TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/09 A5 265297-0/2008

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Veröffentlicht am 09.03.2009
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Spruch

A5 265.297-0/2008/13E

 

Im Namen der Republik

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SCHREFLER-KÖNIG als Vorsitzende und die Richterin Mag. UNTERER als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin

 

VB KUBJACEK über die Beschwerde des T.G., Staatsangehöriger von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.10.2005, Zl. 04 16.488-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde von T.G.wird gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF BGBl. I Nr. 101/2003, abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997, idF BGBl. I Nr. 101/2003, wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von T.G. nach Nigeria zulässig ist.

 

III. Gemäß § 8 Abs.2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 1010/2003 wird T.G. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verfahrensgang

 

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 16.8.2004 abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt und diese Entscheidung mit einer Ausweisung verbunden.

 

I.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Mit 1.7. 2008 wurde gegenständliche Beschwerdeangelegenheit dem nunmehr erkennenden Senat des Asylgerichtshofes zur Entscheidung zugewiesen.

 

I.3. Der Asylgerichtshof brachte dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10.2.2009 gemäß § 45 Abs.3 AVG aktuelle Feststellungen zur Lage in Nigeria (vgl. unten Punkt II.2) zur Kenntnis und räumte ihm eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme ein. Mit am 20.2.2009 beim Asylgerichtshof per Fax eingelangten Schriftsatz äußerte sich der Beschwerdeführer dazu.

 

I.4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 41 Abs.7 AsylG 2005 aufgrund des aus der Aktenlage als geklärt anzusehenden Sachverhaltes Abstand genommen.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria, seine Identität konnte in Ermangelung der Vorlage von Dokumenten nicht festgestellt werden. Er reiste am 16.8.2004 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag den verfahrensgegenständlichen Asylantrag. Zu seinen persönlichen Lebensumständen gab der Betreffende an, in Warri, Delta State, geboren worden zu sein und dem Volksstamm der Itsekiri anzugehören sowie in seiner Heimat in den Jahren 1995 bis 2003 als Hilfsarbeiter bei der Firma "X" in O. beschäftigt gewesen zu sein. Seine Eltern seien in den Jahren 1995 und 1999 verstorben und habe er noch einen Bruder und eine Schwester, über deren Aufenthalt er keine Angaben machen könne.

 

Am 17.8.2004 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer einer amtsärztlichen Untersuchung durch einen Allgemeinmediziner unterzogen, in deren Rahmen der Beschwerdeführer angab, seine Heimat aus ethnischen Gründen verlassen zu haben und ein Jahr im Haus eines Freundes versteckt gewesen sei. Der Amtsarzt diagnostizierte " PTSD durch miterlebte Massaker und Verfolgung. In Österreich in Sicherheit deutliche Besserung."

 

II.1.2. Am 19.8.2004 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinem Reiseweg an, am 00.00.00 Delta State verlassen und sich nach Benin City begeben zu haben. Von dort aus sei er weiter nach Lagos gereist, wo er sich auf einem Schiff versteckt und am 7.4.2003 letztlich Nigeria verlassen habe. Nach rund drei Wochen sei er in Deutschland angekommen, wo er auch einen Asylantrag gestellt habe, der allerdings abgewiesen worden sei. Am 16.8.2004 sei der nunmehrige Beschwerdeführer letztlich mit dem PKW nach Österreich eingereist.

 

Zu seinen Fluchtgründen führte der nunmehrige Beschwerdeführer aus, dass es 2003 zu einem Überfall durch Angehörige des Volksstammes der Ijaw gekommen sei. Sie hätten die Ölstation, bei der der Beschwerdeführer gearbeitet habe, demoliert und drei Militärangehörige sowie zwei Zivilisten getötet.

 

II.1.3. Der Beschwerdeführer wurde am 23.8.2004 einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme unterzogen und gab in deren Rahmen zu seinen Fluchtgründen an, Assistent des Vorsitzenden seiner Gemeinde gewesen zu sein. Im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen den Itsekiri und den Ijaws sei der Vorsitzende getötet worden und hätten die Ijaws nun nach dem Beschwerdeführer gesucht. Dies habe er von einem Freund in Benin erfahren und räumte er über ausdrückliche Befragung der belangten Behörde ein, niemanden gesehen zu haben.

 

II.1.4. Am 6.10.2005 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde statt. Neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass es seit dem Jahr 1999 ein Problem zwischen den Ijaws und den Itsekiri gegeben habe und er Assistent des Vorsitzenden seiner Gemeinde gewesen sei. Letztgenannter sei im Zuge eines Überfalls der Ijaws 2003 getötet worden. Nunmehr sei auch er gesucht worden, man habe ihn ebenfalls töten wollen. Ein Freund habe ihn gewarnt und ihm geraten, das Land zu verlassen. Er habe sich noch bis 7.4.2003 in Nigeria aufgehalten.

 

Befragt zu den in seinem Gesicht erkennbaren Narben, führte der Beschwerdeführer aus, dass es sich dabei um Stammeszeichen der Itsekiri handle. Er wurde seitens der belangten Behörde damit konfrontiert, dass es sich nach deren Wissensstand allerdings um Stammeszeichen der Edo handle. Darauf erwiderte der Genannte, dass die Itsekiri aus Edo stammten. Zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, weder in ärztlicher Behandlung zu stehen, noch Medikamente zu nehmen.

 

Der Beschwerdeführer verneinte den Besitz von Dokumenten und meinte, diese während der Krise verloren zu haben. Diese Krise habe bereits im Jahr 1999 begonnen und sei es in Warri, wo er damals gelebt habe, zu zahlreichen Bränden gekommen. Er sei damals von Warri weggezogen und habe sich in S. an einer näher bezeichneten Adresse niedergelassen. Der Beschwerdeführer gab an, in Warri bei einer Ölfirma gearbeitet zu haben. Befragt nach der Distanz von Warri und S., gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass eine Autostunde zwischen den beiden Städten liegen würde. Er habe stets zwei Wochen in Warri gearbeitet und sich dann wieder zwei Wochen in S. aufgehalten. Es sei in der Gegend immer wieder zu Kämpfen gekommen, auch der Vorsitzende der Jugend, ein Mann namens A.A. sei getötet worden und der Beschwerdeführer habe befürchtet, der Nächste zu sein. A.A.habe die Itsekiri offiziell repräsentiert, seine Aufgabe sei es gewesen, die Angehörigen dieses Volksstammes zu organisieren und gegen Angriffe der Ijaws zu schützen. Der Beschwerdeführer sei seit dem Jahr 1999 Assistent des Genannten gewesen und in dieser Funktion von den Jugendlichen auch gewählt worden. Im Zuge eines von den Ijaws ausgehenden Angriffs auf die örtliche Ölstation sei der Vorsitzende ums Leben gekommen, während dem Beschwerdeführer selbst die Flucht in den Busch geglückt sei, wo er letztlich mit einem Hubschrauber der Ölstation gerettet und nach Warri gebracht worden sei. Er habe den Leichnam des Vorsitzenden selbst gesehen und wisse daher von dessen Tod. Dass er der Nächste gewesen wäre, den die Ijaws umgebracht hätten, ergebe sich aus der Drohung, die Angehörige dieses Volksstammes ausgesprochen hätten. Sie hätten beabsichtigt, alle Funktionäre der Dorfjugend zu töten.

 

Über Nachfrage der belangten Behörde, warum sich der Beschwerdeführer nicht in Benin City oder einer anderen Stadt niedergelassen habe, meinte er, nicht an ein Leben in einer dieser Städte gewöhnt gewesen zu sein und auch niemanden dort gekannt zu haben.

 

II.1.4. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen vom 00.00.00 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz rechtskräftig verurteilt.

 

II.1.5. Mit Bescheid der BPD vom 00.00.00 wurde über den Beschwerdeführer aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

 

II.1.5. Die belangte Behörde wies den Asylantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers ab. Unabhängig von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit sei das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet, eine Asylgewährung zu begründen, da die geltend gemachten Fluchtgründe keine Deckung in der GFK fänden. In diesem Sinne könne von einer Verfolgung nur ausgegangen werden, wenn ein zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates vorliege, das ausschließlich aus Gründen der Rasse, Nationalität, Religion politischen Gesinnung und/oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe basiere und sich direkt gegen den Einzelnen richte. Der vom Beschwerdeführer dargestellte Konflikt sei weder unmittelbar noch mittelbar dem Staat Nigeria zurechenbar. Eine Verfolgung, die, wie im vorliegenden Fall, lediglich von Privatpersonen - wenn auch in Form radikaler Stammeszugehörigen - ausgehe, könne nicht unter die Bestimmungen der GFK subsumiert werden. Zudem sei der Genannte darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer allfälligen Konflikten in Warri bzw. dem Dorf Obod durch einen Umzug innerhalb Nigerias hätte entgehen können.

 

Auf die Untersuchung des Beschwerdeführers am 17.8.2004 sei nicht näher einzugehen, es müsse allerdings schon die dabei offensichtlich völlig abweichende Sachverhaltsdarstellung betont werden, zumal der Genannte gegenüber dem Arzt davon gesprochen habe, ein Jahr lang im Haus eines Freundes versteckt gewesen zu sein. Im weiteren Verlauf des Verfahrens habe der Beschwerdeführer eine ärztliche Betreuung nur im Zusammenhang mit einer Schulterverletzung und einer Verkühlung angegeben. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer somit einen psychischen Belastungszustand lediglich behauptet habe, um seiner anstehenden Überstellung nach Deutschland im Rahmen des Verfahrens gemäß § 5 AsylG zu entgehen.

 

Die belangte Behörde traf umfassende Länderfeststellungen zur Situation in Nigeria.

 

In Bezug auf die Frage des Refoulementschutzes stellte die belangten Behörde unter einem fest, dass eine Gefährdungslage im Sinne des § 8 iVm mit § 57 FrG nicht feststellbar sei und verwies auf die diesbezügliche Judikatur des VwGH und des EGMR.

 

Die Ausweisung sei in Ermangelung eines festgestellten Privat- und Familienlebens gemäß

 

§ 8 Abs.2 AsylG zulässig.

 

II.1.6. Der Beschwerdeführer bekämpfte die Entscheidung der belangten Behörde fristgerecht mittels Berufung (ab 1.7 2008: Beschwerde). Darin wiederholte er im Wesentlichen, in Nigeria Opfer eines Kampfes um Ressourcen geworden zu sein und verwies auf die Auseinandersetzungen zwischen den Ijaws und den Itsekiri, in deren Rahmen auch Menschen ums Leben gekommen seien. Er habe aufgrund des Umstandes, dass er ein Funktionär der Dorfjugend gewesen sei, befürcht, getötet zu werden.

 

II.1.7. Mit Bericht der BPD vom 00.00.00 wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer im Zuge einer Razzia wegen Verdachtes des Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz festgenommen worden war.

 

2008 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer bei Begehung des Verbrechens gemäß § 27 Abs. 3 SMG auf frischer Tat betreten und befindet sich aus diesem Grunde seither in Untersuchungshaft.

 

II.1.8. Zu den dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10.2.2009 zur Kenntnis gebrachten Länderfeststellungen äußerte sich dieser binnen gesetzter Frist handschriftlich und in deutscher Sprache. Er entschuldigte sich darin für die in Österreich begangenen Straftaten und begründete diese mit Geldmangel, der dazu geführt habe, dass er nicht imstande gewesen wäre, in Österreich beispielsweise die Schule besuchen zu können. Das Leben ohne Arbeit sei außerdem sehr schwer. Nachdem er zwei Mal im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen der Ijaw und der Itsekiri sein Haus verloren habe -einmal im Jahr 1999, ein weiteres Mal im Jahr 2003 - könne er nicht mehr in seine Heimat zurück, zumal er durch die Stammeszeichen in seinem Gesicht auch eindeutig als den Itsekiri zugehörig erkennbar wäre. Abschließend beschrieb er in seiner Stellungnahme auch seine genaue Tätigkeit bei der Firma "X" und verwies darauf, sich bessern zu wollen und keine Drogen mehr zu verkaufen.

 

II.2. Zur Lage in Nigeria

 

Allgemein

 

Nigeria ist eine föderale Republik in Westafrika, bestehend aus 36 Bundesstaaten und mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 140 Millionen Menschen. 1960 wurde in Nigeria die Unabhängigkeit von Großbritannien proklamiert. Die nachfolgenden Jahre waren von interkulturellen sowie politischen Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägt, als schließlich das Militär (durch Igbo- Offiziere) 1966 die Macht übernahm und die erste Republik beendete. Die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen - abgesehen von 1979 bis 1983, als Shehu Shagari mit der Hilfe von General Obasanjo die zivile Regierungsmacht übertragen bekam - fanden erst wieder im Jahr 1999 statt, bei denen Olusegun Obasanjo als Sieger hervorging und anlässlich der Wahlen 2003 als solcher bestätigt wurde. (1+2)

 

Gemäß der nach amerikanischem Vorbild entworfenen Verfassung von 1999, die am 29. Mai 1999 in Kraft trat, verfügt Nigeria über ein präsidiales Regierungssystem mit einem Senat (109 Abgeordnete) und einem Repräsentantenhaus (360 Abgeordnete). Darüber hinaus gewährleistet die Verfassung ein Mehrparteiensystem und alle 4 Jahre stattfindende Wahlen. Der Präsident verfügt generell über weit reichende Vollmachten und ist sowohl Staatsoberhaupt, Regierungschef als auch Oberbefehlshaber der Armee. (3)

 

Am 12.12.2008 hat das Oberste Gericht in letzter Instanz die Beschwerden der unterlegenen Kandidaten gegen die Präsidentschaftswahlen vom Mai 2007 zurückgewiesen und damit Staatspräsident Yar'Adua endgültig in seinem Amt bestätigt. Das Urteil wurde von den Verlierern öffentlich akzeptiert. Die Regierungsführung des Präsidenten ist durch ein grundsätzliches öffentliches Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und den Versuch, eine nachhaltige und reformorientierte Wirtschaftspolitik zu betreiben, geprägt. (4)

 

(1) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2008 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

(2) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

(3) IDMC, "Nigeria: Institutional mechanisms fail to address recurrent violence and displacement", S. 1-4, von 29.10.2007 (www.internal-displacement.org).

 

(4) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand November 2008, S. 5, von 21.01.2009.

 

Generelle Menschenrechtslage

 

Die Menschen- und Bürgerrechte sind im Grundrechtskatalog der Verfassung gewährleistet. Die nach wie vor sehr schlechten Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit, die grassierende Korruption sowie die mangelhafte Ausbildung, Ausrüstung und Bezahlung der staatlichen Organe lassen die Verfassungswirklichkeit weit hinter dem menschenrechtlichen Anspruch der Verfassung zurück.

(1)

 

In der nigerianischen Gesellschaft ist Gewalt ein alltägliches Phänomen, welche zumeist auch von Politikern zur Zielerreichung bewusst eingesetzt wird. Willkürliche Verhaftungen und Folter sowie politisch motivierte Auftragsmorde durch Polizei und Militär sind keine Seltenheit. Die harschen Haftbedingungen und die schlechten Zustände in den Gefängnissen können lebensbedrohende Ausmaße annehmen. Selbstjustiz stellt daher in verschiedenen Landesteilen ein gravierendes Problem dar. Zu diesem Zweck wird hauptsächlich auf sog. "Vigilante Groups" (private Milizen, oft auch ethnisch motiviert) zurückgegriffen, welche durch die Regierungen einiger Bundesstaaten toleriert oder sogar aktiv unterstützt werden. (3)

 

Obwohl eine Verbesserung der Menschenrechtslage hinsichtlich ziviler und politischer Rechte seit 1999 festzustellen ist, wird nach wie vor von willkürlichen Ausschreitungen und Gesetzesverletzungen ausgehend von den nigerianischen Sicherheitskräften berichtet. Die Beschneidung essentieller Grundrechte, häusliche Gewalt, Diskriminierung der Frauen, Kindesmissbrauch sowie ethnisch, regionale und religiöse Diskriminierungen stellen in Nigeria wohl die signifikantesten und bislang sanktionslosen Rechtsverletzungen dar. (2)

 

(1) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand November 2008, S. 5., von 21.01.2009.

 

(2) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2007 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

(3) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

Politische Betätigung

 

Die Verfassung von 1999 gewährleistet prinzipiell das Recht auf einen freien politischen Zusammenschluss, was auch von der Regierung in der Praxis respektiert wird. 2006 waren 46 Parteien bei der Nationalen Wahlkommission gemeldet (National Election Commission INEC). (1) Bei den Parlamentswahlen 2007 traten 43 Parteien an, 24 Parteien stellten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl auf. (2) Oppositionelle Politiker werden toleriert und haben auch das Recht, ihre Ansichten öffentlich kund zu tun. Das Wahlrecht erlaubt es ebenso, aus einer Partei auszutreten und eine neue Partei zu gründen. Gelegentlich wird von kurzen Anhaltungen auf Grund von regierungskritischen Pressemitteilungen seitens der Opposition berichtet. (3) Die diesbezügliche Toleranz wird auch dadurch veranschaulicht, dass die nigerianische Parteienlandschaft generell von einer komplexen personellen Verflechtung zwischen der regierenden Partei und der Opposition geprägt ist. (1+2)

 

Nigeria, das seit der Unabhängigkeit nur bis 1966 und dann wieder von 1979 bis 1983 von zivilen Regierungen geführt wurde, ist 1999 mit der Wahl von Olesegun Obasanjo zur Demokratie zurückgekehrt und verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich bei den meisten der ca. 50 kleineren Parteien entlang ethnischer Linien. Loyalitäten gegenüber der eigenen ethnischen Gruppe gehen anderen Loyalitäten vor und werden unterhalb der Ethnie durch Loyalitäten gegenüber Personen ergänzt. Keine der Parteien repräsentiert eine eindeutige politische Richtung. Die Verfassung (Art. 65 Abs.2) verlangt von allen politischen Kandidaten eine formelle Parteizugehörigkeit; nur über Parteien besteht Zugang zu Macht, Ämtern und entsprechenden Ressourcen. Parteien werden daher primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei (sog. "decamping"), wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Die einzige große überregionale Partei ist die Regierungspartei PDP (People's Democratic Party). Zweitstärkste Partei ist die ANPP (All Nigeria People's Party), die vor allem im Norden vertreten ist. Dritte Kraft ist der anlässlich der Wahlen 2007 gegründete Action Congress (AC). Die übrigen Parteien haben kaum Bedeutung. Mit der Amtseinführung des neu gewählten Präsidenten Yar'Adua am 29. Mai 2007 ist erstmals in der Geschichte des unabhängigen Nigeria ein demokratischer Regierungswechsel gelungen. Bei den Wahlen am 14. und 21. April 2007 waren auch die Gouverneure und Landesparlamente in den 36 Bundesstaaten und die beiden Kammern der Nationalversammlung (Senat und Repräsentantenhaus) neu zu bestimmen. Die Regierungspartei PDP erhielt ein weiteres Mal die Mehrheit in den beiden Kammern der Nationalversammlung (Senat und Repräsentantenhaus). Nach vereinzelten Korrekturen der Wahlergebnisse durch Gerichte stellen die Oppositionsparteien ANPP in fünf, die PPA in zwei, der AC in zwei und die All Progressive Grand Alliance (AGPA) in einem Bundesstaat die Staatsregierungen (Gouverneure), in den übrigen 26 Bundesstaaten werden die Gouverneure von der PDP gestellt. (3)

 

Dennoch kommt es auf Grund der einzelnen Machtbestrebungen immer wieder zu politisch motivierten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Parteien, die hauptsächlich mit Hilfe von undemokratischen Mitteln, wie bewaffneten Kämpfen bis zum politischen Mord, einhergehen. Dazu werden in der Regel eigene "Gangs" herangezogen, deren Mitglieder öffentlich rekrutiert und von den Politikern bezahlt werden. Die verantwortlichen Organe bleiben zumeist von strafrechtlichen Konsequenzen verschont. Die neue Regierung von Präsident Yar'Adua hat aber erkennen lassen, dass sie sich dieser Themen annehmen will, zumal diese militanten Vereinigungen auch nach den eher problematischen Wahlvorgängen in der Regel existent bleiben. (1+5+6)

 

Bei den letzten Wahlen im April 2007 wurden ca. 200 bis 300 Personen Opfer von gewaltvollen Ausschreitungen. (1+6) Bis 30.03.2007 wurden von der "Nigerian Alliance for Peaceful Elections" in den Bundesstaaten Bayelesa, Bauchi, Benue, Rivers und Delta 51 Fälle von Tötungen, Kidnapping und Gefechten zwischen den einzelnen Anhängern berichtet. (1) Im Bundesstaat Katsina, aus dem Yar'Adua und sein Konkurrent Buhari stammen, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit vier Toten. Militante Gruppen versuchten, die Wahlen zu sabotieren.

(4) Weder die Regierung noch die Polizei unternahmen ausreichende Maßnahmen, um dagegen vorzugehen oder die Initiatoren zur Verantwortung zu ziehen. (1) In- und ausländische Wahlbeobachter (einschließlich der "European Observer Mission") stellten massive Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen fest. Bei den gerichtlich angeordneten Nachwahlen in den Bundesstaaten Kogi, Sokoto, Adamawa, Cross River und Bayelsa zog die

 

PDP wiederum alle Register der machthabenden Partei und gewann erneut. Weitere Einzelwahlen wurden erfolgreich vor Gerichten angefochten; in anderen Fällen - so auch bei den Präsidentschaftswahlen - ist der Prozess der gerichtlichen Wahlanfechtung noch nicht abgeschlossen. (3)

 

Die politische Opposition kann sich grundsätzlich gewaltfrei betätigen. Gelegentlich sind jedoch Eingriffe seitens der Staatsgewalt festzustellen. So wurde der Pressesprecher des zur Opposition übergegangenen ehemaligen Vizepräsidenten Atiku Abubakar im Oktober 2006 vom Staatssicherheitsdienst zwei Tage lang festgehalten, nachdem er scharfe, gegen den Präsidenten gerichtete Presseerklärungen abgegeben hatte. (3)

 

Es gibt keine Berichte über politische Häftlinge in Nigeria. (2)

 

(1) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 58-59.

 

(2) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 8 u. 15-16.

 

(3) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria. Stand November 2008, S. 7f u 10.

 

(4) SZ, Perras Arne, von 23.04.2007.

 

(5) Human Rights Watch. Politics as War. The Human Rights Impact and Causes of Post-Election Violence in Rivers State, Nigeria. Vol. 20, No. 3(A), S. 13-15.

 

(6) AI Report 2008, Nigeria. S. 1-2.

(http://thereport.amnesty.org/eng/regions/africa/nigeria)

 

Meinungs- und Pressefreiheit

 

Meinungs- und Pressefreiheit sind durch die Verfassung von 1999 garantiert und finden sich auch in der Verfassungswirklichkeit grundsätzlich wieder. Die Medienlandschaft Nigerias ist durch eine Vielfalt privater Tageszeitungen und Wochenmagazine, Radiostationen und auch Fernsehsender ("Channels TV") geprägt, die insgesamt breit und relativ frei zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Themen berichten. Aber auch unter der Regierung von Staatspräsident Yar'Adua kommt es, wenn auch in geringerem Ausmaß, zu Eingriffen in die Pressefreiheit. Im September 2007 wurden zwei deutsche Journalisten vom Staatssicherheitsdienst im Bundesstaat Delta für insgesamt vier Wochen in Gewahrsam genommen. Den Journalisten, die sich zu vorbereitenden Recherchen zu einem Dokumentarfilm in Nigeria aufhielten, wurden Verstöße gegen den Official Secrets Act (1962) zur Last gelegt. Mitte September 2008 wurde dem privaten Fernsehsender "Channels TV" für vier Tage die Sendeerlaubnis entzogen, nachdem er eine Falschmeldung der staatlichen Nachrichtenagentur über einen angeblichen Rücktritt des Staatspräsidenten verbreitet hatte. Das geplante Informationsfreiheitsgesetz wurde zwar noch vom Parlament der vorangegangenen Legislaturperiode im April 2007 verabschiedet, konnte aber mangels Gegenzeichnung durch den Präsidenten nicht mehr in Kraft treten. Das neu gewählte Parlament hat sich mit der Vorlage erneut befasst, eine Verabschiedung erscheint jedoch keineswegs sicher. Nach wie vor wird seitens der Pressevertreter eine sehr mangelhafte Informationspolitik staatlicher Stellen beklagt. (1)

 

Es kommt teilweise zu staatlichen Maßnahmen sowie Einschüchterungsaktionen auf Grund der Veröffentlichung regierungskritischer Artikel beziehungsweise Fernsehausstrahlungen. Im Juni 2006 wurden mehrere Journalisten und Angestellte eines privaten Fernsehsenders kurzfristig festgenommen, nach zwei Tagen gegen Zahlung einer Kaution aber wieder entlassen. (3+4) Obwohl Journalisten immer wieder Attacken der Sicherheitskräfte ausgeliefert sind, liegen in den letzten Jahren keine Berichte über systematische Eliminierungen von kritisch eingestellten Pressemitgliedern (mit tödlichem Ausgang) vor. (2)

 

(1) Dt. AA, S. 11.

 

(2) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 10-11.

 

(3) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 61-63.

 

(4) AI Report 2008, Nigeria. S. 8.

 

Versammlungsfreiheit

 

Die Verfassung von 1999 gewährleistet die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ebenso wie das Recht, einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft anzugehören. Dies hat zur Herausbildung einer lebendigen Zivilgesellschaft in zahllosen Nichtregierungsorganisationen geführt. Die Versammlungsfreiheit ist in der Praxis aber oft genug nur eingeschränkt gewährleistet, da die Sicherheitsorgane de facto gegen Versammlungen, insbesondere der politischen Opposition, einschreiten. Am Maifeiertag 2007 verhaftete die Polizei in Abuja über 200 Demonstranten, in Lagos über 80. Die Aufhebung des "Public Order Act" durch den Court of Appeal in Abuja im Dezember 2007 (keine polizeiliche Anmeldung von Demonstrationen mehr) wird von Vertretern der Zivilgesellschaft als wichtiger Schritt zur Durchsetzung der Versammlungsfreiheit gesehen. Der Inspector General of Police hat gegen die Entscheidung jedoch Revision beim Obersten Gerichtshof eingelegt.

 

Der 2005 erlassene "Public Order Act", der eine polizeiliche Genehmigung für jede öffentliche Versammlung (Prozession, Kundgebung) verlangte, wurde erfolgreich bekämpft und ist nun nicht mehr notwendige Voraussetzung. Es ist somit nur noch eine Anzeige der beabsichtigten Versammlung gesetzlich vorgesehen. Der endgültige Ausgang dieses Rechtsstreits bleibt abzuwarten, da der Fall in mittlerweile dritter Instanz Ende 2007 noch beim Höchstgericht anhängig war. Dennoch kommt es in der Praxis in einigen Bundesstaaten zu restriktiven Vorgehensweisen der Polizei, falls für eine Versammlung keine entsprechende Genehmigung vorliegt. Es kommt in diesem Zusammenhang immer wieder zu Festnahmen.

 

Die Regierung untersagte auch gelegentlich ethnisch, religiös oder politisch motivierte Versammlungen, um Unruhen zu vermeiden - vor allem in Kaduna State. (1+2)

 

(1) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 11-12.

 

(2) Dt. AA, S. 11.

 

Minderheiten

 

Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Ethnie ist durch die Verfassung verboten. In einigen Bundesstaaten ist die Lage von Minderheiten problematisch. Aufgrund der jeweiligen demographisch begründeten Machtverhältnisse sind ethnische Minderheiten oft von politischem Einfluss und Ressourcen (Zugang zu Subventionen, Arbeits- und Ausbildungsplätzen) abgeschnitten. Kennzeichnend für das Zusammenleben von Mehrheiten und Minderheiten in Nigeria ist das unregelmäßige Aufflackern von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen.

 

In Nigeria gibt es mehr als 250 Ethnien. Keine dieser Gruppen stellt landesweit eine Mehrheit. Die drei größten ethnischen Gruppen, die in der Summe rund zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen, sind die Hausa-Fulani im Norden, die Yoruba im Südwesten und die Igbo im Südosten. Eine vierte große, durch Gewaltakte im Niger-Delta prominente Ethnie, die Ijaw, lebt in vielen Bundesstaaten. Die Yoruba siedeln hauptsächlich in den sechs Bundesstaaten Oyo, Ogun, Lagos, Osun, Ondo und Ekiti. Als starke Minderheiten leben sie in den Bundesstaaten Kogi und Kwara. Außerhalb Nigerias siedeln sie in Benin und Ghana. Der Name Hausa bezeichnet heute in Nigeria nicht nur das Volk, das vor ca. 1000 Jahren in den Norden Nigerias einwanderte, sondern alle Volksgruppen, die im Hausa-Land leben. Dazu gehören insbesondere die Fulbe (auch Fulani genannt). Die Vermischung zwischen den ursprünglichen Hausa und den Fulani ist so weit vorangeschritten, dass in der Lebensweise keine Unterschiede mehr festzustellen sind. Die Igbo, ein Volk der Sudaniden, lebt im Wesentlichen östlich des unteren Niger. Angehörige der Hausa-Fulani, Yoruba und Igbos finden sich aber in nahezu allen Landesteilen.

 

Die Zusammensetzung der Regierung spiegelt einen gewissen Proporz zwischen den Hauptethnien wieder (so genanntes "Zoning": Der Regierung müssen laut Gesetz Vertreter aus allen 36 Bundesstaaten angehören). Die neue Staatsführung mit dem Nordnigerianer Yar'Adua hat einen Vizepräsidenten aus dem Süden (Ijaw). Dennoch beklagen einzelne Gruppen immer wieder, dass sie nicht angemessen in Spitzenämtern repräsentiert sind. (1)

 

(1) Dt. AA S. 11f

 

Niger Delta

 

Die größte im Delta siedelnde Ethnie sind die Ijaw (auch als Izon bezeichnet) mit einem Anteil von etwa 10%109 an der Gesamtbevölkerung Nigerias von etwa 120 - 150 Millionen. (1)

 

In den Jahren 2001 bis 2003 kam es in Warri zu gewaltvollenvollen Auseinadersetzungen auf Grund von Streitigkeiten betreffend die Aufteilung von Wahlbezirken zwischen den Volksgruppen der Ijwas und der Itsekiri, die ihren Höhepunkt im Jahr 2003 erreichte. (2)

 

Die vorherrschende Betätigung der Menschen besteht aus Landwirtschaft und Fischfang. Mit Ausnahme des Ölsektors gibt es so gut wie keine Industrie in der Region. Die Bewohner des Niger-Deltas werfen der nigerianischen Regierung vor, dass diese zwar die Erdöleinkünfte vereinnahmt hat, jedoch in den letzten vier Jahrzehnten der Erdölförderung ihre Region - in Armut, Unterentwicklung und von Umweltverschmutzung belastet - verkommen ließ. Sie fordern von der nigerianischen Zentralregierung eine größere Teilhabe an den Erdöleinkünften. (1)

 

Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen im Niger Delta handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt zwischen rivalisierenden Milizen (hauptsächlich die Niger Delta People's Volunteer Force (NDPVF) und die Niger Delta Vigilante) sowie um Auseinandersetzungen zwischen regionalen Gruppen und multinationalen Ölunternehmen. Finanzielle Interessen sowie die Aufteilung und Kontrolle der Ressourcen stehen im Vordergrund. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund. Im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen. Das Niger-Delta stellt einen weitgehend rechtsfreien Raum dar, in dem die Einflussmöglichkeit der staatlichen Ordnungskräfte sehr begrenzt ist. Trotz verfassungsmäßig garantierter Sondereinnahmen der Delta-Bundesstaaten hat es im Niger-Delta aufgrund von Korruption und schlechter Regierungsführung keine Entwicklung zum Besseren gegeben. Die lokale Bevölkerung leidet vor allem unter den enormen Umweltschäden. Seit 2006 wurden über 300 Angestellte der im Delta operierenden internationalen Ölfirmen entführt und zumeist nach Zahlung von Lösegeldern wieder freigelassen. Im gleichen Zeitraum wurden über 80 Angehörige der Sicherheitskräfte ermordet und den Ölförderungseinrichtungen durch Sabotageakte schwerwiegende Schäden zugefügt. Politische Motive bei Entführungen und Geiselnahme sind häufig vorgeschoben. Die Mehrzahl der wenigen tatsächlich politisch motivierten Gruppen im Niger-Delta hat sich seit Mitte 2007 mit Gewaltakten zurückgehalten. Eine Ausnahme ist der Bundesstaat Rivers; hier ging die Regierung auch in letzter Zeit wiederholt und mit teilweise brutaler Härte gegen die militanten Gruppen vor (z. B. Einsatz der Joint Task Force im Bundesstaat Rivers im August 2008, nachdem es dort zu einem veritablen Bandenkrieg gekommen war). Darunter haben auch die Bewohner des Nigerdeltas zu leiden, die immer wieder Opfer schwerer Übergriffe durch die Sicherheitskräfte werden. Staatspräsident Yar'Adua hat im September 2008 die Einrichtung eines eigenen Nigerdelta- Ministeriums angekündigt, das die Entwicklung der Region vorantreiben soll. Hoffnungen ruhen auch auf einem bereits eingesetzten Technischen Komitee, das unter Führung des angesehenen Ogoni-Politikers Ledum Mittee Lösungsvorschläge für die Dauerkrise erarbeiten soll. (3)

 

Ausdruck findet diese Unzufriedenheit der Bevölkerung häufig in inter-kommunalen Konflikten; vor allem dann, wenn eine Volksgruppe scheinbar den Schutz oder die Bevorzugung der Regierung zum Nachteil anderer Ethnien genießt.

 

Die Konflikte im Niger-Delta sind vielfältig, während in Warri der Konflikt zwischen ethnischen Milizen der Ijaws und Itsekiri verläuft, kommt es im River-State zu Kämpfen zwischen einzelnen Ijaws-Gruppen. Letztlich handelt es sich bei diesen Konflikten immer um einen Kampf um die Kontrolle der Gewinne aus der Ölförderung und der Ressourcen der Regierung.

 

Die Stadt Warri liegt im erdölreichen Delta State. In Delta State werden etwa 40% des nigerianischen Öls gefördert. Die Auseinandersetzungen zwischen Itsekiri , Ijaw und Urhobo, welche sich um die Besitzansprüche in dem Gebiet drehen, reichen bis in die Kolonialzeit zurück. Eine deutliche Verschärfung erfuhr der Konflikt durch die neue Grenzziehung der Verwaltungsbezirke in den Jahren 1991 und 1996. Die drei Volksgruppen erheben gegenseitig Vorwürfe, sie würden übervorteilt. Sowohl die Ijaw als auch die Urhobo erheben etwa den Vorwurf, dass Itsekiri die Regierungsstrukturen der 3 Verwaltungsbezirke (Warri North, Warri South, Warri South West) ungebührlich dominierten und von Präsident Obasanjo protegiert würden. Eine dominierende Stellung innerhalb der Regierungsstrukturen bringt zahlreiche Vorteile mit sich: bevorzugte Zuteilung von Staatsaufträgen, erhöhte Gewährung von Stipendien, verstärkter und somit potentiell lukrativer Kontakt mit Ölfirmen. Eine Hauptforderung von Ijaw und Urhobo lautet denn auch die Gründung neuer Stadt- und Gemeinbezirke, um eine ausgewogenere ethnische Repräsentanz zu gewährleisten. Im Zeitraum 1997 bis 2001 sind folgende Konflikte zwischen verfeindeten Volksgruppen bekannt geworden:

 

März bis Mai 1997:

 

Im März 1997 verfügt die Regierung entgegen ihren eigenen Ankündigungen, die Ijaw-Stadt Ogbe-Ijoh zum Sitz der lokalen Regierung zu machen, dass dieser vielmehr in dem von Itsekiri bewohnten Gebiet Ogidigben eingerichtet wird. Es kam daraufhin zwei Monate lang zu zahlreichen Zusammenstößen, im Zuge derer mehrere hundert Menschen das Leben verloren. Eine Kommission wird zur Aufklärung der blutigen Auseinandersetzungen einberufen. Zur Veröffentlichung eines Berichtes kommt es jedoch nicht.

 

Oktober 1998:

 

Nachdem im Oktober 1998 bei Zusammenstößen zwischen Ijaw und Itsekiri in Warri fünf Menschen getötet und eine erhebliche Anzahl von Häusern in Brand gesteckt wurden, wird vorübergehend eine Ausgangssperre über Warri verhängt. Trotzdem halten die Ausschreitungen an. Die BBC berichtete, dass eine große Itsekiri-Trauergesellschaft bei der Beerdigung eines ihrer Führer von einer etwa 200 Personen umfassenden Gruppe von jugendlichen Ijaw aufgehalten worden war.

 

Mai bis Juni 1999:

 

Während der Übergabe der Macht an eine Zivilregierung kommt es anlässlich der Vereidigung von umstrittenen lokalen Regierungsbeamten im Mai 1999 zu Gewaltausbrüchen zwischen Milizen der Ijaw und der Itsekiri, denen bis zu 200 Menschen zum Opfer fallen. Daraufhin verhängt der zivile Gouverneur, James Onanefe Ibori eine Ausgangssperre, die über mehrere Monate aufrecht bleibt. Hunderte Regierungstruppen werden in und um Warri stationiert. Auslöser der Zusammenstöße soll ein Angriff von Ijaw-Jugendlichen auf Itsekiris im nahe von Warri gelegenen Dorf Arunton gewesen sein. Der neu eingesetzte Präsident Obasanjo besucht Warri am 11. Juni 1999 und stellt eine faire Lösung des Konflikts in Aussicht. Im September beschließt das Gliedstaatenparlament von Delta State, den Sitz der lokalen Regierung von Ogidigben nach Obge Ijoh zu verlagern.

 

Mai 2001:

 

Im Mai 2001 führt das Vorhaben, einen von Itsekiri dominierten lokalen Rat in Warri einzurichten, zu Zusammenstößen zwischen Itsekiri und Urhobo. 10 Häuser werden in Brand gesteckt und zahlreiche Personen verlassen fluchtartig Warri.

 

August 2001:

 

Im August 2001 unterzeichnet Gouverneur Ibori ein Gesetz, welches bewaffnete Jugendbanden verbietet. Es zielt darauf ab, inter-kommunale Gewalt einzudämmen sowie die Angriffe auf Ölförderanlagen einzustellen und Entführungen zu unterbinden.

 

Im Januar bis Februar 2003 führten die herannahenden Wahlgänge zu Streitigkeiten zwischen Urhobo und Itsekiri. Es kam zu Streitigkeiten über die Abgrenzung der Wahlbezirke. Mit diesen Ereignissen in engem Zusammenhang stehend kam es noch im März 2003 zu einem Angriff von Ijaw-Militanten auf die beiden Itsekiri -Dörfer Arunton und Madangho.

 

Anfang Juni 2004 vereinbarten Itsekiri - und Ijaw-Vertreter eine Feuerpause und eine friedliche Lösung ihres Konflikts.

 

Weiters kommt es im Niger-Delta verschiedentlich zu Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Volksgruppen Ijaw und Itsekiri. In bestimmten Fällen wurde das Militär zur Niederschlagung von Unruhen eingesetzt. Die internationalen Ölkonzerne im ölreichen südnigerianischen Niger-Delta sind immer wieder Ziele von Anschlägen und Geiselnahmen. Die Täter sind meist Aufständische, die unter anderem eine stärkere Beteiligung der einheimischen Bevölkerung an den Gewinnen aus der Ölförderung verlangen. Abgesehen von diesen lokal begrenzten Auseinandersetzungen ist die Situation in Nigeria jedoch ruhig. (4)

 

Im Niger-Delta ist die Lage der Minderheitenvölkerung seit Beginn der Ölförderung vor 50 Jahren kritisch. Jahrzehntelange Benachteiligung sowie kaum vorhandene Infrastruktur und Bildungseinrichtungen haben die Bevölkerung der nigerianischen Bundesregierung, den Regierungen der Bundesstaaten, den örtlichen Notabeln sowie den Ölgesellschaften gleichermaßen entfremdet. Korruption, insbesondere auch auf Ebene der Bundesstaaten, hat zu einer besorgniserregenden Vernachlässigung der Region geführt, obwohl die Delta-Staaten deutlich mehr Geld aus der ölgespeisten Bundeskasse erhalten als die übrigen Bundesstaaten. Die von den Ogoni im Jahr 1990 gegründete politische Bewegung MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People) erhebt Forderungen nach größerer Autonomie und Entschädigung für die durch die Ölförderfirmen verursachten Umweltschäden. Der Anführer der militanten Niger Delta People's Volunteer Force (NDPVF), Mujahid Dokubo Asari, wurde im Juni 2007 gegen Kaution aus der Haft entlassen. Die Forderungen der NDPVF werden seit 2006 auch von dem ebenfalls militanten "Movement for the Emancipation of the Niger Delta" (MEND) vertreten, das die Verantwortung für verschiedenste Gewaltakte im Niger Delta, darunter auch die Entführungen von im Öl - und Bausektor tätigen Ausländern, übernommen hat. Ein prominenter Anführer von MEND, Henry Okah, wurde im September 2007 in Luanda/Angola festgenommen und im Februar 2008 an Nigeria ausgeliefert. Gegen ihn wird seit Mai 2008 unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht wegen Terrorismus und Waffenhandels verhandelt. Okah wird von dem prominenten Menschenrechtsanwalt Femi Falana verteidigt. Falana hat ungenügende Haftbedingungen und den erschwerten Zugang zu seinem Mandanten gerügt. Die Mehrzahl der notorischen Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta gehen jedoch mutmaßlich auf das Konto von kriminellen Banden oder Splittergruppen von MEND oder NDPVF. (3)

 

Bis jetzt ist aber noch keine Besserung der Situation innerhalb des Niger Deltas in Sicht. Die Region wird nach wie vor von rivalisierenden Banden dominiert, deren kriegerische Auseinandersetzungen immer wieder willkürliche Tötungen von Zivilisten zur Folge hatten. Etliche Zivilisten fielen auch 2007 und 2008 wieder Kämpfen zwischen bewaffneten Milizen und den Sicherheitskräften zum Opfer. Ein Anstieg der Gewalt war zudem vermehrt anlässlich der Wahlen im April 2007 zu spüren. (5+6)

 

(1) Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nigeria 2006, S. 17.

 

(2) Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft Lagos, 12.08.2005.

 

(3) Dt. AA, S.12 u. S. 17.

 

(4)Ländervorhalt Dr. Feßl, Asylfact, aktualisiert am 15.09.200.8

 

(5) Human Rights Watch, Nigeria, S. 3.

 

(6) iDMC, S. 5-6.

 

MEND

 

Bei der Organisation "Mouvement for the Emancipation of the Niger Delta" handelt es sich um eine militante Gruppe, die seit 2006 für mehrere Vorfälle im Niger Delta verantwortlich gemacht wird. Pipelines und Ölplattformen wurden wiederholt attackiert und Beschäftigte als Geisel genommen. Im Gegenzug wurde unter anderem die Freilassung von bedeutenden Ijaw Führern verlangt. Die Gruppe fordert im Wesentlichen die Einstellung der Erdölexporte und die uneingeschränkte Kontrolle der Erdölgewinnung sowie die Aufteilung des Profits innerhalb der Bevölkerung der Niger- Delta- Region. (1)

 

(1) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 132-133.

 

Sicherheitskräfte

 

Große Defizite bestehen nach wie vor im Handeln der Sicherheitskräfte, das durch rüdes Vorgehen der Polizei und durch exzessive Gewaltanwendung bei internen Sicherheitseinsätzen des Militärs gekennzeichnet ist. Willkürliche Verhaftungen, Folter und andere weder Leben noch Eigentum respektierende Maßnahmen von Polizei und Militär kommen weiterhin vor. (1)

 

Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz SSS [State Security Service] sowie paramilitärische Verbrechensbekämpfungseinheiten, die so genannten RRS [Rapid Response Squads] werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt. Die Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, zum Teil schwere Menschenrechtsverletzungen zu begehen: Allen Hinweisen zufolge sind unverhältnismäßige Gewaltanwendung sowie Folterungsmaßnahmen noch relativ häufig; auch willkürliche Verhaftungen und extralegale Tötungen werden immer wieder aus zuverlässigen Quellen gemeldet. Das Militär hat die Federführung bei der Joint Task Force, die gegen Militante im Nigerdelta eingesetzt wird; hier ist es bei den bewaffneten Auseinandersetzungen (Angriffe von militanten Gruppen auf militärische und zivile Ziele, Verfolgungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte) in der Vergangenheit aufgrund des teils brutalen Einsatzverhaltens der Sicherheitskräfte mehrfach zu Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung gekommen Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der (Bundes-) Polizei, die dem Inspector General Police in Abuja

 

untersteht. Die Lage der ca. 310.000 Mann starken Polizeitruppe ist durch schlechte Besoldung (ein einfacher Polizist verdient trotz 100% Gehaltserhöhung Anfang 2008 nur ca. 125 ¿ im Monat) sowie schlechte Ausrüstung und Unterbringung gekennzeichnet. Die Korruption bei der Polizei ist nach wie vor weit verbreitet, Gelderpressung an Straßensperren und willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Die Polizeiführung versucht gegenzusteuern und veranstaltet zusammen mit Nichtregierungsorganisationen Menschenrechtskurse für Polizisten.(1)

 

Die nigerianische Polizei ist korrupt und darüber hinaus nicht in der Lage, gewaltvolle Übergriffe von Banden und privaten Milizen effektiv einzudämmen. Die Polizei verantwortet zudem selbst zahlreiche Menschenrechtsverletzungen. Gelderpressung an Straßensperren und willkürliche Verhaftungen stehen an der Tagesordnung. Polizisten sind meistens nur mangelhaft ausgebildet und schlecht ausgerüstet. Auf Grund der schlechten Bezahlung blüht die Korruption. Trotz der erfolgten Aufstockung des Personals seit dem Jahr 2005 besteht nach wie vor eine große Unterbesetzung und schlechte Ausbildung der Polizisten. Die stark bewaffneten privaten Milizen sind der Polizei grundsätzlich überlegen. Das generelle Misstrauen in die Polizei sowie das Unvermögen, effektvoll gegen die alltägliche Kriminalität vorzugehen, veranlassten viele Nigerianer, sich an private, bewaffnete Einrichtungen zu wenden. (2)

 

Polizeiliche Einsätze sind oft mit unnötigen Gewaltakten verbunden. Die hohe Zahl an außergerichtlichen Tötungen tragen zur generellen Kritik an der nigerianischen Polizei bei. (2)

 

In verschiedenen Landesteilen gibt die Selbstjustiz so genannter "Vigilante"-Gruppen (private Milizen) Anlass zu Besorgnis. Diese Gruppen werden teilweise - wegen Untätigkeit bzw. Unvermögens der Polizei - durch die Regierungen einiger Bundesstaaten toleriert oder aktiv unterstützt. In der nigerianischen Gesellschaft ist Gewalt alltäglich und weit verbreitet. Politiker bedienen sich in der politischen Auseinandersetzung bewaffneter Schläger bis hin zu gedungenen Mördern, Bürger greifen im Kampf gegen bewaffnete Kriminelle auf "Vigilante"-Gruppen zurück, und an den Universitäten bestimmen oft so genannte "Kultisten" (kriminelle Banden, einst aus Studentenvertretungen entstanden) das Bild. Ethnische Gruppen unterhalten ebenfalls bewaffnete Milizen. (1)

 

Eine willkürliche Strafverfolgung durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität etc. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das System benachteiligt aber Ungebildete und Arme massiv. Eine angemessene Wahrung ihrer Rechte ist ihnen auf Grund fehlenden Geldes und fehlender Kenntnisse elementarer Verfahrensrechte nicht möglich. (1)

 

(1) Dt. AA, S.5,9 u. S. 14.

 

(2) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 24-27.

 

Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen in nigerianischen Gefängnissen sind schlecht. Die Gefängnisse sind schlecht ausgestattet, stark überbelegt und stammen zum größeren Teil noch aus der Kolonialzeit. Die Versorgung der Gefangenen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten muss oft über Angehörige und karitative Einrichtungen sichergestellt werden. Immer wieder wird berichtet, dass es aufgrund dieser Verhältnisse zu Todesfällen kommt. Das schlecht bezahlte Gefängnis- und Wachpersonal nützt seine Stellung aus, um von den Gefangenen Geld zu erpressen. Zumindest in einigen Gefängnissen sind Männer, Frauen und Minderjährige zusammen inhaftiert. (1)

 

Etwa 60% der 45.000 in nigerianischen Gefängnissen inhaftierten Personen sind Untersuchungshäftlinge, die auf ihren Prozess warten. Die Untersuchungshaft ist oftmals länger als die mutmaßliche Höchststrafe dauern würde (bis zu 15 Jahre). Untersuchungshäftlinge dürfen zudem im Gefängnis weder arbeiten noch zur Schule gehen. Darüber hinaus sitzen zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafen weiter in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind. Mitte 2006 hat das Justizministerium begonnen, die Akten von ca. 25.000 der ca. 46.000 Gefängnisinsassen mit dem Ziel der Entlassung zu prüfen, weil sie nicht oder nicht mehr als Strafgefangene angesehen werden. Ein Teil dieser Prüfung ist abgeschlossen. Im August 2006 kündigte der Justizminister die Freilassung von 10.000 Untersuchungshäftlingen, die Einrichtung von 6 Modellgefängnissen sowie eine verbesserte finanzielle Ausstattung des Strafvollzuges an. Es gibt jedoch keine gesicherten Erkenntnisse über die Umsetzung dieser Maßnahmen. Im September 2007 wurde gemeldet, dass es einer Menschenrechtsorganisation (REPLACE) gelungen sein soll, ca. 5.700 langjährige Untersuchungsgefangene, deren tatsächliche Inhaftierung bereits eine für das jeweilige Delikt zu erwartende Freiheitsstrafe überschritten hatte, auf freien Fuß zu bekommen. (1)

 

Ein Hauptproblem stellen die lange Wartezeiten auf den eigentlichen Prozess dar sowie die damit einhergehende zu lange Untersuchungshaft - oft sogar länger als die mutmaßliche Höchststrafe. (2+3)

 

Die Körperstrafen des Scharia-Strafrechts gelten in zwölf nördlichen Bundesstaaten.

 

Bestimmte, im Koran genannte Vergehen werden mit so genannten "Hudud"-Strafen geahndet. Diese sehen Auspeitschung, Amputation und die Todesstrafe, teilweise in der Form der Steinigung, vor. Mord und Körperverletzung werden entweder mit Vergeltungsstrafen, bei

 

denen Gleiches mit Gleichem geahndet wird, oder mit Blutgeld bestraft. Die Opfer bzw. die hinterbliebenen Angehörigen haben die Wahl. Die Todesstrafe kann also auf Verlangen von betroffenen Verwandten des Opfers als Akt zulässiger Vergeltung für vorsätzliche Tötungsdelikte ausgesprochen werden. Alle übrigen Straftatbestände werden nach dem Ermessen des Richters geahndet. Es drohen im Einzelfall die öffentliche Auspeitschung, Gefängnisstrafen, Geldstrafen, Verwarnungen oder der Ausspruch der Unglaubwürdigkeit einer Person. Den rigorosen Strafandrohungen stehen allerdings ebenso rigorose Beweisanforderungen entgegen, so dass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein

 

für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. (1)

 

In Kaduna State zur Todesstrafe verurteilte Personen bleiben den ganzen Tag in ihrer Zelle eingesperrt und erhalten so gut wie keinen Besuch, da oft sehr hohe "Besuchsgebühren" verrechnet werden. (3)

 

2007 wurde keine Veränderung der Situation in den nigerianischen Gefängnissen konstatiert. (4)

 

(1) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 4-7.

 

(2) Dt. AA, S. 19f.

 

(3) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 51-56.

 

(4) AI, S. 5.

 

Todesstrafe

 

Nigeria hält an der Todesstrafe fest und hat im November 2007 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen die Einführung eines weltweiten Moratoriums der Todesstrafe gestimmt. Es ist davon auszugehen, dass es zumindest im Bundesstaat Kano in den letzten Jahren zu mehreren Hinrichtungen kam. Die Todesstrafe wird, ebenso wie im Norden verhängte Körperstrafen (Amputationen), in den meisten Fällen aber nicht vollstreckt. Zum Tode Verurteilte sitzen teilweise über sehr lange Zeiträume unter besonders schweren Haftbedingungen ein. (1)

 

Artikel 33 der Verfassung lässt die durch ein ordentliches Gericht verhängte Todesstrafe zu. Die Todesstrafe kann gemäß nigerianischem Strafgesetzbuch (Criminal Code) für bestimmte Tatbestände, wie Mord, schwerer Raub, Hochverrat sowie Desertion, verhängt werden. Seit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in 12 Bundesstaaten im Januar 2000 erhielten auch erstinstanzliche Scharia-Gerichte die Befugnisse zur Verhängung von Todesurteilen. Nigeria hält weiter an der Todesstrafe fest und hat im November 2007 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen die Einführung eines weltweiten Moratoriums der Todesstrafe gestimmt. Die vom damaligen Justizminister Chief Akinlolu Olujinmi im November 2003 eingesetzte Kommission zur Todesstrafe hatte ihren Abschlußbericht am 22. Oktober 2004 veröffentlicht. Dieser Bericht zog eine schonungslose Bilanz des Zustandes der nigerianischen Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs. Ein faires Verfahren sei nicht gewährleistet. Dem Bericht zufolge befanden sich damals etwa 500 zum Tode verurteilte Personen in nigerianischen Gefängnissen. Im Durchschnitt warteten sie seit 10 bis 15 Jahren in der Todeszelle. Die Haftbedingungen seien beklagenswert, viele der zum Tode Verurteilten litten an verschiedenen psychischen Krankheiten. Die Kommission empfahl eine Aussetzung der Vollstreckung der Todesstrafe, bis das nigerianische Justizsystem jedem wegen eines Kapitalverbrechens Angeklagten ein faires Verfahren garantieren könne. Ferner wurde empfohlen, die Strafen aller Verurteilten, die den Rechtsweg bereits ausgeschöpft haben, in lebenslange Freiheitsstrafen umzuwandeln. Das so empfohlene Moratorium wurde seitdem in der Praxis weitgehend, aber nicht vollständig eingehalten. Im Herbst 2006 ist es mit der Hinrichtung eines Gewaltverbrechers unterbrochen worden; weitere Fälle der Verhängung der Todesstrafe betreffen sechs Angehörige einer Kultgruppe, die im Dezember 2006 durch ein Berufungsgericht in Lagos wegen der Ermordung eines islamischen Geistlichen zum Tode verurteilt wurden, sowie ein Verfahren wegen Mordes, in dem der Oberste Gerichtshof im Februar 2007 die Verhängung der Todesstrafe bestätigte. Es ist davon auszugehen, dass es zumindest im Bundesstaat Kano in den letzten Jahren zu mehreren Hinrichtungen (die Rede ist von insgesamt sieben im Zeitraum 2005/06) gekommen ist. Zu diesen Hinrichtungen gibt es weiter keine offizielle Bestätigung. (1)

 

Obwohl seit 2002 offizielle Meldungen seitens der nigerianischen Regierung ausblieben, wurde 2006 in sieben Fällen die Todesstrafe durch Erhängung in Kaduna, Jos und Enugu vollstreckt. (2+3)

 

Ungefähr 500 Häftlinge sind zum Tode verurteilt. Es herrscht eine breite Zustimmung betreffend die Todesstrafe innerhalb des Landes, welche sowohl von zivilen Gerichten als auch von Sharia Gerichten verhängt werden kann. (3)

 

(1) Dt. AA, S.5 u 18f.

 

(2) AI, S. 3.

 

(3) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 57.

 

Dekret 33

 

Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft vom Nigerian Immigration Service oder der Drogenpolizei befragt. Im Ausland straf- oder polizeilich auffällig gewordene Personen, insbesondere Prostituierte, werden in ihren Herkunfts-Bundesstaat überstellt. Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die National Drug Law Enforcement Agency überstellt (Ende 2007 wurde zudem bekannt, dass über 200 in Nigeria verurteilte Drogenhändler sich dem Strafvollzug entziehen konnten). Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch nicht zu befürchten. (1)

 

Diverse Quellen berichten für die Zeit bis Mitte 1999 über die Festnahme und Anhaltung von aus dem Ausland abgeschobenen Nigerianern, denen Drogendelikte vorgeworfen werden; es gibt jedoch kaum dokumentierte Fälle einer Anklage und Verurteilung nach Dekret

33. BBC beschreibt den Fall eines nigerianischen Drogenhändlers, der ein Jahr Gefängnis in Madrid verbüßte und nach seiner Deportation nochmals eine neunjährige Haftstrafe in Nigeria absitzen musste (BBC 6. Juni 2000). (1)

 

Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben rückkehrende Nigerianer laut Bericht von 2007 des Deutschen Auswärtigen Amtes nicht zu befürchten. (2)

 

(1) ACCORD: Länderbericht Nigeria, September 2002. S. 17-18.

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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