grund müsse das Rekursverfahren in einem solchen Fall grundsätzlich zweiseitig sein.

Die Entscheidung über den Antrag auf Beweissicherung geht damit jedenfalls über die bloße Bestellung eines Sachverständigen hinaus, die sich als bloß verfahrensleitende Entscheidung darstellt und nicht gesondert anfechtbar ist. Im Beweissicherungsverfahren, dem nach Möglichkeit auch der potentielle Verfahrensgegner jedenfalls zur Beweisaufnahme beizuziehen und in welchem diesem der Bewilligungsbeschluss auch zuzustellen ist, handelt es sich damit um eine über die bloße Anordnung der Beweisaufnahme iSd § 291 ZPO hinausgehende Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren, an welches das Gericht im Gegensatz zu bloß prozessleitenden Verfügungen für die Dauer des Verfahrens, soweit sich die Verhältnisse nicht ändern, gebunden ist (Rassi aaO § 386 Rz 7; Rechberger in Rechberger3 § 386 ZPO Rz 3).

Mit der Begründung, dass das Rechtsmittel einen prozessualen Rechtsschutzanspruch zum Gegenstand habe, ist der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 179/08i von der Zweiseitigkeit des Revisionsrekursverfahrens über einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ausgegangen. Nach der nunmehrigen Rechtsprechung sind im Regelfall und jedenfalls immer dann, wenn sich ein Gericht für die Zweiseitigkeit des Sicherungsverfahrens (durch Einräumung einer schriftlichen Äußerungsmöglichkeit an die Gegenseite oder Anberaumung einer mündlichen Verhandlung) entschieden hat, die Garantien des Art 6 Abs 1 EMRK auch im Provisorialverfahren voll anwendbar (17 Ob 11/10g mwN; ähnlich bereits 1 Ob 61/10t in einem Verfahren nach § 382b EO).

Gerade der Umstand, dass im hier zu beurteilenden Fall eines selbständigen Beweissicherungsverfahrens die Antragsabweisung einer Verweigerung der Verfahrenseinleitung gleichkommt, spricht dagegen, dass es sich bei der Entscheidung über den verfahrenseinleitenden Antrag lediglich um einen bloß „verfahrensleitenden“ Beschluss handeln soll. Unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage zu § 521a ZPO ist somit kein Grund (mehr) gegeben, die Entscheidung über die (Abweisung des Antrages auf Bewilligung der) Beweissicherung, bei welcher ein Rechtsschutzbedürfnis der antragstellende Partei an der Sicherung der Beweislage besteht, als rein „verfahrensleitend“ einzustufen und daher weiterhin von der Einseitigkeit des Rekursverfahrens auszugehen, zumal das (erstinstanzliche) Beweissicherungsverfahren selbst grundsätzlich zweiseitig ist (Rassi aaO § 388 Rz 6) und hier in erster Instanz auch zweiseitig geführt wurde.

Das Erstgericht wird daher in dem im Spruch dargestellten Sinn zu verfahren haben.

Textnummer

EFE0100003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00929:2011:00100R00184.11H.0701.000

Im RIS seit

04.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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