TE AsylGH Erkenntnis 2011/03/29 E1 404294-2/2010

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Veröffentlicht am 29.03.2011
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Spruch

E1 404.294-2/2010/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Ilse FAHRNER als Vorsitzende und dem Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.11.2010, FZ. 08 09.566-BAL nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.03.2011 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG BGBl I. Nr. I. 100/2005 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 06.10.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete sie bei ihren niederschriftlichen Einvernahmen im Asylverfahren am 08.10.2008, 17.11.2008 und 27.05.2009 im Wesentlichen damit, dass ihr als Angehörigen der sufistischen Religionsgemeinschaft in ihrem Herkunftsstaat lebenslange Haft, wenn nicht sogar der Tod, drohen würde, da sie in den Jahren XXXX und XXXX persischer Zeitrechnung an religiösen Versammlungen der sufistischen Bewegung teilgenommen habe, bei denen es zu Auseinandersetzungen mit den iranischen Sicherheitsbehörden gekommen sei.

 

2. Im Zuge von Dublin-Konsultationen stimmten die Niederlande dem Aufnahmeersuchen Österreichs mit Schreiben vom 04.11.2008 zu. Mit Bescheid vom 23.01.2009 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art 9 Abs 1 Dublin II-VO die Niederlande zuständig seien und wies die Beschwerdeführerin dorthin aus. Der Asylgerichtshof gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 03.04.2009 gemäß § 41 Abs 3 S 2 AsylG 2005 statt und behob den bekämpften Bescheid. Das Verfahren war damit ex lege zugelassen. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesasylamt keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen im Hinblick auf die gesundheitliche Situation der Beschwerdeführerin getroffen habe. Insbesondere sei trotz ernster psychischer Erkrankung samt Medikation vor Bescheiderlassung keine ärztliche Untersuchung erfolgt.

 

3. Mit Bescheid vom 05.11.2010, FZ. 08 09.566-BAL, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005; Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (gemäß § 8 Abs 1 leg. cit.; Spruchpunkt II.) ab und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs 1 leg. cit. in den Iran aus (Spruchpunkt III.).

 

Das Bundesasylamt stellte unter anderem fest, dass die Beschwerdeführerin Angehörige der sufistischen Religionsgemeinschaft sei und sie derzeit an einer leicht- bis mittelgradigen depressiven Episode leide. Dem Bundesasylamt lagen zum speziellen Thema Sufismus Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vor, welche der Beschwerdeführerin auch auszugsweise zur Kenntnis gebracht wurden. Das Bundesasylamt stellte in seinem Bescheid allgemein fest, "dass Angehörige der Sufistischen Glaubensgemeinschaft im Iran verstärkt unter Druck gesetzt werden und auch unter Verfolgung und Bedrohung leiden, welche auch asylrelevant sein können."

 

Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie im Iran im Zuge der Teilnahme an Versammlungen ihrer Religionsgemeinschaft zweimal festgenommen und misshandelt worden sei, sei jedoch absolut unglaubwürdig. Sie habe deshalb keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen können.

 

Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran trotz ihrer psychischen Erkrankung stelle keine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art 3 EMRK dar, da die medizinische Versorgung - wie sie sie auch schon vor ihrer Ausreise genossen habe - im Iran gegeben sei. Wenngleich sich die bestehende psychische Störung durch die Überstellung in den Herkunftsstaat kurzfristig verschlechtern könne, erreiche diese kein lebensbedrohliches Ausmaß, sodass keine Verletzung von Art 3 EMRK vorliege. Die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihren in Österreich aufhältigen Adoptiveltern sei nicht von solcher Intensität, die einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK darstellen würde.

 

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 17.11.2010 rechtzeitig Beschwerde. Darin wurde das unsachgemäße Zustandekommen des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens moniert, zu welchem ihr auch nicht ausreichend Parteiengehör eingeräumt worden sei. Weiters wurde die vom Bundesasylamt für die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin herangezogenen Widersprüche im Einzelnen aufgeklärt.

 

5. Am 16.03.2011 führte der Asylgerichtshof eine öffentlich mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Die Beschwerdeführerin wurde ergänzend einvernommen. Das Bundesasylamt beteiligte sich an der Verhandlung nicht.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verfahrensakt, insbesondere durch Einsichtnahme in das aktuelle Berichtsmaterial betreffend die Lage der Angehörigen der sufistischen Religionsgemeinschaft im Iran (Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu den Themen Nematollahi Gonabadi vom 09.04.2010 und Sufismus vom 23.10.2009),dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes vom 27.02.2011, sowie der Einvernahme der Beschwerdeführerin bei der mündlichen Verhandlung vom 16.03.2011.

 

2. Festgestellt wird nachstehender Sachverhalt:

 

Die Beschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, wurde XXXX geboren und ist Angehörige der sufistischen Religionsgemeinschaft. Im Zuge der von den iranischen Sicherheitskräften durchgeführten Zerstörung von Gebetshäusern der Sufi-Gemeinschaft ist die Beschwerdeführerin, die sich an den friedlichen Protesten als Angehörige des Nematollahi Ordens beteiligte, ins Blickfeld der iranischen Behörden gekommen und wurde sie auch inhaftiert. Nach einer neuerlichen Demonstration im Jahr 2007 wurde sie identifiziert. In ihrer Abwesenheit wurde ihr eine Ladung zugestellt und sie vom weiteren Universitätsstudium ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin hat ihre psychische Erkrankung zwischenzeitig, nach gezielter Behandlung, überwunden. Sie hat in Österreich zwei Deutschkurse absolviert und arbeitet aktuell legal als Kinderbetreuerin und Persisch- Lehrerin in Heimarbeit.

 

Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin werden ergänzend zu den Feststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes noch folgende Feststellungen getroffen:

 

[...] Es besteht [...] die Tendenz, die Rechte der religiösen Minderheiten zu Gunsten des Islam zu beschneiden. In letzter Zeit gehen die iranischen Behörden auch gegen Anhänger islamischer Sufisekten vor. In Qom wurden 2007 mehr als 1.000 Sufianhänger verhaftet, mehr als 50 schließlich auch verurteilt. [...]

 

[...] Insbesondere die Bahá'i und Sufis (islamische Mystiker) sind Verfolgung und gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt. Die Übergriffe gegen beide Glaubensrichtungen haben unter der Regierung von Präsident Ahmadinedschad erheblich zugenommen. [...]

 

Die Sufis (islamische Mystiker) werden durch gewaltsame Übergriffe an ihrer Religionsausübung gehindert. Die Regierung toleriert diese Übergriffe. Am 13. Februar 2006 wurde in Ghom, einer der heiligen Städte der Schiiten, eine Demonstration des Sufi-Ordens Nematollah brutal aufgelöst. Der Orden hatte für den Erhalt eines Kulturhauses demonstriert.

 

Am 21. Mai 2007 wurde der Leiter des Ordens, Nurali Tabandeh (genannt Majzub Ali Shah), von iranischen Sicherheitskräften in Gonaband festgenommen. Anlässlich der Festnahme kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des Tabandeh; eine Vielzahl der Anhänger wurde ebenfalls inhaftiert. Ein Grund für die Festnahme wurde nicht bekannt; es gibt belastbare Hinweise, dass er nach kurzer Zeit aus der Haft entlassen wurde.

 

Am 12. Dezember 2007 kam es zwischen Angehörigen der örtlichen schiitischen Gemeinde in der Stadt Boroujerd (Südosten des Iran) und dort ansässigen Angehörigen eines Sufi-Ordens zu zweitägigen, gewaltsamen Auseinandersetzungen. Der schiitische Prediger hatte die Schließung der Gemeinde gefordert. Als sich die schwer bedrängten Sufis zur Wehr setzten fielen Schüsse, rund 80 Menschen wurden verletzt und 200 Sufis verhaftet. Die Gebetsstätte der Sufis wurde zerstört. [...]

 

Das "U.S. Department of State" erwähnt in ihrem Bericht die Verhaftung diverser Mitglieder des Ordens "Nematollahi Gonabadi".

 

Beispielsweise waren zum Zeitpunkt März 2009 41 Gonabadi-Derwische aufgrund ihrer Religionsausübung inhaftiert.

 

Ein weiteres Beispiel: Am 18. Februar 2009 wurde in Isfahan das Gebetshaus der Gonabadi-Derwische mit Bulldozern zerstört. Alle anwesenden Sufis wurden verhaftet, zudem wurden ihre Mobiltelefone beschlagnahmt. Ebenso wurden Bücher und Publikatonen der Sufis zerstört.

 

Der Jahresbericht 2009 der "United States Commission on International Religious Freedom" geht auf die Verhaftung diverser Mitglieder des Ordens "Nematollahi Gonabadi" ein.

 

Es gab Berichte, dass der iranische Staat erwägt, den Sufismus gänzlich zu verbieten.

 

[...] So sind Sufis (speziell Gonabadi-Derwische des Nematollahi-Ordens) im Iran in den letzten vier Jahren verstärkter Unterdrückung ausgesetzt.

 

Im Februar 2006 kam es zu friedlichen Protesten von Angehörigen des Nematollahi-Ordens, nachdem die iranischen Behörden angeordnet hatten, dass die Sufi-Gemeinschaft ihr Gebetshaus (Hosseinieh) in Qom räumen sollte. Die friedlichen Proteste wurden durch Sicherheitskräfte mit Unterstützung zweier regierungstreuer Gruppierungen ("Hojatieh" und "Fatemiyon") gewaltsam niedergeschlagen. 1200 Demonstranten wurden festgenommen, mehrere Hundert wurden verletzt. Das Gebetshaus wurde später abgerissen. Die meisten der festgenommenen Mitglieder der Sufi-Gemeinschaft wurden nach einigen Tagen wieder freigelassen. Mehr als 170 der Sufi-Anhänger wurden in das Fajr-Gefängnis in Qom verbracht, wo sie Berichten zufolge ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert und verhört wurden. Sie sollen unter Druck gesetzt worden sein, vorgefertigte falsche Geständnisse zu unterzeichnen, in denen behauptet wurde, die Sufi-Gemeinschaft habe mit der Demonstration politische Ziele verfolgt und unterhalte Verbindungen zu regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Mai 2006 wurden 52 Mitglieder des Nematohllahi-Ordens und zwei Rechtsanwälte, die die Interessen der Gemeinschaft vertreten haben, wegen "Missachtung der Anweisungen von Regierungsvertretern" und der "Störung der öffentlichen Ordnung" in erster Instanz vom Strafgericht in Qom zu Haftstrafen, Geldbußen und Prügelstrafen verurteilt.

 

Nach den Erkenntnissen von Amnesty International gibt es eine besorgniserregende Tendenz im Iran, die Glaubensrichtung der islamischen Sufi-Gemeinschaft zu kriminalisieren.

 

Im September 2005 rief der prominente Geistliche Ayatollah Hossein Nuri-Hamedani dazu auf, hart gegen Sufi-Gemeinschaften in Qom durchzugreifen, da sie eine "Gefahr für den Islam" darstellten.

 

In zwei iranischen Zeitungen, "Jomhouri-ye Eslami" und "Kayhan", wurden im Vorfeld der Proteste vom Februar 2006 in Qom immer wieder gegen Sufis gerichtete Artikel veröffentlicht. Im Februar 2006 beschuldigte der Gouverneur der Provinz Qom, Abbas Mohtaj, die Sufis der Beteiligung an einer ausländischen Verschwörung gegen den Iran und erklärte, "arrogante ausländische Mächte" würden jede Gelegenheit nutzen, im iranischen Staat Unsicherheit zu schüren. Die Verbindungen der Sufis zum Ausland seien offensichtlich. In ähnlicher Weise haben mehrere prominente schiitische Geistliche in ihren Äußerungen und Rechtsgutachten Sufis attackiert. So hat Ayatollah Lankarani im Jahr 2006 geäußert, dass Sufis "die Jugend verführen würden" und dass "jeglicher Kontakt mit Sufis verboten sei".

 

Auch im Jahr 2008 wurden in verschiedenen Städten Hosseiniehs (Gebetsorte) von Gonabadi-Derwischen unter Gewaltanwendung geschlossen und sogar zerstört. Mindestens vier Lehrer wurden 2008 wegen ihrer Teilnahme an Sufi-Versammlungen entlassen. Im Oktober 2008 wurden sieben Personen in Isfahan inhaftiert und fünf in Karadj, offensichtlich wegen ihrer Mitgliedschaft in dem Sufi-Orden.

 

Im Dezember 2008 wurden mindestens sechs Sufis auf der Insel Kish inhaftiert, und ihr Gebetshaus wurde unter Gewaltanwendung geschlossen. Farshid Yadollahi und Amir Eslami, zwei Anwälte der Verhafteten, sollen vom Staatsanwalt der Insel verhört worden sein wegen angeblicher "Verbreitung von Unruhe in der Öffentlichkeit". Die Vorladung sei ausgegangen von dem "Gemeinsamen Geheimdienstbüro" der Provinz Hormozgan.

 

Am 22. Januar 2009 wurde Jamshid Lak, ein Nematollahi-Derwisch, nach seiner Vorladung vor Gericht mit 74 Peitschenhieben bestraft. Er war 2006 von der Abteilung 102 des Hauptgerichtes von Daroud zu 6 Monaten Haft, 74 Peitschenhieben und zu einer Geldstrafe wegen "Verbreitung von Lügen", "Verleumdung" und "Verunglimpfung der Behörden" verurteilt worden. Die Anklage gegen ihn wurde erhoben, nachdem er einen Brief an einen hohen Beamten des Landes geschrieben hatte. In diesem beklagte er sich über den körperlichen Übergriff eines Beamten des Geheimdienstministeriums. Das Urteil wurde später von der Abteilung 7 des Berufungsgerichtes von Lurestan auf 74 Peitschenhiebe reduziert. Fallengelassen wurden die Anklagepunkte "Verbreitung von Lügen" und "Verunglimpfung", bestehen blieb aber der Vorwurf der "Verleumdung". Mostafa Daneshju, der Anwalt von Jamshid Lak, der auch andere angeklagte Derwische nach der Zerstörung des Gonabadi Gebetshauses in Qom im Februar 2006 vertreten hatte, wurde die Anwaltszulassung für fünf Jahre aberkannt. So konnte er in dem Berufungsverfahren für Jamshid Lak nicht tätig werden.

 

Am 18. Februar 2009 wurde laut Medienberichten das Gebetshaus der Gonabadi-Derwische in Isfahan zerstört und kurz darauf wurden 30 Sufis bei Zusammenstößen mit der Polizei verhaftet, als diese sich an der Stelle des zerstörten Gotteshauses versammelten. [...]

 

[...] Die Gonabadi-Derwische des Nematollahi-Ordens gehören zu einer iranischen Sufi-Gemeinde, die stark diskriminiert wird, sogar ihre Gebetshäuser werden zerstört. [...]

 

Nachdem am 18.2.2009 ein Gebetshaus in Isfahan mit Bulldozern dem Erdboden gleich gemacht wurde, entschieden sich die iranischen Derwische am 22. Februar 2009 eine Protestaktion vor dem khomeinistischen "Parlament" in Teheran durchzuführen. Es war eine friedliche Protestaktion, die mit Gewalt zerschlagen wurde. An diesem Tag wurden mehr als 800 Derwische, Frauen und Männer, verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen die "nationale Sicherheit des Landes" zu gefährden. Die meisten wurden freigelassen. Fünfzehn Sufis wurden rund drei Monate in Einzelhaft festgehalten. Im letzten Jahr entschieden die iranischen Sufis des Nematollahi-Ordens den 22. Februar als den "Tag des Derwischs" auszurufen. [...]

 

Helmut Gabel [Mitglied des "internationalen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Sufis und Studenten im Iran"; Anm.] hofft, dass infolge der "defensiven" Aktionen die iranische Regierung aufhört die iranischen Derwische zu unterdrücken. Der Tag des Derwischs habe zudem einen "offensiven Charakter", weil an diesem Tag die Derwische ihre "Solidarität mit den anderen Menschen, die im Iran verfolgt, gefoltert und bedrängt würden, zeigen wollen."

Helmut Gabel will zudem vor dem "messianischen Revolutionsgedanken" des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad warnen.

 

Seine Vorstellungen dürften sich nicht in Europa ausbreiten, so Gabel. Es sind insbesondere Gruppen im Umfeld der Hojjatiye, die für die Diskriminierung der Sufis verantwortlich seien. Für die Derwische ist der messianische Glaube von Ahmadinedschad, der im Übrigen gleichzeitig die Staatsphilosophie der "Islamischen Republik Iran" darstellt, purer Aberglaube. Tatsächlich haben in den letzten Monaten die Derwische ihre Protestaktionen gegen das "dunkle und despotische Klima" im Iran verstärkt. [...]

 

Schon im Februar 2006 war ein Gebetshaus (Hosseinieh) der Sufis in Qom geräumt worden. Im Mai desselben Jahres wurden rund 52 Mitglieder des Nematollahi-Ordens wegen "Missachtung der Anweisungen von Regierungsvertretern" und der "Störung der öffentlichen Ordnung" zu Geld- und Prügelstrafen verurteilt. Die Zerstörung der Gebetshäuser der Gonabadi-Derwische und ihre Verhaftungen setzten sich im Jahr 2008 und 2009 fort und dauern bis heute an.

 

Der im Juni 2007 verstorbene Ayatollah Lankarani hatte im Jahr 2006 behauptet, die Sufis würden die "Jugend verführen". Und um dieser Fatwa gleich Nachdruck zu verleihen, verbot er den Iranern jeglichen Kontakt mit Sufis. Den Derwischen wird vorgeworfen mit ausländischen Mächten in Kontakt zu stehen. [...]

 

Es gibt neue und alte Bewegungen von Gnostikern im Iran, die eine lange Tradition im Islam haben. Die traditionelle Frage von Gnostikern ist: Wie, auf welchem Weg erkennt der Mensch Gott? Die Sufis empfehlen den Weg über das Herz.

 

Am 9.2.2010 zitierte die iranische Nachrichtenagentur Aftab den Leiter der Kulturabteilung des iranischen Ministeriums für Wissenschaft, Herrn Dschalalidara, der vor dem negativen Einfluss von neu aufkommenden gnostischen Bewegungen warnte.

 

Eine neu aufkommende Gnostiker-Bewegung würde den Studenten ein "falsches" Verständnis vom Islam beibringen und ihnen ein Gefühl von "extremen" Vorstellungen der "Nachsicht" und "Verzeihung" vermitteln. Er erinnerte daran, dass die Gnostiker das islamische Gesetz nicht mehr ernst nehmen würden. Sie würden sogar propagieren, dass die Beziehung zwischen Mensch und Gott durch das Herz ginge. Dschalalidara warnte vor solchen Vorstellungen, die aus "Leichtsinn" heraus den Islam säkularisieren wollten. [...]

 

Mehrnews warnte ebenfalls vor der Gefahr der Einflussnahme von neo-gnostischen Bewegungen, die die "iranischen Universitäten angegriffen haben." Sie hätten die "Identität der iranischen Jugend zu ihrer Zielscheibe" gemacht.

 

Laut Tabnak hat der Kleriker Hojatoleslam Ranjbaran, ein Vertreter des Revolutionsführers Ali Khamenei, vor dem Anwachsen des Einflusses der Gnostiker auch unter den Professoren iranischer Universitäten gewarnt. Zwar sei die iranische Jugend gegenüber dem "System und dem Führer" sehr loyal und pflichtbewusst, aber es gäbe einen negativen Einfluss von "devianten Gnostikern". Ranjbaran ist der Meinung, dass "wenn Moral und Sittlichkeit nicht im Dienst der Gesellschaft und des politischen Systems der Islamischen Republik stehen, dann ist eine solche Moral nicht edel." [...]

 

Der Konflikt zwischen den Sufis und dem schiitischen Klerus begann vor rund 900 Jahren, im vierten Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung, als die frühen schiitischen Dynastien im Iran errichtet wurden. Sobald der schiitische Klerus ihre Machtpositionen stabilisierte, wurden die Sufis, die sich zwar auf den Koran beziehen, aber einen direkten Weg zu Gott suchen, unterdrückt.

 

In der Safawiden-Dynastie, (1501-1722) die zum ersten Mal in der iranischen Geschichte die Schia zur Staatsreligion machte, gab es einen ersten Höhepunkt der Unterdrückung der Sufis:

 

Im Jahre 1576 wurde dem Leiter der damaligen Sufi-Gemeinde die Augen ausgestochen. Schah Ismael II befahl, die Sufis "ob klein oder groß, ob jung oder alt zu ermorden." An einem Tag sollen über 500 Sufis hingerichtet worden sein.

 

Als weiteres Beispiel sei Schah Abbas angeführt, der für seine despotische Herrschaft bekannt war. Schah Abbas verkündete im Jahre 1594 das Todesurteil für den Derwisch Khosro. Sohrab Nikusefat schreibt im ersten Buch seines zweibändigen Werkes über die "Ermordung von Andersdenkenden im Iran von Safawiden bis zur Islamischen Revolution": "Derwisch Khosro wurde erhängt, tot an vier Kamelen festgebunden und durch die Stadt Ghazvin geführt." Schah Abbas wurde auch selbst aktiv und säbelte mit eigenem Schwert den Sufi Mir Seyyed Ahmad Kaschi in zwei Teile.

 

Die Verfolgung der Sufis ging auch unter der Qajaran-Dynastie weiter: Im Jahr 1797 verkündete der Freitagsimam von Kerman, ein Kleriker namens Mullah Abdullah Mojtahed, eine Fatwa, die dazu aufrief einen Anhänger des Nematollahi-Ordens zu steinigen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde ein Mohammadali Kermanschahi, genannt Behbahani der Sufimörder, berühmt für seine Grausamkeit.

 

Einerseits wurden die Sufis als Andersdenkende stets in der islamischen Geschichte verfolgt, andererseits zählten die besten und bekanntesten Dichter wie Hafiz, Molawi und Saadi zu ihnen. Es sollte niemanden wundern, dass auch in der "Islamischen Republik Iran" die Sufis diskriminiert werden. [...]

 

[...] In Ghom gingen wieder einmal Sicherheitskräfte der Islamischen Republik gegen den Sufi-Orden der Nematollahi Gonabadi¿s vor. Ihre Gebetsstätte wurde dabei in Brand gesetzt. Offiziellen Angaben zufolge kam es zum Einsatz von Tränengas gegen die Sufis, welche sich mit Steinen zu wehren versuchten. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es zu über 1000 Festnahmen. Bei dem Vorfall seien mehr als 200 Menschen verletzt worden.

 

Die Lage eskalierte am Montag, als die Sufis sich weigerten ihre eigenen Gebetsräume (Hosseynie) zu evakuieren, in dem sie sich täglich zum gemeinsamen Gebet versammelt hatten. "Die Übergriffe der Sicherheitskräfte endeten am Dienstag. Die Gebetsräume wurden zerstört und in Schutt und Asche gelegt" berichtet ein Beamter des Rathauses in Ghom.

 

Augenberichten zufolge soll es mehrere Tote gegeben haben. Demnach soll es sich um 15 Todesopfer handeln.

 

Ghom's Govaneur, Abbas Mohataj beschuldigte die Sufis Teil eines fremden Plots zu sein, ging aber nicht näher darauf ein. "Wir hatten es nicht von vornherein auf eine solche Konfrontation abgesehen, doch als wir der Ansicht waren, dass uns eine eventuelle Gefahr droht, wurden diese Schritte eingeleitet," wurde Mohtaj in der Zeitung "Jomhuri-ye Eslami" zitiert. [...]

 

"Die zu verabscheuenden Gruppierungen nutzen jede Gelegenheit aus, Unsicherheit in unser Land zu bringen. Dass die Sufi's Verbindungen zum Ausland haben ist offensichtlich," fährt er fort. Mohtaj fügte hinzu, dass ungefähr 200 Personen verletzt und über 1.000 festgenommen worden sind.

 

Reuters bereichtet [sic!], dass Ghom's Sheikh Haj Seyed Ahmad Shariat und seine Familie ebenfalls verhaftet wurden. Anschließend wurde auch sein Haus von den Sicherheitskräften angezündet und in Brand gesetzt.

 

Ayatollah Hossein Nouri-Hamedani rief bereits im September 2005 zu einem Schlag gegen die Sufis in Ghom auf, die er als eine "Gefahr für den Islam" bezeichnete. Beobachter sind der Meinung, dass die Spannungen mit den Sufis in Ghom in Zusammenhang mit ihrer zunehmenden Popularität stünden. "Sufis wurden in Ghom populär und die Offiziellen sahen dies als Grund um sie zu unterdrücken," sagte ein Mitglied einer reformistischen Partei Ghom's.

 

Der Nematollahi-Gonabadi Orden ist der größte schiitische Sufi-Orden der Welt. Dieser Angriff verdeutlicht wiedermals, dass nicht nur andere Religionen und deren Anhänger im Iran diskriminiert und unterdrückt werden, sondern auch schiitische Moslems. [...]

 

[...] Die iranischen Derwische sind Muslime und glauben an den Koran, [...]. Sie glauben, dass der Mensch direkt mit Gott Zwiesprache halten kann. [...] Die Derwische beten zu Gott, aber anders als der iranische Staatsklerus vorschreibt.

 

[...] Tatsächlich respektieren Derwische nicht die Rolle der Kleriker als Vermittler zwischen Mensch und Gott und auch nicht die Staatsideologie des Iran, die davon ausgeht, dass der Revolutionsführer Ali Khamenei Stellvertreter Gottes auf Erden ist.

 

[...] Die Sufis glauben, dass jede Einmischung des Klerus in die irdischen Belange eine Gefahr für [sic!] den Islam bedeutet. Dies bringt einen prinzipiellen Konflikt mit dem Staatsklerus an der Macht mit sich. [...]

 

3. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin beruhen auf den von ihr vorgelegten Dokumenten (Reisepass, Personalausweis).

 

Dass die Beschwerdeführerin an einer psychischen Erkrankung ( welche nunmehr überwunden ist ) litt, geht aus den vorgelegten ärztlichen Berichten (Arztbericht Dris. XXXX, vorläufiger Bericht des LKH XXXX) aber auch aus dem vom Bundesasylamt in Auftrag gegebenen neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. R. und Dr. D. vom 27.08.2010, hervor.

 

Dass die Beschwerdeführerin Anhängerin der sufistischen Religionsgemeinschaft ist, stellte bereits das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Bescheid fest. Die ergänzende Befragung bei der Beschwerdeverhandlung bestätigte eindeutig die Zugehörigkeit zum Sufi-Glauben, zumal die Beschwerdeführerin flüssig und ins Detail gehend und auch durchaus emotional die Fragen zum sufistischen Glauben beantworten konnte.

 

Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei im Iran im Zuge der Teilnahme an Versammlungen ihrer Religionsgemeinschaft festgenommen und misshandelt worden, welches das Bundesasylamt in seinem Bescheid als unglaubwürdig gewertet hat, erwies sich, weil auch hinsichtlich Zeit und Ort der Vorfälle mit den Inhalten der diesbezüglichen Länderfeststellungen im Einklang, als glaubwürdig.

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Lage der Angehörigen der sufistischen Religionsgemeinschaft im Iran beruhen auf den bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt herangezogenen und den im Beschwerdeverfahren hiezu ergänzten Berichten. Diese zeichnen, basierend auf aktuellen Berichten verschiedener zuverlässiger Quellen, ein übereinstimmendes Bild hinsichtlich der Lage der Angehörigen der genannten Religionsgemeinschaft im Iran.

 

4. Rechtlich folgt:

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat das erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 4/2008 (AsylG 2005) sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 mit der Maßgabe zu Ende zu führen, dass in Verfahren, die nach dem 31. März 2009 beim Bundesasylamt anhängig sind oder werden, § 10 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass eine Abweisung des Asylantrages, wenn unter einem festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist, oder eine Zurückweisung des Antrages als Entscheidung nach dem Asylgesetz 2005 gilt. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz am 06.10.2008 gestellt, weshalb das AsylG 2005 i.d.g.F zur Anwendung gelangt.

 

Zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling i.S.d. Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH E vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH E vom 26.2.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH E vom 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH E 18.4.1996, 95/20/0239; VwGH E vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH E vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH E vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH E vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH E vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH E vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, u.a.).

 

Angesichts der getroffenen Feststellungen zur Lage von Angehörigen der sufistischen Religionsgemeinschaft im Iran und dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Religionszugehörigkeit bereits vor ihrer Flucht in das Blickfeld der iranischen Behörden gekommen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie im Falle einer Rückkehr eine die Schwelle asylrechtlicher Relevanz erreichende Verfolgungsgefahr in ihrem Herkunftsstaat zu gewärtigen hat.

 

Es ist daher im vorliegenden Fall objektiv nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen, von erheblicher Intensität aus einem der in Artikel 1 Abschnitt A 2 GFK genannten Gründe, nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes ihres Herkunftsstaates zu bedienen, zumal auch eine inländische Ausweichmöglichkeit - die iranische Regierung übt über alle Landesteile die Macht aus - nicht vorhanden ist.

 

Hinweise dass einer der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnten, sind nicht hervorgekommen.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamte Staatsgebiet, Religion
Zuletzt aktualisiert am
12.04.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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