TE AsylGH Erkenntnis 2011/04/12 E2 262628-0/2008

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Veröffentlicht am 12.04.2011
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Spruch

E2 262628-0/2008/26E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. HUBER-HUBER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. FAHRNER als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.07.2004, Zl. 05 08.888-East-Ost, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2011 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 Abs 1 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 129/2004, und § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 idF BGBL 135/2009 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkte I. und III. zu lauten haben wie folgt:

 

"I. Der Asylantrag von 19.06.2005 wird gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 129/2004, abgewiesen.

 

II. [...]

 

III. Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 idF BGBL 135/2009 wird XXXX aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste im Jahr 1981 legal in das Bundesgebiet von Österreich ein, hielt sich durchgehend hier auf und stellte am 19.06.2005 einen Asylantrag. Zu dieser Zeit befand sich der BF im Polizeianhaltezentrum Wien in Schubhaft.

 

2. Der BF gab bei der ersten asylbehördlichen Vernehmung beim Bundesasylamt am 07.07.2005 an, eine Abschiebung (in die Türkei) sei für ihn lebensgefährlich. Er habe mit dem BKA (Bundeskriminalamt) zusammengearbeitet: Es sei sehr viel Suchtgift sichergestellt und viele Personen seien festgenommen und in die Türkei abgeschoben worden. Diese Personen würden sich in der Türkei zum Teil frei bewegen. Darunter sei auch ein Polizist mit einer sehr hohen Position. Vor diesem habe er Angst. Er sei von dieser Person telefonisch bedroht worden. Diese Personen seien gefährlich und er würde vermutlich getötet werden. An die türkische Polizei könne er sich nicht wenden, da es um 107 kg Heroin gehe. Der BF ersuche daher um Schutz für zwei bis drei Jahre, bis sich die Situation in seiner Heimat geändert habe.

 

Bei der zweiten asylbehördlichen Vernehmung am 11.07.2005 ergänzte der BF dann seine Aussage vom 07.07.2005, dass er in den Jahren 2002 und 2003 von einem gewissen XXXX und von einem "XXXX" telefonisch bedroht worden sei.

 

3. Bereits im Jahr 1982 wurde der BF wegen versuchten Suchtgifthandels zu einer Haftstrafe von 7 Jahren verurteilt. Der BF verbüßte die Freiheitsstrafe bis Mitte 1988 in der Strafvollzugsanstalt XXXX.

 

Im Jahr 1995 wurde der BF neuerlich wegen Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren rechtskräftig verurteilt. Zuletzt befand sich der BF von Ende 2003 bis Ende 2004 nach einer Verurteilung wegen der Vermittlung von Scheinehen und anderen Delikten in Haft.

 

Insgesamt hat der BF bis zur asylbehördlichen Einvernahme beim Bundesasylamt am 07.07.2005 zwölfeinhalb Jahre im Gefängnis verbracht.

 

4. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 15.07.2004 (richtig: 2005) den Asylantrag des BF gem. §§ 7 iVm § 13 Abs. 2 AsylG 1997 wegen Vorliegens von Ausschlussgründen abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei gem. § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II) sowie den BF gem. § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

Das Bundesasylamt hat die Feststellungen getroffen, dass der BF aus dem bürgerlichen Umfeld stammt und im Jahr 1981 zu Geschäftszwecken in das Bundesgebiet eingereist ist. Er habe keine Probleme mit den heimischen Behörden. Der BF habe als sogenannter V-Mann für die Behörden gearbeitet. Er befinde sich in einem Substitutionsprogramm für Suchtgiftabhängige. Es werde weiters festgestellt, dass der BF keine Probleme, die sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention gründen, habe. Er sei daher keiner Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der BF aufgrund der von ihm vermuteten Bedrohungssituation, mit der er eine Gefährdung durch Dritte geltend gemacht habe, im Herkunftsland einer Gefahr ausgesetzt wäre. Die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der türkischen Behörden sei gegeben. Eine Gefahr im Sinne des § 57 FrG bestünde im Falle der Rückkehr nicht. Einer Ausweisung stünden keine bekannten Tatsachen entgegen. Er sei insgesamt 4 Mal zu (im Einzelnen aufgelisteten) Freiheitsstrafen (vorwiegend wegen der Begehung von Suchtgiftdelikten) verurteilt worden. Schließlich traf das Bundesasylamt Feststellungen zur allgemeinen Lage und zur Situation für Rückkehrer in der Türkei.

 

In der Beweiswürdigung ist angeführt, der BF habe keine Verfolgung von staatlichen Stellen ausgehend geltend gemacht. Das Vorbringen werde der Entscheidung zu Grunde gelegt. Aus dem Vorbringen des BF ergebe sich nicht, dass die staatlichen Stellen nicht gewillt oder in der Lage wären, dem BF Schutz vor Verfolgung zu bieten. Der BF sei nicht nur als V-Mann für die österreichischen Behörden tätig gewesen, sondern er habe selbst "kriminelle Machenschaften" betrieben. Die Intensität der Gefährdung oder verbalen Bedrohung sei nicht derartig gravierend, da der BF ansonsten nicht die Absicht geäußert hätte, beim Ableben seiner Mutter wieder in die Türkei zurückgehen zu wollen. Das Bundesasylamt schließe daraus zwingend, dass ihm eine interne Fluchtalternative zur Verfügung steht.

 

Der vom BF ins Treffen geführte Major der türkischen Polizei sei hierarchisch "eher im unteren Feld" innerhalb der im "oberflächlich" betrachteten Behördenaufbau angeführten Entscheidungsträger anzusiedeln. Dies sei nicht ausreichend, das gesamte Exekutiv- und Justizwesen in der Türkei in Frage zu stellen. Der BF habe mehr als die Hälfte der Zeit seines Aufenthaltes in österreichischen Gefängnissen verbracht. Die verbleibende Zeit habe er offensichtlich für die Fortsetzung "seiner kriminellen und äußerst auf Gewinn gerichteten Machenschaften" genützt.

 

Rechtlich wurde zusammengefasst ausgeführt, der BF habe aufgrund seiner Verurteilungen ein besonders schweres Verbrechen im Sinne des § 13 Abs. 2 2. Fall ASylG 1997 begangen und er sei eine Gefahr für die Gemeinschaft. Die von ihm befürchteten Übergriffe seitens privater Personen könnten die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Aus dem Vorbringen habe sich nicht ergeben, dass die staatlichen Behörden im Herkunftsland nicht gewillt oder nicht in der Lage wären, Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Die befürchteten Übergriffe würden auch im Herkunftsland strafbare Handlungen darstellen und von den zuständigen Behörden bei Kenntnis verfolgt und geahndet werden, wobei nicht alle denkbaren Übergriffe präventiv zu verhindern sind, was nicht von einem Staat verlangt werden kann. Es bestünde bei der geltend gemachten Bedrohung kein Zusammenhang mit den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Motiven. Dem BF stünde auch die Inanspruchnahme einer internen Fluchtalternative zur Verfügung.

 

Dem Antragsteller drohe im Falle der Rückkehr keine Gefahr gem. § 57 FrG. Er versuche durch die Antragstellung lediglich seinen Aufenthalt zu legalisieren, wozu das Asylrecht nicht diene. Telefonische Drohungen alleine würden ohne Hinzutreten weiter Umstände, die eine konkrete Umsetzung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich befürchten lassen, nicht ausreichen, die Rückkehr unzumutbar werden zu lassen. Die Grundversorgung sei gegeben. Ein entsprechendes Substitutionsprogramm würde auch in der Türkei zur Verfügung stehen und der BF hätte die Möglichkeit, sich der Entwöhnungstherapie zu unterziehen.

 

Der BF sei ledig und volljährig. Mit der erwähnten Lebensgefährtin lebe er nicht im gemeinsamen Haushalt, er sei in den letzten Jahren keiner Arbeit nachgegangen und drogenabhängig. Es bestünde kein Familienbezug zu einem dauernd in Österreich aufenthaltsberechtigten Fremden. Die Ausweisung stelle daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Hinsichtlich des Eingriffes in das Privatleben wurde eine Interessenabwägung vorgenommen und festgestellt, dass im Hinblick der vom BF begangenen Straftaten das öffentliche Interesse an einer Ausweisung private Interessen am Verbleib überwiegen würden und damit gerechtfertigt wäre.

 

5. Der Bescheid wurde dem BF am 15.07.2005 eigenhändig zugestellt.

 

6. Mit Schriftsatz vom 19.07.2005 (Eingang beim Bundesasylamt: 19.07.2005) brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung (nunmehr: Beschwerde) ein. Er führte handschriftlich aus, bei den Personen, von denen er bedroht worden sei, handle es sich um professionelle und internationale "Mafiosi", die auch mit kurdischen Organisationen zu tun haben könnten. Er könne hiefür keine Beweismittel vorlegen. Es seien Auftragstäter, die die Tat ausführen - wo und wann, könne man nie wissen - und sie würden keine Beweismittel hinterlassen. Als er gesagt habe, nach dem Tod seiner Mutter würde er sich die Erbschaft holen und für sich einen Zufluchtsort suchen, habe er nicht gemeint, dass er diesen Zufluchtsort in der Türkei suchen werde. Von den "17 Leuten" (gemeint: Betroffene von den Scheinehen) würde er zwar nicht befürchten, dass sie ihn töten. Sie würden ihn aber sicher nicht in Ruhe lassen. Der Major (der türkischen Polizei) würde sofort von der Rückkehr des BF informiert werden, weil er sehr gute Verbindungen zur Grenzpolizei habe. Auf den Schutz der türkischen Polizei könne er sich nicht verlassen. Mit seiner Lebensgefährtin würde er zwar "momentan" nicht zusammenleben, sie hätten aber seriöse Zukunftspläne. Er bereue nicht, mit dem BKA zusammengearbeitet zu haben, hätte aber nicht gedacht, dass er wieder zurück in die Türkei gehen muss, ansonsten würde er wieder mit dem BKA zusammenarbeiten.

 

7. Der Asylgerichtshof führte am 18.01.2011 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der Beschwerdeführer und ein Dolmetscher für die türkische Sprache teilnahmen. Ein Vertreter des Bundesasylamtes nahm an den Verhandlungen entschuldigt nicht teil.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

1. Beweis wurde erhoben durch:

 

Einsichtnahme in den vorliegenden Verfahrensakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Antragstellers vor dem Bundesasylamt, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, sowie der Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung. Es wurde in die vom BF in Vorlage gebrachten Dokumente und Bescheinigungsmittel Einsicht genommen. Die für den vorliegenden Fall relevante Lage im Herkunftsland wurde anhand folgender Quellen festgestellt:

 

Bericht des Auswärtigen Amtes Deutschland über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 11.04.2010

 

Auskunft Staatendokumentation zur Frage der Doppelbestrafung vom 31.03.2009

 

Auskunft des Auswärtigen Amtes Deutschland nach Anfrage des Bayrischen Verwaltungsgerichts zur Behandlung von Drogenabhängigkeit in der Türkei vom 10.05.2010

 

2. Festgestellt wird nachstehender Sachverhalt:

 

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und ist XXXX in der Türkei geboren. Er ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der türkischen Volksgruppe an. Er besuchte in der Türkei die Grundschule und Hauptschule, spricht neben der türkischen Sprache die Sprachen Deutsch, Englisch und Bulgarisch. Weiters absolvierte er eine Ausbildung zum Zahntechniker und leistete in den Jahren 1970 bis 1972 in der Türkei den Militärdienst. Im Jahr 1981 reiste er legal nach Österreich ein und hält sich seither in Österreich auf. Kurz nach seiner Einreise wurde der BF beim Handel mit einer großen Menge Heroin betreten und zunächst zu einer Haftstrafe von 7 Jahren verurteilt. Nach Verbüßung der Strafhaft im Jahr 1988 blieb der BF illegal in Österreich, arbeitete in W. als Hilfsarbeiter, danach in T. in einem Zahnlabor als Zahntechniker. Eine Abschiebung des BF in die Türkei erfolgte nicht.

 

1995 wurde der BF neuerlich wegen Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Von Ende 2003 bis Ende 2004 befand sich der BF wiederum in Strafhaft aufgrund einer Verurteilung wegen der Vermittlung von Scheinehen und anderer Delikte.

 

Der BF ist suchtgiftabhängig und steht derzeit in einer durch Gerichtsbeschluss angeordneten Psychotherapie sowie ärztlichen Behandlung einschließlich einer Entzugs- und Substitutionsbehandlung, wozu ihm auch Strafaufschub gewährt wurde.

 

Seit der Zustellung des angefochtenen Bescheides am 15.07.2005 wurde der BF neuerlich wegen folgender Delikte rechtskräftig verurteilt:

 

Landesgericht für Strafsachen XXXX, § 28 Abs. 2 und 3 (1. Fall) SMG, § 15 StGB, Freiheitsstrafe 36 Monate, davon 26 Monate bedingt mit Probezeit von 3 Jahren - Tatzeit: Ende 2005 bis März 2006

 

Landesgericht XXXX, §§ 106 Abs. 1, 104 Abs. 1, 104 Abs. 3 FrG, keine Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf LG XXXX und LG für Strafsachen XXXX (wie oben 1.) - Tatzeit: 2002

 

LG für Strafsachen XXXX, §§ 27 Abs. 1 Z 1, 1. u. 2. Fall SMG, 28a Abs. 1 5. Fall SMG, Freiheitsstrafe von 18 Monaten. - Tatzeit:

September 2009 bis Mai 2010

 

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seiner Heimat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt war oder für den Fall seiner Rückkehr dorthin, einer solchen ausgesetzt sein wird. Mit dem von ihm erstatteten Vorbringen vermochte er einen asylrelevanten Sachverhalt nicht glaubhaft zu machen. Der BF ist persönlich nicht glaubwürdig und das Vorbringen dient nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ausschließlich dem Zweck, eine drohende Abschiebung zu verhindern. Der Asylantrag wurde aus dem Stande der Schubhaft eingebracht.

 

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aktuell Gefahr liefe, in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Insbesondere hat der BF in seinem Heimatland keine Doppelbestrafung bzw. zusätzliche Bestrafung wegen eines der in Österreich begangenen Suchtgiftdelikte zu erwarten. Weiters ist sowohl die Grundversorgung als auch eine medizinische Versorgung gesichert und kann der BF in der Türkei auch eine allenfalls erforderliche Drogentherapie fortsetzen. Ein großes Behandlungs- bzw. Rehabilitationszentrum befindet sich im Krankenhauskomplex "Bakirköy Sinir ve Ruh Hastaliklari Hastanesi" in Istanbul. Mittellose Personen sind zur kostenlosen medizinischen Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem mit der so genannten "Grünen Karte" berechtigt.

 

Der BF befindet sich zwar schon seit ca. 30 Jahren in Österreich und ist er seinerzeit legal in das Bundesgebiet eingereist, wurde jedoch kurz nach seiner Einreise straffällig und schon 1982 zu einer 7-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Magistrat der Stadt XXXX verhängte über den BF mit Bescheid vom XXXX ein seit 16.06.1983 rechtskräftiges Aufenthaltsverbot, das erst am 10.07.2014 außer Kraft tritt. Der BF hält sich somit seit mindestens 1983 bis dato ohne gültige Aufenthaltsberechtigung in Österreich auf. In dieser Zeit ist der BF immer wieder straffällig geworden - darunter auch 2 Mal trotz bereits laufenden Asylverfahrens - und wurde zuletzt - wie bereits oben angeführt - am 07.09.2010 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Über den BF wurden inzwischen von österreichischen Gerichten Freiheitsstrafen von insgesamt 19 1/2 Jahre verhängt. Seinen Lebensunterhalt bestritt der BF im Wesentlichen von immer wiederkehrenden Geldzuwendungen seiner Mutter aus der Türkei.

 

Ab 15.12.2010 bis 10.03.2011 lebte der BF mit einer, von ihm namentlich genannten Frau iranischer Abstammung mit österreichischer Staatsbürgerschaft in einer gemeinsamen Wohnung. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung am 18.01.2011 bezeichnete der BF diese Frau als seine Lebensgefährtin. Da der BF jedoch nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung gemeldet ist, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese Lebensgemeinschaft nach wie vor aufrecht ist. Der BF hat in Österreich sonst keine Verwandten. In der Türkei leben seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester. Zu den Verwandten in der Türkei pflegt der BF keinen Kontakt.

 

2.3. Zum Herkunftsland:

 

Allgemeines

 

Die Entwicklung der vergangenen Jahre ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt.

 

Die Regierung hat mehrfach, zuletzt während der 8.

Beitrittskonferenz in Brüssel am 21. Dezember 2009 ein klares Bekenntnis zum Ziel der EU-Vollmitgliedschaft abgegeben und angekündigt, den Reformprozess zu beschleunigen.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis:

 

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums zuständig

 

Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen.

 

Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Nach spätestens 24 Stunden (in bestimmten Fällen organisierter Kriminalität bis 48 Stunden, Art. 250 Abs. 1 lit. a und c tStPO) zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden.

 

Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von durch die Strafprozessordnung verbotenen, erpressten Geständnissen bekannt geworden.

 

Die Todesstrafe ist in der Türkei vollständig abgeschafft.

 

Polizeiliche Gewahrsame/Haftanstalten:

 

Die AK-Partei-Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlung im Rahmen einer "Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden. Beispielhaft genannt seien die Erhöhung der Strafandrohung (Art. 94ff. des tStGB sehen eine Mindeststrafe von drei bis zwölf Jahren Haft für Täter von Folter vor, verschiedene Qualifizierungen sehen noch höhere Strafen bis hin zu lebenslanger Haft bei Folter mit Todesfolge vor); direkte Anklagen ohne Einverständnis des Vorgesetzten von Folterverdächtigen; Runderlasse an Staatsanwaltschaften, Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen; Verhinderung der Verschleppung von Strafprozessen und der Möglichkeit, sich dem Prozess zu entziehen; Durchsetzung ärztlicher Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamnahme; Stärkung von Verteidigerrechten.

 

Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen und trotz einiger Verbesserungen ist es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Auch die Regierung räumt ein, dass Folter in wenigen Ausnahmefällen vorkommt.

 

Die Zahl der Beschwerden, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Folterfällen stehen, ist nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2009 landesweit zurückgegangen. Bis Ende November 2009 wurden insgesamt 252 Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden (2008: 269; 2007: 320; 2006:

222).

 

Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen hat sich nach belastbaren Informationen von Menschenrechtsorganisationen die Situation in den letzten Jahren erheblich gebessert, nur in Einzelfällen könne von Folter gesprochen werden.

 

In der Türkei gibt es zur Zeit 422 Gefängnisse (2006: 382), darunter 13 sog. F-Typ-Gefängnisse für Häftlinge, die wegen Terror- oder organisierten Verbrechens einsitzen (je 2 in Ankara, Izmir, Tekirdag und Kocaeli, je 1 in Adana, Bolu, Edirne, Van und Kirikkale), und sechs Jugendhaft bzw. Erziehungsanstalten. Bei einer Kapazität der Gefängnisse für 98.238 Personen waren im Oktober 2009 nach offiziellen Angaben 116.690 Personen inhaftiert (2008: 98.755).

 

Die Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen älterer Bauart mit Zellen für bis zu 100 Personen entsprechen weiterhin nicht EU-Standards. Auch das beim Ministerpräsidentenamt angegliederte Präsidium für Menschenrechte räumt 2008 Nachholbedarf ein. Laut einer Presseerklärung des Präsidenten des Präsidiums erfüllen darüber hinaus 33 % von 987 untersuchten Haftanstalten (Gefängnisse sowie Einrichtungen zur vorübergehenden Gewahrsamnahme) nicht die internationalen Standards (Überbelegung, Raummangel, Mangel an Toiletten und Hygiene, Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen und Mangel an Polizistinnen). Die seit 2001 neu eingeführten F-Typ-Gefängnisse können hingegen in vielerlei Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden (Zellengröße, Hygiene, Betätigungs-möglichkeiten für Gefangene, ärztliche Betreuung).

 

Am 22.01.2007 hat das Justizministerium die Isolierungsvorschriften gelockert. Die Freizeit der Häftlinge in Gemeinschaft (Gruppen von maximal zehn Personen) wurde auf zehn Stunden pro Woche erhöht (Ausnahme: Schwerverbrecher oder besonders gefährliche Häftlinge). Dieses Recht auf Freizeit in Gemeinschaft wird teils mangels entsprechenden Freiraums und teils mangels ausreichenden Aufsichtspersonals nicht vollständig respektiert.

 

Staatliche Repressionen

 

Es gibt in der Türkei keine Personen oder Personengruppen, die alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder alleine wegen ihrer politischen Überzeugung staatlichen Repressionen ausgesetzt sind.

 

Auskunft der Staatendokumentation zur Frage der Doppelbestrafung:

 

Anfragende Stelle: BAI

 

Herkunftsstaat: Türkei

 

Thema: Gehörlos, Doppelbestrafung, psychisch krank

 

Wien, am 31.3.2009

 

Frage 5 (samt Antwort):

 

Besteht für den AW trotz Verbüßung der Haftstrafe in Österreich (der AW wurde wegen Verbrechens der Vergewaltigung und versuchten Vergewaltigung zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt) im Falle der Rückkehr nach der türkischen Rechtslage die Gefahr einer Doppelbestrafung, oder das Risiko sonstiger staatlicher Maßnahmen, und wenn ja, welche?

 

KAS - Auslandsinformationen - Silvia Tellenbach: Zum neuen türkischen Strafgesetzbuch, 04/2005;

http://www.kas.de/wf/doc/kas_6660-544-1-30.pdf (Zugriff am 9.3.2009)

 

Im türkischen internationalen Strafrecht ist das Verbot der Doppelbestrafung (ne-bis-in-idem-Prinzip), das bisher in vielen Fällen nur durch die Rechtsprechung abgesichert war, nunmehr gesetzlich festgelegt (Art. 11). Wird also ein Türke oder ein Ausländer wegen einer im Ausland begangenen Straftat zunächst dort verurteilt und kommt dann in die Türkei, so kann er nicht ein zweites Mal vor Gericht gestellt werden, es sei denn, es handele sich um eine der in Art. 13 genannten Taten, vor allem also Staatsschutzdelikte, Folter, Rauschgiftdelikte, Geldfälschung oder Prostitution. Davon ist der Fall zu unterscheiden, dass eine im Ausland begangene Tat noch nicht im Ausland abgeurteilt worden ist, sondern erst in der Türkei ein Strafverfahren durchgeführt wird, z. B. weil der Täter nach der Tat aus Deutschland in die Türkei flieht und dort festgenommen wird. Dann kann die in der Türkei verhängte Strafe keinesfalls höher als die Höchststrafe nach dem Tatortrecht sein (Art. 19 I). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht jedoch für den Fall, dass die Tat gegen die Sicherheit oder zum Nachteil der Türkei, eines türkischen Staatsangehörigen oder einer nach türkischem Recht gegründeten juristischen Person des Privatrechts begangen wurde.

 

Anfragebeantwortung des Vertrauensanwalts der ÖB Ankara per E-Mail vom 14. März 2008:

 

Gemäß dem türkischen Strafgesetzbuch Art. 188/1 wird eine Person aufgrund Erzeugung, Einführung oder Ausführung von Suchtmitteln mit einer Freiheitsstrafe von nicht weniger als 10 Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 20.000 Tagessätzen bestraft.

 

Art. 188/3 behandelt Verwahrung, Handel und Weitergabe, Verkauf und zum Verkauf anbieten, wofür eine Haftstrafe von 5 - 15 Jahren und eine Geldstrafe von bis zu 20.000 Tagessätzen steht.

 

Gemäß Artikel 188/2 wird bei einer im Ausland verbüßten Strafe bezgl. Einfuhr des Suchtmittels bei einer Verurteilung in der Türkei die im Ausland verbüßte Strafe vom Strafmaß abgezogen.

 

Zur Überprüfung der jur. Praxis erging folgende Sachverhaltsdarstellung an den VB in der Türkei:

 

Habe mir gerade das Strafgesetzbuch mit den Bestimmungen zu Doppelbestrafung angesehen, und das bestätigt die Angaben der KAS Info:

 

(Art. 11). Wird also ein Türke oder ein Ausländer wegen einer im Ausland begangenen Straftat zunächst dort verurteilt und kommt dann in die Türkei, so kann er nicht ein zweites Mal vor Gericht gestellt werden, es sei denn, es handele sich um eine der in Art. 13 genannten Taten, vor allem also Staatsschutzdelikte, Folter, Rauschgiftdelikte, Geldfälschung oder Prostitution.

 

Hier sind also genau Drogendelikte ausgenommen. Nach Durchsicht des Artikels 188 (Rauschgiftdelikte) drängt sich die Vermutung auf, dass hier Sonderregelungen für Fälle gelten, in denen beide Länder vom Delikt betroffen sind, also grenzüberschreitender Drogenhandel. In einem solchen Fall wird sogar die im Ausland verhängte Strafe von der türkischen abgezogen.

 

Ich würde daher davon ausgehen, dass bei einem ausschließlich im Ausland begangenen Drogenvergehen mit anschließender Verurteilung und Verbüßung der Haftstrafe davon ausgegangen werden kann, dass es zu keiner nochmaligen Bestrafung in der Türkei kommt. Dies steht jedoch so nicht ausdrücklich im Gesetzestext drinnen.

 

Wäre es möglich diesen konkreten Sachverhalt über das Justizministerium zu klären?

 

Antwort des VB per E-Mail vom 12.2.2009

 

Nach Auskunft eines Richters im türk. Justizministeriums, kann es bei einem ausschließlich im Ausland begangenen Drogendelikt zu keiner weiteren Anklage oder Bestrafung in der Türkei kommen.

 

Hier der Vollständigkeit halber die Antwort des VB vom März 2008, die ebenfalls diesen Sachverhalt bestätigte:

 

Anfragebeantwortung des VB in der Türkei per E-Mail vom 12. März 2008

 

Telefonat durch meine Assistentin mit dem Justizministerium in Ankara, Hrn. Mehmet EROGLU, Hauptabteilungsleiter für interne Angelegenheiten:

 

"Wenn ein volljähriger, türk. Staatsbürger wegen eines SG Deliktes im Ausland seine Haftstrafe vollständig verbüßt hat, wird er wegen dieser Tatbegehung in der Türkei nicht verfolgt oder bestraft. (Gesetz 5237, Artikel 11). Doppelbestrafung ist in keinem Deliktsbereich üblich."

 

Und noch den Auszug aus dem Türkischen Gesetzbuch:

 

Edward Grieves, Vahit Bicak: Turkish Penal Code, 09/2007; S. 15 Offences Committed by Citizens

 

Article 11

 

(1)

 

If a Turkish citizen commits an offence in a foreign country that would amount to an offence under Turkish law and that offence is subject to a penalty of imprisonment where the minimum limit is greater than one year, and he is present in Turkey, and upon satisfying the conditions that he has not been convicted for the same offence in a foreign country and a prosecution is possible in Turkey, he shall be subject to a penalty under Turkish law, except in regard as to the offences defined in Article 13.

 

(2) Where the aforementioned offence is subject to a penalty of imprisonment, the minimum limit of which is less than one year, then criminal proceedings shall only be initiated upon the making of a complaint by a victim or a foreign government. In such a case the complaint must be made within six months of the date the citizen entered Turkey.

 

Grundversorgung

 

Die Türkei kennt bisher keine staatliche Sozialhilfe nach EU-Standard. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Kanunu) und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Genel Müdürlügü Teskilat ve Görevleri Hakkinda Kanun) gewährt.

 

Die Sozialhilfeprogramme werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen

 

Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt und sind den Gouverneuren unterstellt. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der Sozialsicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die durch eine kleine Unterstützung oder durch Gewährleistung einer Ausbildungsmöglichkeit gemeinnützig und produktiv werden können. Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung werden von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Hilfen für die Ausbildung (Schülerbedarfsartikel, Unterkunft), Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. In einem im Jahr 2008 begonnenen Projekt sollen erstmals Bedürftigkeitskriterien für die einzelnen Leistungsarten entwickelt werden. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt; in Einzelfällen entscheidet der Vorstand der Stiftung. In der Türkei existieren darüber hinaus weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfe-programme haben.

 

Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitsein-richtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standards entsprechen. Auch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert. Am 1. Oktober 2008 trat das zweite Gesetz zur Sozialversicherungsreform (Gesetz Nr. 5510) in Kraft. Danach wird die gesetzliche Krankenversicherung auf alle Personengruppen ausgedehnt. Ziel ist die Sicherstellung einer einheitlichen gesund-heitlichen Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger, indem die gleichen Voraus-setzungen und Leistungsansprüche für Angestellte, Rentner und Selbständige herstellt und auch bislang unversicherte Mittellose, die allerdings noch in einer Übergangszeit von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Reformgesetzes über die so genannte "Grüne Karte", die zur kostenlosen medizinischen Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt (s.u. in diesem Abschnitt), einbezogen werden. Rückkehrer aus dem Ausland unterliegen dem gleichen Prüfungsverfahren hinsichtlich ihrer Mittellosigkeit wie im Inland lebende türkische Staatsangehörige.

 

Eine medizinische Versorgung sowie die Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen ist grundsätzlich landesweit gegeben. In ländlichen Regionen müssen Patienten unter Umständen in Behandlungszentren größerer Städte überwiesen werden. Das Gesundheitswesen garantiert psychisch kranken Menschen umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen.

 

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Die landesweite Anzahl von Psychiatern liegt bei ca. 1.500. Insgesamt stehen aktuell rund 7.800 Betten für die stationäre Behandlung psychisch und posttraumatisch erkrankter Menschen zur Verfügung (acht Fachkliniken in den Provinzen Istanbul, Samsun, Manisa, Adana, Elazig, Trabzon und Bolu, acht Regionalkrankenhäuser sowie drei weitere Krankenhäuser in Istanbul). In den Krankenhäusern werden zusätzliche psychiatrische Abteilungen eingerichtet. Auch bei der Behandlung psychischer Erkrankungen ist ein steigender Standard festzustellen.

 

Aus einer Anfragebeantwortung des Auswärtigen Amtes vom 10.05.2010 an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bezug Anfrage vom 19.02.2010 Az.: 11 B 08.30315) ergibt sich im Bezug auf die Behandlung von Drogenabhängigkeit:

 

Zu Grunde liegende Fragestellung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes: (auszugsweise)

 

"......Eine Besonderheit des Falles besteht darin, dass der Kläger

heroinsüchtig ist und bereits wegen einschlägiger Straftaten verurteilt wurde....."

 

Antwort:

 

"Wie das Auswärtige Amt in früheren Stellungnahmen bereits ausgeführt hat, ist Drogenabhängigkeit in der Türkei behandelbar. Das größte Behandlungs- bzw. Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige befindet sich in Istanbul im Krankenhauskomplex "Bakirköy Sinir ve Ruh Hastaliklari Hastanesi".

 

Hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen für türkische Staatsangehörige zur Wahrung des Existenzminimums verweist das Auswärtige Amt auf Abschnitt IV des Berichts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 11.04.2010.

 

Rückkehr

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern.

 

Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Personen, die illegal ohne gültige Papiere ausgereist sind, werden einer kurzen Befragung unterzogen. In weiterer Folge kommt es zu einer Anzeige durch die Staatsanwaltschaft wegen illegaler Ausreise, die in den meisten Fällen ohne Inhaftierung erfolgt. Art. 33 des türkischen Passgesetzes besagt, dass türkische Staatsangehörige, die die Türkei ohne gültigen Pass oder andere vergleichbare Papiere verlassen, mit einer leichten Geldstrafe bis 500 TL oder Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit beiden Strafen bestraft werden. Laut türkischer Polizei ist die Verurteilung zu einer Geldstrafe die gängige Praxis.

 

Dem Auswärtigen Amt ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen wurde kein Fall genannt, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechts-widriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt waren. Nach Auskunft von EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie Norwegen, der Schweiz und den USA im Frühjahr 2009 ist auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt waren.

 

3. Beweiswürdigung

 

3.1. Zu den Angaben zur Person:

 

Die Angaben zur Person, Herkunft und Familienverhältnissen des BF sind plausibel, nachvollziehbar und stimmen mit dem übrigen Akteninhalt überein. Sie werden daher vom Asylgerichtshof nicht in Zweifel gezogen.

 

Die Feststellungen zu den Verurteilungen des BF gründen sich auf die eingeholte Strafregisterauskunft und die Gerichtsurteile, die nach Einbringung des Asylantrages ergangen sind und allesamt in Kopie zum Akt genommen wurden.

 

Feststellungen zu den gegenwärtigen Lebensverhältnissen des BF stützen sich auf dessen insoweit unbedenklichen Angaben in der Beschwerdeverhandlung und die Auszüge aus dem Zentralen Melderegister. Die gesundheitliche Situation des BF ergibt sich aus dem vom Landesgericht für Strafsachen XXXX eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten und dessen Beschluss über einen Strafaufschub unter der Bedingung der Inanspruchnahme gesundheitsbezogener Maßnahmen (Suchtbehandlung) vom 18.10.2010, Zl. 44 Hv 77/10 d.

 

3.2 Zum Fluchtvorbringen:

 

Das Fluchtvorbringen ist in seiner Gesamtheit betrachtet nicht glaubhaft. Dies aus folgenden Gründen: Das Ermittlungsverfahren hat eindeutig ergeben, das der BF den Asylantrag nur stellte, um die drohende Abschiebung zu verhindern, zumal schon 1982 gegen ihn von der Fremdenpolizeibehörde ein rechtskräftiges - und zum Entscheidungszeitpunkt noch immer aufrechtes - Aufenthaltsverbot verhängt wurde, welches nun durchgesetzt werden sollte. Der Asylantrag wurde auch aus dem Stande der Schubhaft gestellt. Der BF befindet sich seit 1981 in Österreich und wurde insgesamt 8 Mal wegen teilweise gravierender Straftaten vor allem nach dem Suchtmittelgesetz rechtskräftig verurteilt. Dies kann durch die Strafregisterauskunft und die beigeschafften Kopien der Gerichtsurteile zweifelsfrei festgestellt werden. Es wurden über ihn Freiheitsstrafen verhängt, die - zusammengezählt - mehr als zwei Drittel der Zeit, die er in Österreich verbrachte, ausmachen. Obwohl er im Jahr 2005 den gegenständlichen Asylantrag stellte und das Asylverfahren in der Folge anhängig war, wurde er wiederum 2 Mal straffällig. Dies ergibt sich eindeutig aus den in den Urteilen angeführten Tatzeiten. Angesichts seiner starken Neigung, immer wieder rückfällig zu werden ist es keineswegs glaubhaft, dass er tatsächlich Furcht vor der Verfolgung durch Komplizen, "Auftraggebern" oder Mittätern hatte bzw. hat. In diesem Fall wäre zu erwarten, dass sich der BF aus der Suchtgiftszene zurückzieht und er Kontakte mit seinen angeblichen Verfolgern meidet. Gerade das hat der BF aber nicht gemacht, sondern er hat seine Verbindungen zum "Suchtgiftmilieu" aufrecht erhalten und ist er neuerlich einschlägig straffällig geworden. Somit hätte er sich immer wieder in die von ihm behauptete Verfolgungsgefahr begeben. Es lässt sich daher daraus der Schluss ziehen, dass der BF gar keiner Verfolgungsgefahr ausgehend von Personen befürchtete, die mit ihm bei der Begehung der Straftaten als Komplizen, "Auftraggeber" oder Mittäter mitwirkten.

 

Darüber hinaus hat der BF seine (subjektive) Befürchtung stets immer nur auf Annahmen und Vermutungen gestützt, die er aber durch seine Ausführungen in keiner Weise belegen oder absichern konnte. Er konnte auch nicht nachvollziehbar erklären, warum er im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland Verfolgungshandlungen seitens Privater zu erleiden hätte und keinen polizeilichen Schutz in Anspruch nehmen könnte. Darunter fiele auch die angebliche Bedrohung durch einen türkischen Polizeioffizier, der am Suchtgifthandel beteiligt gewesen sein soll. Handelt es sich dabei doch um ein nach dem türkischen Strafgesetzbuch eindeutig verpönte Handlung und würde der Umstand, dass es sich beim Täter um einen Polizeioffizier handelt, diesen nicht exkulpieren. Aus den Länderinformationen lässt sich nicht ableiten, dass der BF in einem solchen Fall keinerlei staatlichen Schutz in Anspruch nehmen könnte und gegen einen Polizeioffizier keine Ermittlungen oder Strafverfahren geführt werden würden, sofern die Behörden davon in Kenntnis sind.

 

Seine gesundheitliche Situation (Drogenabhängigkeit) ergibt sich aus seinen Angaben, die auch durch ein vom Landesgericht für Strafsachen XXXX eingeholten und durch den Asylgerichtshof beigeschafften psychiatrischen Sachverständigengutachten belegt sind.

 

3.2. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei beruhen auf dem den BF zur Kenntnis gebrachten Berichtsmaterial. Allgemein ist zu den Feststellungen zu sagen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind. Angesichts der Seriosität der im Verfahren herangezogenen Quellen und der Plausibilität dieser Aussagen besteht daher kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Der BF ist diesen in seiner Stellungnahme vom 20.12.2010 auch nicht substantiiert entgegengetreten.

 

4. Rechtlich folgt:

 

4.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 122/2009 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 23 Absatz 1 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

4.2. Gemäß § 75 Abs 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 mit der Maßgabe zu Ende zu führen, dass in Verfahren, die nach dem 31. März 2009 beim Bundesasylamt anhängig sind oder werden, § 10 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass eine Abweisung des Asylantrages, wenn unter einem festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist, oder eine Zurückweisung des Asylantrages als Entscheidung nach dem Asylgesetz 2005 gilt. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes (AsylG 2005) sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Gegenständlicher Asylantrag wurde am 19.06.2005 gestellt, weshalb das AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 zur Anwendung gelangt.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde (der Asylgerichtshof), sofern die Berufung (Beschwerde) nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

4. Zu Spruchpunkt I.:

 

4.1. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention [GFK]) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011, VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131, VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011, VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, u.a.).

 

4.2. Das Vorbringen enthält keinen Anhaltspunkt auf das Vorliegen eines in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Motive. In der Befürchtung, von Privaten oder einem öffentlichen Organ dadurch verfolgt zu werden, dass Drohungen ausgesprochen wurden, die auf die Beteiligung bzw. Interessen der betroffenen Personen an kriminellen Delikten zurückgehen, sind keine asylrelevanten Motive zu erkennen. Der BF hat im gesamten Verfahren auch keine asylrelevanten Motive zur Begründung seines Antrages geltend gemacht. Insbesondere gehört er auch der in der Türkei die Mehrheit stellenden Bevölkerungsgruppe der Türken an. Mangels Vorliegens eines asylrelevanten Tatbestandes scheidet schon aus diesem Grund die Gewährung von Asyl aus. Folglich bedurfte es auch keiner weiteren Prüfung, ob durch die rechtskräftigen Verurteilungen des BF ein Asylausschließungsgrund gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 1997 verwirklicht wurde.

 

4.3. Nach Ansicht des erkennenden Senates sind die Ausführungen des Bundesasylamtes nicht geeignet, den Antrag auf internationalen Schutz wegen Vorliegens eines Asylausschlussgrundes (§ 13 Abs 2 2. Fall AsylG 1997) abzuweisen und war daher Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes in der im Spruch ersichtlichen Form zu berichtigen. Der Asylantrag des BF wurde nicht wie im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides angeführt am 07.07.2005, sondern nach der Aktenlage am 19.06.2005 aus dem Stande der Schubhaft gestellt, weshalb dieses im Spruch angeführte Datum ebenfalls zu berichtigen war.

 

5. Zu Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides:

 

5.1. Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach wäre die Verweisung des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des FPG zu beziehen, das ist § 50 FPG. Anzumerken ist, dass sich die Regelungsgehalte beider Vorschriften (§ 57 FrG und § 50 FPG) nicht in einer Weise unterscheiden, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, lässt sich insoweit auch auf § 50 FPG übertragen.

 

Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre (§ 8 Abs 1 AsylG iVm § 50 Abs. 1 FPG) bzw. dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK iVm § 50 Abs. 2 FPG und § 8 Abs 1 AsylG), es sei denn es bestehe eine inländische Fluchtalternative.

 

Zur Auslegung des § 8 AsylG iVm § 50 FPG 2005 ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 und § 57 Fremdengesetz, BGBl I Nr. 126/2002 BGBL, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (z.B. VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294, VwGH 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438, VwGH 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427, VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Bei der Entscheidungsfindung ist insgesamt die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK, auch unter dem Aspekt eines durch die EMRK zu garantierenden einheitlichen europäischen Rechtsschutzsystems als relevanter Vergleichsmaßstab zu beachten. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 13669/03).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). So auch der EGMR in stRsp, welcher anf

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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