TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/10 C9 221870-3/2008

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Veröffentlicht am 10.03.2009
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Spruch

C9 221870-3/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Dr. René BRUCKNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Daniel LEITNER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin über die Beschwerde des K. A., StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.02.2007, AZ. 00 15.972-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos b e h o b e n.

 

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird K. A. eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 31.03.2010 e r t e i l t.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

I.1. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) hat nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.11.2000 beim Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt (in der Folge: BAE), einen Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (in der Folge: AsylG 1997), eingebracht.

 

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 05.03.2001, AZ. 00 15.972-BAL, den Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Bf. nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig (Spruchpunkt II).

 

2. Gegen den og. Bescheid des Bundesasylamtes richtete sich die beim BAL am 02.04.2001 fristgerecht eingelangte Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (in der Folge: UBAS) vom 30.03.2001.

 

3. Mit Bescheid des UBAS vom 11.06.2002, Zl. 221.870/0-II/06/01, wurde die Berufung des Asylwerbers gegen Spruchpunkt I des og. Bescheides des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen sowie der Berufung gegen Spruchpunkt II stattgegeben und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Bf. nach Afghanistan unzulässig ist. Gleichzeitig wurde dem Bf. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 22.01.2003 erteilt.

 

4. Gegen den unter 3. genannten Bescheid des UBAS (hinsichtlich Spruchpunkt I) hat der Bf. Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (in der Folge: VwGH) erhoben. Mit Beschluss des VwGH vom 16.02.2006, Zl. 2006/19/0029-7, wurde die Behandlung der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, abgelehnt.

 

5. Auf Grund des fristgerechten Antrages des Bf. wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.06.2003 die befristete Aufenthaltsberechtigung des Bf. vom 25.06.2003 bis zum 31.03.2004 erteilt.

 

6. Auf Grund des fristgerechten Antrages des Bf. wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.03.2004 die befristete Aufenthaltsberechtigung des Bf. bis 31.03.2005 erteilt.

 

7. Am 15.02.2005 brachte der Bf. einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung beim Bundesasylamt ein.

 

8. Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 02.03.2005 wurde dem Bf. betreffend der beabsichtigten Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten die Möglichkeit der Stellungnahme, insbesondere zum Amtswissen des Bundesasylamtes über die allgemeine Lage in Afghanistan, eingeräumt.

 

9. Zu dem unter 8. genannten Schreiben hat der Bf. eine schriftliche Stellungnahme abgegeben, die am 29.03.2005 beim BAL einlangte.

 

10. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.04.2005, AZ. 00 15.972-BAL, wurde dem Bf. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 1997 der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und festgestellt, dass die Abschiebung des Bf. nach Afghanistan zulässig ist, die befristete Aufenthaltsberechtigung widerrufen und den Bf. gemäß § 15 Abs. 4 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

11. Gegen den unter 10. genannten Bescheid des Bundesasylamtes richtete sich die beim BAL am 18.04.2005 fristgerecht eingelangte Berufung an den UBAS.

 

12. Mit Bescheid des UBAS vom 13.03.2006, Zl. 221.870/12-II/06/05, wurde der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

13. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.03.2006, AZ. 00 15.972-BAL, dem Bf. gemäß § 8 Abs. 4 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 (in der Folge: AsylG 2005), eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.03.2008 erteilt.

 

14. Nach Übermittlung einer Geburtsurkunde des Bf. an das Bundesasylamt wurde der Bf. am 15.02.2007 vor dem BAL niederschriftlich einvernommen.

 

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.02.2007, AZ. 00 15.972-BAL, wurde dem Bf. der mit Bescheid des UBAS vom 11.06.2002, Zl. 221.870/0-II/06/01, zuerkannte und in Rechtskraft erwachsene Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I), die dem Bf. mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.03.2006, AZ. 00 15.972, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II) und der Bf. gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

 

15. Gegen den unter 14. genannten Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die beim BAL am 23.03.2007 fristgerecht eingelangte Berufung des Bf. an den UBAS. Der Bf. beantragte, der Berufung stattzugeben und eine weitere Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG auszustellen.

 

16. Mit Wirksamkeit ab 01.07.2008 hat der nunmehr nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständige Senat C9 des Asylgerichtshofes die gegenständliche Rechtssache als Beschwerde weiterzuführen.

 

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens

 

I.2.1. Beweisaufnahme

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes (OZ 1).

 

Einsicht in den Antrag des Bf. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 an das Bundesasylamt vom 25.02.2008, beim Bundesasylamt eingelangt am 01.04.2008 (OZ 3).

 

Einsicht in die vom Bf. am 18.12.2008 persönlich beim Asylgerichtshof in Vorlage gebrachten Dokumente (OZ 4):

 

Legitimation für Berufsdetektivassistenten.

 

Dienstausweis (Berufsdetektivassistent).

 

E-Card lautend auf "K. A.".

 

Geburtsurkunde (in deutscher Sprache verfasst), augestellt von der Afghanischen Botschaft in Wien.

 

Einsicht in die vom Bf. übermittelte Kopie einer Bestätigung betreffend Abschlussprüfung "Kaufhausdetektiv II" mit der Note "befriedigend".

 

Einsicht in folgende, dem Asylgerichtshof von Amts wegen vorliegende Berichte zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

 

Asian Centre for Human Rights, South Asia Human Rights Index 2008 (ACHR, Index 2008).

 

Deutsches Auswärtiges Amt, "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Februar 2008)" vom 07.03.2008 (DAA, Bericht 2008).

 

Gesellschaft für bedrohte Völker, "Zwei Jahre Afghanistan-Pakt:

Uneingelöste Versprechen: Menschenrechte und Wiederaufbau in Gefahr", Menschenrechtsreport 53, Juni 2008 (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008).

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Afghanistan Update: Aktuelle Entwicklungen" von Corinne Troxler Gulzar vom 21.08.2008 (SFH, Afghanistan Update 2008).

 

UK Home Office - UK Border Agency, "Country of Origin Information Report Afghanistan" vom 28.08.2008 (UKHO, Afghanistan 2008).

 

UK Home Office - UK Border Agency, "Operational Guidance Note - Afghanistan" vom 28.01.2009 (UKHO, Operational Guidance Note 2009).

 

UNHCR, "Die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes", UNHCR Kabul vom 06.10.2008 (UNHCR, Sicherheitslage 2008).

 

UNHCR, "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender", Jänner 2008 (UNHCR, Richtlinien afghanischer Asylsuchender 2008).

 

United Nations Security Council, "Report of the Security Council mission to Afghanistan, 21 to 28 november 2008", Nr. S/2008/782, vom 12.12.2008 (UN-SC, Report S/2008/782).

 

US Department of State, "Afghanistan - International Religious Freedom Report 2008" vom 19.09.2008 (USDS, International Religious Freedom Report 2008).

 

US Department of State, "2008 Human Rights Report: Afghanistan" vom 25.02.2009 (USDS, Afghanistan 2008).

 

I.2.2. Ermittlungsergebnis (Sachverhalt)

 

Der Asylgerichtshof geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

a) Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1. Der Bf. führt den Namen K. A. in S., ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, zugehörig zur Volksgruppe der Paschtunen.

 

2. Der Bf. ist ledig und hat keine Kinder.

 

Der Bf. geht in Österreich einer rechtmäßigen selbstständigen Beschäftigung als Berufsdetektivassistent in einem Kaufhaus nach. Der Bf. verfügt über gute Deutschkenntnisse, die ihm eine ausreichende Kommunikation mit den Behörden ohne Dolmetscher ermöglicht.

 

b) Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

 

Zur aktuellen Lage in Afghanistan trifft der Asylgerichtshof folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Bf.:

 

1. Zur politischen Lage in Afghanistan:

 

1.1. Überblick

 

Afghanistan befindet sich nach 23 Jahren Bürgerkrieg und kriegerischer Auseinandersetzungen in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Weitere Anstrengungen sind nötig, um die bisherigen Stabilisierungserfolge zu sichern und die Zukunftsperspektiven der afghanischen Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Akteuren (staatliche Sicherheitskräfte und internationale Stabilisierungstruppe [ISAF], regierungsfeindliche Gruppen, rivalisierende Milizen, bewaffnete Stammesgruppen sowie organisierte Drogenbanden) dauern in etlichen Provinzen an oder können jederzeit wiederaufleben. Seit Frühjahr 2007 ist vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen. Die Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe mit Sprengfallen von regierungsfeindlichen Kräften haben 2007 erheblich zugenommen. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, auch wenn ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung in manchen Städten (z.B. Kabul, Herat) eingesetzt hat. Erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind eingeleitet. Der strenge Winter 2007/2008 hat in weiten Landesteilen (vor allem im Westen und Norden) zu dramatischen Versorgungsengpässen geführt. Ein funktionierendes Verwaltungs- und Justizwesen fehlt weitgehend. In der Gerichtsbarkeit besteht keine Einigkeit über die Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (staatliche Gesetze, Scharia oder Gewohnheitsrecht). Rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien werden häufig nicht eingehalten. Die Menschenrechtssituation verbessert sich nur langsam. Dies gilt auch für die Lage der Frauen in Afghanistan, selbst wenn die gegen sie gerichteten Verbote aus der Taliban-Zeit formal aufgehoben sind. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren ("warlords") aus. Die Zentralregierung kann diese Täter nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen und sie vor Gericht bringen. Entscheidend ist es daher, die angestrebte Ausdehnung des Machtbereichs der Zentralregierung auf das gesamte Land zügig voranzutreiben. Noch verfügt die Zentralregierung nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen. Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die mehr als 4,5 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen. Knapp 3,4 Millionen afghanische Flüchtlinge halten sich noch im Iran und in Pakistan auf. Die Bemühungen des UNHCR bei der Rückführung von Flüchtlingen werden durch die schlechte Sicherheitslage, die weitgehend fehlenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Aufbau einer Existenz sowie die schwache Verwaltungsstruktur der afghanischen Behörden beeinträchtigt. Rückkehrer können auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. (DAA, Bericht 2008, 5; vgl. UKHO Afghanistan 2008, 10 ff.)

 

Mit der Eröffnungssession der afghanischen Nationalversammlung im Dezember 2005 konnte der Bonner Prozess und die Interimsstrategie zur nationalen Entwicklung Afghanistans zu einem Abschluss gebracht werden. Im Rahmen der Londoner Konferenz von Januar/Februar 2006 wurde der Afghanistan Compact, die Strategie zur nationalen Entwicklung Afghanistans für die Periode von 2007-2011 (Afghanistan National Development Strategy - ANDS) und eine nationale Strategie zur Kontrolle des Drogenanbaus erarbeitet. Im Zentrum des Afghanistan Compact stehen die Ziele Sicherheit, Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die afghanische Regierung führt die Umsetzung des Afghanistan Compact fort.

 

In der Afghanistan-Konferenz vom 12. Juni 2008 in Paris wurden neben dem finanziellen Anliegen Afghanistans von rund 21 Milliarden US-Dollar für die nächsten fünf Jahre speziell die "ungenügende und wenig wirksame Hilfeleistung" der internationalen Gemeinschaft in den vergangenen Jahren thematisiert. Die Bilanz der letzten zwei Jahre ist ernüchternd: "Die meisten im Afghanistan Compact von 2006 gegebenen Versprechen wurden nicht eingelöst." Die internationalen Akteure sollen in Zukunft volle Rechenschaft über ihre Ausgaben ablegen. Der neue Fünf-Jahres-Plan setzt drei Schwerpunkte:

Selbstversorgung mit Getreide, eine bessere Energieversorgung sowie einen Ausbau der Bildungsmöglichkeiten. Da diese von der Entwicklung der Sicherheitslage abhängen, dürften sie jedoch nur schwer umzusetzen sein.

 

Die für Juni 2008 geplante Volkszählung in Afghanistan wurde wegen mangelnder Sicherheit sowie Unklarheiten bei der Registrierung verschoben. Auch die geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werden - trotz hoher Kosten - nicht wie vorgesehen, gemeinsam durchgeführt, sondern auf 2009 bzw. 2010 aufgeteilt. Hamid Karzai will sich 2009 zur Wiederwahl stellen.

 

Am 27. April 2008 wurde während einer Militärparade in Kabul erneut ein Anschlag auf Präsident Karzai verübt. Dass dieser Anschlag trotz der strikten Sicherheitsmaßnahmen ausgeführt werden konnte, deutet darauf hin, dass zumindest Teile der Regierung Kontakte zu bewaffneten Bewegungen oder kriminellen Netzwerken haben dürften. Immer mehr Einwohner Kabuls zweifeln an der Fähigkeit, aber auch am Willen der Sicherheitskräfte, die afghanische Bevölkerung zu beschützen. Beim Anschlag auf Karzai konnte beobachtet werden, wie Teile der Sicherheitskräfte noch vor dem Publikum flüchteten. Das afghanische Parlament sprach ein Misstrauensvotum gegen Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak, Geheimdienstchef Amrullah Saleh sowie den Innenminister Zarar Ahmad Moqbel aus und forderte diese zum Rücktritt auf. Das Misstrauensvotum ist ein klares Zeichen dafür, dass das Vertrauen des Parlaments in die Regierung stetig sinkt. Gemäß Angaben der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) haben jedoch auch rund 80 Prozent der Parlamentarierinnen und Parlamentarier Kontakte zu militanten Gruppen. (SFH, Afghanistan Update 2008, 1-3; vgl. UKHO, Afghanistan 2008, 13 ff.; UKHO, Operational Guidance Note 2009, 2 ff.).

 

1.2. Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen

 

Zivilgesellschaftliche Netzwerke sind in Afghanistan vorhanden, konzentrieren sich aber auf die Hauptstadt und die größeren Städte. Dies reflektiert die große Kluft, die seit jeher zwischen den städtischen, gebildeten Eliten und der zumeist illiteraten Landbevölkerung besteht. Nichtregierungsorganisationen (NRO) spielen in der Menschenrechtsarbeit eine wichtige Rolle. Sie nehmen an der öffentlichen Debatte teil, indem sie immer wieder Missstände im MR-Bereich ansprechen und auf die Defizite bei der Aufarbeitung der Verbrechen, die in den vergangenen Jahrzehnten des Bürgerkriegs begangen wurden, hinweisen. Dreh- und Angelpunkt der Menschenrechtsarbeit in Afghanistan ist die "Unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistans" (AIHRC). Sie wurde im Jahr 2002 gegründet. Ihre Vorsitzende ist seither die frühere Ministerin für Frauenangelegenheiten, Dr. Sima Samar. Die AIHRC ist landesweit tätig. Dependancen sind in Herat, Mazar-i-Sharif, Faizabad, Kandahar, Jalalabad, Bamyian und Ghazni errichtet worden. Die Kommission hat Verfassungsrang (Art. 58 der Verfassung). Sie nimmt Individualbeschwerden an, kann Fälle von Menschenrechtsverletzungen an die Justiz weitergeben und bei der Verteidigung der Rechte von Beschwerdeführern Unterstützung leisten. Die Mitglieder der AIHRC wurden zunächst interimsweise für zwei Jahren gewählt. Ihr Mandat ist im Jahr 2004 abgelaufen, eine Neubestimmung der Kommissionsmitglieder durch Präsident Karzai bisher aber nicht erfolgt. Bis zur ihrer Neubesetzung setzt die Kommission ihre Arbeit zwar auf der Grundlage einer faktischen Verlängerung des alten Mandats fort; die Position der AIHRC wird hierdurch freilich geschwächt. Die AIHRC ist dem Misstrauen und ständigen Anfeindungen durch ehemalige "warlords" und lokaler Machthaber ausgesetzt. Ihnen sind die Anstrengungen der AIHRC, Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit aufzuklären und aufzuarbeiten, ein Dorn im Auge. Sie verfügen über eine starke Stellung im afghanischen Parlament und versuchen von dort aus, den Einfluss der AIHRC zu beschränken. Im September 2007 forderte eine Gruppe von Abgeordneten im Rahmen einer Plenardebatte, dass der Vorsitz der AIHRC künftig vor Ernennung durch den Präsidenten vom Parlament zu bestätigen sei. Der Vorstoß war eindeutig gegen die - als "Spionin des Auslands" titulierte - Amtsinhaberin Dr. Samar gerichtet. Neben der AIHRC sind eine ganze Reihe von nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen im Menschenrechtsbereich tätig, u.a. Human Rights Watch und Global Rights, die Foundation for Culture and Civil Society, die sich um den Kontakt zu Minderheiten und den Aufbau der Zivilgesellschaft kümmert, die International Crisis Group und die International Legal Foundation, die die Ausbildung von Strafverteidigern und Durchsetzung der Beachtung von Verfahrensgrundsätzen übernommen hat. Auch die deutsche Medica Mondiale, die u.a. die Ausbildung von Strafverteidigern im Zusammenhang mit sog. "zina crimes" (Ehebruch, vorehelicher Geschlechtsverkehr, etc.) und den Schutz von Frauenrechten zum Schwerpunkt ihrer Arbeit hat, ist in Afghanistan aktiv. Die Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) ist eine Organisation, die Berichte zu menschenrechtsrelevanten und allgemein-politischen Themen verfasst. Die im Menschenrechtsbereich aktiven Organisationen können ihrer Arbeit grundsätzlich frei nachgehen. Regierungsseitige Einschränkungen oder offene Behinderungen gibt es in Afghanistan nicht, aber sie müssen das gesellschaftliche Klima berücksichtigen. Die blutige Geschichte der letzten Jahrzehnte wurde bisher nicht aufgearbeitet. Diejenigen, die sich Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, sind oft nach wie vor in einflussreichen Positionen. Sie verfügen somit über erhebliches Droh- und Druckpotenzial, um gegen unerwünschte Aktivitäten einer ohnehin nur rudimentär vorhandenen Zivilgesellschaft vorzugehen. Als überaus wirkungsvolles Instrument erweisen sich dabei in Afghanistan immer wieder Anschuldigungen, wonach bestimmte Verhaltens- und Vorgehensweisen gegen den islamischen Sitten- und Wertekanon verstoßen würden. Dies kollidiert häufig mit den Grundrechten Meinungs-, Presse- bzw. Medien- und Religionsfreiheit. Stimmen, die solchen Behauptungen offen widersprechen oder gar die Motivation jener Kräfte laut hinterfragen würden, sind in Afghanistan bis auf den heutigen Tag kaum zu vernehmen. Die laufende Beobachtung und Bewertung ihres Handelns nach "Islamkonformität" engt auch den Handlungsspielraum der politischen Akteure ein. (DAA, Bericht 2008, 8 f.; vgl. UKHO, Afghanistan 2008, 104 ff.)

 

2. Zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan:

 

Die Sicherheitslage Afghanistans hat sich in den letzten zwei Jahren in weiten Teilen des Landes drastisch verschlechtert. Wegen der Verschärfung der Sicherheitslage und der Intensivierung der Kämpfe blieben auch die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen weit hinter den Erwartungen zurück. Rückschläge im Bereich der institutionellen Reformen, anhaltende Armut sowie die Unfähigkeit der afghanischen Regierung, die grundlegendsten Dienstleistungen bereitzustellen, führten zu einer erhöhten Verletzlichkeit der afghanischen Bevölkerung. Die weitverbreitete Korruption bedroht den Aufbau eines Rechtsstaates und trägt dazu bei, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung stetig sinkt. "Die Frustration der Afghanen darüber, dass es ihnen trotz Milliarden von Hilfsgeldern aus dem Ausland heute kaum besser geht als vor sechs Jahren, ist überall mit Händen zu greifen." Bestimmte Personengruppen müssen noch immer Verfolgung befürchten und sind daher auf internationalen Schutz angewiesen. Zudem können weiterhin bestimmten verletzlichen Personengruppen im Falle einer Rückkehr Gefahren für deren Gesundheit und deren körperliches Wohlergehen drohen. (SFH, Update Afghanistan 2008, 1)

 

Die Sicherheitslage bleibt weiterhin die größte Herausforderung für Afghanistan. Gemäß Reisehinweisen des EDA (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten) hat die Regierung "außerhalb von Kabul nur wenig Einfluss. Im ganzen Land besteht das Risiko von Terroranschlägen, Entführungen, Raubüberfällen, Landminen und Blindgängern." Laut deutschem Auswärtigem Amt sind die "Sicherheitskräfte der Regierung nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. In ganz Afghanistan besteht das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden. In der Hauptstadt Kabul können Überfälle und Entführungen auch tagsüber nicht ausgeschlossen werden. Im übrigen Land bestehen teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken."

 

Der Anteil an zivilen Opfern hat stark zugenommen. Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung gehen von vier verschiedenen Quellen aus:

 

von regierungsfeindlich eingestellten, bewaffneten Gruppierungen wie Taliban, Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekmatyar und anderen;

 

von regionalen Kriegsherren und Kommandierenden der Milizen;

 

von kriminellen Gruppierungen;

 

von Reaktionen der afghanischen und ausländischen Sicherheitstruppen im Kampf gegen die aufständischen Gruppierungen (ein Drittel bis fast 50 Prozent der Opfer), insbesondere von Bombardierungen.

 

Zivilisten gehören, speziell in urbanen Zentren, zu den immer stärker von Selbstmordanschlägen betroffenen Opfern. Seit 2005 hat die Zahl der Selbstmordattentate, nicht zuletzt wegen ausländischen Freiwilligen, stark zugenommen. Laut Angaben von Amnesty International kamen im Jahr 2007 mindestens 6500 Personen aufgrund der Konflikte ums Leben. In der ersten Hälfte 2008 ist die Anzahl der Todesopfer in der afghanischen Zivilbevölkerung um fast zwei Drittel gestiegen.

 

Afghanische Sicherheitskräfte: Die Regierung unternahm weiterhin Anstrengungen, die Afghanische Nationalarmee (ANA) und die afghanischen Polizeikräfte (ANP) zu entwickeln und zu professionalisieren. Die ANA zeichnet sich jedoch auch weiterhin durch ein niedriges Bildungsniveau und Disziplinlosigkeit aus, hat in der Bevölkerung aber ein höheres Ansehen als die ANP. Der Aufbau der ANA benötigt nach Schätzungen von Experten weitere fünf bis zehn Jahre, bis sie selbständig und unabhängig arbeiten kann. Die afghanische Polizei trägt neben der Armee die Hauptlast der Aufstandsbekämpfung und hat hohe Verluste zu verzeichnen (über 1000 Tote im Jahr 2007). Polizisten wurden oft in Kämpfe gegen aufständische Gruppierungen verwickelt, verfügten aber nicht über eine entsprechende Ausbildung. Dieser Einbezug in Kämpfe verhindert den Aufbau einer starken, verantwortlichen Polizei.

 

Der afghanische Geheimdienst (National Directorate of Security, NDS, früherer KHAD bzw. später WAD) arbeitet effizient, weist aber insbesondere in Bezug auf Festnahmen, Verhöre, Haftdauer und -umstände ein hohes Maß an Willkür auf. Eine wirksame Kontrolle fehlt, da der NDS lediglich dem Präsidenten Rechenschaft schuldig ist.26 Er setzt sich aus geschätzten 15-20.000 Personen zusammen, wozu noch unzählige Informanten kommen dürften. Der NDS weist einen vergleichsweise hohen Anteil an professionell ausgebildeten Offizieren aus, die meist aus der Sowjet-Zeit übernommen wurden. Die angewandten Methoden gelten jedoch als "traditionell". Schläge und Folter bei Verhören scheinen zur Routine zu gehören.

 

Menschenrechtsverletzungen: Bei Menschenrechtsorganisationen sind zahlreiche Meldungen betreffend Missbräuchen von Angehörigen der nationalen Sicherheitskräfte eingegangen.

 

Taliban: Verschiedene gewagte Militäraktionen der Taliban in den vergangenen Monaten wie die Anschläge in Kabul oder der Überfall auf ein Gefängnis in Kandahar und die damit verbundene Freilassung von fast 1000 Gefangenen zeigen eine Verbesserung der militärischen und technischen Fähigkeiten. Die Angriffe auf strategisch wichtige Punkte wie Brücken oder Telekommunikationseinrichtungen lassen darauf schließen, dass sich die Taliban in eine neue Phase der Guerillakriegsführung begeben haben. Die Taliban konnten in den vergangenen zwei Jahren wachsenden Erfolg in der Rekrutierung neuer junger Kämpfer aus dem Süden und Südosten Afghanistans verzeichnen, die für Selbstmordanschläge und die Teilnahme an Kämpfen ausgebildet werden. Dennoch ist laut Angaben von Militärexperte Antonio Giustozzi davon auszugehen, dass die Taliban keine starke Organisationsform aufweisen und im Wesentlichen auf einem Netzwerk persönlicher Beziehungen zwischen den Anführern und den Kämpfern auf lokaler Ebene basieren. Zu den Methoden zählen Selbstmordanschläge, ferngesteuerte Bombenattentate, Landminen sowie der Missbrauch von Zivilisten als Schutzschilder. Die Verbesserung des militärischen Niveaus der Taliban führte zur teilweise zeitlich begrenzten Übernahme der Macht in einzelnen Distrikten, insbesondere im Süden des Landes.

 

Menschenrechtsverletzungen: Seit Frühjahr 2007 gab es konstant Meldungen über die Hinrichtung von mindestens 20 Zivilisten, die als so genannte "Informanten" oder "Spione" der afghanischen Regierung durch die Taliban enthauptet wurden. Darunter befanden sich wiederholt Personen, die sichtlich noch minderjährig waren. Bilder der Enthauptung werden zur Abschreckung verbreitet. Kinder wurden von aufständischen Gruppierungen bewiesenermaßen auch als "lebende Schilder" benützt.

 

Ausländische Sicherheitskräfte: Gemäß Angaben des ISAF Mirrors vom Juli 2008 hatte die ISAF (International Security Assistance Force) zum genannten Zeitpunkt 52.900 Truppen in Afghanistan stationiert, davon 40.200 im Süden und Osten des Landes. Zudem befanden sich im Mai 2008 etwa 33-36.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan Davon sind rund 16.400 amerikanische Truppen in Bagram stationiert und kämpfen zusammen mit der ISAF. Der Rest der US-Truppen steht im Rahmen der "Terrorismusbekämpfung" unter US-Befehl, insbesondere im Süden und Osten des Landes, im Einsatz. Die hohe Anzahl ziviler Opfer hat in den besonders betroffenen Gebieten zu Entrüstung und zu mehreren Demonstrationen gegen das Vorgehen der internationalen und nationalen Sicherheitskräfte geführt. Zu den ausländischen Sicherheitskräften zählen auch private Militär- und Sicherheitsfirmen. Allein in Kabul wurden in den letzten Jahren bis zu 10.000 bewaffnete Personen beschäftigt. Ihr Status und insbesondere auch die Möglichkeit, diese für begangene Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen, bleibt ungeklärt.

 

Menschenrechtsverletzungen: Es wurden Vorfälle bekannt, in denen sich internationale und nationale Sicherheitskräfte gravierenden Fehlverhaltens schuldig gemacht haben. Insbesondere bei Hausdurchsuchungen und nächtlichen Razzien gelangte exzessive Gewalt zum Einsatz, aber auch im Rahmen der Luftangriffe.

 

Lokale Kriegsherren und Milizen: Von weiten Kreisen der Bevölkerung werden regionale Kriegsherren, die teilweise mit Teilen der Regierung eng in Verbindung stehen, als Hauptursache für die Unsicherheit, insbesondere im Norden des Landes, angesehen. Obwohl sie zum Teil gravierende Menschenrechtsverbrechen begangen haben, genießen sie Straffreiheit und sind in hohen Funktionen anzutreffen. Die von ihnen ausgehende Gewalt ist oft politisch motiviert und äußert sich nicht selten in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden lokalen Machthabern. Gegenüber der Zivilgesellschaft setzen Kriegsherren oft Gewalt und Einschüchterung als Mittel ein, ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. In gewissen Gebieten engen Warlords die Freiheiten der Frauen, ähnlich den Taliban-Vorschriften, ein. Der teilweise beträchtliche Einfluss ehemaliger Kommandierender und lokaler Kriegsherren ist auch einer der Gründe dafür, weshalb viele Vertriebene nicht an ihren Heimatort zurückkehren wollen. Geschätzte 2000 illegale bewaffnete Gruppierungen existieren weiterhin und umfassen etwa 125.000 Personen. Die Umsetzung verschiedener Entwaffnungsprogramme (DDR-Programm, DIAG - Disbandment of Illegal Armed Groups) blieb sehr unvollständig, und die wenigen Erfolge wurden von der sich verschlechternden Sicherheitslage aufgehoben. Laut Angaben von Amnesty International wurden seit 2002 aber auch rund 409.022 Handfeuerwaffen nach Afghanistan importiert.

 

Sicherheit und Drogenhandel: 2007 wurden in Afghanistan rund 8000 Tonnen Opium produziert, was 93 Prozent der Weltopiumsproduktion und einem Wert von einer Milliarde US-Dollar entspricht. Die Opiumproduktion ist in Afghanistan im Vergleich zu 2006 um ein Drittel gestiegen. Der Erlös fließt zu einem wesentlichen Teil in die Kriegskassen der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen, was eine Intensivierung der gewaltsamen Auseinandersetzungen begünstigt. Die Drogenbekämpfungsstrategie hat viele Bauern wegen mangelnden Überlebensalternativen zur Flucht veranlasst und teilweise direkt in die Arme der Taliban getrieben. Die zunächst hauptsächlich im Süden stattfindenden militärischen Operationen dehnten sich im vergangenen Jahr auf zahlreiche weitere Gebiete im Osten, Südosten, Westen und Zentrum des Landes aus und intensivierten sich. Die UNO deklarierte Ende Februar 2008 rund 78 Distrikte als extreme Gefahrenzone. UNO-Organisationen haben zu diesen Gebieten keinen Zugang.

 

Osten/Süden: Seit Frühjahr 2007 stieg die Anzahl gewaltsamer Übergriffe durch die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte insbesondere im Süden und Osten des Landes an. Die Lage ist durch Kämpfe zwischen radikal-islamischen Kräften und der Aufstandsbekämpfungskoalition gekennzeichnet. Anschläge auf Regierungsstellen sowie Hilfswerke nahmen zu. Zudem kommt es oft zu Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen und zu Stammesfehden.

 

Norden/Westen: In den westlichen Provinzen Ghor, Farah und Nimruz fand eine Reinfiltration von Taliban oder radikal-islamischen Gruppierungen statt. Zunehmende Aktivitäten von Taliban oder regierungsfeindlichen Gruppierungen sind auch im Norden und Nordosten Afghanistans zu registrieren. Zudem finden im Nordwesten Afghanistans immer wieder interfraktionelle Kämpfe statt, deren Hauptakteure die Jamiat-e-Islami, die Jumbesh-e-Melli und die Hezb-e-Wahdat sind.

 

Kabul/Zentrum: Die Sicherheitslage in Kabul verschlechterte sich drastisch: Bisher als sicher eingestufte Orte wurden zum Ziel von Anschlägen, so verübten Selbstmordattentäter am 14. Januar 2008 einen Anschlag auf das Hotel Serena. Am 7. Juli 2008 fand ein Anschlag auf die indische Botschaft in Kabul statt. UNHCR stuft das gesamte Gebiet der Provinzen Ghazni, Maidan-Wardak und Logar, die Straßen von Kandahar und Kabul nach Ghazni sowie Teile der Provinzen Kapisa, Kabul, Parwan und Daikundi als unsicher ein.

 

Afghanistan gehört zudem zu den am stärksten verminten Ländern der Welt. Pro Monat sterben bis zu 60 Personen aufgrund von Minen oder Blindgängern.

 

Aussicht: Mehrere Staaten, darunter die USA und Deutschland, haben aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage ihre Absicht kund getan, die Anzahl ihrer in Afghanistan stationierten Truppen in naher Zukunft aufzustocken. Diese Truppenaufstockung und die Erstarkung der Taliban deuten auf eine weitere Intensivierung der Kämpfe und damit auf eine Zunahme der Opferzahlen hin. Im Vergleich zum militärischen Engagement in anderen Konflikten könnte jedoch die Losung des Militärexperten Antonio Giustozzi "zu wenig, zu spät" durchaus zum Tragen kommen. (SFH, Afghanistan Update 2008, 1-7; vgl. UNHCR, Sicherheitslage 2008; DAA, Bericht 2008, 9 ff.; UKHO, Afghanistan 2008, 27 ff.; USDS, Afghanistan 2008, 2 ff.; UN-SC, Report S/2008/782, 2 ff.).

 

3. Versorgungslage in Afghanistan:

 

Afghanistan gilt als das ärmste Land Asiens. Nach Angaben des "Center for Policy and Human Development" der Universität Kabul ("National Human Development Report 2007") kann fast ein Viertel aller Haushalte die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern. Die Vereinten Nationen versorgen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten zwar grundsätzlich verbessert, aber wegen mangelnder Kaufkraft profitieren längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon. In vielen Gebieten Afghanistans ist die Versorgungslage mit Lebensmitteln weiterhin nicht zufrieden stellend. Humanitäre Nothilfeleistungen wurden 2007 in verschiedenen Landesteilen notwendig. Eine Versorgung der Notstandsgebiete ist oftmals, bedingt durch fehlende oder schlecht ausgebaute Verkehrswege, sehr schwierig, im Winter häufig überhaupt nicht möglich. Hinzu kommt die Gefahr von kriminell motivierten Überfällen und Landminen. Die Arbeit der Hilfsorganisationen wird vor allem im Süden und Osten durch Sicherheitsprobleme erschwert. Das Angebot an Wohnraum ist knapp und er ist nur zu hohen Preisen erhältlich.

 

Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen gibt es nicht. Familien und Stammesverbände übernehmen die soziale Absicherung. Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. Von den "Zurückgebliebenen" werden sie häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Andererseits bringen Afghanen, die in den Kriegs- und Bürgerkriegsjahren im westlichen Ausland Zuflucht gesucht haben, von dort in der Mehrzahl der Fälle höhere Finanzmittel, eine qualifiziertere Ausbildung und umfangreichere Fremdsprachenkenntnisse mit als Afghanen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind. Das verschafft ihnen bei der Reintegration einen deutlichen Vorteil. Die Mehrheit der "Intelligenzia" ist während der Kriegs- und Bürgerkriegsjahre nach Europa und Nordamerika geflüchtet. Prinzipiell könnten die Fähigkeiten dieser Personen eine erhebliche Ressource für das Land darstellen, denn es mangelt an ausgebildeten Facharbeitern und Akademikern. Adäquate staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige gibt es nicht. (DAA, Bericht 2008, 24)

 

Afghanistan ist das fünftärmste Land der Welt. Rund 25 Millionen Menschen leben in Afghanistan unterhalb der Armutsgrenze. Die in den vergangenen sechs Jahren von der internationale Staatengemeinschaft für Afghanistan zur Verfügung gestellten 15 Milliarden US-Dollar wurden nicht wirksam und angemessen eingesetzt. Selbst die grundlegenden Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung sind unbefriedigt geblieben. Jakob Kellenberger, Präsident des IKRK, äußerte im April 2008 Bedenken zur Lage in Afghanistan: "Wir sind extrem beunruhigt über die sich verschlechternde humanitäre Situation in Afghanistan."

 

Die Privatinvestitionen sind zwischen 2005 und 2006 um 50 Prozent zurückgegangen. Zudem ist eine zunehmende Zahl der Projekte von der schlechten Sicherheitslage direkt betroffen: Straßenbau, Flughafen-Wiederaufbau, Volkszählung, Telekommunikation, Erziehung und Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft etc.

 

Zugang zu Arbeit: Die Arbeitslosenrate in Afghanistan beträgt 32 Prozent. AIHRC geht davon aus, dass in Teilen des Landes die Arbeitslosenquote bis zu 60 Prozent beträgt. Ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung verdingt sich als Tagelöhner. Gemäß einer Umfrage von AIHRC gaben rund 60,3 Prozent der Interviewpartner an, weniger als einen US-Dollar pro Tag zu verdienen, was laut Index der Weltbank der "absoluten Armut" zugeordnet wird. Außerhalb der Hauptstadt ist der Mangel an Arbeitsstellen größer. Die Baubranche, welche die Hauptbeschäftigungsquelle für wenig ausgebildete Personen war, ist von einer Rezession betroffen. Aufgrund der weitverbreiteten Arbeitslosigkeit können sehr viele Afghanen ihre Grundbedürfnisse nicht selber befriedigen. Die Arbeitsmigration bildet eine wichtige Quelle zur Unterstützung des Haushaltes. Sehr viele Familien stützen sich deshalb auf solche transnationale Netzwerke. Die Deportation afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan und aus dem Iran, viele davon sind junge Männer, nimmt vielen afghanischen Familien die Haupteinkommensquelle. Frauen sind wegen ihres sehr niedrigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Status noch weniger häufig berufstätig. Die Regierung ist außerstande, für weite Teile der Bevölkerung Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen.

 

Zugang zu Unterkünften: Die Mietpreise für Wohnungen sind, insbesondere wegen der vielen Rückkehrer und der starken Präsenz internationaler NGO, nicht nur knapp, sondern auch sehr teuer geworden. Jede vierte Person in Kabul verfügt nicht über eine winterfeste Unterkunft, und viele Menschen leben sogar in Ruinen.

 

Zugang zu Trinkwasser und Lebensmittel: UNHCR geht davon aus, dass rund 77 Prozent der afghanischen Bevölkerung kein Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. In Städten haben etwa 64 Prozent der Haushalte Zugang zu sauberem Trinkwasser, in ländlichen Gebieten geschätzte 26 Prozent. Etwa 35 Prozent der Haushalte können nicht selbständig für die Grundversorgung an Lebensmitteln aufkommen. Die Lebensmittelpreise sind in den letzten zwölf Monaten wegen des sehr harten Winters 2007/08, der langen Trockenzeit im Norden und Westen des Landes sowie den hohen Importpreisen bis zu 130 Prozent gestiegen. 2008 wird mit einer schwachen Ernte gerechnet.

 

Eigentum und Besitz: Wegen des kaum funktionierenden Justizsystems ist der afghanische Staat in den meisten Fällen nicht fähig, Besitzrechte zu schützen. Das Landproblem ist weiterhin nicht gelöst: Es gibt Mehrfachregistrierungen für ein Stück Land; Kommandierende, die Land illegal beschlagnahmt haben und weiterhin wegen ihrer starken Machtstellung nicht belangt werden können; ein Justizsystem, welches die Fälle nur sehr langsam aufarbeitet und durch Korruption geprägt ist. Flüchtlinge können bei einer Rückkehr diesbezüglich auf erhebliche Probleme stoßen.

 

Zugang zu Bildung: 2007 gingen mehr als 5,6 Millionen Kinder zur Schule, davon etwa 35 Prozent Mädchen. Dennoch bleiben etwa die Hälfte aller afghanischer Kinder der Schule fern. Mit einer Alphabetisierungsrate von etwa 28 Prozent weist Afghanistan eine der weltweit höchsten Analphabetenraten auf (bei Frauen liegt sie sogar bei 81-90 Prozent). Als Gründe für das Wegbleiben von Schulen werden eine traditionelle Einstellung, Armut, das Fehlen von Einrichtungen und Transportmöglichkeiten sowie die schlechte Sicherheitslage genannt. Viele Kinder werden auch zur Arbeit herangezogen. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen bleibt für die afghanische Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gegenden, limitiert.

 

Zugang zu medizinischer Versorgung: Der Gesundheitszustand der afghanischen Bevölkerung gehört zu den schlechtesten weltweit. Die Lebenserwartungen der afghanischen Bevölkerung gehören mit 42 Jahren zu den tiefsten der Welt. Im ganzen Land stehen der afghanischen Bevölkerung lediglich 210 Gesundheitseinrichtungen mit Betten zur Hospitalisierung zur Verfügung. Mit Ausnahme von vier Provinzen beträgt die Ärztedichte landesweit ein Arzt auf 10.000 Einwohner. Gemäß Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes besteht in weiten Landesteilen keine medizinische Versorgung. Kinder und Frauen gehören zu den speziell vernachlässigten Personengruppen. Die Müttersterblichkeitsrate ist mit 1600-1900 auf 100.000 Geburten weltweit die zweithöchste. Bei rund 70-85 Prozent der Geburten war keine dafür ausgebildete Person anwesend. Der Zugang zu medizinischen Einrichtungen ist für Frauen kulturell bedingt schlechter als für Männer. Dies gilt insbesondere dann, wenn kein weibliches Gesundheitspersonal anwesend ist. Im Bereich der psychischen Erkrankungen existieren in Afghanistan nur sehr limitierte Einrichtungen und eine höchst rudimentären Behandlung.

 

Humanitäre Krisen: Gemäß Angaben des World Food Programme (WFP) sind etwa 400.000 Personen von Naturkatastrophen, wie Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben oder extrem harten Wetterbedingungen betroffen. Geschätzte 6 Millionen Afghanen benötigen Lebensmittelhilfe. 3,5 Millionen brauchen regelmäßige und fast 3 Millionen saisonale Hilfe. Allein im Januar 2008 kostete der harte Winter 2007/2008 etwa 1000 Menschen das Leben. Die heftigen Schneefälle blockierten Wege und führten zu überhöhten Lebensmittelpreisen und zu intern Vertriebenen. (SFH, Afghanistan Update 2008, 13-15; vgl. DAA, Bericht 2008, 24 ff.; UKHO, Afghanistan 2008, 171 ff.; UN-SC, Report S/2008/782, 8 f.)

 

4. Rückkehrfragen:

 

Es ist nicht bekannt, dass eine Asylantragstellung zu Sanktionen seitens der afghanischen Regierung führt.

 

Im Iran und in Pakistan halten sich nach Angaben des UNHCR noch knapp 3,4 Millionen afghanische Flüchtlinge auf, davon knapp 2,5 Millionen in Pakistan und ca. 900.000 im Iran. Aus Turkmenistan und Tadschikistan ist die Mehrzahl der dort lebenden afghanischen Flüchtlinge freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Rückkehrer erhalten vom UNHCR eine begrenzte finanzielle Beihilfe und Sachmittel. Laut UNHCR wird die Rückführung von Flüchtlingen durch die schlechte Sicherheitslage, die mangelhaften Aussichten, eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, und die schwachen institutionellen Kapazitäten der afghanischen Behörden bei der Wiederaufnahme von Flüchtlingen beeinträchtigt. (DAA, Bericht 2008, 24)

 

Freiwillige Rückkehr: Die freiwillige Rückkehr nahm 2006 deutlich ab, was auf die sich verschlechternde Sicherheitslage und die fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven zurückzuführen war. 2007 stieg die Rückkehrquote wegen der Schließung von Lagern in Pakistan und der teilweise zwangsweisen Rückführung von rund 360.000 Flüchtlingen aus dem Iran an und führte in den betroffenen Gebieten Afghanistans zu humanitären Krisen. Zwischen März und Mai 2008 kehrten wegen der Schließung weiterer Lager in Pakistan 120.000 Flüchtlinge zurück. Nach Informationen des Beraters des afghanischen Ministeriums für Flüchtlinge und Rückkehrer leiden fast alle Rückkehrer unter mangelndem Zugang zu Lebensmitteln, Wasser, Gesundheitseinrichtungen und Unterkunft. Etwa vier Millionen Afghanen leben weiterhin im Ausland, davon etwa 920.000 im Iran und 2,15 Millionen in Pakistan.

 

Situation der Rückkehrer: Um bei einer Rückkehr sicher leben aber auch wirtschaftlich überleben zu können und Wohnraum zu finden, sind ein gutes Familiennetz sowie zuverlässige Stammes- oder Dorfstrukturen die wichtigste Voraussetzung. Sozialversicherungen wie Renten, Arbeitslosen- oder Krankenversicherungen existieren in Afghanistan nicht. UNHCR rät daher davon ab, Personen in andere Gebiete als ihren Heimatort oder ihren letzten Wohnort zurückzuschicken. Eine Befragung über die Lage der Rückkehrer ergab, dass über 50 Prozent der befragten Personen als Tagelöhner und unqualifizierte Arbeitskräfte ihren Lebensunterhalt verdienen. Von den arbeitenden Personen, gaben 60 Prozent an, über ein Einkommen von weniger als 50 Afghanis (etwa 1 US-Dollar) pro Tag zu verfügen. Personen mit guten Sprachkenntnissen, insbesondere Englischkenntnissen, und einer guten Bildung haben bei der Suche nach Arbeit bessere Chancen. Ansonsten finden am ehesten Ärzte oder Personen einer speziellen Berufsgattung Arbeit. Rückkehrer sehen sich mit denselben Problemen konfrontiert, wie alle Bürger, die Schwierigkeiten sind gemäß UNHCR jedoch viel ausgeprägter. Rückkehrer können wegen den noch immer nicht gelösten Landfragen auf erhebliche Probleme stoßen. Frauen, die eine westliche Lebensweise angenommen haben; die als Personen wahrgenommen werden, die gesellschaftliche Schranken übertreten, alleinerziehend oder ohne männlichen Schutz sind, sind speziell verletzlich. Da es für die meisten, insbesondere chronischen Krankheiten keine effektive Behandlung gibt, ist eine Rückkehr für viele Flüchtlinge ohne familiäres Netz nicht möglich. Personen, die psychisch erkrankt sind, werden stigmatisiert. Daher ist gemäß UNHCR im Falle einer Rückkehr, selbst unter guten Bedingungen, zu überprüfen, ob eine Rückkehr zumutbar ist. Für traumatisierte Personen, die eine Behandlung brauchen, muss eine Rückkehr infolge mangelnder Behandlungsmöglichkeiten überdacht werden. (SFH, Afghanistan Update 2008, 15 f.; vgl. DAA, Bericht 2008, 24 ff.; UKHO, Afghanistan 2008, 182 ff.; UKHO, Operational Guidance Note 2009, 28 f.)

 

II. Beweiswürdigung

 

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

 

II.1.

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Akten des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes.

 

II.2.

 

1. Die Feststellungen zur Identität (Name und Alter), Staatsangehörigkeit und Herkunft des Bf. sowie seinem persönlichen Umfeld und seinen Lebensbedingungen in Österreich ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem Bundesasylamt, in der Beschwerde und der vom Bf. dem Asylgerichtshof vorgelegten Dokumente (Geburtsurkunde, Legitimationsausweis für Berufsdetektivassistenten, Prüfungsbestätigung "Kaufhausdetektiv II"). An der Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten Dokumente sind keine Zweifel entstanden.

 

2. Im Übrigen ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das an der Richtigkeit der Feststellungen zu seiner Person Zweifel aufkommen ließ.

 

II.3.

 

1. Die belangte Behörde begründete im angefochtenen Bescheid ihre Entscheidung betreffend Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zusammengefasst damit, dass sich aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan zwar ergebe, dass sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt als problematisch darstelle, im gegenständlichen Fall jedoch anzuführen sei, dass der Bf. aus einer Region stamme, wo nicht schon aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage davon ausgegangen werden müsse, dass sich jeder, der sich in dieser Region aufhalte schon alleine aufgrund der physischen Anwesenheit in einer Gefahr im Sinne des § 50 FrG befinde. Trotz der in manchen Regionen angespannten Sicherheitslage könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich jedermann, welcher sich in Afghanistan aufhält, schon alleine aufgrund der allgemeinen Lage in einer extremen Gefährdungslage befinde. Ein weitergehender, qualifizierter Sachverhalt, welcher gerade im gegenständlichen Fall für die gegenteilige Annahme sprechen würde, liege nicht vor. Aufgrund der getroffenen Feststellungen könne ferner nicht davon gesprochen werden, dass in jeder Region Afghanistans eine nicht sanktionierte ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen herrschen würde; somit würden auch von Amts wegen keine stichhaltigen einem Refoulement nach Afghanistan entgegenstehenden Gründe erkannt werden. Es werde von der belangten Behörde nicht verkannt, dass es in Afghanistan zu Menschenrechtsverletzungen komme, doch sei auch die Bevölkerungszahl Afghanistans in Betracht zu ziehen, sodass sich die Anzahl der berichteten Menschenrechtsverletzungen durchaus relativiert und hieraus keineswegs ein Hinweis auf eine permanente (sonstige) Gefahr abgeleitet werden könne.

 

Wie sich aus den Feststellungen zum Herkunftsstaat und dem Amtswissen des Bundesasylamtes zur Person des Bf. ergebe, sei im Rahmen einer einzelfallspezifischen Prüfung aufgrund der vorangegangenen Erwägungen festzustellen, dass der Bf. im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von den in der Feststellung angeführten Problempunkten nicht so weit betroffen sei, dass diese einem Refoulement entgegen stehen würden. Im gegenständlichen Fall gehe die belangte Behörde davon aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz nicht vorliegen, weil unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse (Alter, Gesundheitszustand, Ausbildung, Arbeitsfähigkeit, Herkunftsregion, Mobilität, Zumutbarkeit der zumindest vorübergehenden Inanspruchnahme internationaler Hilfe, etc.) nicht davon auszugehen sei, dass der Bf. im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in eine derart dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt werde, die ihm eine Rückkehr unzumutbar erscheinen ließen. Es sei vielmehr aufgrund des Umstandes, dass individuelle Erwägungen, warum in diesem Fall kein subsidiärer Schutz gewährt werden solle, festzustellen, dass im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan die Basisversorgung und sonstige persönliche Sicherheit des Bf. sicher gestellt sei. Weder aus dem Amtswissen noch aus dem Vorbringen des Bf. ergebe sich ein weiterer qualifizierter Sachverhalt, welcher einem Refoulement entgegen stehe.

 

2. Der Bf. machte in seiner Berufung (nunmehr: Beschwerde) gegen den angefochtenen Bescheid unter anderem geltend, dass die rechtliche Beurteilung der Feststellungen der belangten Behörde unrichtig seien.

 

Der Bf. begründete seine Beschwerde im Wesentlichen damit, dass auf Grund der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage in Afghanistan sehr wohl davon auszugehen sei, dass aufgrund dieser Sicherheitslage von einer Gefahr für Leben und Gesundheit des Bf. auszugehen sei. Weiters sei hinsichtlich der Frage, ob für den Antragsteller Rückschiebungshindernisse iSd. § 50 FPG vorliegen, eine individuelle Prüfung notwendig. Die bereits rechtskräftige Entscheidung hinsichtlich des Nichtvorliegens der Flüchtlingseigenschaft erstrecke ihre Rechtskraftwirkung jedoch nicht auf die Frage, ob individuelle Rückschiebungshindernisse iSd.

§ 50 FPG vorliegen würden. Diesbezüglich sei der Bescheid gesetzwidrig. Die Behörde sei aber selbst an die rechtskräftige Feststellung gebunden, dass der Bf. nicht aus Kabul, sondern aus seiner Herkunftsprovinz stamme. Weiters sei eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach allgemeiner Rechtsansicht nicht nur des UNHCR nur dann möglich, wenn sich die Umstände, die zur Zuerkennung dieses Status geführt haben, wesentlich geändert hätten (Umstandsklausel). Dies sei aber in Afghanistan nicht der Fall. Die Sicherheitslage sei, wie auch aus den im Bescheid zugrunde gelegten Feststellungen hervorgeht, weiterhin instabil.

 

Darüber hinaus sei auch die Ausweisung des Bf. unzulässig, da er seit sieben Jahren in Österreich lebe und seit fünf Jahren in legalen Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet habe. Er spreche perfekt Deutsch und sei in Österreich völlig integriert.

 

3. Wie vom Bf. in seiner Beschwerde zu Recht ausgeführt wird, ist für den Bf. die Rückkehr in seinem Heimatstaat im Lichte der gegenwärtig herrschenden Verhältnisse in Afghanistan und unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation, in der sich der Bf. im Falle seiner Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit wiederfinden würde, nicht zumutbar. Die durch das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid zitierten Berichte stehen dieser Ansicht nicht entgegen. So belegen auch die Feststellungen des Bundesasylamtes die weitgehend prekäre humanitäre Lage in Afghanistan.

 

Die dem Asylgerichtshof von Amts wegen vorliegenden Berichte zur derzeitigen allgemeinen Lage in Afghanistan, die auch dem Bundesasylamt von Amts wegen vorliegen, weisen im Vergleich zu den vom Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid seiner Entscheidung zugrunde gelegten Informationen zur Lage in Afghanistan eine höhere Aktualität auf.

 

Hierbei wurden Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des deutschen Auswärtigen Amtes, des britischen UK Home Office (Border Agency) und des US Department of State, ebenso herangezogen, wie auch von internationalen Organisationen wie dem UNHCR oder allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, der Gesellschaft für bedrohte Völker oder des Asian Centre for Human Rights.

 

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass die Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, von einander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

So ist auch darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen ebenfalls zum Teil auf Berichten der eben genannten Stellen beruhen (insbesondere deutsches Auswärtiges Amt, UNHCR und Schweizerische Flüchtlingshilfe).

 

4. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde gelangt der Asylgerichtshof nach Würdigung der individuellen Situation des Bf. zur Auffassung, dass der Bf. keine bzw. eine nur mangelnde Existenzgrundlage in Afghanistan vorfände. Sofern die belangte Behörde die nunmehr erfolgte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten damit rechtfertigt, dass in Afghanistan nach wie vor zahlreiche Angehörige leben würden (die Mutter des Bf. sowie sieben Geschwister), welche den Bf. im Falle einer Rückkehr unterstützen könnten und würden, so kann diese Rechtfertigung im gegenständlichen Fall nicht greifen:

 

Der Bf. hat Afghanistan im Jahr 2000 verlassen und erklärte im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15.02.2007 selbst, er habe seit seiner Flucht aus Afghanistan keinen Kontakt mehr mit seinen Angehörigen gehabt. Lediglich mit seiner Mutter habe er im Dezember 2006 telefoniert. Sie habe ihn angerufen und ihm unter anderem gesagt, dass es ihnen gut ginge, sie aber finanzielle Hilfe bräuchten. Der Bf. habe ihr gesagt, dass er ihnen keine finanzielle Hilfe leisten könne, wenn er keine genaue Adresse habe, wohin er das Geld schicken könne. Die Mutter habe ihm dann gesagt, dass sie auch keine genaue Adresse habe.

 

Im Hinblick auf diese Angaben erfolgte die - im angefochtenen Bescheid nicht näher begründete - Schlussfolgerung der belangten Behörde, dass nach wie vor verschiedene Familienangehörige ohne Probleme in Afghanistan leben würde, zu Unrecht. Auch der Schluss der Behörde, dass auf Grund der vom Bf. in der Einvernahme getätigten Pluralformulierung "Angehörige" davon ausgegangen werden könne, dass weitere Angehörige bei der Mutter leben würden, stellt eine reine Vermutung dar, die von der belangten Behörde nicht weiter begründet wurde. So lassen die Angaben des Bf. vielmehr darauf schließen, dass die Geschwister des Bf. nicht bei seiner Mutter leben.

 

5. Es ist auch dem Einwand in der Beschwerde zu folgen, wonach die Feststellung der belangten Behörde, dass anzunehmen sei, dass der Bf. auf Grund seiner ersten Angaben in Deutschland aus Kabul stamme, zu Unrecht erfolgte. Sowohl aus der bereits in Rechtskraft erwachsenen abweisenden Entscheidung zur Frage, ob Asylgründe vorliegen, als auch aus dem neuerlichen Vorbringen des Bf. in der Einvernahme vor der belangten Behörde, kann nicht

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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