TE OGH 2011/7/18 6Ob120/11g

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Veröffentlicht am 18.07.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei ***** N***** M*****, vertreten durch Dr. Christian Widl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei W***** M*****, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred Buchmüller GmbH in Altenmarkt, wegen 360.125,38 EUR, über den Rekurs der klagenden und widerbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. April 2011, GZ 4 R 11/11g-17, womit das über die Widerklage zu AZ 7 Cg 248/09w ergangene Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. November 2010, GZ 7 Cg 248/09w-12, samt dem diesem Urteil vorangegangenen Verfahren als nichtig aufgehoben wurde, das im wiederaufgenommenen Verfahren AZ 7 Cg 204/07x des Landesgerichts Salzburg ergangene Urteil aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.835,90 EUR (darin 472,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Wiederaufnahmsklägerin ist die Tante des Beklagten. Die Mutter des Beklagten ist bereits verstorben.

Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 249.150,88 EUR sA. Der Beklagte macht mit Widerklage einen Pflichtteilanspruch nach der Verlassenschaft seines Großvaters und Vaters der Klägerin in Höhe von 360.125,38 EUR sA geltend. Beide Verfahren wurden zur gemeinsamen Verfahrensführung verbunden. Über das Begehren der Klägerin erging ein Teil- und Zwischenurteil, mit welchem ihr unter Abweisung des Mehrbegehrens 176.478,05 EUR zugesprochen wurden. Mit Zwischenurteil wurde ausgesprochen, dass das Widerklagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Mit ihrer Wiederaufnahmsklage begehrt die Klägerin nunmehr die Aufhebung dieses Zwischenurteils. Ihr sei erst am 19. 11. 2009 zur Kenntnis gelangt, dass die Mutter des Beklagten für sich und ihre Nachkommen einen Pflichtteilsverzicht abgegeben habe.

Das Erstgericht gab der Wiederaufnahmsklage statt und hob das Zwischenurteil auf. Das wiederaufgenommene Widerklagebegehren wies das Erstgericht ab.

Dabei ging das Erstgericht im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus: Die Mutter des Beklagten schloss mit ihren Eltern am 1. 7. 1988 einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag, in dem sie für sich und ihre Nachkommen auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen verzichtete. Im Verlassenschaftsverfahren nach dem Vater der Klägerin und Großvater des Beklagten, K***** M***** M*****, an dem auch die Klägerin beteiligt war, schaffte der Gerichtskommissär diesen Pflichtteilsverzichtsvertrag zwar bei, jedoch war ein Pflichtteilsanspruch der Mutter des Beklagten in diesem Verfahren kein Thema. Erst das fortgesetzte Verfahren über die Höhe des Widerklagebegehrens nahm der Klagevertreter zum Anlass, zur allfälligen Existenz des Pflichtteilsverzichtsvertrags zu recherchieren.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass die Wiederaufnahmsklage weder verfristet sei noch die Klägerin ein Verschulden an der Unkenntnis des Pflichtteilsverzichtsvertrags treffe.

Das Berufungsgericht hob das Urteil sowie das über die Widerklage im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück.

Der Verlassenschaftsakt sei in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 12. 7. 2007 erörtert und dem Akt beigeschlossen worden. Dies ergebe sich aus dem Protokoll, das vollen Beweis über den Verlauf und den Inhalt dieser Tagsatzung liefere. Die Urkunde über den Pflichtteilsverzichtsvertrag, auf die sich die Klägerin nunmehr stütze, wäre daher spätestens ab 12. 7. 2007 benützbar gewesen, weshalb die Wiederaufnahmsklage auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt sei. Schon benützbare Beweismittel dürften nicht einem Wiederaufnahmeverfahren vorbehalten werden. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, dass sie oder ihr bevollmächtigter Vertreter in diesen Akt nicht Einsicht genommen hätten. Es sei daher auch von ihrem Verschulden auszugehen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der klagenden Partei.

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Gegen die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage durch das Berufungsgericht ist analog § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs unabhängig vom Streitwert und vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (Jelinek in Fasching/Konecny2 § 543 ZPO Rz 8; 8 Ob 607/86; RIS-Justiz RS0043836). Das Rekursverfahren ist zweiseitig (RIS-Justiz RS0098745 [T21]).

1.2. Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Wiederaufnahmsklage, über die das Erstgericht mit Urteil entschieden hat, auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt ist, so hat es aus Anlass der Berufung das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage mit Beschluss zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0044681, RS0111401, RS011400).

2. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

3.1. Der Plichtteilsverzichtsvertrag war in dem Verlassenschaftsakt enthalten, der dem Akt des wiederaufzunehmenden Verfahrens angeschlossen war. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausführte, wurde dieser Akt im Zuge der Tagsatzung vom 12. 7. 2007 erörtert und war seitdem dem Akt des wiederaufzunehmenden Verfahrens angeschlossen.

3.2. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Formulierung im Protokoll, wonach der Akt „als erörtert gilt“ dahin zu verstehen ist, dass eine tatsächliche Verlesung stattgefunden hat. Jedenfalls war der Verlassenschaftsakt dem Verfahrensakt angeschlossen; damit war der Pflichtteilsverzichtsvertrag für die Klägerin zumindest benützbar. Schon benützbare Beweismittel dürfen aber nicht einem späteren Wiederaufnahmsverfahren vorbehalten werden (RIS-Justiz RS0117483). Vielmehr hätte der Pflichtteilsverzichtsvertrag bereits im Hauptverfahren als Beweismittel angeboten werden können.

3.3. Jedenfalls bedeutet die Formulierung, dass der Akt als erörtert gelte, dass die Parteien auf eine Verlesung, soferne eine solche nicht stattgefunden haben sollte, verzichteten. Damit wurde aber der Verlassenschaftsakt jedenfalls zum berücksichtigenden Verhandlungsstoff; darauf, ob die Parteien tatsächlich Kenntnis vom gesamten Akteninhalt der Beiakten hatten oder nicht, kommt es dabei nicht an. Durch die zitierte Formulierung wird jedenfalls in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass die Parteien - unabhängig davon, ob eine wörtliche Verlesung stattfindet - damit einverstanden waren, als wäre eine entsprechende Erörterung erfolgt.

4.1. Damit ist aber davon auszugehen, dass die klagende Partei spätestens ab 12. 7. 2007 Kenntnis von der Existenz des Pflichtteilsverzichts hatte.

4.2. Damit erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aber als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Entscheidung des Berufungsgerichts im Kostenpunkt ist mangels Erwähnung in § 519 ZPO jedenfalls unanfechtbar (RIS-Justiz RS0075211). Die in § 528 ZPO zugrunde liegende Wertung gilt auch für Beschlüsse des Berufungsgerichts; demnach dürfen Kostenfragen überhaupt nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS-Justiz RS0043889). Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die klagende Partei nach dem Gesagten ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Vorlage des Pflichtteilsverzichtsvertrags im Hauptverfahren trifft, sodass das Berufungsgericht zu Recht die Klägerin zum Kostenersatz nach § 51 Abs 1 ZPO verhielt.

Textnummer

E97918

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00120.11G.0718.000

Im RIS seit

17.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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