TE OGH 2011/3/30 9ObA45/10y

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Veröffentlicht am 30.03.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Dr. Rotraut Leitner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** K*****, LKW-Fahrer, *****, vertreten durch die Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.948,75 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. März 2010, GZ 8 Ra 85/09t-21, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. April 2009, GZ 7 Cga 231/08b-16, teilweise im Zinsenpunkt abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage des Günstigkeitsvergleichs bei Verfallsbestimmungen in Kollektivverträgen eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nur zu einem teilweise vergleichbaren Sachverhalt vorliege. Die Revisionswerberin macht geltend, dass hier kein Günstigkeitsvergleich anzustellen sei (S 6 Rev); sie erblickt das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage in der Beurteilung der Rechtfertigung der Entlassung und des Mitverschuldens des Klägers (S 2 Rev). Der Revisionsgegner hält demgegenüber die Revisionsausführungen der Beklagten für überwiegend unzulässig und beantragt die Zurückweisung der Revision.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Es genügt somit nicht, eine Frage aufzuzeigen, zu der beispielsweise noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt. Die Entscheidung muss auch von der Lösung dieser Frage „abhängen“; die maßgebende Rechtsfrage muss also in diesem Sinn „präjudiziell“ sein (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 10, 60; Kodek in Rechberger, ZPO³ § 508a Rz 1; 9 ObA 125/08k; RIS-Justiz RS0088931 ua). Dies ist hier nach der Lage des Parteienvorbringens nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Was zunächst die von der Revisionswerberin in den Vordergrund gestellte Frage der Rechtfertigung der Entlassung des Klägers wegen verspäteter Krankmeldung betrifft, wies bereits das Berufungsgericht darauf hin, dass die verspätete Krankmeldung zwar zum Entfall der Entgeltfortzahlung führen kann, in der Regel aber keinen Entlassungsgrund begründet (RIS-Justiz RS0028891 ua). Ob ausnahmsweise besondere Umstände das Verhalten des Arbeitnehmers als so pflichtwidrig erscheinen lassen, dass die Säumnis bei der Krankmeldung die Entlassung des Arbeitnehmers rechtfertigt (vgl 9 ObA 124/98w ua), hängt von jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen. Dass der Kläger bereits vor der gegenständlichen Entlassung aufgrund von Unzukömmlichkeiten bei einer früheren Krankmeldung von der Beklagten ermahnt worden wäre, kam nicht hervor. Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass der vom Kläger im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses zu fahrende LKW bei der für die Toureneinteilung zuständigen Vertragspartnerin der Beklagten stand. Am ersten Tag seiner Erkrankung veranlasste der Kläger durch seinen Sohn bereits eine Stunde vor Dienstbeginn die Verständigung und Übergabe der Fahrzeugschlüssel an diese Vertragspartnerin. Die Beklagte wurde vom Kläger einige Stunden später vom Krankenstand verständigt. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier von keinem so gravierenden Fehlverhalten des Klägers gesprochen werden könne, das die Entlassung rechtfertige, ist vertretbar. Der Gefahr einer allfälligen Schädigung der Beklagten im Wege einer Schädigung ihrer Vertragspartnerin nahm der Kläger durch direkte Verständigung der Vertragspartnerin von seiner Erkrankung von vornherein die Spitze.

Das Verhalten, das erfolglos zur Begründung der Entlassung des Klägers herangezogen wurde, kann nicht zur Begründung eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers an der Entlassung nach § 1162c ABGB herangezogen werden (Spenling in KBB² § 1162c ABGB Rz 2; RIS-Justiz RS0028230 ua). Die Mitverschuldensregel kann bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung nur dort greifen, wo der Erklärungsempfänger ein Verhalten gesetzt hat, das zusätzlich bzw unabhängig von dem für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichenden Verhalten für die Auflösung kausal im Sinne der Verursachung eines Informationsmangels des die Auflösung unberechtigt Erklärenden war (vgl 9 ObA 136/08b mwN ua). Ein derartiges für die unberechtigte Entlassungserklärung der Beklagten kausales Verhalten des Klägers liegt jedoch hier nicht vor.

Die Überlegungen, die das Berufungsgericht zur Zulassung der Revision im Hinblick auf die Frage des Günstigkeitsvergleichs bewogen haben, können bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision dahingestellt bleiben, weil die Beklagte - wie im Übrigen auch der Kläger - die Wirksamkeit der Verfallsregelung des Kollektivvertrags für das Güterbeförderungsgewerbe für Arbeiter in Art XII gar nicht bezweifelt. Die Revisionswerberin wies daher zutreffend darauf hin, dass es hier nicht um die Frage des Günstigkeitsvergleichs geht. Beiden Parteien geht es nur um die Auslegung dieser Kollektivvertragsbestimmung. Soweit es die zuerst zu beantwortende Frage der Zulässigkeit der Revision betrifft, zielt die Beklagte auf ein Verständnis der kollektivvertraglichen Verfallsregelung ab, wonach diese den § 1162d ABGB nicht ersetze, sondern zu diesem hinzutrete. Der Kläger hätte daher, um einen Verfall der Kündigungsentschädigung zu vermeiden, seine Ansprüche jedenfalls binnen sechs Monaten gerichtlich geltend machen müssen. Eine derartige Auslegung wurde aber vom Obersten Gerichtshof bereits zu einer nahezu gleich gelagerten kollektivvertraglichen Regelung abgelehnt (vgl 9 ObA 141/05h, SZ 2006/71 = Eypeltauer, DRdA 2007, 99 = Runggaldier, DRdA 2008, 479 [489 f] ua). Danach ist die Kollektivvertragsbestimmung unter Berücksichtigung ihres offenkundigen Kompromisscharakters als abschließende Regelung für alle in Betracht kommenden Ansprüche zu interpretieren, neben der für die Anwendung des § 1162d ABGB kein Raum mehr sein soll. Der Versuch der Revisionswerberin, gestützt auf eine andere Entscheidung (9 ObA 308/98d), zur gegenteiligen Auslegung zu kommen, ist nicht zielführend, weil dort eine nicht vergleichbare Kollektivvertragsbestimmung zu beurteilen war, die eine Fristverkürzung normierte, ohne in irgendeiner Weise mit der Einhaltung der Frist des Kollektivvertrags eine Verlängerung der Frist für die gerichtliche Geltendmachung zu verbinden. Im vorliegenden Fall ist hingegen - wie in 9 ObA 141/05h - normiert, dass bei rechtzeitiger schriftlicher (außergerichtlicher) Geltendmachung die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt bleibt. Soweit die Revisionswerberin argumentiert, dass Art XII des Kollektivvertrags nur von einer Verjährungsfrist spreche, ohne diese wie in 9 ObA 141/05h zu beziffern, sodass hier auch § 1162d ABGB gemeint sein könne, übergeht sie den offenkundigen Kompromisscharakter der Kollektivvertragsbestimmung und ist im Übrigen darauf zu verweisen, dass es sich bei der Frist des § 1162d ABGB um eine Verfallsfrist und nicht um eine Verjährungsfrist handelt (Neumayr in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1162d Rz 1 mwN ua). Ob der Kollektivvertrag in Art XII mit „gesetzlicher Verjährungsfrist“ auf die dreijährige Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB für Entgelt und Auslagenersatz, wie das Berufungsgericht annimmt, oder auf die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB für Schadenersatz abzielt, kann bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision dahingestellt bleiben, weil die Klage im Fall einer dreijährigen Verjährungsfrist jedenfalls rechtzeitig erhoben wurde (unstrittig).

Zusammenfassend ist die Revision der Beklagten mangels Geltendmachung einer für die Lösung des Falls erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035979 ua).

Schlagworte

Arbeitsrecht

Textnummer

E96898

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:009OBA00045.10Y.0330.000

Im RIS seit

21.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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