TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/31 99/16/0052

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.1999
beobachten
merken

Index

E1E;
E3L E09301000;
E3L E09302000;
L34009 Abgabenordnung Wien;
L37019 Getränkeabgabe Speiseeissteuer Wien;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

11992E092 EGV Art92 Abs1;
11992E095 EGV Art95;
11992E177 EGV Art177;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art33 Abs1;
31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art3 Abs2;
31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art3 Abs3;
31992L0108 System-RL;
BAO §281;
B-VG Art140;
B-VG Art144;
B-VG Art7 Abs1;
GetränkesteuerG Wr 1992 §1;
GetränkesteuerG Wr 1992 §2;
GetränkesteuerV Wr 1992 §1 idF ABl Wr 1992/044;
GetränkesteuerV Wr 1992 §2;
GetränkesteuerV Wr 1992 §3 idF ABl Wr 1992/044;
GetränkesteuerV Wr 1992 §3 idF ABl Wr 1994/050;
GetränkesteuerVNov Wr 1992;
GetränkesteuerVNov Wr 1994;
LAO Wr 1962 §216 idF 1992/040;
VwGG §38a;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/16/0053

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerden 1) der H Kommanditgesellschaft, und 2) der H Kommanditgesellschaft, beide vertreten durch die Dr. Arnold

Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft, Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen die Bescheide der Abgabenberufungskommission Wien vom 28. Jänner 1999, 1) Zl. MD-VfR-H 28/98 und 2) Zl. MD-VfR-H 29/98, je betreffend Aussetzung der Entscheidung über eine Berufung in einer Getränkesteuerangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von je S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den beiden Beschwerdeschriften, den ihnen angeschlossenen Ausfertigungen der angefochtenen Bescheide, den weiteren Beschwerdebeilagen und dem über hg. Aufforderung gemäß § 35 Abs. 2 VwGG erstatteten Vorbringen der belangten Behörde ergibt sich Folgendes:

In beiden Beschwerdefällen wurden für die Jahre 1995-1997 auf Grund berichtigter Getränkesteuererklärungen mit dem Argument, die Erhebung der Getränkesteuer verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht, Rückzahlungsanträge gestellt. Diese Anträge wurden jeweils von der Abgabenbehörde erster Instanz abgewiesen, wogegen Berufungen erhoben wurden.

Mit Bescheiden vom 20. Juli 1998 setzte die Abgabenbehörde erster Instanz gemäß § 216 Abs. 3 WAO die Entscheidung über die Berufungen jeweils mit der Begründung aus, die zu lösende Rechtsfrage sei schon Gegenstand des beim Verwaltungsgerichtshof unter der Zl. 97/16/0221 anhängigen Verfahrens.

Mit Anträgen vom 11. bzw. 17. August 1998 wurde daraufhin die Fortsetzung der Berufungsverfahren begehrt.

Diese Anträge haben - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

"Weiters führen wir bereits jetzt aus, dass eine Aussetzung des Verfahrens nach § 216 Abs 2 WAO jedenfalls bekämpft würde. Wir beabsichtigen, Anlassfall beim Verfassungsgerichtshof zu werden, um in den Genuss der sogenannten Ergreiferprämie zu kommen. Die Unvereinbarkeit mit primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht führt unseres Erachtens dazu, dass lediglich ein Teilbereich der Getränkebesteuerung nicht anzuwenden ist. Hiedurch werden jedoch die anderen Bestimmungen verfassungswidrig. Als Beispiel sei etwa Art III Abs 2 System-RL genannt. Unseres Erachtens liegt in der Getränkebesteuerung keine besondere Zielsetzung im Sinne der zitierten Bestimmung. Überdies werden die Besteuerungsgrundsätze der Verbrauchsteuern oder der Mehrwertsteuer nicht ausreichend beachtet. Dies führt dazu, dass die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke nicht erhoben werden dürfte. Unserer Ansicht nach ist es jedoch sachlich nicht gerechtfertigt, alkoholfreie Getränke einer Getränkesteuer zu unterwerfen. Bereits gesundheitspolitische Überlegungen führen dazu, dass in sachlich gerechtfertigter Weise alkoholische Getränke jedenfalls höher zu besteuern sind als alkoholfreie. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die getränkesteuerrechtlichen Bestimmungen, die alkoholfreie Getränke dieser Abgabe unterwerfen, verfassungswidrig sind. Diese und zahlreiche weitere Verfassungswidrigkeiten (vgl dazu N. Arnold ecolex 1998, 424 ff) beabsichtigen wir, beim Verfassungsgerichtshof geltend zu machen. Dies stellt nach ständiger Rechtsprechung (vgl VwGH 30.4.1993, 92/17/0013) und Lehre (W. Arnold, ZfV 1989, 230 (242() ein überwiegendes Interesse unsererseits dar. Eine Aussetzung ist daher unzulässig. Weiters sei darauf hingewiesen, dass die derzeit anhängigen Verfahren sich auch sonst in rechtlicher Hinsicht wesentlich von unserem unterscheiden.

Wir ersuchen außerdem, von einer Berufungsvorentscheidung Abstand zu nehmen. Wir werden jedenfalls die Entscheidung durch die Abgabenbehörde II. Instanz beantragen. Aus den angeführten Gründen wird auch diese von einer Aussetzung des Verfahrens Abstand zu nehmen haben. Eine Aussetzung würde mittels VwGH-Beschwerde bekämpft. Wir beabsichtigen außerdem, unsere Rückzahlungsanträge in einem ordnungsgemäßen Abgabenverfahren durchzuführen und wollen nicht auf Amts- bzw. Staatshaftungsansprüche angewiesen sein."

Auch die belangte Behörde setzte daraufhin die Entscheidung über die Berufungen gemäß § 216 WAO aus, wobei sie darauf verwies, dass die Frage der Vereinbarkeit der Getränkesteuer mit dem "EU-Recht bereits Gegenstand einer Vielzahl von Verwaltungsgerichtshofbeschwerden (Zlen. 97/16/0221, 0021 u.a.)" sei. Die belangte Behörde verneinte der Aussetzung entgegenstehende Parteiinteressen und führte dazu wörtlich u.a. Folgendes aus:

"Mit dem bloßen Vorbringen, die Anfechtung der bezughabenden getränkesteuerrechtlichen Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof zu bezwecken, vermochte die Berufungswerberin derartige Interessen nicht darzutun."

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Verwaltungsgerichtshofbeschwerden je wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Geltend gemacht wird die Verletzung des Rechtes auf Nichtaussetzung der Berufungsverfahren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber nach Einholung einer Äußerung der belangten Behörde (gemäß § 35 Abs. 2 VwGG) erwogen:

§ 216 WAO, LGBl. Wien Nr. 21/1962 idF der Novelle LGBl. 40/1992, lautet:

"(1) Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Berufung anhängig oder schwebt vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Berufung ist, so kann die Entscheidung über diese unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe ausgesetzt werden, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei entgegenstehen.

(2) Eine Aussetzung der Entscheidung gemäß Abs. 1 ist von der Abgabenbehörde zweiter Instanz auszusprechen. Nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens, das Anlass zur Aussetzung gemäß Abs. 1 gegeben hat, ist das ausgesetzte Berufungsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

(3) Die Aussetzung der Entscheidung kann auch von der Abgabenbehörde erster Instanz ausgesprochen werden. Dieser Bescheid tritt außer Kraft, sobald eine Partei die Fortsetzung des Berufungsverfahrens beantragt."

In den Beschwerden wird einerseits darauf hingewiesen, dass in den Fortsetzungsanträgen konkrete verfassungsrechtliche Bedenken dargelegt wurden und andererseits geltend gemacht, die belangte Behörde habe vor Erlassung ihrer Bescheide zur Darlegung der der Aussetzung allenfalls entgegenstehenden Parteiinteressen kein rechtliches Gehör gewährt. Dazu wird in den Beschwerden ausführlich dargelegt, was bei Gewährung des rechtlichen Gehörs in Richtung einer sich aus der in nächster Zeit zu erwartenden Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (über die vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Dezember 1997, Zlen. 97/16/0221, 0021, vorgelegten Fragen) ergebenden Verfassungswidrigkeit der geltenden Getränkesteuervorschriften vorgebracht worden wäre. Dazu verweisen die Beschwerden insbesondere darauf, dass die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass auf Grund der zu erwartenden Entscheidung des EuGH (betreffend alkoholische Getränke) die Frage einer sich daraus für nicht alkoholische Getränke ergebenden Verfassungswidrigkeit (Gleichheitswidrigkeit) im Rahmen des schon beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahrens, Zl. 97/16/0221, zum Anlass eines Normprüfungsantrages und daraus folgend, eines entsprechenden Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof gemacht werden wird.

Demgegenüber sieht sich die Beschwerdeführerin durch die verfügten Aussetzungen daran gehindert, rechtzeitig durch Vorantreibung ihrer Verfahren (allenfalls im Wege der Erhebung von Säumnisbeschwerden) die Erlassung von Berufungsbescheiden zu erwirken, um diese dann im Wege einer Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof zu Anlassfällen zu machen.

Diesen Bedenken kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht verschließen. In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde betont, dass die Frage, ob die Absicht der Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde zwecks Erlangung der sogenannten "Ergreiferprämie" einer Aussetzung entgegensteht, jeweils im Einzelfall zu beurteilen ist (vgl. dazu zB das bei Ritz, BAO-Kommentar unter Rz 16 Abs. 1 zu § 281 BAO referierte hg. Erkenntnis vom 3. September 1987, Zl. 87/16/0061). Der weiters von der Judikatur geforderten Voraussetzung, dass beim Verfassungsgerichtshof schon ein einschlägiges Verfahren anhängig sein muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1984, 84/14/0018, 0044) ist jedenfalls der Fall gleichzuhalten, dass die bevorstehende Gerichtsanhängigkeit der präjudiziellen Norm dargetan wird (so Stoll, BAO-Kommenar III, 2752 Abs. 2 letzter Halbsatz). Davon ist auf Grund der von den Beschwerden dargelegten Argumente jedenfalls auszugehen.

Mit Rücksicht darauf, dass - anders als dies in der jeweils tragenden Begründung der angefochtenen Bescheide zum Ausdruck gebracht wird - schon in den beiden Fortsetzungsanträgen gemäß § 216 Abs. 3 WAO konkrete verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen wurden, die keineswegs von vornherein als aussichtslos abqualifiziert werden können, ergibt sich daher schon auf Grund des Inhaltes der angefochtenen Bescheide, dass die behauptete Rechtsverletzung vorliegt (was auch durch die von der belangten Behörde gemäß § 35 Abs. 2 VwGG eingeholte Stellungnahme nicht entkräftet werden konnte). Die angefochtenen Bescheide waren daher ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, weshalb ein weiteres Eingehen auf die übrigen Beschwerdeargumente entbehrlich ist.

Mit Rücksicht auf die gemäß § 35 Abs. 2 VwGG getroffene Entscheidung erübrigte sich ein gesonderter Abspruch des Berichters über die Anträge, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999160052.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten