TE OGH 2011/8/24 3Ob103/11k

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Veröffentlicht am 24.08.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Helmut Schmid, Rechtsanwalt, in Graz, Kalchberggasse 6-8, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Dr. M*****, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Feststellung (Streitwert 8.564,54 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. März 2011, GZ 2 R 34/11d-11, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Dezember 2010, GZ 15 Cg 156/10d-7, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 124,07 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen des Arztes Dr. M***** (in der Folge immer: Schuldner) wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. März 2009 Konkurs eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt.

Am 14. Mai 2009 fasste das Konkursgericht den Beschluss auf Unternehmensfortführung auf unbestimmte Zeit.

Das Finanzamt ***** setzte mit an den Kläger als Masseverwalter im Konkurs des Schuldners adressiertem Bescheid vom 10. März 2010 die Einkommensteuer für das Jahr 2009 rechtskräftig mit 91.337,82 EUR fest und ermittelte unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen von 5.106 EUR die Abgabennachforderung mit 86.231,82 EUR.

Diesem Bescheid liegt ein im Auftrag des Masseverwalters erstellter Jahresabschluss für den Zeitraum 1. Jänner 2009 bis 31. Dezember 2009, enthaltend unter anderem die Einkommensteuererklärung, zu Grunde. Eine vom Kläger erstellte Einkommensteuerberechnung für das gesamte Jahr 2009 (./D) weist eine Gesamtsteuerschuld von 91.889,60 EUR (anstelle der vom Finanzamt ermittelten 91.337,82 EUR) und unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen von 5.106 EUR eine Nachforderung von 86.783,60 EUR aus. Eine ebenfalls vom Kläger erstellte Einkommensteuerberechnung für den Zeitraum ab Konkurseröffnung (19. März bis 31. Dezember 2009) ergibt eine auf diesen Zeitraum entfallende Einkommensteuer von 73.852,10 EUR abzüglich der (offenbar in den maßgeblichen Quartalen) entrichteten Vorauszahlungen von 3.830 EUR, somit eine Abgabennachforderung von 70.022,10 EUR (./C). Für den Zeitraum ab 1. Jänner 2009 bis Konkurseröffnung ermittelte der Kläger Einkünfte des Schuldners von 36.513 EUR und - unter Berücksichtigung der für das erste Quartal 2009 geleisteten Vorauszahlung von 1.276 EUR - eine Nachzahlung von 8.564,54 EUR (./B).

Der Kläger überwies am 9. April 2010 77.667,28 EUR als von ihm anerkannte Masseforderung für die auf 19. März 2009 bis 31. Dezember 2009 entfallende Einkommensteuer an das Finanzamt. Im Umfang der Differenz zwischen diesem Betrag und der vom Finanzamt festgesetzten Einkommensteuernachforderung für 2009 von 86.231,82 EUR, also im Umfang von 8.564,56 EUR, steht der Kläger auf dem Standpunkt, es liege eine Konkurs- und keine Masseforderung vor.

Er begehrt daher mit der am 21. Juli 2010 beim Erstgericht eingelangten Klage die Feststellung, dass die geltend gemachte Masseforderung - und zwar die Einkommensteuer des Schuldners für den Zeitraum vom 1. Jänner 2009 bis 18. März 2009 (vom Masseverwalter mit 8.564,54 EUR unter Berücksichtigung der Vorauszahlung beziffert) - im Konkursverfahren keine Masseforderung iSd § 46 KO darstelle.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung komme es für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Abgabenforderungen nicht auf das Entstehen oder die Fälligkeit der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlichen Sachverhalts an; vielmehr sei die Verwirklichung des Sachverhalts selbst maßgeblich. Demgegenüber stehe die Abgabenbehörde auf dem Standpunkt, dass die gesamte Einkommensteuerschuld für das Jahr 2009 als Masseforderung zu qualifizieren sei. Der Kläger als Masseverwalter habe ein dringendes rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Nur wenn klar festgestellt werde, dass die Einkommensteuer für den Zeitraum zwischen dem 1. Jänner und dem 18. März 2009 eine Konkursforderung darstelle, könne der Masseverwalter im anhängigen Insolvenzverfahren den Massestand ordnungsgemäß und richtig berichten. Die Feststellung, ob die von der beklagten Partei geltend gemachte Abgabenforderung Konkurs- oder Masseforderung sei, falle in die Kompetenz des Konkursgerichts.

Die beklagte Partei stellte das Tatsachenvorbringen des Klägers zur Gänze außer Streit und wendet ein, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs der Abgabenanspruch bei der Einkommensteuer mit Ablauf des Kalenderjahres entstehe, soweit er nicht im Wege von Vorauszahlungen schon früher entstanden sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in Kenntnis der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs an dieser Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten, weil einzelne aus einer Mehrzahl von Geschäftsvorfällen herausgelöste Geschehnisse in Wahrheit keine Abgabepflicht auf dem Gebiet der Einkommensteuer auslösen könnten. Maßgeblich sei vielmehr die Gesamtheit aller in einer Besteuerungsperiode angefallenen steuerlich relevanten Ergebnisse. Die vom Kläger gewünschte, am Geschehensablauf orientierte Zuordnung einzelner Besteuerungskomponenten zu Zeiträumen vor und nach Konkurseröffnung sei in der Regel gar nicht möglich. Überdies gehe auch der Oberste Gerichtshof davon aus, dass es bei der Einordnung einer Abgabenforderung als Masseforderung zu bleiben habe, wenn der Gesetzgeber die Forderung des Abgabengläubigers so fasse, dass dies eine Vorverlagerung des die Abgabepflicht auslösenden relevanten Sachverhalts auf einen Zeitpunkt vor Konkurseröffnung nicht zulasse. Die vom Kläger vorgenommene Aufteilung der Einkommensteuerschuld in den Zeitraum vor und nach Konkurseröffnung bewirke ein unrichtiges steuerliches Ergebnis; insbesondere deswegen, weil das aufgrund der Kürze des Zeitraums erheblich geringere Einkommen des Schuldners für den Zeitraum 1. Jänner bis 18. März 2009 auch zu einem geringeren Durchschnittssteuersatz führe. Dem Einkommensteuergesetz (EStG) sei ein abweichendes Wirtschaftsjahr bei Einnahmen-Ausgaben-Rechnern wie dem Schuldner unbekannt.

Im Übrigen bestritt die beklagte Partei das rechtliche Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung. Gemäß § 116 Abs 1 BAO seien die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach eigener Anschauung zu beurteilen. Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden würden, seien nur insoweit bindend, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen sei, bei der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen vorzugehen sei. Eine derartige Vorfrage stelle die Qualifikation einer Abgabenforderung als Masse- oder Konkursforderung dar. Da das Finanzamt an die Entscheidung der Gerichte nicht gebunden sei, fehle dem Kläger ein rechtliches Interesse.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es vertrat die Auffassung, dass unter Masseforderungen iSd § 46 Abs 1 Z 2 KO nur jene Abgaben zu subsumieren seien, bei welchen der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht worden sei. Für die insolvenzrechtliche Einordnung einer Steuerforderung seien ausschließlich insolvenzrechtliche Prinzipien heranzuziehen. Maßgeblich sei, ob der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt vor oder nach Konkurseröffnung verwirklicht worden sei. Ausgehend von diesen Beurteilungskriterien sei daher die im Jahr der Konkurseröffnung insgesamt anfallende Einkommensteuer nach zu besteuernden Sachverhalten aufzugliedern. Nur jene Steuer, die auf zwischen Konkurseröffnung und Konkursaufhebung verwirklichte Sachverhalte entfalle, begründe eine Masseforderung. Dagegen spreche nicht, dass eine solche Trennung naturgemäß Einfluss auf die Berechnung der Abgabenschuld haben könne, da eine solche Trennung - außerhalb einer insolvenzrechtlichen Problematik - ebenso mit dem Ende eines jeden Kalenderjahres stattfinde. Auch im Bereich des EStG könne im Übrigen in Einzelfällen eine Steuerberechnung auch für vom Kalenderjahr abweichende Zeiträume erfolgen.

Über den Charakter von Forderungen iSd § 46 KO habe stets das Gericht zu entscheiden. Es seien daher die vom Obersten Gerichtshof zu dieser Frage entwickelten Grundsätze, nicht aber diejenigen des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblich. Die sich für den Zeitraum vor Konkurseröffnung ergebende Einkommensteuer stelle keine Masseforderung dar. Aufgrund der zwischen den Parteien bestehenden Uneinigkeit sei das rechtliche Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung zu bejahen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der beklagten Partei erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle, ob, allenfalls wie, die Einkommensteuer eines Kalenderjahres auf Zeiträume vor und nach Konkurseröffnung aufzuteilen sei.

Inhaltlich billigte das Berufungsgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Ergänzend führte es an, dass der Kläger ohnedies beachtet habe, dass sich die Gesamtsteuer durch die Aufteilung der Steuerschuld in eine Konkurs- und eine Masseforderung nicht ändern dürfe. Er habe die Differenz zur Gänze als Masseforderung anerkannt und bezahlt. Es bestehe daher kein Anlass, etwa durch amtswegige Beiziehung eines Sachverständigen, die Aufteilung exakter zu ermitteln, zumal die beklagte Partei in Kenntnis der Problematik ausdrücklich erklärt habe, die Berechnungen des Klägers nicht substantiiert zu bestreiten.

Gegen das Berufungsurteil wendet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung.

In der Revision wiederholt die beklagte Partei ihren Standpunkt, dass es dem Kläger an einem rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung mangle. Im Übrigen vertritt die Revision die Auffassung, dass selbst unter Zugrundelegung der prinzipiellen Richtigkeit des vom Obersten Gerichtshof vertretenen Standpunkts zur Qualifikation von Abgabenforderungen im Anlassfall das Klagebegehren schon deshalb unberechtigt sei, weil auch der Oberste Gerichtshof ausdrücklich anerkannt habe, dass es bei der Einordnung einer Abgabenforderung als Masseforderung zu bleiben habe, wenn der Gesetzgeber die Forderung des Abgabengläubigers so fasse, dass dies eine Vorverlegung des die Abgabepflicht auslösenden relevanten Sachverhalts auf einen Zeitpunkt vor Konkurseröffnung nicht zulasse. Genau das sei der Fall, weil die Abgabengesetze kein „abweichendes Wirtschaftsjahr“ für den Fall der Konkurseröffnung vorsähen. § 46 KO könne die Abgabengesetze nicht ändern. Die Aufteilung der Bemessungsgrundlage auf Zeiträume vor und nach Konkurseröffnung sei praktisch unmöglich und führe überdies aufgrund der Progressionsproblematik zu einem unrichtigen steuerlichen Ergebnis.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung ist das Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen:

1.1 Ob eine Forderung Masseforderung ist, hat - als Hauptfrage - ausschließlich das Gericht nach Maßgabe der Bestimmungen des Insolvenzrechts zu entscheiden (RIS-Justiz RS0064683; 8 Ob 155/03g).

1.2 Dieser Grundsatz gilt nach völlig herrschender Auffassung auch für die insolvenzrechtliche Einordnung von Abgabenforderungen (Riel, Die konkursrechtliche Behandlung von Einkommensteuerforderungen, RdW 1994, 304 [305]; Engelhart in Konecny/Schubert § 46 KO Rz 5; Achatz/Kofler in Buchegger, InsR 1. Zusatzband Insolvenz und Steuern II [2009] Rz 17; VwGH 90/16/0205; 8 Ob 14/93; 8 Ob 92/02s SZ 2002/162 ua).

1.3 Im Abgabenverfahren ist hingegen über Bestand und Höhe der Steuerpflicht zu entscheiden (Engelhart in Konecny/Schubert § 46 KO Rz 8 mwN; Riel, RdW 1994, 304).

1.4 Dem Masseverwalter wird nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0064644; 8 Ob 155/03g) ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung zugebilligt, dass eine als Masseforderung geltend gemachte Forderung nicht zu den nach § 46 KO vorrangig zu befriedigenden Ansprüchen gehört. Auch gegen die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage bestehen keine Bedenken (RIS-Justiz RS0039109; vgl auch 8 Ob 155/03g).

1.5 Der Hinweis der beklagten Partei auf § 116 Abs 2 BAO steht der Bejahung des rechtlichen Interesses des Klägers nicht entgegen: Zwar regelt § 116 Abs 2 zweiter Satz BAO, dass eine Bindung (der Abgabenbehörde an Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden) nur insoweit besteht, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen vorzugehen war. Ob diese Bestimmung, die verhindern soll, dass Abgabenbehörden durch Gerichtsentscheidungen präjudiziert werden, die auf parteiendispositiver „formeller Wahrheit“ beruhen (Ritz, Bundesabgabenordnung³ [2005] § 116 Rz 6), hier überhaupt anzuwenden ist, berücksichtigt man, dass dem Gericht in Ansehung des Bestandes und der Höhe der Abgabenforderung ohnedies keine Entscheidungskompetenz (vgl 1.3) zukommt, es vielmehr unter Zugrundelegung des im Abgabenverfahren zu ermittelnden Sachverhalts ausschließlich über die Rechtsfrage der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Abgabenforderung zu entscheiden hat, bedarf deshalb keiner näheren Auseinandersetzung, weil der Verwaltungsgerichtshof jedenfalls grundsätzlich die ausschließliche Entscheidungskompetenz des Insolvenzgerichts anerkennt (VwGH 90/16/0205).

2. Der im Anlassfall noch anwendbare (§ 273 Abs 1 IO idF BGBl I 29/2010) § 46 Abs 1 Z 2 KO legt fest, dass alle Auslagen, die mit der Erhaltung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Masse verbunden sind, einschließlich der Forderungen von Fonds und anderen gemeinsamen Einrichtungen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, sofern deren Leistungen Arbeitnehmern als Entgelt oder gleich diesem zu Gute kommen, sowie der die Masse treffenden Steuern, Gebühren, Zölle, Beiträge zur Sozialversicherung und anderen öffentlichen Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird, Masseforderungen begründen.

2.1 Gemäß § 2 Abs 1 EStG ist der Einkommensteuer das Einkommen zugrunde zu legen, dass der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat. Als Einkommen definiert § 2 Abs 2 EStG den Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Abs 3 aufgezählten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen sowie bestimmter Freibeträge.

2.2 Gemäß § 4 Abs 2 lit a Z 2 BAO entsteht der Abgabenanspruch, soweit er nicht durch Vorauszahlung entstanden ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird oder wenn die Abgabepflicht im Laufe eines Veranlagungszeitraums erlischt, mit dem Zeitpunkt des Erlöschens. Für die Vorauszahlungen bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer entsteht der Abgabenanspruch gemäß § 4 Abs 2 lit a Z 1 BAO mit Beginn des Kalendervierteljahres, für das die Vorauszahlungen zu entrichten sind, oder mit der Begründung der Abgabepflicht, wenn diese erst im Lauf des Kalenderjahres begründet wird.

2.3 Aus der seit dem IRÄG 1982 in Geltung stehenden Formulierung in § 46 Abs 1 Z 2 KO ist abzuleiten, dass es nicht auf die Fälligkeit oder das Entstehen der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlich relevanten Sachverhalts ankommt; somit eine formale Anknüpfung an § 4 BAO nicht stattzufinden hat (8 Ob 14/93 mwH auf die Materialien zum IRÄG 1982; insoweit zustimmend Riel, RdW 1994, 304 [305]).

2.4 Unter Berufung auf § 4 BAO und darauf, dass sich die einzelnen Geschäftsvorfälle, die letztlich in ihrer Gesamtheit der Einkommensteuerbemessung zu Grunde zu legen sind, weder theoretisch noch praktisch als Einzelgeschehnisse erfassen ließen, die sich zur Gänze entweder vor oder nach Konkurseröffnung ereignen, setzt jedoch der Verwaltungsgerichtshof den Zeitpunkt der Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts gemäß § 46 Abs 1 Z 2 KO mit jenem der Entstehung des Abgabenanspruchs iSd § 4 Abs 2 BAO gleich (VwGH 91/13/0259; VwGH 85/13/0058 weitere Nachweise bei Achatz/Kofler in Buchegger II Rz 17 Fn 134).

2.5 Im Gegensatz dazu vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0064620; 8 Ob 2244/96z SZ 70/252; zuletzt 3 Ob 173/08z) die Auffassung, dass für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Abgabenforderungen nicht das Entstehen der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlich relevanten Sachverhalts, sondern die Verwirklichung dieses Sachverhalts selbst maßgeblich ist. Auf die Fälligkeit kommt es nicht an.

2.6 Diese Auffassung wird von der herrschenden Lehre gebilligt (Gessler, Steuern bei Konkurs und Ausgleich [1990] 81 ff; Riel, RdW 1994, 304 [305 f]; Oberhammer, Einkommensteuer für Spekulationsgeschäfte, ecolex 1995, 6; Kofler/Kristen, Insolvenz und Steuern² [2000] 19 ff; Engelhart in Konecny/Schubert § 46 KO Rz 99; ebenso grundsätzlich Achatz/Kofler in Buchegger II Rz 18 f wegen der Progressionsproblematik mit tw Kritik an einer ausschließlich einzelsachverhaltsbezogenen Auslegung des § 46 KO).

2.7 An der Auffassung, dass für die insolvenzrechtliche Qualifikation nicht das Entstehen der Steuerschuld, sondern die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts maßgeblich ist, ist auch für die hier zu beurteilende Frage der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Einkommensteuer für das Jahr der Verfahrenseröffnung festzuhalten:

2.7.1 Dieses Ergebnis entspricht zunächst den erklärten Intentionen des Gesetzgebers des IRÄG 1982 (vgl 8 Ob 14/93), die auch im Gesetzestext („wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird“) Niederschlag finden.

2.7.2 Die gegenteilige Auffassung führt dazu, dass die veranlagte Einkommensteuer des Konkurseröffnungsjahres - vernachlässigt man zunächst die Einkommensteuervorauszahlungen - unabhängig vom Datum der Konkurseröffnung stets nur Masseforderung sein kann. Erfolgt beispielsweise die Konkurseröffnung am 31. Dezember, ist die Einkommensteuer für das Jahr 2009 Masseforderung. Wird hingegen der Konkurs am 2. Jänner des Folgejahres eröffnet, wäre nach dieser Betrachtungsweise die gesamte Einkommensteuer für das Jahr 2009 Konkursforderung. Es liegt auf der Hand, dass das bloße Abstellen auf den Zeitpunkt der Jahresgewinnermittlung zu wenig sachgerechten und mit den Prinzipien des Insolvenzrechts nicht in Einklang zu bringenden Ergebnissen führt (Kofler/Kristen, Insolvenz und Steuern² 19 f).

2.7.3 Diesem grundsätzlichen Ergebnis steht auch die vom Verwaltungsgerichtshof in seiner gegenteiligen Rechtsprechung hervorgehobene Zuordnungsproblematik nicht entgegen: Die vom Abgabengesetzgeber angeordnete Zuordnung steuerrechtlich relevanter Geschäftsvorfälle zu einem Kalenderjahr kann zu eben den vom Verwaltungsgerichtshof aufgezeigten Abgrenzungsproblemen führen wie die Trennung der Geschäftsvorfälle während des Konkurseröffnungsjahres. Es liegt kein konkursspezifisches, sondern ein jeder zeitraumbezogenen Abgabenfestsetzung immanentes Problem vor. Ist es möglich, die Geschäftsvorfälle eines Kalenderjahres - den Abgabenvorschriften entsprechend - von jenen des folgenden oder vorangegangenen Kalenderjahres zu trennen, gilt dies grundsätzlich ebenso für die Trennung von Geschäftsvorfällen innerhalb eines Kalenderjahres. Allenfalls dennoch auftretende Zuordnungsprobleme (vgl 3.) müssen dabei in Kauf genommen und einer möglichst sachgerechten Lösung zugeführt werden; sie rechtfertigen jedoch keine Vorgangsweise, die entgegen § 46 Abs 1 Z 2 KO die insolvenzrechtliche Qualifikation der Abgabenforderung nur nach dem formalen Anknüpfungspunkt des Entstehens der Steuerschuld ohne Rücksicht darauf vornimmt, wann sich der für das Entstehen der Steuerschuld maßgebliche Sachverhalt verwirklicht hat.

2.7.4 Die in der Revision hervorgehobene Progressionsproblematik stellt ebenfalls kein grundsätzliches Hindernis dar, sie ist nur bei Ermittlung der Zuordnungskriterien (vgl dazu 3.) zu berücksichtigen.

2.8 Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof davon ausgeht, dass es bei der Einordnung einer Abgabenforderung als Masseforderung zu bleiben hat, wenn der Gesetzgeber die Forderung des Abgabengläubigers so fasst, dass diese eine Vorverlagerung des die Abgabepflicht auslösenden relevanten Sachverhalts auf einen Zeitpunkt vor Konkurseröffnung nicht zulässt (8 Ob 10/98y; 8 Ob 92/02s).

2.8.1 Um eine solche Vorverlagerung geht es hier aber nicht. Der Grundsatz ist daher nicht anzuwenden:

Gemeint sind abgabenrechtliche Regelungen, die für das Entstehen der Steuerschuld die Verwirklichung eines (weiteren) Sachverhaltsmerkmals fordern, ohne das der Steuertatbestand an sich nicht erfüllt ist (zB Ausscheiden des Schuldners als Mitunternehmer als gemäß § 24 Abs 2 letzter Satz EStG maßgeblicher abgabenrechtlicher Sachverhalt - 8 Ob 92/02s; erst Nutzungsänderung löste steuerbaren NoVAvorgang aus - 8 Ob 10/98y).

2.8.2 Davon ist der Anlassfall zu unterscheiden:

§ 4 BAO stellt lediglich auf das Entstehen des Abgabenanspruchs an sich ab, während der relevante Sachverhalt, bereits davor, nämlich durch den erzielten Gewinn (§ 2 Abs 4 Z 1 iVm § 2 Abs 3 Z 2 EStG), verwirklicht wurde.

3. Ausgehend davon, dass aus den dargelegten Gründen eine Aufteilung der Einkommensteuerschuld in eine Konkurs- und Masseforderung bei unterjährig eröffnetem Konkurs erforderlich ist, bedarf es einer Auseinandersetzung damit, wie diese Aufteilung zu erfolgen hat.

3.1 Jene Methode, von der der Kläger offenbar zunächst ausging, wie seine „gesplitteten“ Einkommensteuerberechnungen für den Zeitraum bis zur Konkurseröffnung und für den Zeitraum ab Konkurseröffnung zeigen, nämlich ein Endenlassen des Besteuerungszeitraums mit der Konkurseröffnung und eine daraus resultierende Aufspaltung des Wirtschaftsjahres in zwei Veranlagungszeiträume, findet im geltenden Recht keine Deckung und würde insbesondere im Hinblick auf die Progressionsproblematik zu keinem sachgerechten Ergebnis führen (Achatz/Kofler in Buchegger, II Rz 19; Kofler/Kristen, Insolvenz und Steuern² 22 f).

3.2 Auch die Fachgruppe für Insolvenzrecht der österreichischen Richtervereinigung, die sich mit den praktischen steuerrechtlichen Problemen an der Schnittstelle zwischen Insolvenz- und Steuerrecht befasste, strebt de lege ferenda keine gesetzlich vorgesehene Teilung des Besteuerungszeitraums an, sondern fordert „eine Aufteilung nach den im Einzelfall gerechten und plausiblen Maßstäben, die der nachprüfenden Kontrolle durch das Konkursgericht unterliegt“ (Zur Reform des Insolvenzsteuerrechts - Von der Praxis für die Praxis, ÖStZ 2002/292, 184 [187]).

3.3 Die Progressionsproblematik wird dadurch vermieden, dass die Gesamtjahressteuerschuld aliquot nach dem Verhältnis der Bemessungsgrundlage für Konkursforderungen (Einnahmen, die vor Konkurseröffnung erzielt wurden abzüglich der Ausgaben dieses Zeitraums) zur Bemessungsgrundlage für Masseforderungen (erzielte Gewinne ab Konkurseröffnung) aufgeteilt wird (Engelhart in Kanduth-Kristen/Treer, Insolvenz und Steuern, SWK 2006, 71; Achatz/Kofler in Buchegger II Rz 19).

3.4 Die mit Beginn des jeweiligen Kalendervierteljahres (§ 4 Abs 2 lit a Z 1 BAO) entstehenden Einkommensteuervorauszahlungen sind insolvenzrechtlich den Abgabenforderungen mit derselben insolvenzrechtlichen Qualifikation gegenüberzustellen. Die Vorauszahlungen sind daher mit dem Teil der Einkommensteuerschuld zu verrechnen, der zur selben Vermögensmasse gehört, aus der die Vorauszahlungen entrichtet wurden (Kofler/Kristen, Insolvenz und Steuern² 31 mit Berechnungsbeispielen; Engelhart, SWK 2006, 74; Achatz/Kofler in Buchegger II Rz 23 f; Bertl/Fraberger in Petsch/Bertl/Reckenzaun/Isola, Praxishandbuch Konkursabwicklung² 256).

3.5 Entgegen seiner ursprünglichen Berechnungsmethode ist der Kläger, dem im Abgabenverfahren die Stellung des gesetzlichen Vertreters des Schuldners zukommt (VwGH 2006/14/0065 ÖstZB 2008/356, 456), letztlich diesen Vorgaben gefolgt. Unter Anerkennung der - im Übrigen rechtskräftig festgesetzten - Gesamtsteuerschuld für das Kalenderjahr 2009 entrichtete er nach den Ergebnissen der erzielten Gewinne im Zeitraum bis zur Konkurseröffnung und im Zeitraum ab Konkurseröffnung den diesen Parametern proportional entsprechenden Teil der auf den Zeitraum ab Konkurseröffnung entfallenden Jahressteuer zur Gänze; somit unter Anerkennung als Masseforderung.

3.6 Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf verwiesen, dass die beklagte Partei die Berechnung des Klägers nicht in Zweifel gezogen hat. Sie verweist lediglich auf die bestehende Progressionsproblematik, lässt dabei aber außer Acht, dass der Kläger ohnedies entgegen seiner ursprünglichen Berechnung die Ermittlung der Gesamteinkommensteuer für das Jahr 2009 auf Basis der Gesamtbemessungsgrundlage des Jahres 2009 akzeptiert hat.

3.7 Besondere Zuordnungsprobleme - etwa die Frage der ertragsteuerrechtlichen Behandlung der Aufdeckung stiller Reserven, von Sonderausgaben oder die Frage, ob die konkursrechtliche Einstufung einer Abgabe auch davon abhängt, ob ein Zufluss liquider Mittel oder vergleichbarer vermögenswerter Rechte in die Masse erfolgte (vgl 8 Ob 92/02s; dazu Fraberger, Revolutioniert der OGH die konkursrechtliche Einstufung von Abgaben? RWZ 2003/55, 201; kritisch Kristen, OGH zur Einkommensteuer als Masseforderung oder konkursfreie Forderung: Irrweg oder Leitlinie für die Zukunft? ZIK 2003/55, 38) - sind hier nicht ersichtlich: Die Revision verweist nur allgemein auf die „Zuordnungsproblematik“, ohne zu behaupten, dass die vom Kläger vorgenommene Aufteilung - die auf den bis zur Konkurseröffnung und den danach erzielten Gewinn abstellt - zu einem unsachgerechten Ergebnis führt. Ein näheres Eingehen auf mögliche Zuordnungsmethoden - Zuordnung auf Basis des Tragfähigkeits- oder auf Basis des Verursachungsgedankens (vgl dazu Kofler/Kristen, Insolvenz und Steuern² 22 ff) - erübrigt sich daher.

4. Der unberechtigten Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E98278

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00103.11K.0824.000

Im RIS seit

22.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

13.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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