TE AsylGH Bescheid 2009/03/11 C8 238155-0/2008

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Veröffentlicht am 11.03.2009
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Spruch

C8 238155-0/2008/15E

 

Schriftliche Ausfertigung des am 18.01.2008 mündlich verkündeten Bescheides

 

SPRUCH

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. LEHOFER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. 76/1997 (AsylG), i.d.g.F. Nr. 126/2002 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 25.03.2004, am 27.03.2006 und am 18.01.2008 verkündet:

 

Die Berufung von XXXX vom 06.06.2003 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.05.2003, Zl. 02 18.189-BAW, wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idgF als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 09.07.2002 beim Bundesasylamt im Rahmen einer Befragung durch die BH Gänserndorf einen Asylantrag. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte er vor, dass er Funktionär der Moslem Student Federation gewesen sei und aus diesem Grund vom pakistanischen Militär verfolgt werde.

 

In der vom Bundesasylamt mit dem Beschwerdeführer am 09.05.2003 aufgenommenen Niederschrift brachte der Beschwerdeführer vor, dass es im November 2001 eine öffentliche Besprechung im College gegeben habe, welche von der MSF organisiert worden sei. Die Besprechung habe in XXXX stattgefunden. Der Beschwerdeführer gehöre seit 1998 der MSF als einfaches Mitglied an. Der Cousin des Beschwerdeführers, XXXX, sei Bezirksvorsteher der MSF gewesen. Bei der Veranstaltung seien die Angehörigen der Jammiat Islami, das sei die gegnerische politische Partei, gekommen und hätten zu schießen begonnen. Die Gruppe des Beschwerdeführers habe zurückgeschossen und es habe Tote und Verletzte gegeben. Nach dem Vorfall habe die Polizei Nachforschungen betrieben und eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Der Beschwerdeführer sei bei der Veranstaltung weder bewaffnet gewesen noch habe er geschossen, jedoch sei er der Organisator gewesen. Nach der Veranstaltung sei er mit einem seiner Freunde namens XXXX geflüchtet. Aufgrund dieses Ereignisses habe er Pakistan verlassen. Die Militärregierung habe das ganze Büro des Beschwerdeführers durchsucht und wichtige Dokumente mitgenommen. Es seien vier Leute, darunter auch der Beschwerdeführer, verantwortlich gemacht worden. Er werde nunmehr vom Militär gesucht. Nach nochmaliger Nachfrage, ob der Beschwerdeführer vom Militär oder von der Polizei gesucht werde, gab er an, dass die pakistanische Polizei ihn suchen würde. Er habe aber nie einen Haftbefehl oder eine Anzeige gegen ihn gesehen. Er glaube, dass ein Haftbefehl bzw. eine Anzeige gegen ihn vorliege. Die Gefahr würde für den Beschwerdeführer in ganz Pakistan bestehen. Abgesehen vom geschilderten Vorfall habe er keine weiteren Fluchtgründe.

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.05.2003 wurde der Asylantrag des Asylwerbers gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchteil I) sowie festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers nach Pakistan gemäß § 8 AsylG zulässig ist (Spruchteil II).

 

Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Berufung (nunmehr Beschwerde) vom 17.10.2002.

 

Vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat wurde am 25.03.2004 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt. In dieser legte der Beschwerdeführer zwei Seiten eines pakistanischen Führerscheins in Kopie, eine Arbeitsbestätigung, eine Geburtsurkunde, ein Schreiben der MSF, ein Schreiben der PML, ein Schulzeugnis sowie fünf FIRs vor, welche in Kopie zum Akt genommen wurden. Am Ende der Verhandlung wurde Herr XXXX mit Einverständnis des Beschwerdeführers zum Sachverständigen bestellt.

 

Am 27.03.2006 wurde eine weitere öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat durchgeführt, zu welcher der Beschwerdeführer jedoch unentschuldigt nicht erschien.

 

Am 18.01.2008 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine dritte öffentliche, mündliche Verhandlung durch und verkündete nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung sogleich den Bescheid mit oben angeführtem Spruch. Das zuständige Senatsmitglied, Dr. LEHOFER begründete die abweisende Entscheidung mit der mangelnden Glaubhaftmachung von aktuellen, individuellen Gründen gemäß § 7 AsylG bzw. mangelnder Glaubhaftmachung von Refoulementgründen gemäß § 8 AsylG.

 

Am 23.08.2008 legte der Beschwerdeführer dem Asylgerichtshof Dokumente (Gerichtsbestätigung, Fotos, Visitenkarte des Bruders, Zeitungsausschnitte) vor, welche jedoch angesichts des vor Einbringung rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens aufgrund der mündlichen Verkündung des Bescheides keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungsfindung haben. Selbst unter Berücksichtigung des Inhalts der vorgelegten Dokumente hätten diese zu keinem anderen Ergebnis in der Beweiswürdigung geführt (siehe auch Punkt 3.1).

 

II. Der Unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Es wurden vom Unabhängigen Bundesasylsenat folgende

Feststellungen getroffen:

 

1.1. Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger. Seine Identität wurde entsprechend seinen Angaben in der Verhandlung vom 18.1.2008 vor dem UBAS festgestellt.

 

1.2. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war oder dass ihm Verfolgung gedroht hat.

 

1.3. Zur Lage in Pakistan wurden aufgrund der in der Verhandlung vom 18.01.2008 vorgehaltenen Quellen die dort daraus getroffenen vorläufigen entscheidungsrelevanten Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.

 

2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einvernahme vor der Erstbehörde, den Ausführungen in den Verhandlungen vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat sowie dem Sachverständigengutachten in Einklang mit dem Akteninhalt.

 

2.2. Der Unabhängige Bundesasylsenat ging auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und des Sachverständigengutachtens und aufgrund einer Gesamtschau des Akteninhaltes nicht davon aus, dass der Fluchtgrund den Tatsachen entspricht und der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen ist; dies kann aus folgenden näheren Erwägungen geschlossen werden:

 

Der Beschwerdeführer gab als Fluchtgrund an, dass er Mitglied der MSF gewesen sei, weshalb er Probleme mit dem Militärregime bzw. der Polizei bekommen habe. Er habe im November 2001 eine öffentliche Veranstaltung der MSF organisiert, zu welcher plötzlich auch Mitglieder der Jammiat Islami, der gegnerischen Partei, gekommen seien und zu Schießen begonnen hätten. Die Mitglieder der MSF hätten zurückgeschossen und es habe einige Tote und Verletzte gegeben. Danach habe die Polizei Nachforschungen und auch eine Hausdurchsuchung im Parteibüro des Beschwerdeführers durchgeführt. Der Beschwerdeführer habe Angst bekommen und sei daher aus Pakistan ausgereist, um sein Leben vor der pakistanischen Polizei bzw. dem Militär zu retten.

 

Im Hinblick auf diese vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgungsgefahr durch Angehörige der Militärdiktatur war dem in der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2008 erörterten Gutachten des Sachverständigen XXXX zu folgen. Aus diesem Gutachten ist ersichtlich, dass die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Wohnanschrift nicht der Wahrheit entsprechen. Der vom Beschwerdeführer als Stadtviertel angeführte "XXXX" ist kein Stadtviertel, sondern ein Park. Ein vom Sachverständigen befragter Bewohner eines Hauses in der Nähe des XXXX bestätigte klar und eindeutig, dass die vom Beschwerdeführer angegebene Adresse unvollständig ist. Die vom Beschwerdeführer angegebene Adresse enthält weder eine Bezeichnung der Straße noch die "Gallinummer" noch die Hausnummer. Der befragte Bewohner, der selbst auch ein Kandidat des Gemeindevertreters in XXXX gewesen ist, bestätigte auch zweifelsfrei, dass weder der Beschwerdeführer noch sein Vater in der Umgebung von XXXX gelebt haben und dort gänzlich unbekannt sind.

 

Auf Basis des Sachverständigengutachtens konnte festgestellt werden, dass die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner asylrelevanten Verfolgung durch die Sicherheitsorgane der Polizei in XXXX aufgrund seiner Aktivitäten für die MSF nicht der Wahrheit und der Realität entsprechen. Vielmehr ist aus dem Gutachten hervorgekommen, dass ein Archivbeamter des Polizeikommissariats XXXX nach genauer Durchsicht der Akten klar, eindeutig und unmissverständlich bestätigt hat, dass im Zeitraum 01.10.2001 bis 31.12.2001 weder ein Vorfall, wie ihn der Beschwerdeführer geschildert hat, stattgefunden hat, noch eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer oder eine andere Person eingebracht worden ist.

 

Weiters geht aus dem Gutachten hervor, dass zur Überprüfung der Angaben des in Pakistan vom Sachverständigen mit den Recherchen beauftragen Rechtsanwalts ein Brief über einen SMS Kurier an die vom Beschwerdeführer angegebene Adresse geschickt worden ist, jedoch dieser mit dem Vermerk "keine gültige Adresse" wieder zurückgekommen ist. Es ist somit feststellbar, dass eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Sicherheitsbehörden im Zuständigkeitsbereich XXXX eindeutig nicht besteht, was auch von den pakistanischen Sicherheitsorganen eindeutig bestätigt wurde. Eine Person mit dem Namen des Beschwerdeführers ist in diesem polizeilichen Sicherheitsbereich unbekannt bzw. nicht existent, weshalb die Angaben des Beschwerdeführers nicht der Realität entsprechen.

 

Am Ende des Gutachtens wurde ausgeführt, dass eine weitere Überprüfung der Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Identität, seiner Geschwister, seines genauen Namens und seiner Familienverhältnisse mangels einer genauen und richtigen Adresse nicht möglich gewesen ist.

 

Insgesamt ist daher für den Unabhängigen Bundesasylsenat aus dem Gutachten klar ersichtlich gewesen, dass die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner asylrelevanten Verfolgung nach den erfolgten Recherchen nicht der Realität entsprochen haben und der Beschwerdeführer weder von Privatpersonen noch von Sicherheitsorganen der Polizei in XXXX verfolgt wurde.

 

Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme bezüglich des Ergebnisses des Gutachtens ab.

 

Aufgrund der Recherchen durch den länderkundigen SV und dessen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2008 erstatteten Gutachten, ging der Unabhängige Bundesasylsenat davon aus, dass von einer Glaubhaftmachung asylrelevanter individueller aktueller Verfolgungsgründe zum Entscheidungszeitpunkt nicht auszugehen ist.

 

2.3. Die Feststellungen zum Herkunftsstaat Pakistan gründen sich auf die in der mündlichen Verhandlung genannten und erörterten Quellen. Den in das Verfahren eingeführten Quellen konnte der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht substantiiert entgegengetreten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige Unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Die Übergangsbestimmungen des § 75 Abs. 7 AsylG 2005 idgF lauten:

 

"Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichthofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständen Senat weiterzuführen."

 

Im gegenständlichen Verfahren wurden durch ein Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates, das nicht zu einem Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, mündliche Verhandlungen geführt und der Berufungsbescheid durch Verkündung am 18.01.2008 erlassen. Der Spruch und die wesentliche Begründung wurden in der Verhandlungsschrift festgehalten.

 

Da im Falle einer Bescheidverkündung nach Schluss der Verhandlung den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides zuzustellen ist und diese Ausfertigung bislang noch nicht erfolgte, ist das gegenständliche Verfahren als ein beim Unabhängigen Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 anhängig gewesenes Verfahren zu sehen, das gemäß § 75 Abs. 7 Z. 3 AsylG 2005 idgF vom zuständigen Senat laut Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes weiterzuführen ist.

 

An den mündlich verkündeten Bescheid knüpfen sich nach der Rechtsprechung des VwGH die Rechtwirkungen eines Bescheides, insbesondere dessen Unwiderrufbar- und Unabänderlichkeit (vgl. Hengstschläger - Leeb, AVG Kommentar, 2. Teilband § 62).

 

Im vorliegenden Fall kann der Asylgerichtshof in Hinblick auf die Rechtswirkungen des bereits erlassenen und mündlich verkündeten Bescheides keine Entscheidung gemäß § 61 AsylG 2005 treffen, da die Entscheidung in der Sache - konkret die Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides - bereits am 18.01.2008 durch das zuständige Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates rechtswirksam erfolgte.

 

Die Ausfertigung des mündlich erlassenen und verkündeten Bescheides ist daher vom Vorsitzenden des zuständigen Senates laut Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vorzunehmen.

 

Anzuwenden war das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: "AsylG 1997"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005") anzuwenden.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

3.2. Spruchpunkt I

 

Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt des aus Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.2.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH vom 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH E vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH E vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH E vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Daher muss die Verfolgungsgefahr (bzw. die wohlbegründete Furcht davor) im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben.

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlings-Konvektion genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Der Beschwerdeführer hat dem Unabhängigen Bundesasylsenat gegenüber keine Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht.

 

Die Beschwerde war daher gemäß § 7 AsylG abzuweisen.

 

3.3. Spruchpunkt II

 

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG 1997 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist und diese Entscheidung mit der Abweisung des Asylantrags zu verbinden. Die Prüfung ist - im Falle der Abweisung des Asylantrags - von Amts wegen vorzunehmen.

 

Zur Auslegung des § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBL I 2003/101 iVm § 50 FPG 2005 (Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1. Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach ist die Verweisung des Art. 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechenden Bestimmungen" des FPG zu beziehen, das ist § 50 FPG) ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 und § 57 Fremdengesetz, BGBl I Nr. 126/2002 BGBL, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (z.B. VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294, VwGH 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438, VwGH 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427, VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG idF BGBL I 2003/101 zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Bei der Entscheidungsfindung ist insgesamt die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK, auch unter dem Aspekt eines durch die EMRK zu garantierenden einheitlichen europäischen Rechtsschutzsystems als relevanter Vergleichsmaßstab zu beachten. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 13669/03).

 

Wie bereits oben ausgeführt, lag demnach für den Unabhängigen Bundesasylsenat keine Verfolgung im Sinne der GFK vor, daher blieb zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall begründete Anhaltspunkte dafür gab, dass der Beschwerdeführer in Pakistan Gefahr liefe einer Bedrohung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG unterworfen zu werden.

 

Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, hat der Beschwerdeführer allein auf Grund der Tatsache, dass er einen Asylantrag gestellt hat, keine Sanktionen zu erwarten.

 

Dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Pakistan die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, Zahl: 2003/01/0059, zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK), hat der Beschwerdeführer nicht belegen können und kann auch von Amts wegen aufgrund der Länderberichte nicht davon ausgegangen werden. Es ist nicht ersichtlich, warum ihm eine Existenzsicherung in seinem Heimatland - auch außerhalb seines Herkunftsortes, beispielsweise in Islamabad - nicht möglich und zumutbar sein sollte. Der Beschwerdeführer habe in Pakistan zehn Jahre die Schule besucht und positiv abgeschlossen und besuchte danach noch ein Wirtschaftscollege. Zudem leben seine Eltern, seine Geschwister sowie weitere Verwandte in seinem Heimatland, sodass ein soziales Bezugsnetz für den Fall der Rückkehr besteht. Hinweise auf eine unzumutbare wirtschaftliche Situation der Familienangehörigen und Verwandten in Pakistan sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

Auch haben sich im Verfahren keine "außergewöhnlichen Umstände" ergeben, die dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnten wie etwa Hungertod, eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens.

 

Somit war die Beschwerde auch hinsichtlich § 8 Abs. 1 AsylG abzuweisen.

 

3.4. Die Prüfung einer Ausweisung im Sinne von § 8 Abs. 2 AsylG idF BGBl. I 101/2003 war in verfassungskonformer Auslegung von § 8 Abs. 2 iVm § 44 Abs. 3 AsylG nicht vorzunehmen; dies im Hinblick darauf, dass mit erstinstanzlichem Bescheid - der damaligen Rechtslage entsprechend - keine Ausweisung verfügt wurde und der Asylgerichtshof auf Grund Art. 129c B-VG als Überprüfungsinstanz in Asylsachen eingerichtet ist und solcherart nicht zu einer - im Ergebnis - erstinstanzlichen Entscheidung über die Ausweisung eines Fremden zuständig gemacht werden darf. Verfassungskonform kann § 8 Abs. 2 iVm § 44 Abs. 3 AsylG nur dahingehend ausgelegt werden, dass eine Ausweisung nur dann vom Asylgerichtshof verfügt werden darf, wenn bereits die erstinstanzliche Entscheidung darüber abgesprochen hat.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, Lebensgrundlage, non refoulement, soziale Verhältnisse
Zuletzt aktualisiert am
16.07.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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