TE OGH 2009/2/13 14Os11/09p

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Veröffentlicht am 13.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schörghuber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian K***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG, AZ 19 HR 10/09h des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 22. Jänner 2009, AZ 10 Bs 29/09d (ON 18 im Verfahren AZ 22 St 6/09g der Staatsanwaltschaft Graz), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Christian K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Graz die vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 16. Jänner 2009 über Christian K***** verhängte (ON 10) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit b StPO bis zum 23. März 2009 fort.

Zur Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts stellte das Oberlandesgericht fest, der Beschuldigte stehe in dringendem Verdacht, zumindest im Zeitraum vom 29. September 2008 bis zum 29. Dezember 2008 vorschriftswidrig 480 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 79 %, somit Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge überschreitenden Quantität, von Roland P***** erworben und an verschiedene, bislang unbekannte Abnehmer verkauft zu haben (BS 3).

Diese Sachverhaltsannahmen begründete das Beschwerdegericht mit seit Oktober 2007 geführten „umfangreichen Erhebungen der Suchtmittelgruppe des Stadtpolizeikommandos Graz" gegen eine aus mehreren zum Teil namentlich bekannten Personen - darunter der Beschuldigte und Roland P***** - bestehende Tätergruppe, wobei sich aus den (Rufdatenerfassungen, Telefonüberwachungen und Observationen umfassenden) Ermittlungen, insbesondere aus der Überwachung des Mobiltelefons des Roland P*****, ein „reger Kontakt des Roland P***** mit Christian K*****" ergeben habe. Dem „Inhalt der Telefonate (ON 2, AS 15 ff)" zufolge soll es „zu 38 offensichtlich bloß kurzen Zusammentreffen zwischen P***** und dem Beschuldigten oftmals zur Nachtzeit in Wohnstraßen, in Tiefgaragen und an anderen nicht leicht überschaubaren Orten" und dabei „zum Austausch von Waren und größeren Geldbeträgen jeweils durch Ablage auf einem Reifen des gerade benützten Wagens" gekommen sein. Die Verantwortung des arbeits- und einkommenslosen Beschuldigten, er habe P***** drei- bis viermal geborgte Geldbeträge oder Wetterlöse zurückgeben müssen und ihm einmal aus diesem Grund auch tausend Euro auf den linken Hinterreifen gelegt, sei „angesichts dieser Ermittlungsergebnisse gänzlich unglaubwürdig". Roland P***** sei in einem Parallelverfahren (AZ 22 St 115/08k der Staatsanwaltschaft Graz, AZ 20 HR 153/08v des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) „am 29. Dezember 2008 wegen des Verdachts der Überlassung von nach derzeitigen Erkenntnissen 3.000 Gramm Kokain an zehn derzeit identifizierte Subdealer" verhaftet worden. Die Mindestabnahmemenge wäre zehn Gramm Kokain gewesen. „Aus den bisherigen Ermittlungen und den Ergebnissen der Telefonüberwachung" errechne sich „die von P***** an K***** überlassene Menge mit 480 Gramm Kokain", dessen Reinheitsgehalt - aufgrund des bei Peter H***** (einem weiteren „Subdealer") sichergestellten Kokains (unter Hinweis auf ON 3, AS 5 und 61) - mit 79 % anzunehmen sei. „Aus den Tatumständen und der ansonsten gegebenen Einkommenslosigkeit des Beschuldigten" sei „mit Dringlichkeit auf eine kontinuierliche Tatbegehung und den daran geknüpften Additionseffekt sowie auf die Absicht des Beschwerdeführers zu schließen, sich durch den Suchtgifthandel eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen". Letztlich wird in der angefochtenen Entscheidung auf die Sicherstellung „einer Visitenkarte aus Stahl mit Kokainanhaftungen, eines Metallrohrs, von Verpackungsmaterial und Cannabiskraut" anlässlich der Hausdurchsuchung beim Beschuldigten hingewiesen (BS 3 - 6).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von Christian K***** erhobenen Grundrechtsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue - reformatorische - Entscheidung darzustellen hat (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421, RS0120817).

Nach § 174 Abs 3 Z 4 StPO (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat jede solche Entscheidung „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht" für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher - in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich entscheidend beurteilte - Sachverhalt angenommen wurde (Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; vgl EvBl 2006/132, 690; RIS-Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor. Insoweit unterscheidet sich die Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von der für ein Strafurteil (vgl statt aller: 13 Os 81/07x, EvBl 2007/137, 742, mwN).

Zwar ignoriert die Beschwerde mit ihrer Behauptung, es sei mangels konkreter Verfahrensergebnisse „nicht einmal klar, dass Christian K***** überhaupt Kokain vom genannten Beschuldigten Roland P***** gekauft hat", die diesbezüglichen Erwägungen des Oberlandesgerichts, womit sie sich nicht an den Anfechtungskriterien einer Grundrechtsbeschwerde orientiert (vgl dazu RIS-Justiz RS0120817, RS0114488, RS0112012, RS0110146).

Insoweit sie aber deutlich genug unzureichende Begründung (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) der Sachverhaltsannahmen zu höhergradiger Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG geltend macht, ist sie im Recht.

Denn der - ohne konkreten Aktenbezug vorgenommene - Verweis auf eine von Roland P***** regelmäßig abgegebene „Mindestmenge" von 10 Gramm Kokain (vgl zudem die Angaben des im Parallelverfahren abgesondert verfolgten Peter H*****, wonach er fallweise auch nur 5 Gramm Kokain erhielt [ON 3 S 91]), sowie die pauschale Bezugnahme auf den Inhalt überwachter Telefongespräche, nach denen es zu 38 offensichtlich bloß kurzen, dem Austausch von Waren und „größeren Geldbeträgen" dienenden Zusammentreffen zwischen dem Beschuldigten und P***** kam, stellen eine unzureichende Fundierung der zum Tatverdacht als höher wahrscheinlich angenommenen Tatsachen einer - auch rechnerisch nicht nachvollziehbaren - Übernahme von 480 Gramm Kokain dar.

Weiters aber trifft zu, dass der angefochtenen Entscheidung keinerlei Begründung für einen dringenden Verdacht der Überlassung von Kokain, geschweige denn einer die Grenzmenge des § 28b SMG um mehr als das Fünzehnfache übersteigenden Suchtgiftquantität, an „verschiedene bislang unbekannte Abnehmer" durch den - zumindest fallweise selbst Kokain konsumierenden (BS 8) - Beschuldigten zu entnehmen ist (erneut § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO iVm § 10 GRBG), womit sich insgesamt bloß die Annahme dringenden Tatverdachts in Richtung von Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG rechtfertigen lässt.

Das Beschwerdegericht kann sich zwar darauf beschränken, Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht nur insoweit zu treffen, als dies für die Haftvoraussetzung des § 173 Abs 1 StPO erforderlich ist. Die solcherart für dringend wahrscheinlich gehaltenen Straftaten müssen jedoch stets den Anforderungen des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO entsprechen. Die damit angesprochene Verhältnismäßigkeit kann aber im konkreten Fall bei Bejahung höherer Wahrscheinlichkeit der Begehung bloß mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedrohter Vergehen des verbotenen Umgangs mit Suchtgiften durch den bislang unbescholtenen Beschuldigten nicht als gegeben angesehen werden.

Im Übrigen zeigt die Grundrechtsbeschwerde zutreffend auf, dass der angefochtenen Entscheidung keine bestimmten Tatsachen zu entnehmen sind, die die Annahme gerechtfertigt hätten, der Beschwerdeführer werde auf freiem Fuß „Mitbeschuldigte beeinflussen, Spuren der Tat beseitigen oder auf andere Weise die Ermittlung der Wahrheit erschweren". „Planvolles und hochprofessionelles Vorgehen, ... insbesonders bei der Verschleierung ihres kriminellen Zusammenwirkens" der von den Ermittlungen betroffenen Tätergruppe, vermag die Befürchtung von Verdunkelungshandlungen durch Christian K***** ebensowenig zu rechtfertigen, wie der Umstand, dass „gegenwärtig bei Roland P***** sichergestelltes Datenmaterial untersucht und gegen weitere Subdealer ermittelt" wird (BS 6 f).

Der - im Wesentlichen aus der bisherigen Verdachtslage, der Beschäftigungs- und Einkommenslosigkeit des Beschuldigten sowie seinen angeblichen Kontakten zum Rotlichtmilieu (die dazu angeführte Belegstelle im Akt bezieht sich allerdings auf Peter H*****) abgeleiteten - Annahme drohender Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen (§ 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO) ist aufgrund der aufgezeigten Feststellungsdefizite zum dringenden Tatverdacht der Boden entzogen.

Durch die dennoch beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft wurde der Beschwerdeführer im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO iVm § 10 GRBG). Diese Grundrechtsverletzung war - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - festzustellen.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich bei der beschriebenen Ausgangslage aber auch veranlasst, den angefochtenen Beschluss aufzuheben (§ 7 Abs 1 GRBG).

Das Landesgericht für Strafsachen Graz ist somit verpflichtet, unverzüglich den der Anschauung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 7 Abs 2 GRBG).

Bleibt anzumerken, dass das vorliegende Erkenntnis bei entsprechender Verdichtung der Verdachtslage einer (neuerlichen) Verhängung der Untersuchungshaft nicht entgegensteht. Abgesehen davon, dass die dem Erstgericht - ohne weitere Begründung - von der Kriminalpolizei erst am 22. Jänner 2009 zur Kenntnis gebrachten und daher vom Beschwerdegericht im angefochtenen Beschluss nicht mehr verwerteten - belastenden Angaben eines angeblichen Suchtgiftabnehmers des Beschwerdeführers vom 13. Juli 2007 datieren, sodass nicht einmal eine bereits früher in einem anderen Verfahren erfolgte Überprüfung dieses Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft auszuschließen ist, wird bei Berücksichtigung dieser weiteren Verfahrensergebnisse aber auch in den Blick zu nehmen sein, dass sich die darin gegen Christian K***** erhobene Anschuldigung auf einen Tatzeitraum von ca Anfang 2006 bis Juli 2007 und auf Tathandlungen, die - soweit erkennbar - nicht im Zusammenhang mit der Tätergruppe rund um Roland P***** stehen, beziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

Textnummer

E89956

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0140OS00011.09P.0213.000

Im RIS seit

15.03.2009

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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