TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/15 2001/16/0063

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Veröffentlicht am 15.03.2001
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Index

L34003 Abgabenordnung Niederösterreich;
L34009 Abgabenordnung Wien;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

ABGB §914;
BAO §114;
BAO §281 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
LAO NÖ 1977 §186a Abs1 idF 3400-7;
LAO NÖ 1977 §211 Abs1;
LAO NÖ 1977 §92;
LAO Wr 1962 §185 Abs3 idF 2000/009;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der A Handelsaktiengesellschaft in W, vertreten durch Eiselsberg Natlacen Walderdorff Cancola, Rechtsanwälte in Wien III, Schwarzenbergplatz 7, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 12. Dezember 2000, GZ 00/37/3/88- 2000/Mag. De/cp, betreffend Aussetzung der Entscheidung über eine Berufung in einer Getränkesteuerangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und dem ihr angeschlossenen angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Eingabe vom 24. September 1999 beantragte die Beschwerdeführerin unter Berufung auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Niederösterreichischen Getränke- und Speiseeissteuergesetzes, dass die Getränke- und Speiseeissteuer für 1995 bis 1998 mit S 0,-- festgesetzt und die entrichtete Getränkesteuer zurückgezahlt werde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt St. Pölten vom 15. Oktober 1999 wurde die Getränkesteuer für 1995 bis 1998 mit S 1,573.074,-- festgesetzt und der Antrag vom 24. September 1999 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wurde am 27. Oktober 1999 Berufung erhoben.

Am 21. November 2000 kündigte die belangte Behörde an, das Berufungsverfahren im Hinblick auf das beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Verfahren GZ 2000/16/0640 auszusetzen. In einer Stellungnahme vom 29. November 2000 wurde die Fortsetzung des Berufungsverfahrens begehrt; es wurde in dieser Eingabe ausgeführt, die Unvereinbarkeit des § 186a der Niederösterreichischen Abgabenordnung mit (primärem) Gemeinschaftsrecht und verfassungsrechtlichen Grundsätzen beim Verfassungsgerichtshof geltend machen zu wollen, um "Anlassfall" beim Verfassungsgerichtshof zu werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung vom 15. Oktober 1999 gemäß § 211 NÖ Abgabenordnung bis zur Entscheidung der zur hg. Zl 2000/16/0640 protokollierten Beschwerde ausgesetzt. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde dazu ausgeführt, in dem genannten Verfahren sei die Auslegung des so genannten "Bereicherungsverbotes" der Wiener Abgabenordnung strittig. Danach habe die Abgabenbehörde zu prüfen, in welchem die Abgabe nicht zurückzuzahlen bzw gutzuschreiben ist, weil die Abgabe wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen worden ist. Die Bestimmung des § 186a NÖ Abgabenordnung gehe von denselben Voraussetzungen aus, weshalb die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die vorliegende Berufung sei. Zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen eine Aussetzung wurde ausgeführt, der Präsident des Verfassungsgerichtshofes habe in einem Schreiben an die Kammer der Wirtschaftstreuhänder "versichert", dass bei Vorliegen einer etwaigen Verfassungswidrigkeit des Bereicherungsverbotes die Aufhebung für alle anhängigen Verfahren gelten werde.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid erachtet sich die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Nichtaussetzung des Berufungsverfahrens verletzt. Der Beschwerde ist die Kopie eines Schreibens des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Oktober 2000 an die Kammer der Wirtschaftstreuhänder angeschlossen, in welchem unter Bezugnahme auf Besprechungen mit den Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes insbesondere ausgeführt ist:

"Für den Fall, dass Beschwerden in der Angelegenheit "Getränkesteuer" zu einem Gesetzesprüfungsverfahren und in dessen Erledigung zu einem aufhebenden Erkenntnis führen sollten, wird der Verfassungsgerichtshof eine Lösung in Aussicht nehmen, wie sie schon im Fall der Mindestkörperschaftsteuer getroffen wurde. Eine solche Lösung würde das massenhafte Einbringen von Beschwerden überflüssig machen."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Berufung anhängig oder schwebt sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung über die Berufung ist, so kann die Entscheidung über diese gemäß § 211 Abs 1 NÖ Abgabenordnung unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe ausgesetzt werden, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei entgegenstehen.

Nach § 186a Abs 1 der Niederösterreichischen Abgabenordnung hat die Abgabenbehörde, die eine auf Grund eines rechtswidrigen Abgabengesetzes erlassene Abgabenvorschreibung aufhebt oder abändert, auszusprechen, in welchem Umfang die Abgabe nicht gutzuschreiben oder nicht zurückzuzahlen ist, weil die Abgabe insoweit wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen worden ist.

Nach § 185 Abs 3 Wiener Abgabenordnung steht ein Rückzahlungsanspruch insoweit nicht zu, als die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde.

Die Beschwerdeführerin bringt gegen den angefochtenen Aussetzungsbescheid zunächst vor, die verba legalia des § 186a NÖ Abgabenordnung entsprächen nicht jenen des § 185 Abs 3 Wiener Abgabenordnung, sodass eine Präjudizialität nicht gegeben sein könne. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass es für die Aussetzung eines Berufungsverfahrens ausreicht, wenn eine (bloß) ähnliche Rechtsfrage anhängig ist. Die für eine Beurteilung des so genannten Bereicherungsverbotes maßgeblichen Worte - nämlich dass die Abgabe wirtschaftlich von jemand anderem als dem Abgabepflichtigen getragen werden - sind aber in den beiden landesrechtlichen Bestimmungen nahezu gleich, sodass die Voraussetzung für die Aussetzung des Berufungsverfahren erfüllt ist.

Wenn die Beschwerdeführerin weiters unter Hinweis auf das - der belangten Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bekannte - Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. November 2000, B 1735/00, ausführt, das Abwarten einer weiteren Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes könne die Aussetzung keinesfalls rechtfertigen, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Aussetzung, die im angefochtenen Bescheid verfügt wurde, sich nicht auf ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, sondern auf ein solches vor dem Verwaltungsgerichtshof berufen hat.

Die Beschwerdeführerin macht schließlich wie schon im Verwaltungsverfahren geltend, die Aussetzung habe sie gehindert, Anlassfall iSd Art 140 Abs 7 B-VG zu werden. Die belangte Behörde hat sich in diesem Zusammenhang auf das ihr vorliegende Schreiben des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Oktober 2000 berufen, in dem für den Fall einer Aufhebung der in Rede stehenden landesrechtlichen Vorschrift eine Anwendung des aufhebenden Erkenntnisses auch auf vor der Aufhebung verwirklichte Tatbestände in Aussicht gestellt wurde. Die von der Beschwerdeführerin diesbezüglich vertretene Auffassung, aus der in diesem Schreiben getroffenen Wortwahl "in Aussicht nehmen" ergebe sich, dass es sich dabei nur um eine unverbindliche Wortwahl gehandelt hat, ist unzutreffend. Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugestehen, dass dem Schriftstück vom 19. Oktober 2000 ein normativer Charakter nicht zugebilligt werden kann. Mit dem Vorbringen, trotz dieser Note des Verfassungsgerichtshofes könne nicht zwingend ausgeschlossen werden, dass die Wirkung weiterer "(erwarteter)" Erkenntnisse auf die Anlassfälle eingeschränkt werde, übersieht die Beschwerdeführerin aber den Grundsatz von Treu und Glauben. Ungeachtet des Umstandes, dass Treu und Glauben im geltenden österreichischen Recht nicht und zwar auch nicht im bürgerlichen Recht positivrechtlich verankert ist, beherrscht dieser Grundsatz entsprechend der im § 914 ABGB bestimmten Übung des redlichen Verkehrs ganz allgemein das bürgerliche Recht (vgl z.B. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 7. Oktober 1974, 1 Ob 158/74, HS 9513). Aber auch im öffentlichen Recht ist die Frage der Geltung von Treu und Glauben zu bejahen (vgl z.B. Stoll, BAO-Kommentar, 1293, mit zahlreichen Hinweisen). Unter diesem Grundsatz von Treu und Glauben wird dabei zu verstehen sein, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben (vgl zB das hg Erkenntnis vom 14. Oktober 1992, Zl 90/13/0009). Daraus folgt aber, dass die belangte Behörde im Hinblick auf das mehrfach genannten Schreiben des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Aussetzung nicht überwiegende Interessen der Beschwerdeführerin entgegenstanden. Daher ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar mit jenen Fällen, in denen der Verwaltungsgerichtshof die Aussetzung wegen einer beabsichtigten Verfassungsgerichtshofbeschwerde nicht gebilligt hat (siehe beispielsweise das in der Beschwerde zitierte hg. Erkenntnis vom 31. März 1999, Zl 99/16/0052).

In den übrigen weitwendigen Ausführungen der Beschwerdeführerin werden ausschließlich Gründe für eine Gemeinschaftswidrigkeit des § 186a NÖ Abgabenordnung einerseits und für eine Verfassungswidrigkeit eben dieser Bestimmung andererseits vorgebracht. Da diese Bestimmung für den angefochtenen Aussetzungsbescheid aber nicht präjudiziell ist, gehen diese Ausführungen insgesamt ins Leere.

Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 15. März 2001

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2001160063.X00

Im RIS seit

30.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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